Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 13.05.2003, Az.: 2 A 2191/01

Bauaufsicht; Gebühr; Nachweis der Standsicherheit; Prüfingenieur; Prüfstatik; Vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
13.05.2003
Aktenzeichen
2 A 2191/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48063
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Bauaufsicht ist im Falle erkennbarer Mängel der Bauausführung nicht gehindert, auch bei im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 81 NBauO genehmigten Bauvorhaben nach § 89 Abs. 1 NBauO tätig zu werden und für diese Amtshandlungen Kosten zu erheben.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen ihn festgesetzten Kostenerstattungsantrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Der Kläger beantragte im April 1998 im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 81 NBauO eine Baugenehmigung für den Neubau eines Einfamilien- Reihenhauses.... Mit Bescheid vom 24. August 1998 erteilte die Beklagte eine entsprechende Baugenehmigung. Der Rohbau war am 28. Mai 1999 fertiggestellt. Aufgrund von Hinweisen der Bauberufsgenossenschaft besichtigten Mitarbeiter der Beklagten den Bau am 17. Juni 1999 ein erstes Mal. Dabei stellten sie fest, dass der Kläger abweichend von den Antragsunterlagen, zu denen eine statische Berechnung des Dipl.-Ing. A. vom März 1998 gehörte, ein Pfettendach statt eines Kehlbalkendaches hatte bauen lassen.

2

Anlässlich einer zweiten Baubesichtigung am 22. Juni 1999 legte der Kläger eine im August 1998 gefertigte Statik desselben Ingenieurs vor, die sich auf ein Pfettendach bezog. Auch diese Berechnung enthielt nach Auffassung der Beklagten zahlreiche fachliche Mängel. Daraufhin forderte die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 05. Juli 1999 zu zahlreichen statischen und sonstigen Nachweisen, den Bau, insbesondere die Dachkonstruktion und die Deckenausführung betreffend, auf. Den hiergegen zunächst eingelegten Widerspruch nahm der Kläger mit Schreiben vom 20. Oktober 1999 zurück. Gleichzeitig erklärte er sich mit diesem Schreiben damit einverstanden, dass die Nachtragsstatik vom August 1998 einer bauaufsichtlichen Prüfung vorgelegt werde und bat die Beklagte, seinem Wunsch zu entsprechen, die Unterlagen an ein bestimmtes Prüfbüro zu senden. Er wies darauf hin, dass die Kostenübernahme von der Prüfung abhänge.

3

Mit Schreiben vom 23. November 1999 erteilte die Beklagte dem Prüfingenieur für Baustatik, Dipl.-Ing. K., den Auftrag, den Standsicherheitsnachweis des streitgegenständlichen Bauvorhabens zu prüfen. Mit Schreiben vom gleichen Tage, teilte die Beklagte dem Kläger mit, aufgrund des von ihr vorgenommenen internen Verteilungsverfahrens sehe sie sich nicht in der Lage den vom Kläger bezeichneten Prüfingenieur mit der Prüfung der Unterlagen zu beauftragen. Auf dieses Schreiben reagierte der Kläger in der Folge nicht.

4

Der Prüfingenieur K. beanstandete in der Folgezeit die vorgelegten Unterlagen mehrfach in verschiedenen Punkten. Schließlich prüfte er die statische Berechnung des Dipl.-Ing. P., die dieser im Oktober 1999 begonnen und im Januar/Februar 2000 zum Abschluss gebracht hatte. Aufgrund der beschriebenen Mängel erklärte der für den Kläger tätige Dipl.-Ing. P. mit Schreiben vom 29. Februar 2000 die Standsicherheitsnachweise des Dipl.-Ing. A. für ungültig.

5

Am 29. Februar 2000 erstattete der Dipl.-Ing. K. einen ersten Prüfbericht betreffend die Statik des Daches. Hierfür stellte er der Beklagten mit Schreiben vom 1. März 2000 Gebühren in Höhe von 2 x 1.720,00 DM (2.540,00 DM) in Rechnung.

6

Am 26. Mai 2000 erstattete der Dipl.-Ing. K. einen zweiten Prüfbericht, betreffend die Statik der Decke. Hierfür erließ er gegenüber der Beklagten unter demselben Datum eine Gebührenrechnung in Höhe von 1.330,00 DM .

7

Mit Kostenbescheid vom 07. Juni 2000 forderte die Beklagte den Kläger auf, insgesamt 3.870,00 DM an sie zu entrichten. Der Kläger habe Anlass zu den die Kosten verursachenden Maßnahmen gegeben.

