Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 13.05.2003, Az.: 2 A 2027/02

Baugestaltung; Dachfarbe; Dachziegel; Gestaltung; Gestaltungsvorschrift; örtliche Bauvorschrift

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
13.05.2003
Aktenzeichen
2 A 2027/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48534
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Es stellt keine baugestalterische Absicht im Sinne von § 56 Abs. 1 NBauO dar, wenn der Satzungsgeber in einer örtlichen Bauvorschrift eine bestimmte Dachfarbe deshalb vorschreibt, weil für Baudenkmale, die in einem räumlich vom Geltungsbereich der örtlichen Bauvorschrift getrennten Sanierungsgebiet liegen eine entsprechende Dachfarbe vorgeschrieben ist und zwischen Sanierungsgebiet und "ÖBV-Gebiet" ein einheiltiches Erscheinungsbild angestrebt wird.

Dies gilt auch, wenn sich das "ÖBV-Gebiet" in einer gut einsehbaren Höhenlage befindet.

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 25. Juni 2001 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 11. Januar 2002 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen ihn festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks L. in U. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 51 "Am Eichholz". Es ist mit einem Einfamilienhaus bebaut, dessen Dach mit Dachpfannen der Farbe "dunkelgrau, Stich blau" eingedeckt ist.

2

Zusammen mit dem im Amtsblatt Nr. 30 des Beklagten vom 1. September 1995 veröffentlichten Bebauungsplan erließ die Beigeladene für den Geltungsbereich des Bebauungsplanes eine örtliche Bauvorschrift - ÖBV -. Gemäß § 3 ÖBV müssen Dächer in roter Farbe gedeckt werden. Die Farbe Rot sei durch das RAL-Farbregister bestimmt. Den Farbrahmen bilde die Übersichtskarte RAL-F2 zum Farbregister RAL 840 HR mit folgenden Farben:

3

Aus der Farbreihe Rot - die Farben RAL 3000 Feuerrot, RAL 3002 Kaminrot, RAL 3003 Rubinrot, RAL 3013 Tomatenrot und RAL 3016 Korallenrot.

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Zwischentöne der angegebenen Farben seien zulässig.

5

In der Begründung zu § 3 ÖBV heißt es, die Beigeladene betreibe derzeit die Stadtsanierung und sei bestrebt, ortstypische Materialien wiederzuverwenden. Um hier nicht im Gegensatz zur Stadtsanierung zu stehen, sollten auch im Neubaugebiet ortstypische Farbtöne für die Dachgestaltung Verwendung finden.

6

Der Rat der Beigeladenen beschloss am 22. Mai 1986 eine Satzung über die förmliche Festlegung des Sanierungsgebietes "Stadtkern U.". Dem lagen vorbereitende Untersuchungen nach Städtebauförderungsgesetz des Architekturbüros B. und Partner vom März 1986 zu Grunde. Diese Untersuchung enthält zwar in Abschnitt 7 "Sanierungskonzeption" Ausführungen zur Stadtbilderhaltung, -pflege und -Stadtbilderentwicklung, trifft aber, insbesondere auch nicht in Plan U zu diesem Abschnitt, keine Aussage in Bezug auf die farbliche Gestaltung der im Sanierungsgebiet vorhandenen Dächer.

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Im Jahre 1999 beschloss der Rat der Beigeladenen eine bisher nicht in Kraft getretene örtliche Bauvorschrift zur Erhaltung und Gestaltung des Stadtbildes sowie der baulichen Anlagen im Sanierungsgebiet "Historische Altstadt U.". Gemäß § 6 Abs. 4 Satz 2 dieser örtlichen Bauvorschrift ist die Dacheindeckung in roten bis rotbraunen Tonziegeln auszuführen. In der Begründung dieser ÖBV heißt es:

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"Die Farbe der Dächer wurde ursprünglich durch die dunkelbraune bis hellbraune Farbe der Sollingsandstein- Plattendächer in der Altstadt geprägt und in der Regel dann durch dunkelbraune engobierte Tonziegel ersetzt. Diese Dachumdeckungen erfolgten in den letzten 50 bis 60 Jahren, sodass aufgrund der Langlebigkeit dieser Ziegeldeckungen diese Farbe in der Dachlandschaft der Altstadt U. noch längeren Bestand haben wird. Die Denkmalpflegebehörden bestehen jedoch in letzter Zeit immer häufiger darauf, dass die im Satzungsbereich verstreuten Baudenkmale mit naturroten Ziegelmaterialien einzudecken sind. So wird die Altstadt U. zwar nicht eine idealisierte Dachlandschaft erhalten, die in Farbe, Form und Materialien sofort nach jeder neuen Dacheindeckung harmonisch wirkt, die sich aber dennoch im Laufe der Zeit aufgrund der Umwelteinflüsse dieser Idealvorstellung angleichen wird."

