Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.05.2022, Az.: 11 K 196/21
Vorsteuerabzug für Aufzuchtaufwendungen i.R.d. Festsetzung der Umsätze eines landwirtschaftlichen Unternehmens
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 05.05.2022
- Aktenzeichen
- 11 K 196/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 40301
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - AZ: XI R 14/22
Rechtsgrundlage
- § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG
Fundstellen
- GStB 2022, 346-347
- RdW 2022, 845-847
- StX 2022, 411-412
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin, die bis einschließlich 2021 ihre Umsätze aus ihrem landwirtschaftlichen Unternehmen nach Durchschnittssätzen gemäß § 24 Umsatzsteuergesetz (UStG) versteuerte, Vorsteuer aus Rechnungen abziehen kann, deren Aufwendungen zwar im Streitjahr 2021 entstanden sind, jedoch für Umsätze im Jahr 2022 verwendet werden sollen, einem Jahr, in dem sie wegen des Überschreitens der Grenze von 600.000 € zur Regelbesteuerung übergehen muss.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die mit Gesellschaftsvertrag vom 1. Februar 2001 von den Eheleuten J. und C. errichtet worden ist. Die Eheleute waren ursprünglich am Gesellschaftsvermögen zu gleichen Teilen beteiligt; mit Wirkung vom 1. Mai xxx trat ihr Sohn B mit einem Anteil von 20 v. H. in die Klägerin ein, wobei die Eheleute jeweils einen Anteil von 10 v. H. abgaben. Gesellschaftszweck der Klägerin ist der Betrieb des landwirtschaftlichen Unternehmens zur Haltung von Milchkühen in .... Im Rahmen dieses Betriebs zieht die Klägerin weibliche Nachzucht selbst auf. Mit ihren Umsätzen unterlag sie auch im Streitjahr der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 UStG. Für die Jahre 2019 und 2020 erklärte die Klägerin Umsätze in Höhe von etwa 1,2 Mio. €; die erklärte Umsatzsteuer betrug nach Anwendung der Regelungen in § 24 Abs. 1 UStG jeweils 0 €.
Am xxx 2021 übermittelte die steuerliche Beraterin der Klägerin eine Umsatzsteuer-Voranmeldung für das erste Quartal 2021, in der abzugsfähige Vorsteuerbeträge in Höhe von 1.400 € und keine zu besteuernden Umsätze angemeldet wurden. Am selben Tag ging beim Beklagten eine Voranmeldung für das zweite Quartal 2021 mit Vorsteuerbeträgen in Höhe von 1.500 € ein. Eine Umsatzsteuer-Voranmeldung für das dritte Quartal 2021 mit einem Vorsteuerbetrag von 3.300 € reichte die Klägerin beim Beklagten am xxx 2021 ein.
In einem Begleitschreiben zur Voranmeldung für das erste Quartal vom xxx 2021 führte die Klägerin ergänzend aus, es handele sich bei den übermittelten Umsatzsteuer-Voranmeldungen um keinen Antrag i. S. d. § 24 Abs. 4 UStG, die Regelungen des § 24 Abs. 1 UStG sollten für 2021 weiterhin Anwendung finden. Ab dem 1. Januar 2022 unterläge die Klägerin jedoch der Regelbesteuerung. Durch das Jahressteuergesetz 2020 sei in § 24 Abs. 1 UStG mit Wirkung vom 29. Dezember 2020 eine Umsatzgrenze von 600.000 € bezogen auf das jeweilige Vorjahr eingefügt worden. Die Änderung gelte nach § 27 Abs. 32 UStG erstmals für Umsätze, die nach dem 31. Dezember 2021 bewirkt würden. Die in den Voranmeldungen geltend gemachten Vorsteuerbeträge stünden nur mit Umsätzen in direktem wirtschaftlichen Zusammenhang, die erst im Jahr 2022 erzielt würden, da es sich um die anteiligen Kosten für die Aufzucht der weiblichen Nachzucht handele, die erst in 2022 abkalben würde und daher erst ab dann zur Milcherzeugung beitragen könne. Die Auffassung der Klägerin stünde allerdings im Widerspruch zur Regelung in Abschn. 15 Abs. 5 Nr. 1 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE).