8

Den hiergegen im Wesentlichen mit der Begründung eingelegten Widerspruch, der Beklagten fehle aufgrund der Regelungen in der Prüfeinschränkungsverordnung die Kompetenz zur Prüfung der statischen Unterlagen, wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2001 zurück. Die Beklagte habe Hinweise gehabt, dass die Standsicherheit des streitgegenständlichen Gebäudes nicht – wie erklärt – dem öffentlichen Baurecht entsprochen habe. Deshalb sei der Kläger zu Recht mit Bescheid vom 05. Juli 1999 zur Nachweisführung aufgefordert worden und habe schließlich ja auch sein Einverständnis mit einer bauaufsichtsrechtlichen Prüfung erklärt. Dem Prüfingenieur K. hätten im Verlauf seiner Prüfung drei verschieden Standsicherheitsnachweise von verschiedenen Aufstellern vorgelegen, die er umfangreich zu prüfen gehabt habe. Die Beklagte sei gem. § 89 Abs. 1 NBauO berechtigt gewesen, die vorgelegten Standsicherheitsnachweise zu überprüfen. Ein solches Vorgehen sei auch bei Bauvorhaben, die in vereinfachten Baugenehmigungsverfahren durchgeführt würden, zulässig.

9

Hiergegen hat der Kläger am 20. Juni 2001 Klage erhoben.

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Er meint, er habe zu den Kosten keinen Anlass gegeben. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 der Prüfeinschränkungs-Verordnung seien die Nachweise über die Standsicherheit von der Beklagten nicht zu prüfen gewesen. Folglich sei auch die Prüfung durch ein Statikbüro nicht gerechtfertigt gewesen. Anlass für das Einschreiten der Beklagten seien nicht offensichtliche Mängel der statischen Berechnung gewesen, sondern allein die Tatsache, dass die Bauausführung in Abweichung von der Baugenehmigung erfolgt sei. Dies begründe jedoch keine Zweifel an der vorgelegten statischen Berechnung.

11

Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 07. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 23. Mai 2001 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

15

Sie meint, der Kläger habe gegen § 78 Abs. 1 Satz 2 NBauO verstoßen. Das Bauvorhaben sei abweichend von den eingereichten statischen Berechnungen durchgeführt worden. Sie sei auf der Grundlage von § 89 i. V. m. § 18 NBauO berechtigt gewesen, den Prüfingenieur zu beauftragen. Diese Befugnis sei nicht durch die Prüfeinschränkungs-Verordnung eingeschränkt. Darüber hinaus habe der Kläger sein Einverständnis zur Prüfung erklärt.

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Wegen der weitern Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Kammer lässt offen, ob die Klage möglicherweise deshalb unzulässig ist, weil der Kläger mit Schreiben vom 20. Oktober 1999 sein Einverständnis mit einer bauaufsichtlichen Prüfung durch einen Prüfingenieur erklärt hat und ihm deshalb Rechtsbehelfe gegen die Kostenfolge dieser Untersuchung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben abgeschnitten sind.

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Die Klage ist jedenfalls unbegründet.

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Der Bescheid der Beklagten vom 07. Juni 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 23. Mai 2001 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid, mit dem in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom Kläger 3.810,00 DM Gebühren erhoben werden, ist § 1 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Satz 3 i. V. m. mit Tarifstelle 9.1. und 9.9. der Anlage 1 zur Verordnung über die Gebühren und Auslagen für Amtshandlungen der Bauaufsicht (Baugebührenordnung - BauGO - ) vom 13. Januar 1998 (Nds. GVBl. Seite 3).

21

Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 BauGO sind für Amtshandlungen der Bauaufsicht Kosten (Gebühren- und Auslagen) zu erheben. Gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 BauGO sind Gebühren und Vergütungen, die von der Bauaufsichtsbehörde, hier der Beklagten u. a. an einen Prüfingenieur für Baustatik, hier den Dipl.-Ing. K., zu zahlen sind, als Auslagen zu erstatten, soweit sich aus dem Gebührenverzeichnis nichts anderes ergibt.

22

Der Kläger schuldet der Beklagten die streitgegenständlichen Gebühren dem Grunde nach, weil sie für Amtshandlungen der Bauaufsicht entstanden sind. Die Prüfung der Standsicherheit des klägerischen Bauvorhabens erfolgte durch die Beklagte rechtmäßig gem. § 89 Abs. 1 Satz 1 NBauO, wobei die Beklagte gem. § 66 Abs. 1 Nr. 1 NBauO i.V.m. § 1 Abs. 1 der Verordnung über die bautechnische Prüfung von Baumaßnahmen (Bautechnische Prüfungsverordnung – BauprüfVO - vom 24. Juli 1987, Nds. GVBl. Seite 129) befugt war, den Dipl.-Ing. K. als Prüfingenieur für Baustatik mit der Überprüfung der vom Kläger vorgelegten statischen Berechnungen zu beauftragen.