9

Das Sanierungsgebiet "Historische Altstadt U." liegt auf einer Höhe über NN von ca. 160 Metern. Das in einer Luftlinienentfernung von ca. 700 Meter entfernt vom Sanierungsgebiet liegende Grundstück der Kläger befindet sich auf einer Höhe über NN von ca. 210 Metern. Zwischen dem Grundstück der Kläger und dem Sanierungsgebiet "Historische Altstadt U." befindet sich ein Gebiet, das mit Wohnhäusern bebaut ist. Für dieses Gebiet existiert keine öffentliche Bauvorschrift.

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Mit Schreiben vom 14. Dezember 1999 teilten die Kläger dem Beklagten mit, sie beabsichtigten, ihr Gebäude mit einer "dunkelgrauen, Stich blauen" Dachpfanne einzudecken. Diese Dachpfanne sei aus architektonischen Gesichtspunkten ausgewählt worden. Tonrot sei nach ihrer Vorstellung für die Farbgebung der Dachhaut und die damit verbundene Gesamtgestaltung des Hauses nicht akzeptabel. Sie hielten die entgegenstehende öffentliche Bauvorschrift für unverhältnismäßig. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom selben Tage beantragen sie eine Befreiung von den Regelungen der ÖBV.

11

Nachdem der Beklagte die Kläger mit inzwischen bestandskräftiger bauaufsichtsrechtlicher Anordnung vom 6. März 200 aufgefordert hatte, ihr Haus entsprechend den Vorgaben der ÖBV umzudecken, lehnte er mit Bescheid vom 25. Juni 2001 den Antrag der Kläger auf Befreiung von den Beschränkungen der ÖBV ab. Unter Hinweis auf § 56 NBauO führte er aus, die exponierte Lage des Baugebietes, in dem das klägerische Grundstück liege, mache die Sicherung des Sanierungsgebietes "Historische Altstadt U." erforderlich. Die Beigeladene sei bestrebt, ortstypische Materialien wieder zu verwenden.

12

Den hiergegen von den Klägern im Wesentlichen mit der Begründung eingelegten Widerspruch, § 3 ÖBV verstoße gegen höherrangiges Recht und es gebe zahlreiche Gebäude in U., die ebenfalls mit anderen als roten Dachziegeln gedeckt seien, wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2002 zurück. Rechtliche Bedenken gegen die ÖBV bestünden nicht. Ein Anspruch auf Befreiung von den Beschränkungen der ÖBV nach § 56 Abs. 2 NBauO sei nicht gegeben. Würden die Kläger von den Beschränkungen des § 3 ÖBV befreit, würden die städtebaulichen Zielsetzungen der Beigeladenen maßgeblich beeinträchtigt. Die Beigeladene verfolge das Konzept, im alten Stadtkern und in städtebaulich exponierten, hervorgehobenen und dominierenden Stadtbereichen eine weitestgehend einheitliche Dachlandschaft zu erreichen. Es sei deshalb für das Stadtbild der Stadt U. von eminenter Bedeutung, dass sich gerade die Gebäude u. a. auch in den Neubaugebieten dem alten Stadtkern ein- und unterordneten. Dieses Einfügen schließe nicht aus, dass an anderen, weniger exponierten Lagen andere Dachformern oder -farben aus städtebaulicher Sicht zugelassen werden könnten, um dem Übermaßverbot Rechnung zu tragen. So gebe es für die von den Klägern beispielhaft genannten, abweichend gedeckten Referenzgebäude keine örtlichen Bauvorschriften.

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Hiergegen haben die Kläger am 28. Januar 2002 Klage erhoben.

