Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 20.12.2001, Az.: 1 A 433/01
Ausgleichsabgabe; Praktikant; Schwerbehindertenrecht; Umschüler
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 20.12.2001
- Aktenzeichen
- 1 A 433/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 39571
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 7 SchwbG
- § 13 SchwbG
- § 31 SchwbG
- § 26ff SchwbG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein Praktikum das zur Erreichung der Fachhochschulreife erforderlich ist, ist kein Arbeitsplatz i. S. d. § 7 SchwbG
Tatbestand:
Die klagende Kommune begehrt als Arbeitgeberin Leistungen für die Beschäftigung eines Schwerbehinderten.
Der Schwerbehinderte M.-J. H. wurde seit dem 18. September 2000 bei der Klägerin in einem für die weitere Berufsausbildung wichtigen Praktikum beschäftigt. Das Arbeitsamt Bremen hatte mit Schreiben vom 17. März 2000 ausgeführt, dass Herr H. wegen der erheblichen motorischen Einschränkungen aufgrund seiner schweren Körperbehinderung eine Ausbildung im kaufmännisch verwaltenden Bereich in den praktischen Teilen nicht bewältigen könne. Aufgrund der vorhandenen intellektuellen Fähigkeiten sei es wünschenswert, wenn Herr H., der durch den erfolgreichen Besuch der zweijährigen höheren Handelsschule im theoretischen Teil die Fachhochschulreife erreicht habe, nunmehr ein Praktikum absolvieren würde, um ihm ein Studium, gegebenenfalls auch in Fernunterrichtsform, zu ermöglichen. Wegen der Schwerstbehinderung sei dieser praktische Teil jedoch kaum realisierbar. Das für das Fachhochschulstudium vorgeschriebene einjährige gelenkte Praktikum könne bei der Stadtverwaltung abgeleistet werden, dafür seien jedoch technische Arbeitshilfen z.B. in Form eines Laptops mit Spracheingabe zu gewähren. Darüber hinaus sei die Freistellung einer Arbeitskraft zur Betreuung und Unterweisung erforderlich. Das Arbeitsamt bat den Beklagten zu prüfen, inwieweit eine Kostenübernahme durch die Hauptfürsorgestelle möglich sei.
Mit Schreiben vom 20. März 2000 teilte das beklagte Amt der Klägerin mit, dass Leistungen nicht gewährt werden könnten, weil die Gewährung voraussetze, dass der Arbeitnehmer in einem sozialversicherungspflichtigen Dauerarbeitsverhältnis beschäftigt werde.
Gegen dieses Schreiben, das nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen war, legte die Klägerin mit Schreiben vom 28. Juli 2000 bezüglich der technischen Arbeitshilfen für den Behinderten Widerspruch ein. In der Begründung vom 21. Dezember 2000 führte die Klägerin aus, dass Herr H. nach seinem erfolgreichen Abschluss der zweijährigen höheren Handelsschule ein einjähriges gelenktes Praktikum benötige, um die Fachhochschulreife zu erhalten. Die technischen Hilfsmittel seien zwischenzeitlich im Rahmen der Eingliederungshilfe vom Landkreis Verden übernommen worden, es habe sich aber herausgestellt, dass ein zusätzlicher Betreuungsaufwand von etwa 15 Stunden pro Woche erforderlich sei. Durch das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter vom 29. September 2000 sollten die Chancen schwerbehinderter Menschen am Arbeitsmarkt verbessert und deren Arbeitslosigkeit schnell und nachhaltig abgebaut werden. Herr H. müsse das einjährige gelenkte Praktikum absolvieren, um überhaupt die Möglichkeit zu erhalten, in den Arbeitsmarkt integriert werden zu können.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2001 wies das beklagte Amt den Widerspruch zurück. Ein Rechtsanspruch auf die begehrte begleitende Hilfe bestehe nicht. Die Hauptfürsorgestelle könne aus den zur Verfügung stehenden Mitteln der Ausgleichsabgabe Leistungen an den Arbeitgeber gewähren. Grundvoraussetzung sei jedoch, dass es sich um die Beschäftigung eines Schwerbehinderten im Sinne des § 7 Abs. 1 SchwbG handeln müsse. Bei dem Praktikumsplatz handele es sich jedoch nicht um einen Arbeitsplatz in diesem Sinne. Ziel des Beschäftigungsverhältnisses sei lediglich der Erwerb einer Studienberechtigung.