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Zwar trifft es zu, dass im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 81 Abs. 1 Nr. 1 NBauO i. V. m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung über die Einschränkung von Prüfungen im Baugenehmigungsverfahren (Prüfeinschränkungs-Verordnung – PrüfeVO -) vom 6. Juni 1996 (Nds. GVBl. Seite 287) die Nachweise über die Standsicherheit nicht zu prüfen sind, wenn sie von einer Person aufgestellt worden sind, die die fachlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt. Dies hindert die Bauaufsichtsbehörde jedoch nicht, im Falle festgestellter tatsächlicher Bauausführungsmängel bauaufsichtsrechtlich nach § 89 NBauO tätig zu werden. Diese Möglichkeit steht der Bauaufsichtsbehörde bereits in Verbindung mit der Baugenehmigung zu Gebote, wenn sich aus den eingereichten Unterlagen etwa Mängel ergeben, die auch Dritte gefährden können (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, Nds. Bauordnung, 7. Auflage, § 81 Rnr. 17).

24

Etwas anderes gilt nicht, wenn der Bauaufsicht während der Bauphase Verstöße gegen das öffentliche Baurecht bekannt werden. Die Befugnis der Bauaufsichtsbehörde nach § 89 Abs. 1 Satz 1 NBauO, nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anzuordnen, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Umstände erforderlich sind, wenn bauliche Anlage oder Baumaßnahmen dem öffentlichem Baurecht widersprechen oder dies zu besorgen ist, wird durch die PrüfeVO nicht eingeschränkt. Denn die mit der PrüfeVO beabsichtigte Verfahrensvereinfachung kann nicht soweit gehen, dass eine Gefährdung Dritter, die mit dem Bauvorhaben in Berührung kommen, sehenden Auges hingenommen werden. Eine derartige Gefährdung besteht abstrakt gesehen jedenfalls immer dann, wenn statische Mängel im Raum stehen.

25

Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsnorm des § 89 Abs. 1 Satz 1 NBauO lagen im Zeitpunkt der Beauftragung des Prüfingenieurs K. vor.

26

Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es dabei nicht darauf an, dass die Bauausführung den in § 18 NBauO normierten Anforderungen an die Standsicherheit im Ergebnis gerecht geworden ist. Denn es liegt, auch vom Kläger nicht bestritten, ein Verstoß gegen § 78 Abs. 1 Satz 2 NBauO vor. Danach darf die Baumaßnahme nur so durchgeführt werden, wie sie genehmigt worden ist. Dies war bei der klägerischen Baumaßnahme nicht der Fall, denn der Kläger hat anstelle des zur Genehmigung gestellten Kehlbalkendaches ein Pfettendach herstellen lassen. Der Kläger hat damit eine andere Baumaßnahme als die zur Genehmigung gestellte durchgeführt. Von daher stellt sich schon die Frage, ob die weitere und abweichende Bauausführung überhaupt von der im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 81 NBauO erteilten Baugenehmigung erfasst ist. Jedenfalls sieht die Kammer die Bauaufsichtsbehörde bei einer Abweichung der Bauausführung von den Bauantragsunterlagen nicht gehindert, erkennbaren Mängeln in der statischen Berechnung nachzugehen. Dass solche Mängel zum Zeitpunkt der Beauftragung des Prüfingenieurs am 23. November 1999 vorgelegen haben, räumt auch der Kläger indirekt ein. Denn in der Stellungnahme des für den Kläger schließlich tätigen Dipl.-Ing. P. vom 23. April 2001 heißt es, sämtliche Beanstandungen bezögen sich auf den Standsicherheitsnachweis des Dipl.-Ing. A., der bereits am 29. Februar 2000 für ungültig erklärt worden sei.

27

Unabhängig von § 89 Abs. 1 NBauO durfte die Beklagte den Prüfingenieur für Baustatik auch deshalb beauftragen, weil der Kläger mit bestandskräftigem Bescheid vom 05. Juli 1999 verpflichtet worden war, verschiedene statische Nachweise zu führen, die schließlich auch Gegenstand der Untersuchungen des Dipl.-Ing. K. gewesen sind. Zu einer derartigen bauaufsichtlichen Prüfung hatte der Kläger sein Einverständnis mit Schreiben vom 20. Oktober 1999 erteilt. Deshalb durfte die Beklagte auf Grund des Bescheides vom 05. Juli 1999 und der Einverständniserklärung des Klägers vom 20. Oktober 1999 wie geschehen vorgehen. Die Einverständniserklärung des Klägers ist nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil er einen anderen Prüfingenieur beauftragt wissen wollte. Unmissverständlich äußerte der Kläger lediglich eine dahingehende Bitte, machte sein Einverständnis aber nicht von der Beauftragung dieser Person abhängig. Der mit Schreiben vom 20. Oktober 1999 gemachte Vorbehalt, die Kostenübernahme von der Prüfung abhängig zu machen, ist rechtlich unerheblich. Die Kostentragungspflicht ergibt sich, wie dargelegt, aus dem Gesetz.

28

Schließlich ist der angefochtene Bescheid in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 23. Mai 2001 erhalten hat, auch in der Höhe rechtmäßig. Der Kläger hat Einwände gegen die Höhe der Kostenforderung nicht vorgebracht und solche sind für die Kammer auch nicht ersichtlich. Zur weiteren Begründung wird gem. § 117 Abs. 5 VwGO auf die Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 23. Mai 2001 Bezug genommen.