14

Sie rügen, ihre Eigentümerinteressen würden nicht angemessen berücksichtigt. Der von der Beigeladenen mit § 3 ÖBV verfolgte Zweck sei nicht von § 56 Abs. 1 Nr. 1 NBauO gedeckt. Ziel sei nämlich alleine, ein einheitliches Stadtbild herzustellen. Dies sei kein einheitliches Gestaltungskonzept, wie es von der Rechtsprechung verlangt werde. Zudem sei die Farbe "rot" ortsuntypisch, da im gesamten Stadtkern Dacheindeckungen in brauner, rotbrauner und schwarzer Farbe vorhanden seien. Dass der Beigeladenen ein städtebauliches Konzept fehle, ergebe sich darüber hinaus aus zahlreichen, von ihnen im Einzelnen bezeichneten Gebäuden, die anders als rot eingedeckt seien.

15

Die Kläger beantragen,

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den Bescheid des Beklagten vom 25. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 11. Januar 2002 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Klägern eine Befreiung von den Beschränkungen des § 3 der örtlichen Bauvorschrift über die Gestaltung im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 51 "Am Eichholz" zu erteilen,

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hilfsweise,

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die genannten Bescheide aufzuheben,

19

weiter hilfsweise,

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festzustellen, dass die genannten Bescheide nichtig sind.

21

Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

23

Er nimmt im Wesentlichen Bezug auf die angefochtenen Bescheide. Die von den Klägern genannten Referenzgrundstücke seien nicht vergleichbar, da sie außerhalb eines Bebauungsplanes und außerhalb von entsprechenden örtlichen Bauvorschriften lägen. Die Farbe "Rot" sei ortstypisch. Den Bauherren verbliebe ein ausreichender Gestaltungsspielraum bei der Dacheindeckung. Der Beigeladene beabsichtigte, ähnliche örtliche Bauvorschriften auch in anderen Baugebieten auszuweisen. Ausgehend von dem Gesamtkonzept für die Stadtsanierung in Uslar solle sich die hierin vorgesehene vom Rat der Beigeladenen intensiv diskutierte Dachgestaltung auch auf exponierte Randgebiete erstrecken. Die bei der Altstadtsanierung gewollte Dachlandschaft solle so optisch für den Betrachter in exponierten Lagen unterstützt werden. Die Exponiertheit des klägerischen Grundstückes und damit des Baugebietes "Am Eichholz" ergebe sich aus dessen Höhenlage und daraus, dass die Gegend von mehreren Seiten gut einsehbar sei.

24

Die Beigeladene, die keinen Antrag stellt, tritt dem Vorbringen des Beklagten bei. Sie führt ferner aus, nicht nur der Bebauungsplan Nr. 51 "Am Eichholz", sondern auch der Bebauungsplan Nr. 72 für das Folgebaugebiet "Sonnenhof" treffe eine § 3 ÖBV entsprechende Regelung. Sie beabsichtige auch künftig die Aufnahme solcher örtlicher Bauvorschriften bei der Ausweisung von Neubaugebieten. Die streitgegenständliche Bauvorschrift begründe sich auch unabhängig von dem Bezug auf das Sanierungsgebiet "Historische Altstadt" in einer klaren Stadtbildgestaltung, die zumindest hinsichtlich der Dachfarbe von ihrem Rat gewollt sei. Eine Gesamtbetrachtung des Stadtbildes ergebe eine überwiegend rotfarbige Dachlandschaft.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten dieses und des Verfahrens 2 A 2174/01 sowie die jeweiligen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und die in diesem Verfahren vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Beigeladenen Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist mit dem ersten Hilfsantrag zulässig und begründet.

27

Der Bescheid des Beklagten vom 25. Juni 2001 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 11. Januar 2002 sind rechtswidrig. Die mit dem Hauptantrag begehrte Verpflichtung des Beklagten, die Kläger von den Beschränkungen des § 3 ÖBV zu befreien, geht ins Leere, weil § 3 ÖBV wegen eines Verstoßes gegen höherrangiges Recht unwirksam ist. Folglich ist auch eine Befreiung nach § 56 Abs. 2 NBauO nicht erforderlich (vgl. zur Statthaftigkeit der Anfechtungsklage für diesen Fall, BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1971 - VIII C 6.69 -, BVerwGE 39, 135, 138 f.), so dass die Kläger durch die angegriffenen Bescheide in ihrem aus Art. 14 Abs. 1 GG folgenden Recht auf Baufreiheit verletzt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

28

Gemäß § 56 Abs. 1 Nr. 1 NBauO können die Gemeinden, auch über die Anforderungen der §§ 14, 49 und 53 hinausgehend, durch örtliche Bauvorschrift für bestimmte Teile des Gemeindegebiets besondere Anforderungen u. a. an die Farben der von außen sichtbaren Bauteile setzen, um bestimmte städtebauliche, baugestalterische oder ökologische Absichten zu verwirklichen oder um die Eigenart oder den Eindruck von Baudenkmalen zu erhalten oder hervorzuheben. Eine solche örtliche Bauvorschrift hat die Beigeladene - zwischen den Beteiligten unstreitig - formgültig gem. § 97 Abs. 1 NBauO zusammen mit dem Bebauungsplan Nr. 51 "Am Eichholz" erlassen.