Am xxx 2021 erließ der Beklagte Bescheide über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das erste und zweite Quartal 2021 mit einer Umsatzsteuer von jeweils 0 €. Am xxx 2021 erging für das dritte Quartal 2021 ein inhaltlich gleichlautender Vorauszahlungsbescheid.
U. a. gegen den Vorauszahlungsbescheid für das erste Quartal 2021 erhob die Klägerin am xxx 2021 Einspruch, wobei sie zur Begründung auf das Begleitschreiben vom xxx 2021 verwies.
Der Rechtsbehelf blieb erfolglos. Im Einspruchsbescheid vom xxx 2021 wies der Beklagte zur Begründung darauf hin, dass bei Anwendung der Durchschnittsbesteuerung die Umsatzsteuer bei einem landwirtschaftlichen Betrieb 10,7 v. H. der erzielten Umsätze betrage und in gleicher Höhe die Vorsteuer zu berücksichtigen sei. Nach § 24 Abs. 1 Satz 4 USt5G sei ein weitergehender Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Nach § 24 Abs. 4 UStG könne ein Unternehmer aber auf die Regelungen in § 24 Abs. 1 UStG zum Beginn eines Kalenderjahres verzichten.
Zwischen den Beteiligten sei unstreitig, dass aufgrund der Einführung der Grenze von jährlich 600.000 € Umsatz die Klägerin ab 2022 vermutlich zwingend die Regelbesteuerung anwenden müsse. Allerdings könne diese Feststellung sicher erst am 1. Januar 2022 getroffen werden, weil erst dann die Höhe der in 2021 erzielten Umsätze sicher feststehe. Die Gewährung von Vorsteuerbeträgen könne nicht nach einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise vorgenommen werden, vielmehr sei ein weitergehender Vorsteuerabzug nach § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG ausgeschlossen. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteil vom 12. Juni 2008 V R 22/06, BStBl. II 2009, 165 im Fall einer Option von der Durchschnittssatzbesteuerung zur Regelbesteuerung entschieden, dass die Vorsteuerbeträge, die bei einer Fertigstellung eines Stalls vor dem Wechsel angefallen seien, nur im Rahmen einer Berichtigung nach § 15 a UStG nach erstmaliger Verwendung des Stalls anteilig berücksichtigt werden könnten. Auch bei einem Wechsel von der Kleinunternehmerregelung in § 19 UStG zur Regelbesteuerung sei ein Vorsteuerabzug nur für die Beträge möglich, die nach dem Wechsel zur Regelbesteuerung entstanden seien (Hinweis auf BFH, Urteile vom 17. September 1981 V R 76/75, BStBl. II 1982, 198 und vom 11. November 1993 XI R 51/90, BStBl. II 1994, 582). Der in der Literatur vertretene abweichende Ansatz der wirtschaftlichen Zuordnung der bezogenen Leistung nach der Verwendungsabsicht (so z. B. Stadie, in: Rau/Dürrwächter, UStG, Stand Juli 2019, § 19 Rdnr. 158) sei deshalb nicht zu folgen. Zudem würde diese wirtschaftliche Betrachtungsweise in den Fällen, in denen erst am 31. Dezember 2021 sicher feststehe, ob die Grenze von 600.000 € überschritten sei, zu erheblichen Unsicherheiten führen.
Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Der BFH knüpfe die Frage des Vorsteuerabzugs an die Verwendungsabsicht des Unternehmers bei Leistungsbezug an. Diese Ansicht werde auch in Abschn. 15.2 b Abs. 2 Satz 3 UStAE vertreten. Bei einem Wechsel von der Durchschnittssatz- zur Regelbesteuerung wende die Finanzverwaltung dagegen eine strenge stichtagsbezogene Betrachtungsweise an. Zur Anwendung des § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG werde in der Literatur (Schüler-Tesch, in: Sölch/Ringleb, UStG, Stand: Juni 2020, § 24 Rdnr. 170) die Auffassung vertreten, die Vorschrift sei richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass nur in Bezug auf die der Durchschnittssatzbesteuerung unterliegenden Umsätze ein Vorsteuerabzug entfalle. Der Ausschluss des Vorsteuerabzugs sei umsatzbezogen und nicht betriebsbezogen zu verstehen (Hinweis auf BFH, Urteil vom 13. November 2013 XI R 2/11, BStBl. II 2014, 543). Die Klägerin gehe somit davon aus, dass wegen der Neuregelung des § 24 UStG ab dem 1. Januar 2022 bereits im Streitjahr neben dem pauschalierenden landwirtschaftlichen Unternehmen ein regelbesteuertes Unternehmen getreten sei. Die Vorsteuerbeträge seien den beiden Unternehmensteilen sachgerecht zuzuordnen.
Die Klägerin beantragt,
den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid vom xxx 2021 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom xxx 2021 zu ändern und die Umsatzsteuer auf ./. 1.400 € zu mindern.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner im Einspruchsbescheid geäußerten Rechtsansicht fest.
Bei einem Wechsel der Besteuerungsform von einer Durchschnittssatz- zur allgemeinen Regelbesteuerung sei für die Bestimmung der anzuwendenden Vorschriften bei der Prüfung des Vorsteuerabzugs der Leistungsbezug entscheidend. Bis zum Eintritt des Wechsels sei die reale Belastung durch die Vorsteuer durch die Zurechnung eines fiktiven Vorsteuerbetrags abgegolten (Hinweis auf BFH, Urteile vom 6. Dezember 1979 V R 87/72, BStBl. II 1980, 279 und vom 17. September 1981 V R 76/75, BStBl. II 1982, 198). Auch der EuGH Urteil vom 8. Juni 2000 C-396/98, BStBl. II 2003, 446) habe bei der Beurteilung der Folgen einer Rechtsänderung (Einschränkung der Möglichkeit zur Option nach § 9 Abs. 2 UStG) auf die tatsächlichen Umstände im Zeitpunkt des Leistungsbezugs abgestellt. Den Interessen der Klägerin könne durch eine Berichtigung der 2021 vorenthaltenen Vorsteuerbeträge nach § 15 a Abs. 1 UStG Rechnung getragen werden.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für das erste Quartal 2021 vom xxx 2021 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom xxx 2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Klägerin steht für die im Streitjahr 2021 getätigten Aufwendungen unstreitig nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG ein Vorsteuerabzug zu. Hinsichtlich der Vorsteuerbeträge, die sich auf die Aufzuchtaufwendungen beziehen und die zu Umsätzen erst ab dem Jahr 2022 führen sollen, steht dem Vorsteuerabzug § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG nicht entgegen.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die mit der Umsatzsteuervoranmeldung für das erste Quartal 2021 geltend gemachten Vorsteuerbeträge sich auf Aufwendungen für die Aufzucht von Kühen beziehen, die erstmalig ab 2022 in der Milchproduktion einsetzbar sind. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG wird die Steuer für "die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Umsätze" vorbehaltlich der Sätze 2 bis 4 für die nicht näher bezeichneten - im Streitfall einschlägigen - "übrigen Umsätze" auf 10,7 v. H. der Bemessungsgrundlage festgesetzt. Nach § 24 Abs. 1 Satz 2 UStG bleiben die Befreiungen nach § 4 UStG mit Ausnahme der Nrn. 1 bis 7 unberührt; § 9 UStG (Verzicht auf Steuerbefreiung) findet keine Anwendung. Die Vorsteuerbeträge werden, soweit sie den "übrigen Umsätzen" zuzurechnen sind, auf 10,7 v. H. der Bemessungsgrundlage für diese Umsätze festgesetzt; ein weiterer Vorsteuerabzug entfällt (§ 24 Abs. 1 Sätze 3 und 4 UStG). Durch diese Regelungen gleichen sich mithin Steuer und Vorsteuer aus, sodass der Landwirt im Ergebnis für diese Umsätze keine Umsatzsteuer zu entrichten hat.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist § 24 UStG richtlinienkonform auszulegen (BFH, Urteil vom 13. November 2013 XI R 2/11, BStBl. II 2014, 543 Tz. 21 m. w. N.). Er gilt zwar nach seinem Wortlaut für die "im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betrieb ausgeführten Umsätze". Dies ist aber in richtlinienkonformer Auslegung dahin zu verstehen, dass damit nur die Lieferungen landwirtschaftlicher Erzeugnisse und landwirtschaftlicher Dienstleistungen gemeint sind, auf die die Pauschalregelung der Art. 295 ff. Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL) Anwendung findet (BFH, Urteil vom 23. Januar 2013 XI R 27/11, BStBl. II 2013, 459 Tz. 21 m. w. N.).
Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Wendet ein Unternehmer für seine im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Umsätze die Durchschnittssatzregelung für pauschalierende Landwirte nach § 24 UStG an, ist aber nach § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG ein weiterer Vorsteuerabzug ausgeschlossen.
Diese Ausschlussklausel bedarf ebenfalls einer richtlinienkonformen Auslegung anhand des Art. 302 MwStSystRL. Nach dieser Vorgabe hat ein Pauschallandwirt in Bezug auf die der Pauschalregelung unterliegenden Tätigkeiten kein Recht auf Vorsteuerabzug. § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG ist somit ebenfalls nicht betriebsbezogen, sondern tätigkeits- bzw. umsatzbezogen auszulegen. Sofern ein Pauschallandwirt zugleich einen weiteren der Regelbesteuerung unterliegenden Gewerbebetrieb unterhält, kann er einen Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen geltend machen, wenn diese zwar im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebs bezogen wurden, sich aber wirtschaftlich Umsätzen zurechnen lassen, die der Regelbesteuerung unterfallen (BFH, Urteil vom 13. November 2013 XI R 2/11, BStBl. II 2014, 543 = Juris Rdnr. 30). Unerheblich ist für die wirtschaftliche Zuordnung, ob die Eingangsleistung zunächst im landwirtschaftlichen Betrieb verwendet wird - z. B. Tierfutter zur Mästung von Schweinen, wenn nur das Endprodukt (die gemästeten Schweine) unter Anwendung der Regelbesteuerung an Dritte geliefert wird. In diesem Fall wird kein der Durchschnittssatzbesteuerung unterliegender Umsatz i. S. d. § 24 Abs. 1 Satz 1 UStG ausgeführt (BFH, Urteil vom 13. November 2013 XI R 2/11, a. a. O. Rdnr. 34, 36; überholt dagegen BFH, Beschluss vom 11. Juni 2008 XI B 194/07, BFH/NV 2008, 1548 = Juris Rdnr. 2, wonach die Zuordnung nach der Verwendung im jeweiligen Betrieb erfolgen müsse).
