Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 28.04.2003, Az.: 3 A 3217/01

Demokratische Republik Kongo; G-6-PDH-Mangel; Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel; Malaria; She Albert Okito

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
28.04.2003
Aktenzeichen
3 A 3217/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48064
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass beim Kläger zu 3) die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich der Demokratischen Republik Kongo vorliegen. Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 08.11.2001 wird in Ziffer 3. aufgehoben, soweit er dem entgegen steht. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu 7/8 und die Beklagte zu 1/8; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Jeder Beteiligte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen ihn festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der andere Beteiligte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Gegenstandswert beträgt 4.700 Euro.

Tatbestand:

1

Die 1996, 1998 und 2001 in Deutschland geborenen Kläger sind Staatsangehörige der Demokratischen Republik Kongo (ehemals Zaire) und christlichen Glaubensbekenntnisses. Ihre Eltern reisten nach eigenen Angaben am 08.06.1995 über Brazzaville aus ihrem Heimatland aus und gelangten auf dem Luftwege am 09.06.1995 in die Bundesrepublik Deutschland, wo sie am 27.06.1995 ihre Anerkennung als Asylberechtigte begehrten. Diesen Antrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 09.01.1996 ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Die Eltern der Kläger wurden unter Abschiebungsandrohung aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland binnen eines Monats nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Ablehnung ihres Asylantrages zu verlassen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage blieb im Ergebnis erfolglos (VG Göttingen, Urteil vom 23.09.1998 - 3 A 3019/96 -; OVG Lüneburg, Urteil vom 21.02.2000 - 1 L 4903/98 -; BVerwG, Beschluss vom 06.06.2000 - 9 B 240.00 -).

2

Mit Schriftsatz vom 06.12.2000 beantragten die Eltern der Kläger erneut, als asylberechtigt anerkannt zu werden. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, neue Beweismittel könnten die Gefahr politischer Verfolgung belegen. Der Vater der Kläger sei im Amtsblatt der Republik Zaire vom 29.05.1995 wegen Hochverrats zur Fahndung ausgeschrieben worden. Auch im Amtsblatt der DR Kongo Nr. 0170/2000 vom 28.08.2000 sei wegen Verstoßes gegen Art. 431 CPM nach ihm gefahndet worden; beide Schriftstücke habe der Vater der Kläger zusammen mit einem Schreiben der UNPJ-Führung per Fax am 14.10.2000 erhalten. Aus diesen Beweismitteln folge, dass er wegen seiner Tätigkeit für die UNPJ bei einer Rückkehr mit politischer Verfolgung zu rechnen habe. Hinsichtlich der allgemeinen Gefährdung von Rückkehrern nahmen die Eltern Bezug auf die Aussage des ehemaligen Beamten im kongolesischen Innenministerium She Albert Okito vor dem VGH BW vom 25.07.2000. Wegen der katastrophalen wirtschaftlichen Lage im Kongo sei das Existenzminimum nicht sichergestellt.

3

Das Bundesamt ließ die vorgelegten Unterlagen auf ihre Echtheit überprüfen. Mit Stellungnahme vom 09.01.2001 erklärte die Deutsche Botschaft in Kinshasa, dass der Vater der Kläger in der DR Kongo nicht zur Fahndung ausgeschrieben sei. Das im Amtsblatt vom 29.05.1995 zitierte Gesetz „CPM“ existiere in der DR Kongo nicht und der angebliche Aussteller sei in Kreisen der Angehörigen seiner ehemaligen Einheit nicht bekannt. Eine politische Partei mit dem Namen UNPJ sei weder registriert noch sonst bekannt. Mit Bescheid vom 02.07.2001, zugestellt am 04.07.2001, lehnte das Bundesamt ab, für die Eltern der Kläger weitere Asylverfahren durchzuführen und die im Bescheid vom 09.01.1996 getroffenen Feststellungen zu § 53 AuslG zu ändern. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die vorgelegten Unterlagen seien nach der Auskunft der Deutschen Botschaft nicht echt, so dass keine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bestünde. Nach den vorliegenden Erkenntnissen bestehe keine beachtliche Gefahr für Rückkehrer. Die allgemeinen Lebensverhältnisse begründeten keine extreme Gefahrenlage. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage (3 A 3127/01) wurde in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

4

Mit Schriftsatz vom 25.10.2001 wurde für die Kläger ein Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte sowie auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen gemäß §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG gestellt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf das Vorbringen der Eltern Bezug genommen und darüber hinaus vorgetragen, die Versorgungslage in Kinshasa sei sehr angespannt und Kinder würden bei einem derartigen Existenzkampf automatisch zu Verlierern. Mit Bescheid vom 08.11.2001, zugestellt am 12.11.2001, lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Antrag als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Die Kläger wurden unter Abschiebungsandrohung und Fristsetzung aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen.

