Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 27.12.2001, Az.: 6 B 1805/01

Ehefrau; Gesundheitszustand; inlandsbezogenes; inländische Fluchtalternative; russische Föderation; Schwangerschaft; Tschetschenien; Vollstreckungshindernis; Änderungsantrag

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
27.12.2001
Aktenzeichen
6 B 1805/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 39852
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

Der Antrag des Antragstellers, unter Abänderung des Beschlusses des Gerichts vom 13. Dezember 2001 - 6 B 1657/01 - die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung in dem Bundesamtsbescheid vom 05. Juli 2001 anzuordnen, bleibt ohne Erfolg.

2

Gemäß § 80 Abs. 7 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben (Satz 1). Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (Satz 2). Im vorliegenden Fall liegen jedoch Umstände, welche eine Änderung des Beschlusses des Gerichts vom 13. Juli 2001 rechtfertigen, nicht vor.

3

Das Gericht hat in seinem Beschluss vom 13. Dezember 2001 festgestellt, dass das Bundesamt den Antrag des Antragstellers auf Anerkennung als Asylberechtigter zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt und ebenso zu Recht entschieden hat, dass dem Antragsteller Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht zusteht. Das Gericht hat ausgeführt, dass der Antragsteller die Russische Föderation offensichtlich unverfolgt verlassen hat und sich offensichtlich aus asylfremden Gründen im Sinne des § 30 Abs. 2 AsylVfG im Bundesgebiet aufhält.

4

Er hat nach seinem Vorbringen Tschetschenien wegen der dortigen bewaffneten Auseinandersetzungen - seinen Angaben zufolge auf Drängen seiner Eltern - verlassen. Dabei handelt es sich um asylfremde Gründe. Was die Verhältnisse in Tschetschenien anlangt, steht ihm zudem eine inländische Fluchtalternative in der Russischen Föderation zur Verfügung. Dies hat das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid zutreffend festgestellt. Das Gericht hat sich dieser Auffassung des Bundesamtes in dem Beschluss vom 13. Dezember 2001 angeschlossen und dies im Einzelnen begründet (Umdruck S. 3 ff.). Das Vorbringen des Antragstellers in dem Änderungsantrag rechtfertigt keine ihm günstigere Beurteilung.

5

Mit der Stellungnahme der Gesellschaft für bedrohte Völker zur Situation tschetschenischer Flüchtlinge in der Russischen Föderation vom Juli 2001, auf die der Antragsteller in seinem Änderungsantrag verweist, hat sich das Gericht bereits in seinem Beschluss vom 13. Dezember 2001 auseinandergesetzt und ausgeführt (Umdruck S. 5):

6

Sofern die Gesellschaft für bedrohte Völker in ihrer Stellungnahme die fehlende Registrierungsmöglichkeit für tschetschenische Volkszugehörige aus dem Befehl des Innenministers vom 17. September 1999 ableitet (Gesellschaft für bedrohte Völker vom Juli 2001, Stellungnahme zur Situation tschetschenischer Flüchtlinge in der Russischen Föderation), teilt das Gericht diese Schlussfolgerung nicht, denn das Auswärtige Amt hat in seiner Auskunft an das Bundesamt vom 06. Juni 2001 klar zum Ausdruck gebracht, dass dieser Befehl heute nicht mehr umgesetzt wird.

7

Auch die weiteren Erkenntnismittel, auf welche der Antragsteller in dem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 25. Juli 2001 verweist (Auszug aus dem Artikel "Wie man ein russischer Patriot wird" aus der Objedinennaja Gazeta Nr. 8, Juni 2001; Stellungnahme der Journalistin Dr. Poupko , Boston, zur Situation von Tschetschenen in Moskau ( The Fate of Chechens in Moscow )), rechtfertigen eine Änderung des Beschlusses vom 13. Dezember 2001 nicht. Diesen Erkenntnismitteln lässt sich nicht entnehmen, dass eine inländische Fluchtalternative für russische Staatsangehörige aus Tschetschenien in der Russischen Föderation landesweit nicht besteht.