29

Die mit § 56 Abs. 1 Nr. 1 NBauO den Gemeinden gegebene Ermächtigung zu "positiver Baupflege" wird allerdings dadurch begrenzt, dass die örtliche Bauvorschrift der Verwirklichung bestimmter städtebaulicher oder baugestalterischer Absichten dienen muss und nur für bestimmte Teile des Gemeindegebietes eingesetzt werden darf. Es genügt daher nicht, dass die Gemeinde gewisse Bauformen oder Materialien für unschön und daher unerwünscht hält. Aber auch das Ziel, eine einheitliche Bebauung zu erreichen, lässt in der Regel noch keine baugestalterische Absicht erkennen, die eine Einschränkung der Baufreiheit rechtfertigt, weil gerade Einheitlichkeit die Gefahr öder Gleichförmigkeit heraufbeschwört. Erforderlich ist vielmehr ein konkretes gestalterisches Konzept für die Ausgestaltung eines konkreten überschaubaren Ortsteils. Die städtebauliche Gestaltungsabsicht muss also an die Besonderheiten des zu schützenden Gebietes anknüpfen (OVG Lüneburg, Urteil vom 12. Mai 1993 - 1 K 67/91 -, NVWZ - RR 1994, 136; Urteil vom 13. März 2002 - 1 KN 1310/01 -). Für die in § 3 ÖBV vorgesehene Farbgestaltung mit verschiedenen Rottönen fehlt zur Überzeugung der Kammer ein derartiges Konzept.

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Für das Bebauungsgebiet "Am Eichholz" wird ein eigenständiges Gestaltungskonzept weder vom Beklagten noch von der Beigeladenen behauptet. Das mit § 3 ÖBV verfolgte Ziel erklärt sich vielmehr aus der zeitgleich von der Beigeladenen betriebenen Innenstadtsanierung, bei der ortstypische Materialien wiederverwendet werden sollen. Verhindert werden soll, dass die Dachgestaltung in Neubaugebieten im Gegensatz zur Stadtsanierung (besser: zu den Zielen der Stadtsanierung) steht. Die städtebauliche Gestaltungsabsicht der Beigeladenen knüpft mithin nicht an die Besonderheiten des zu schützenden Gebietes, hier des Bebauungsgebietes "Am Eichholz", an, sondern an die in erheblicher Entfernung zu diesem Gebiet liegende Sanierung der Altstadt. Zwar hat das OVG Lüneburg in dem zitierten Urteil vom 12. Mai 1993 erkannt, dass sich eine positive Baugestaltung auch über das eigentliche Sanierungsgebiet hinaus erstrecken kann. Es hat hierfür aber zur Voraussetzung gemacht, dass zwischen dem Sanierungsgebiet und dem von der örtlichen Bauvorschrift betroffenen Gebiet eine bauliche und räumlich Einheit, insgesamt also ein schützenswerter Bereich besteht, der sich durch eine besonders ausgeprägte bauliche Geschlossenheit der Bauweise von den übrigen Teilen der Stadt abhebt.

31

An einer derartigen baulichen Geschlossenheit fehlt es hier nicht nur wegen der erheblichen räumlichen Entfernung zwischen dem Altstadtsanierungsgebiet und dem Geltungsbereich der örtlichen Bauvorschrift, sondern auch deshalb, weil zwischen beiden Gebieten ein weiteres Baugebiet liegt, für das Vorschriften für die Dachgestaltung nicht vorhanden sind. Zu Unrecht meint der Beklagte, den Zusammenhang zwischen beiden Gebieten in der Gestalt herstellen zu können, dass dem Baugebiet "Am Eichholz" wegen seiner exponierten Lage besondere Bedeutung für den optischen Gesamteindruck zwischen Sanierungsgebiet und umliegenden Baugebieten zukomme. Denn im Ergebnis bedeutet das Ziel, exponierte Neubaugebiete in ihrer Dachgestaltung nicht in Gegensatz zur Stadtsanierung bebauen zu lassen nichts anderes als eine einheitliche Bebauung herzustellen, wie dies im Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 11. Januar 2002 auch ausdrücklich bestätigt wird. Hierin lässt sich nach der von der Kammer geteilten, oben zitierten Rechtsprechung des OVG Lüneburg indes noch keine baugestalterische Absicht erkennen.