5

Am 19.11.2001 haben die Kläger Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt, zu deren Begründung sie sich auf ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren beziehen und ergänzend zur allgemeinen Lage in der DR Kongo vortragen. Außerdem führen sie aus, der Kläger zu 3) sei an einem Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel (G-6-PDH-Mangel) erkrankt, weshalb Infektionskrankheiten, bestimmte Nahrungsmittel und Medikamente im Falle seiner Abschiebung in die DR Kongo mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine oftmals tödlich verlaufende hämolytische Anämie auslösen würden. Der vor dem zuletzt angeführten Vorbringen gestellte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist ohne Erfolg geblieben (VG Göttingen, Beschluss vom 29.11.2001 - 3 B 3218/01 -).

6

Die Kläger beantragen,

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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 08.11.2001 zu verpflichten, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.

8

Die Beklagte beantragt,

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die Klage hinsichtlich der Kläger zu 1) und 2) abzuweisen.

10

Sie bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid und vertieft die dort angeführten Argumente gegen die Feststellung von Abschiebungshindernissen.

11

Der Beteiligte hat sich zur Sache nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

12

Nach Anhörung der Beteiligten hat die Kammer den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die den Beteiligten vorab übersandte Erkenntnismittelliste, die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Bezug genommen. Die Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige und auch sonst statthafte Klage ist überwiegend nicht begründet. Die Kläger haben weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte, noch steht ihnen Abschiebungsschutz im Sinne von § 51 Abs. 1 bzw. § 53 Abs. 4 AuslG zu. Überdies ist die Abschiebungsandrohung rechtmäßig. Allerdings ist dem Kläger zu 3) aufgrund seiner G-6-PDH-Mangelerkrankung derzeit Abschiebungsschutz in Bezug auf die DR Kongo gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren.

14

Ausländern steht nach Art. 16 a Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention - ein Asylanspruch zu, wenn ihnen im Heimatstaat politische Verfolgung droht, also wenn ihnen in Anknüpfung an ihre politische Überzeugung, ihre religiöse Grundentscheidung oder andere für sie unverfügbare Merkmale, die ihr Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die sie ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Die spezifische Zielrichtung der behaupteten Verfolgung ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach dem erkennbaren Zweck und nicht nach den subjektiven Motiven des Verfolgenden zu ermitteln (BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u. a. -, InfAuslR 1990, 21, 26 f.).

15

Auch Verfolgungsmaßnahmen Dritter können politische Verfolgung bedeuten. Dies setzt allerdings voraus, dass sie dem jeweiligen Staat zuzurechnen sind. Insoweit kommt es darauf an, ob der Staat dem Betroffenen mit den ihm an sich zur Verfügung stehenden Mitteln Schutz gewährt. Es begründet aber auch die Zurechnung, wenn der Staat zur Schutzgewährung entweder nicht bereit ist oder wenn er sich nicht in der Lage sieht, die ihm an sich verfügbaren Mittel im konkreten Fall gegenüber Verfolgungsmaßnahmen bestimmter Dritter hinreichend einzusetzen (vgl. BVerfG, aaO.). Einer bereits eingetretenen Verfolgung steht dabei die unmittelbar drohende Gefahr der Verfolgung gleich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u. a. -, DVBl. 1991, 531 ff.).

16

Auf das Individualgrundrecht des Art. 16 a Abs. 1 GG kann sich nur berufen, wer in eigener Person politische Verfolgung erlitten oder zu befürchten hat. Die Gefahr eigener politischer Verfolgung eines Asylsuchenden kann sich auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Diese Gruppengerichtetheit der Verfolgung kann dazu führen, dass jedes Mitglied der Gruppe im Verfolgerstaat eigener Verfolgung jederzeit gewärtig sein muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u. a. -, BVerfGE 83, 216, 230 ff.; BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158/94 -, InfAuslR 1994, 424).