Hat ein Pauschallandwirt allerdings keinen weiteren Betrieb, mit denen er der Regelversteuerung unterliegende Umsätze ausführt, so greift der Ausschlusstatbestand des § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG bei Eingangsleistungen auch dann ein, wenn der Landwirt nach Bezug der Eingangsleistung und damit nach Entstehen des Anspruchs auf Vorsteuerabzug zur Regelbesteuerung nach § 24 Abs. 4 UStG optiert (BFH, Urteil vom 12. Juni 2008 V R 22/06, BStBl. II 2009, 165, 166). Gleiches gilt für den Fall, wenn die von dem Pauschallandwirt bezogenen Leistungen entgegen der Verwendungsabsicht im Zeitpunkt des Leistungsbezugs nachträglich für Umsätze genutzt werden, die der Regelbesteuerung unterliegen (Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 1. Februar 2007 16 K 10591/03, EFG 2007, 1120, rkr. für den Fall eines errichteten Milchviehstalls, der nachträglich fremdvermietet wird). Einem Unternehmer, der im Zusammenhang mit dem Erwerb eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs umsatzsteuerpflichtige Leistungen bezieht, ist ein Vorsteuerabzug aber dann zu gewähren, wenn er im Moment des Leistungsbezugs die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hat, die im Rahmen des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs beabsichtigten Verwendungsumsätze gemäß § 24 Abs. 4 UStG der Regelbesteuerung zu unterwerfen (BFH, Urteil vom 22. März 2001 V R 39/00, BFH/NV 2001, 1153 = Juris Rdnr. 17). Der BFH verweist in der Entscheidung auf die Situation, in der Leistungsbezüge für beabsichtigte Verwendungsumsätze erfolgen, die steuerfrei sind, auf deren Steuerfreiheit durch Option aber verzichtet werden kann. Auch in diesem Fall kommt es nur darauf an, ob der Unternehmer die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hat, auf die Steuerfreiheit der beabsichtigten Verwendungsumsätze zu verzichten (BFH, a. a. O., Juris Rdnr. 18).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze geht der Senat davon aus, dass die vom BFH in seinem Urteil vom 22. März 2001 V R 39/00, BFH/NV 2001, 1153 = Juris Rdnr. 17 entwickelte Auffassung, dass einem Unternehmer, der im Zusammenhang mit dem Erwerb eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs umsatzsteuerpflichtige Leistungen bezieht, ein Vorsteuerabzug zu gewähren ist, wenn er im Moment des Leistungsbezugs die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hat, die im Rahmen des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs beabsichtigten Verwendungsumsätze gemäß § 24 Abs. 4 UStG der Regelbesteuerung zu unterwerfen, auf die hier streitige Konstellation durch die Rechtsänderung des § 24 Abs. 1 UStG mit Wirkung zum 1. Januar 2022 übertragbar ist. Im vom BFH entschiedenen Fall stand dem Unternehmer eine Optionsmöglichkeit nach § 24 Abs. 4 UStG zu, um die getätigten Aufwendungen für zukünftige beabsichtigte Umsätze mit Regelbesteuerung verwenden zu können. Der Unterschied im Streitfall besteht "lediglich" darin, dass der Wechsel zur Regelbesteuerung von Gesetzes wegen dem Steuerpflichtigen aufgezwungen wird, weil die Durchschnittssatzbesteuerung wegen des Überschreitens der neu eingeführten Grenze ausgeschlossen ist. Für die Übertragbarkeit spricht zur Überzeugung des Senats in besonderem Maße die Vorgabe in Art. 302 MwStSystRL, die Frage des Ausschlusses des Vorsteuerabzugs von der Qualität der mit den Aufwendungen in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten bzw. Umsätzen abhängig zu machen und nicht vom Vorliegen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs als solches.