32

Auch die Absicht, Neubaugebiete in exponierter Lage so zu gestalten, dass sie der beabsichtigten Gestaltung von Baudenkmalen im Sanierungsgebiet "Historische Altstadt U." entspricht, stellt kein baugestalterisches Konzept im Sinne von § 56 Abs. 1 NBauO dar.

33

Dass es der Beigeladenen letztlich um eine Einheitlichkeit der Bebauung in Neubaugebieten mit den Baudenkmalen des Innenstadtbereiches geht, ergibt sich aus der Bezugnahme der Begründung zu § 3 ÖBV auf die Ziele der Stadtsanierung. Diese wiederum erschließen sich aus der Begründung zu § 6 der vom Rat der Beigeladenen beschlossenen, bisher indes nicht wirksam gewordenen örtlichen Bauvorschrift zur Erhaltung und Gestaltung des Stadtbildes sowie der baulichen Anlagen im Sanierungsgebiet "Historische Altstadt U.". Denn wie sich aus dieser Begründung ergibt, ist die Farbe "Rot" deshalb gewählt worden, weil die Denkmalpflegebehörden in letzter Zeit immer häufiger darauf bestanden hätten, dass die im Satzungsbereich verstreuten Baudenkmale mit naturroten Ziegelmaterialien einzudecken seien.

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Zwar sieht § 56 Abs. 1 NBauO als Zweck einer örtlichen Bauvorschrift u. a. auch vor, die Eigenart oder den Eindruck von Baudenkmalen zu erhalten oder hervorzuheben. § 3 ÖBV vermag aber weder dem einen noch dem anderen Zweck zu dienen.

35

Wenn und soweit § 3 ÖBV eine Dachfarbe vorschreibt, die sich im Wesentlichen mit derjenigen für die Baudenkmale deckt, geht es der Beigeladenen nicht darum, den Eindruck dieser Baudenkmale hervorzuheben. Denn eine einheitliche Dachgestaltung lässt die Baudenkmale als nicht hervorgehobene Teile eines einheitlichen Ganzen erscheinen.

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Auch vermag die Kammer nicht zu erkennen, dass der Eindruck von Baudenkmalen in der Innenstadt durch die streitgegenständliche örtliche Bauvorschrift erhalten werden kann. Bei der Beantwortung der Frage, welche baulichen Anlagen auf den Eindruck von Baudenkmalen Einfluss nehmen können orientiert sich die Kammer an der Regelung in § 8 NDschG. Danach dürfen in der Umgebung eines Baudenkmals Anlagen nicht errichtet, geändert oder beseitigt werden, wenn dadurch das Erscheinungsbild des Baudenkmals beeinträchtigt wird. Erforderlich ist mithin, dass sich eine bauliche Anlage, hier das Einfamilienhaus der Kläger, auf das Erscheinungsbild eines Baudenkmales, hier die verschiedenen Baudenkmale in der Innenstadt von Uslar, auswirken kann (vgl. Schmaltz/ Wiechert, Nds. Denkmalschutzgesetz, § 8 Rnr. 3). Diese Möglichkeit verneint die Kammer.

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Von entscheidungserheblicher Bedeutung ist auch insoweit, dass zwischen dem Sanierungsgebiet und dem vom Geltungsbereich der örtlichen Bauvorschrift erfassten Gebiet eine erhebliche räumliche Distanz besteht und sich zwischen den Gebieten weitere in der Dachgestaltung uneinheitliche Bebauung befindet.

38

Wollte man einem Baudenkmal die von dem Beklagten und der Beigeladenen gewollte Ausstrahlungswirkung auch in Randbereiche städtischer Bebauung zukommen lassen, hieße dies, ein einheitliches Erscheinungsbild städtischer Bebauung mit der Gefahr öder Gleichförmigkeit zum städtebaulichen und denkmalfachlichen Leitziel zu erheben. Dies ist durch § 56 Abs. 1 NBauO nicht gedeckt.