17

Nicht zur Seite steht das Asylrecht allerdings denen, die aufgrund der allgemeinen Zustände in ihrem Heimatstaat in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, wie z. B. Flüchtlingen, die aufgrund wirtschaftlicher Not, einer schlechten Arbeitsmarktlage, Hunger, Naturkatastrophen oder allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen aus ihrem Heimatstaat ausgereist sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989, aaO.).

18

Das Gericht muss sowohl von der Wahrheit des behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals als auch von der Richtigkeit der Verfolgungsprognose die volle Überzeugung gewinnen. Es darf hierbei weder unerfüllbare Beweisanforderungen stellen noch unumstößliche Gewissheit verlangen, vielmehr muss es sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239/89 -, InfAuslR 1989, 349). Als wesentliche Voraussetzung einer Glaubhaftmachung ist von Seiten des Asylsuchenden jedenfalls bezüglich der seinen eigenen Lebensbereich betreffenden Umstände ein substantiierter und im wesentlichen widerspruchsfreier Tatsachenvortrag zu fordern. Bei erheblich widersprüchlichem, wechselndem oder im Laufe des Verfahrens sich steigerndem Sachvortrag ist die Glaubhaftmachung grundsätzlich als gescheitert anzusehen (BVerwG, Urteil vom 23.02.1989 - 9 C 32/87 -, Buchholz 310, § 108 VwGO, Nr. 215).

19

Hiervon ausgehend, konnte der Einzelrichter nicht die Überzeugung gewinnen, dass den Klägern im Falle ihrer Abschiebung in die DR Kongo mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht. Für seine Entscheidung hat das Gericht gem. § 77 Abs. 1 S. 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen. Ein individuelles Verfolgungsschicksal haben die Kläger ebenso wenig geltend gemacht wie die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, welche Verfolgungsmaßnahmen unterliegen könnte, die der DR Kongo als Staat zuzurechnen wären. Die Zuerkennung eines Asylanspruchs gemäß § 26 Abs. 2 AsylVfG scheitert daran, dass kein Elternteil der Kläger unanfechtbar als asylberechtigt anerkannt ist. Auch der Umstand, dass die Kläger in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt haben und dies gegebenenfalls den Behörden ihres Heimatlandes bei ihrer Rückkehr bekannt würde, führt nicht zu einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung. Nach den Erkenntnissen des UNHCR (vom 08. März 2001 an das VG München) stellt sich die Situation bei der staatlichen kongolesischen Einwanderungsbehörde DGM so dar, dass ggf. ein umfangreiches und bis zu mehreren Tagen dauerndes Prüfverfahren eingeleitet wird, das jedoch im Wesentlichen dazu dient, festzustellen, ob tatsächlich Staatangehörige der Demokratischen Republik Kongo einreisen. Dem UNHCR sind im diesem Zusammenhang keine Berichte bekannt geworden, wonach es in der Einwanderungsbehörde Kinmaziere, die für den Flughafen Kinshasa (wenn umfangreichere Prüfungen vorzunehmen sind) zuständig ist, zu Misshandlungen von Rückkehrern gekommen sei; allerdings habe es immer wieder Beschwerden über die dortige Verpflegung gegeben. Der UNHCR kann in diesem Zusammenhang die Vermutung des ehemaligen hochrangigen Mitarbeiters der DGM, She Albert Okito, die dieser in einer Zeugenaussage vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim am 25. Juli 2000 getätigt hatte, nicht bestätigen, wonach den kongolesischen Geheimdiensten abgeschobene Personen zugeführt würden, bei denen eine regimekritische Einstellung vermutet wird. Im Übrigen ist inzwischen bekannt geworden, dass She Albert Okito sich nach persönlichem Kontakt mit Staatspräsident Joseph Kabila seit Herbst 2001 wieder in Kinshasa aufhält (Fränkische Nachrichten vom 24.11.2001), so dass auch vor diesem Hintergrund seine Aussage vor dem VGH BW vom Juli 2000 fragwürdig wird (vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 18.04.2002 - 4 A 3113/95.A -, Seite 29).