8

Das Änderungsvorbringen des Antragstellers vermag auch die Einschätzung des Gerichts in dem Beschluss vom 13. Dezember 2001, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG bei dem Antragsteller ebenfalls nicht vorliegen, nicht zu erschüttern. Insbesondere ist nach wie vor nicht zu erkennen, dass bei dem Antragsteller die Voraussetzungen für ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegen.

9

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG sind bei dem Antragsteller nicht im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand anzunehmen. Zwar kann die Gefahr, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in den Staat, in den er abgeschoben werden soll, verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind, ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG darstellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1997 - BVerwG 9 C 58.96 - BVerwGE 105, 383, 384 ff; BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - BVerwGE 9 C 8.99 -). Es ist jedoch  nicht erkennbar, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen eines solchen zielstaatbezogenen Abschiebungshindernisses bei dem Antragsteller vorliegen.

10

Zwar wird in dem Änderungsantrag vom 25. Dezember 2001 erstmals geltend gemacht, der Antragsteller befinde sich in nervenärztlicher Behandlung, und behauptet: Eine telefonische Nachfrage bei dem behandelnden Arzt Herrn Dr. med. Michael Brune hat weiter ergeben, dass bei dem Antragsteller eine posttraumatische Störung aufgrund der Kriegsereignisse in Tschetschenien vorliegt. Zur Stützung dieses Vorbringens reicht der Antragsteller in seinem Änderungsantrag nunmehr eine ärztliche Bescheinigung des Dr. med. Michael Brune vom 21. November 2001 ein. Diese Stellungnahme stützt jedoch sein Änderungsvorbringen nicht. Darin bestätigt Dr. Brune lediglich, dass der Antragsteller heute - also am 21. November 2001 - bei einem ersten psychiatrischen Untersuchungsgespräch bei ihm gewesen sei; die Untersuchung sei noch nicht abgeschlossen, aber es sei zu erwarten, dass der Antragsteller Anfang Januar 2002 eine längerfristige Behandlung bei Dr. Brune einleiten werde. Aus dieser ärztlichen Stellungnahme vom 21. November 2001 lässt sich nicht entnehmen, dass Dr. Brune bei dem Antragsteller eine posttraumatische Störung aufgrund der Kriegsereignisse in Tschetschenien festgestellt hat. Vielmehr erläutert Dr. Brune darin lediglich allgemein, der Grund, weshalb der Antragsteller sich an ihn gewandt habe, sei, dass der Antragsteller über eine tschetschenische Landsfrau erfahren habe, dass Dr. Brune eine über zehn Jahre lange Erfahrung in der Arbeit mit traumatisierten Flüchtlingen habe und zudem 1997 einige Monate in Tschetschenien verbracht habe.

11

Doch selbst wenn Dr. Brune zwischenzeitlich bei dem Antragsteller eine posttraumatische Störung aufgrund der Kriegsereignisse in Tschetschenien festgestellt haben sollte, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Gesundheitszustand des Antragstellers bei einem Aufenthalt in den Gebieten der Russischen Föderation, die nicht von den kriegerischen Auseinandersetzungen in und um Tschetschenien betroffen sind, dort in lebensgefährdender Weise verschlimmern würde.

12

Soweit der Antragsteller schließlich auf die Schwangerschaft seiner Ehefrau und den bevorstehenden Entbindungstermin verweist, ist dieses Vorbringen nicht geeignet, ein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 AuslG - und zwar auch nicht die Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG - zu stützen. Vielmehr macht der Antragsteller damit ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis geltend. Für die Prüfung solcher Hindernisse ist indes nicht das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Asylverfahren nach § 53 AuslG zuständig. Vielmehr sind solche Hindernisse allein durch die Ausländerbehörde - hier die Ausländerbehörde des Landkreises Stade - im Vollstreckungsverfahren zu prüfen. Allein die Ausländerbehörde kann ggf. Vollstreckungsschutz nach § 55 AuslG (i.V.m. § 43 Abs. 3 AsylVfG) gewähren.