39

Ein solches Vorgehen würde darüber hinaus auch insoweit gegen § 56 Abs. 1 NBauO verstoßen, als darin bestimmt ist, dass örtliche Bauvorschriften für bestimmte Teile des Gemeindegebiets erlassen werden können. Käme Baudenkmalen im Sanierungsgebiet einer Innenstadt, die von dem Beklagten und der Beigeladenen gewollte Ausstrahlungswirkung zu, würde sich die örtliche Bauvorschrift nicht mehr auf bestimmte Teile des Gemeindegebietes beschränken, sondern, insbesondere bei Innenstädten in Tal- und Kessellage wie der Stadt U., geradezu alle denkbaren Gemeindegebiete erfassen. So hat denn die Beigeladene auch eingeräumt, ein weiteres Neubaugebiet nördlich der Altstadt mit einer entsprechenden örtlichen Bauvorschrift versehen zu haben und zu beabsichtigen, in weiteren exponierten Neubaugebieten entsprechend vorzugehen. Dass sich diese Absicht auf exponierte Neubaugebiete beschränkt, ist rechtlich unerheblich. Denn zum einen kann nicht hinreichend genau bestimmt werden, welche Gebietslagen exponiert und welche das nicht sind, sodass eine entsprechende örtliche Bauvorschrift schon Mangels hinreichender Bestimmtheit unwirksam wäre. Zum anderen sind Fallgestaltungen denkbar, in denen geradezu jedes Baugebiet derart exponiert erscheint, dass eine flächendeckende einheitliche Dachgestaltung einer Stadt gefordert werden könnte. Dies widerspräche dem gesetzlichen Ziel des § 56 NBauO. Denn die Vorschrift verlangt, dass einer örtlichen Bauvorschrift ein konkretes Konzept für einen begrenzten Bereich zu Grunde liegen muss, was eine Gestaltungsvorschrift für das ganze Gemeindegebiet unzulässig macht (vgl. Grosse-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, Nds. Bauordnung, 7. Auflage, § 56 Rnr. 14).

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Schließlich lässt auch die erklärte Absicht des Beklagen und der Beigeladenen, ortstypische Baumaterialien verwenden zu lassen, kein baugestalterisches Konzept erkennen.

41

Diese Absicht begründet nicht schlüssig die Begrenzung der Dachfarbe auf die Farbreihe "Rot". Wie sich aus der Begründung zu § 6 ÖBV für das Sanierungsgebiet "Historische Altstadt U." ergibt, ist ortstypisch gerade nicht ausschließlich die Farbe Rot. Vielmehr ist die Altstadt von U. durch dunkelbraune bis hellbraune Dächer der Sollingsandstein-Plattendächer geprägt. Warum bei der Absicht, ortstypische Materialien zu verwenden derartige Farben für die Dacheindeckung ausgeschlossen werden, vermag weder der Beklagte noch die Beigeladene schlüssig zu begründen. So bleibt als Ziel der Verwendung der vermeintlich ortstypischen Farben aus der Farbreihe "Rot" lediglich der Wunsch nach einer möglichst einheitlichen Dachgestaltung im Gemeindegebiet. Dies lässt aber, wie mehrfach ausgeführt, eine baugestalterische Absicht nicht erkennen.

42

Der Umstand, dass die Kläger von dem Beklagten mit bestandskräftigem Bescheid vom 06. März 2000 aufgefordert worden sind, ihr Haus entsprechend den Regelungen in § 3 ÖBV umzudecken, steht der Aufhebung der angefochtenen Bescheide nicht entgegen. Denn wenn die Kläger einer Befreiung von den Einschränkungen des § 3 ÖBV nicht bedürfen, weil die vorgenommene Dacheindeckung in der Farbe "dunkelgrau, Stich blau" von ihrem Recht auf Baufreiheit gedeckt ist, so wird der Beklagte diesen Umstand im Rahmen von §§ 51 Abs. 5, 48 VwVfG zu berücksichtigen und ggf. die bauordnungsrechtliche Verfügung aufzuheben haben.

43

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil sie keinen Antrag gestellt, und sich somit auch keinem eigenen Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat.

44

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO:

45

Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil der Frage grundsätzliche Bedeutung zukommt, ob die Exponiertheit eines von einer örtlichen Bauvorschrift betroffenen Baugebietes auch ohne bauliche Geschlossenheit der Bauweise zu einem Sanierungsgebiet eine positive Baugestaltung mit dem Ziel ermöglicht, eine einheitliche Dachgestaltung von im Sanierungsgebiet belegenen Baudenkmalen und Neubauten zu erreichen, die im Geltungsbereich einer örtlichen Bauvorschrift liegen.