20

Nach Angaben von amnesty international (an das VG München vom 12.02.2001) ist zu vermuten, dass aufgrund der extrem angespannten innenpolitischen Lage in der Demokratischen Republik Kongo insbesondere Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen in Gefahr sind, selbst Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu werden. Es reiche darüber hinaus ein geringer Verdacht der Unterstützung der bewaffneten Opposition aus, um im Machtbereich der Regierung Opfer von schweren Menschenrechtsverletzungen zu werden. Anhaltspunkte dafür, dass ein solcher Verdacht auf die Kläger fallen könnte, hat das Gericht angesichts des langjährigen Aufenthaltes ihrer Eltern sowie ihrer eigenen Geburt in der Bundesrepublik Deutschland jedoch nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass die bloße Asylantragstellung, wenn sie denn den dortigen Behörden bekannt würde, eine Gefahr im eben beschriebenen Sinne verursachen würde. In diesem Zusammenhang verweist das Auswärtige Amt in seinem aktuellen Lagebericht überdies darauf, dass insbesondere bei Transitpassagieren aus Europa die besonders genaue Überprüfung von Personen, die mit einer kenianischen Fluggesellschaft angekommen und bei denen feindliche Infiltration vermutet wird, gerade nicht vorgenommen wird. Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes bleiben Abgeschobene unbehelligt und können nach der Einreiseüberprüfung zu ihren Familien gelangen. Gegenteilige Berichte hätten trotz eingehender Überprüfung nicht verifiziert werden können. Staatliche Repressionen gegen zurückgekehrte Abgeschobene seien bei Besuchen von Mitarbeitern von Menschenrechtsorganisationen (die in besonders gelagerten Fällen im Auftrag der Botschaft durchgeführt würden) bislang nicht festgestellt worden.

21

Droht demnach den Klägern in der DR Kongo keine politische Verfolgung, so entfällt ebenso der Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG, denn auch insoweit ist das Vorliegen politischer Verfolgung tatbestandsbegründend. Der hierbei gültige Prognosemaßstab ist deckungsgleich mit dem im Asylanerkennungsverfahren nach Art. 16 a Abs. 1 und 3 GG anzuwendenden. Da im vorliegenden Fall Verfolgungsmaßnahmen in der DR Kongo auszuschließen sind, muss dem Begehren auch insoweit der Erfolg versagt bleiben.

22

Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1 und 4 AuslG liegen hinsichtlich der Kläger ebenfalls nicht vor. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass den Klägern im Falle ihrer Einreise in die DR Kongo die konkrete Gefahr drohen könnte, im Sinne des § 53 Abs. 1 AuslG der Folter unterworfen zu werden, oder dass ihnen dort wegen einer Straftat die Verhängung der Todesstrafe drohen würde (§ 53 Abs. 2 Satz 1 AuslG). Das Bundesverwaltungsgericht hat unter Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, insbesondere der Urteile vom 29.04.1997 - 11/196/630/ 813 - und vom 02.05.1997 - 146/1996/767/964 - ausdrücklich entschieden, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK nur dann in Betracht kommt, wenn die dem Ausländer im Zielstaat drohende Misshandlung vom Staat oder einer staatsähnlichen Organisation ausgeht oder zu verantworten ist (BVerwG, Urteil vom 02.09.1997 - 9 C 40.96 -, BVerwGE 105, 187; Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 -, BVerwGE 104, 265; ebenso Nds.OVG, Beschluss vom 19.01.2001 - 8 L 4049/00 – und vom 11.01.2001 - 12 LA 323/01; VGH Kassel, Urteil vom 15.02.2000, a.a.O., m.w.N.). Für die Feststellung einer in diesem Sinne drohenden Gefahr bedarf es konkreter Hinweise und Anhaltspunkte, die für jeden Einzelfall spezifiziert nachzuweisen sind und die ein geplantes, vorsätzliches und auf die jeweils bestimmte Person gerichtetes Handeln verlangen; auch hierfür fehlt es hinsichtlich der Kläger an jeglichen konkreten Ansatzpunkten.