Die Klägerin hat am 4. April 2001 Klage erhoben. Ihr würden als Arbeitgeberin durch die Beschäftigung des Herrn H. im Praktikum überdurchschnittliche finanzielle Aufwendungen durch die Freistellung eines Betreuers entstehen. Bei der Beschäftigung handele es sich auch um einen Arbeitsplatz im Sinne des Schwerbehindertenrechts, denn nach § 7 Abs. 1 SchwbG sei ein Arbeitsplatz u.a. eine Stelle, auf der Auszubildende sowie andere zu ihrer beruflichen Bildung Angestellte beschäftigt werden. Das Praktikum des Herrn H. sei Teil der beruflichen Ausbildung. Wollte man ihm dies versagen, wäre seine Eingliederung in das Berufsleben nicht realisierbar.
Die Klägerin beantragt,
das beklagte Amt unter Aufhebung des Bescheides vom 20. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2001 zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin auf Übernahme der mit der Durchführung der Eingliederungsmaßnahme für M. H. entstandenen Personalkosten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Das beklagte Amt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es verteidigt die ergangenen Bescheide.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des beklagten Amtes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg. Ein Anspruch auf Leistungen aus Mitteln der Ausgleichsabgabe nach der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung vom 28. März 1988 (BGBl. I S. 484, zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 29. September 2000 , BGBl. I S. 1394) bzw. jedenfalls ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung kann sich im vorliegenden Verfahren allein aus § 31 Abs. 3 Ziffer 3 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) i.V.m. § 26 ff. der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV) ergeben. Nach diesen Vorschriften kann das beklagte Amt (als Hauptfürsorgestelle) im Rahmen seiner Zuständigkeit aus den zur Verfügung stehenden Mitteln der Ausgleichsabgabe Leistungen an den Arbeitgeber gewähren.
Zutreffend hat das beklagte Amt entschieden, dass es im vorliegenden Fall bereits an einer Grundvoraussetzung für die Anwendung dieser Vorschriften fehlt, weil es sich bei der Beschäftigung des M.-J. H. nicht um eine Beschäftigung im Rahmen eines berücksichtigungsfähigen Arbeitsplatzes handelt. Der Begriff des Arbeitsplatzes ist in § 7 SchwbG für den Anwendungsbereich des Schwerbehindertenrechts allgemein umschrieben worden. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift sind Arbeitsplätze im Sinne dieses Gesetzes alle Stellen, auf denen Arbeiter, Angestellte, Beamte, Richter sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden. Zwar sind nach Ziffer 3.12 des Runderlasses der Bundesanstalt für Arbeit vom 19. Mai 1987, der die Anzeige nach § 13 Abs. 2 SchwbG regelt, Stellen, auf denen andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte (z.B. Umschüler, Fortzubildende, Praktikanten und Volontäre) an beruflichen Bildungsmaßnahmen teilnehmen, bei der Berechnung der Pflichtplätze (§ 7 Abs. 1 SchwbG) mitzuzählen, bei dem hier in Frage stehenden Praktikum handelt es sich jedoch nicht um ein derartiges, der beruflichen Bildungsmaßnahme zuzurechnendes Praktikum. Vielmehr dient das Praktikum im vorliegenden Fall allein dem Erwerb der Fachhochschulreife und ergänzt die von dem Behinderten bereits durchlaufende zweijährige höhere Handelsschule und stellt sich somit als Schulersatz dar. Für ein derartiges Praktikum werden demnach auch regelmäßig keine Arbeitsverträge abgeschlossen, sie haben auch nicht das Ziel einer beruflichen Qualifikation und münden somit nicht in einen Arbeitsvertrag. Vielmehr ist das Ziel eines derartigen Praktikums erst der Beginn der beruflichen Ausbildung. Der insoweit jedenfalls in einem Kommentar entgegenstehenden Aussage (Neumann/Pahlen, SchwbG, 8. Auflage, Anm. 44 zu § 7), die dahin geht, dass alle Stellen für Praktikanten und sonstige informatorisch tätige Personen als Arbeitsplätze zählen, auch wenn eine geregelte fachliche Ausbildung nicht beabsichtigt ist, kann jedenfalls für diesen Fall einer schulischen Ausbildung nicht gefolgt werden (so wohl auch Wiegand, Schwerbehindertengesetz, Kommentar, Stand Januar 2001, Anm. 6 zu § 7).
Die Entscheidung führt jedoch nicht dazu, dass die durchgeführte und wünschenswerte Maßnahme ohne jede Förderungsmöglichkeit bleibt. Vielmehr handelt es sich um eine Maßnahme der Eingliederungshilfe gemäß § 39 ff. BSHG. Im vorliegenden Fall kommt eine Maßnahme gemäß § 40 Abs. 1 Ziffer 3 i.V.m. § 12 Nr. 3 bzw. § 13 Abs. 1 Nr. 7 der Verordnung nach § 47 BSHG (EingliederungshilfeVO) in Betracht. Die Entscheidung darüber ist jedoch nicht Gegenstand des hier anhängigen Verfahrens, weil insoweit noch der örtliche Träger der Sozialhilfe entscheiden muss.