Diesem Ergebnis steht das Urteil des BFH vom 12. Juni 2008 V R 22/06, BStBl. II 2009, 165 nicht entgegen. Dort wird zwar ausgeführt, dass bei einem Wechsel der Besteuerung von § 24 UStG zur Regelbesteuerung der weitergehende Vorsteuerabzug nach § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG bis zum Wechsel ausgeschlossen ist. Art. 20 Abs. 6 der Richtlinie 77/388/EWG (entspricht Art. 192 MwStSystRL) stehe diesem Ergebnis nicht entgegen, weil ggf. eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs über § 15 a Abs. 1 UStG für die Zeit nach dem Wechsel der Besteuerungsform zulässig sei. Diese Entscheidung bezieht sich allerdings auf einen Fall, in dem der Steuerpflichtige zur Regelbesteuerung nach § 24 Abs. 4 UStG optierte. Im Streitfall aber erfolgt der Wechsel zur Regelbesteuerung kraft Gesetztes ohne Einflussmöglichkeit der Klägerin. Im Übrigen konnte der BFH in dieser Entscheidung die europarechtliche Grundlage für die nationale Regelung des § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG in Art. 302 MwStSystRL nicht berücksichtigen, weil die Vorgängerregelung in Art. 25 Abs. 5 Buchst. c Unterabs. 2 der Richtlinie keine Einschränkung des Vorsteuerausschlusses auf die der Pauschalregelung unterliegenden Tätigkeiten enthielt. Deshalb hält der Senat auch die Entscheidungen des BFH vom 6. Dezember 1979 V R 87/72, BStBl. II 1980, 279 (dem folgend FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 31. März 2003 4 K 282/01, EFG 2003, 1055) und vom 19. September 1981 V R 76/75, BStBl. II 1092, 198 für überholt.
Entgegen der Ansicht des Beklagten kann auch das Urteil des EuGH vom 8. Juni 2000 C-3906/98, BStBl. II 2003, 446 die abweichende Auffassung des Beklagten nicht stützen. Dort hatte der EuGH entschieden, dass einem Steuerpflichtigen nach Art. 17 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 77/388 EWG ein Vorsteuerabzug für solche Eingangsleistungen zusteht, die ihm gegenüber im Hinblick auf die Ausführung bestimmter Vermietungsumsätze erbracht worden sind, wenn dieser Steuerpflichtige aufgrund einer nach dem Bezug dieser Gegenstände oder Dienstleistungen, aber vor Aufnahme dieser Umsatztätigkeiten eingetretenen Gesetzesänderung nicht mehr zum Verzicht auf die Steuerbefreiung dieser Umsätze berechtigt ist. Dabei führte der EuGH aus, dass das Recht auf Vorsteuerabzug im Moment des Leistungsbezugs entsteht und dann zu prüfen ist, für welche Umsätze die Eingangsleistungen verwendet werden sollen. Für diese Verwendungsabsicht könne die Steuerverwaltung allerdings objektive Nachweise verlangen. Auch der BFH hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass der EuGH auf die beabsichtigten Umsätze abgestellt habe, um das einmal entstandene Recht auf Vorsteuerabzug zu erhalten (BFH, Urteil vom 24. April 2013 XI R 25/10, BStBl. II 2014, 346 = Juris Rdnr. 38).
Die Klägerin ist schließlich dem Hinweis des Beklagten, ihre Benachteiligung durch die gesetzliche Neuregelung werde durch die Möglichkeit einer Vorsteuerberichtigung nach § 15 a Abs. 1 UStG hinreichend ausgeglichen, überzeugend mit dem Argument entgegengetreten, eine Berichtigung des versagten Vorsteuerabzugs komme wegen der Bagatellregelung in § 44 Abs. 1 Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung im Streitfall nicht in Betracht, weil die entsprechenden Anschaffungs- und Herstellungskosten für die aufzuziehenden Milchkühe die dort genannte Grenze nicht überschreiten.
Welche Anforderungen an einen Nachweis für das Überschreiten der 600.000 €-Grenze im Vorjahr, somit im Streitjahr zu stellen sind, braucht der Senat nicht abschließend zu entscheiden, weil aufgrund der Umsatzzahlen der Jahre 2019 und 2020 und den gleichgebliebenen wirtschaftlichen Verhältnissen zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass diese Grenze auch zu Beginn in 2021 sicher überschritten werden würde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO), die Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 151 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung. Die Zuziehung war nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig zu erklären.
Die Revision ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen, weil es sich bei dem Problem des Vorsteuerabzugs nach der Novellierung des § 24 Abs. 1 UStG um eine noch nicht entschiedene Grundsatzfrage handelt, zu der die Finanzverwaltung in Abschn. 15.1. Abs. 5 und 5 UStAE eine abweichende Auffassung vertritt.