23

Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG sind in Bezug auf die Kläger im Hinblick auf die allgemeine Lage in der DR Kongo ebenfalls nicht erfüllt. Diese Vorschrift setzt im Einzelfall eine erhebliche, individuelle und konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit voraus. Es muss mithin eine schwere existenzielle Bedrohung konkret zu befürchten sein, die sich nicht schon aus der allgemeinen, von Bürgerkrieg und einer desolaten wirtschaftlichen Situation gekennzeichneten Lage im Kongo herleiten ließe. Allgemeine Gefahren, die nicht nur dem betreffenden Ausländer, sondern zugleich der ganzen Bevölkerung oder einer Bevölkerungsgruppe drohen, begründen auch dann nicht Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, wenn sie den Ausländer konkret und individualisierbar betreffen; sie sind einer politischen Leitentscheidung im Sinne des § 54 AuslG vorbehalten. Lediglich wenn einem Ausländer im Zielstaat im Ausnahmefall so erhebliche konkrete Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit drohen, dass unmittelbar aus dem Grundgesetz die Gewährung von Abschiebungsschutz geboten ist (Art. 1 GG, Art. 2 Abs. 2 GG), sind allgemeine Gefahren durch eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG zu berücksichtigen. Einer derartigen extremen Gefahrenlage werden kongolesische Staatsangehörige bei einer heutigen Rückkehr in den Kongo nach den vom Gericht in das Verfahren eingeführten und ausgewerteten Erkenntnisquellen nicht ausgesetzt sein. Hierzu hat das Nds.OVG (Urteil vom 21.01.2000 - 1 L 3965/98 -; Beschluss vom 12.12.2001 - 1 LA 3419/01 -; im Ergebnis ebenso: OVG Hamburg, Urteil vom 02.11.2001 - 1 Bf 242/98.A -; OVG Saarland, Urteil vom 14.01.2002 - 3 R 1/01 – m.w.N., UA S. 69), dem der Einzelrichter für das vorliegende Verfahren in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Kammer folgt, ausgeführt:

24

„Unzumutbar ist eine Abschiebung hiernach dann, wenn der Kläger im Falle seiner Abschiebung dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen überantwortet würde und die Oberste Landesbehörde in verfassungswidriger Weise von ihrer Ermessensermächtigung nach § 54 AuslG keinen Gebrauch gemacht hat. Dazu muss eine extreme Gefahrenlage bestehen, welche landesweit existiert und so stark ist, dass praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben wird, Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit in so erhöhtem Maße drohen, dass eine Abschiebung dorthin als unzumutbar erscheint. Eine derartig extreme allgemeine Gefahrenlage ist dadurch gekennzeichnet, dass ... auch dem einzelnen Ausländer eine Abschiebung in dieses Land nicht zugemutet werden kann. Dies oder etwa aufgrund schlechter Versorgungslage bestehende Rechtsgutbeeinträchtigungen müssen so erheblich, konkret unmittelbar bevorstehend sein, dass eine Abschiebung nur unter Verletzung der zwingenden Verfassungsgebote aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 1 Abs. 1 GG erfolgen könnte. Maßgeblich ist insoweit eine objektive Beurteilung. Wann die Furcht eines Einzelnen angesichts einer allgemeinen Gefährdung als begründet anzusehen ist und damit zu einem zwingenden Abschiebungshindernis führt, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser Gefahr ist von einem erhöhten Maßstab auszugehen.

25

Auch die Auskünfte des Auswärtigen Amtes rechtfertigen eine derartige Annahme nicht. Der aktuellste Bericht über die asyl- und abschiebungsrechtliche Lage in der Demokratischen Republik Kongo ... gibt zwar wieder, dass die wirtschaftliche Lage desolat sei (I. 3.) und mittlerweile selbst die Grundversorgung der Bevölkerung gefährdet sei. Das ist indes nicht gleichzusetzen mit der für § 53 Abs. 6 AuslG allein ausreichenden Annahme, praktisch jedem, der in dieses Land zurückkehren muss, drohten eine Gefährdung seiner Existenz oder wesentliche Schäden an Leib und Leben. Dasselbe gilt im Hinblick auf die Ausführungen unter IV. 3. dieses Berichtes. Danach ist zwar selbst in Kinshasa die Versorgungslage bereits zu Beginn des Jahres 2000 angespannt gewesen und hat sich zwischenzeitlich weiter verschlechtert. Verschärft habe sich die Versorgungslage auch durch den desolaten Zustand der Transportwege. Auch wenn nach diesen Ausführungen zugleich das Gesundheitswesen in katastrophalem Zustand ist, ist damit jedoch noch kein Zustand dokumentiert, der als allgemeine extreme Gefahrenlage angesehen werden könnte, welcher landesweit herrscht und praktisch jeden mit den beschriebenen Gefahren bedroht, der in die Demokratische Republik Kongo zurückzukehren hat.“

26

Die geltend gemachten Risiken treffen nahezu die gesamte Bevölkerung der DR Kongo in gleichem Maße und sind daher keine individuellen Risiken, denen die Antragsteller in besonderem Maße ausgesetzt wären. Dies gilt auch für die erheblich höhere Gefahr einer Erkrankung an Infektionskrankheiten als in Deutschland, zumal sich der Steigerungsfaktor im Wesentlichen aus den klimatischen Unterschieden ergibt und Medikamente gegen Malaria und andere Infektionskrankheiten in den Apotheken der Region Kinshasa erhältlich sind (Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Kinshasa, Auskunft an den VGH BW vom 18.05.2001; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 23.11.2001, S. 23).

27

Die gesundheitlichen Risiken, denen der Kläger zu 3) im Falle seiner Einreise in die DR Kongo aufgrund seiner Erkrankung an G-6-PDH-Mangel ausgesetzt wäre, führen allerdings abweichend von den vorstehenden Ausführungen aufgrund der vorliegenden medizinischen Erkenntnisse dazu, dass in seinem Fall die Beklagte zu verpflichten ist, ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG festzustellen. Der bei ihm diagnostizierte G-6-PDH-Mangel, durch den bestimmte Infektionen, Medikamente und Nahrungsmittel eine Hämolyse – Auflösung der roten Blutkörperchen – bewirken, führt zwar unter den in der Bundesrepublik Deutschland herrschenden Normalbedingungen nicht zu ernsthaften Krankheitserscheinungen, vielmehr kann ihm regelmäßig bereits wirksam durch eine entsprechende Ernährung (insbesondere durch Vermeidung bestimmter Hülsenfrüchte) und frühzeitige Behandlung von Infektionen mit den verträglichen Medikamenten begegnet werden. Unter den nach den vorliegenden Erkenntnismitteln in der DR Kongo herrschenden medizinischen, hygienischen und klimatischen Verhältnissen, die durch das Auftreten zahlreicher und schwerer Infektionskrankheiten bei gleichzeitig stark eingeschränkter medizinischer Versorgung der Bevölkerung gekennzeichnet sind, müsste der Kläger zu 3) als ein nicht an die dortigen Lebensverhältnisse gewöhntes Kleinkind jedoch mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, sich innerhalb von wenigen Wochen nach seiner Einreise in die DR Kongo schwerwiegend zu infizieren. Zu den Infektionen, die besonders geeignet sind, eine Hämolyse zu verursachen, zählen virale Hepatiden, Atemwegserkrankungen, Infektionen des Gastrointestinaltraktes und septische Erkrankungen einschließlich Typhus. Wenn auch möglicherweise bei G-6-PDH-Mangel eine erhöhte Resistenz gegenüber Malaria bestehen kann (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Aufl. 1998, Seite 588), bewirken gerade zahlreiche und in der DR Kongo gebräuchliche Malariamedikamente wie Chloroquine, Primaquine und Chinin ebenfalls eine hämolytische Anämie, so dass in seinem speziellen Fall nicht von der Verfügbarkeit einer geeigneten Therapie ausgegangen werden kann. Andere Medikamente, auf die auch die Beklagte verweist, sind nach den seitens der Kläger vorgelegten Erkenntnismittel für ein zweijähriges Kind ungeeignet. Hinzu kommt, dass hämolytische Prozesse bei G-6-PDH-Mangel zu einer signifikanten Erhöhung von Bilirubin in der Galle führen, welches sich mit Kalzium zu schwer löslichem Kalzium-Bilirubinat verbindet und auf diese Weise Gallensteine bildet (vgl. Leitlinien der Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung Nr. 068/006). Aufgrund dieser Faktoren ist die für den Kläger zu 3) im Falle seiner Abschiebung in die DR Kongo bestehende Gefahr für Gesundheit und Leben so deutlich erhöht, dass ihm Abschiebungsschutz gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren ist.

28

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 155 Abs. 1 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Der Gegenstandswert des Verfahrens ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.