Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 21.03.2022, Az.: 1 AR (Ausl.) 3/22
Auslieferung nach Polen regelmäßig keine Verletzung des Grundrechts auf faires Verfahren; Rechtmäßigkeit der Haftbedingungen in Polen; Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens bei Auslieferungen zwischen Polen und Deutschland
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 21.03.2022
- Aktenzeichen
- 1 AR (Ausl.) 3/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 19177
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2022:0321.1AR.AUSL.3.22.00
Rechtsgrundlagen
- GRC Art. 47
- Art. 2 Abs. 1 GG
- Art. 20 Abs. 3 GG
- Art. 3 MRK
- § 73 S. 2 IRG
- § 15 Abs. 1 IRG
- § 26 IRG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Bedenken eines Verfolgten im Hinblick auf die Unabhängigkeit des nach Übergabe zuständigen Gerichts der Republik Polen können trotz insoweit anzunehmender Mängel des polnischen Systems nur dann ein Übergabehindernis begründen, wenn sich aus dem Vorbringen des Verfolgten angesichts der besonderen Umständen des Falles konkrete Hinweise ergeben, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe die Annahme rechtfertigen, er werde einer Gefahr der Verletzung des Grundrechts auf ein faires Verfahren ausgesetzt sein.
- 2.
Die Überprüfung der Haftbedingungen, die einen Verfolgten in der Republik Polen erwarten, ist wegen des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht gestattet, weil derzeit keine Hinweise auf systemische oder allgemeine Mängel vorliegen.
Tenor:
- 1.
Die Auslieferung des Verfolgten aus Deutschland nach Polen zur Strafverfolgung wegen der im Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts in Lodz vom 12. März 2019 (IV Kop 12/19) bezeichneten zwei Straftaten, die wiederum Gegenstand des Haftbefehls des Bezirksgerichts in Lodz vom 31. Oktober 2017 (IV Kp 459/17) sind, wird für zulässig erklärt.
- 2.
Die Auslieferungshaft dauert fort.
Gründe
I.
Die polnischen Behörden haben durch eine Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) vom 30. April 2019 (Sirene Polen Nr. 155770) um Auslieferung des Verfolgten, eines polnischen Staatsangehörigen, zur Strafverfolgung ersucht. Der SIS-Ausschreibung liegt ein Europäischer Haftbefehl des Bezirksgerichts in Lodz vom 12. März 2019 (Az. IV KOP 12/19) zugrunde, der wiederum auf einem Haftbefehl des Bezirksgerichts in Lodz vom 31. Oktober 2017 (Az. IV KP 459/17) beruht.
Dem Verfolgten wird vorgeworfen, sich gemeinsam mit den gesondert verfolgten J, R und S zur Begehung eines Diebstahles von Bargeld (100.000 PLN) zum Nachteil des N verabredet zu haben, wobei der gesondert verfolgte S, dem der Verfolgte und der gesondert verfolgte R die Wohnung des Geschädigten zuvor gezeigt hätten, an einem nicht näher bekannten Tag im Oktober 2003 diesen Plan umgesetzt habe. Er sei in die Wohnung des Geschädigten (...) in Lodz eingebrochen und habe Schmuck der Ehefrau des Geschädigten an sich genommen, da er das Bargeld nicht habe auffinden können (Tat Nr. 1).
Dem Verfolgten wird weiter vorgeworfen, sich nach diesem Misserfolg erneut zur Begehung eines Überfalls mit weiteren gesondert verfolgten Mittätern (J, R, S, F) verabredet zu haben, um sich auf andere Weise in den Besitz der 100.000 PLN zu bringen. In Ausführung dieses Tatplanes hätten der Verfolgte und die Mittäter, die alle maskiert gewesen seien, den N an einem nicht näher bekannten Tag zwischen Mitte Oktober 2003 und Mitte November 2003 an einer unbefestigten Straße, die nach Teodorow führe, abgepasst, wobei einer der Täter eine Schusswaffe bei sich getragen habe. Der Verfolgte und die gesondert verfolgten Mittäter R, S sowie F hätten den Geschädigten aus dem Wagen gezerrt, geschlagen und getreten sowie ihm mit dem Einsatz der Schusswaffe bedroht, falls er ihnen das Geld nicht gebe. Daraufhin habe der Geschädigte ihnen zwei mitgeführte kleine Taschen ausgehändigt, aus denen der Verfolgte und die Mittäter die 100.000 PLN an sich genommen und mehrere Tage nach dem Überfall unter sich aufgeteilt hätten (Tat Nr. 2).
Der Verfolgte ist am 30. Januar 2022 vorläufig festgenommen worden. Er befindet sich, zunächst aufgrund der Festhalteanordnung des Amtsgerichts Göttingen vom 31. Januar 2022 und seit dem 4. Februar 2022 auf der Basis des Auslieferungshaftbefehls des Senats, in der Justizvollzugsanstalt A. Bei seiner Vernehmung durch den zuständigen Richter des Amtsgerichts Göttingen am 31. Januar 2022 hat er sich mit seiner vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden erklärt und auch auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes nicht verzichtet.
Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig hat mit Vorabentscheidung nach § 79 Abs. 2 IRG vom 10. Februar 2022 bekanntgegeben, keine Bewilligungshindernisse nach § 83b IRG geltend machen und die Auslieferung bewilligen zu wollen, sofern sie durch das Oberlandesgericht Braunschweig für zulässig erklärt werde (Bl. 96 - 98 d. A.). Mit Zuschrift vom 28. Februar 2022 hat die Generalstaatsanwaltschaft sodann beantragt, die Auslieferung des Verfolgten für zulässig zu erklären und Haftfortdauer anzuordnen. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die vorgenannte Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft (Bl. 147 - 151 d. A.) verwiesen.
Der Beistand des Verfolgten hat mit Schriftsatz vom 18. März 2022 Stellung genommen und zuvor bereits mit Schriftsatz vom 26. Februar 2022 beantragt, den Haftbefehl aufzuheben und festzustellen, dass die Auslieferung des Verfolgten unzulässig sei. Es liege ein Auslieferungshindernis gemäß § 73 IRG vor, weil die Situation im polnischen Strafvollzug gegen Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh verstoße.
Der Verfolgte sei bereits im Jahr 2009 in Polen inhaftiert gewesen. Er habe in dieser Zeit wegen eines vorangegangenen Suizidversuchs mehrere Wochen in einer 4 m² umfassenden Zelle verbracht. In dieser habe 24 Stunden am Tag das Licht gebrannt und die Zelle sei von einer Kamera überwacht worden. Die Toilette habe keinen Sichtschutz gehabt. Sein Essgeschirr habe er mit kaltem Wasser und ohne Spülmittel reinigen müssen. Es habe weder einen Fernseher noch Bücher gegeben. Ein Blick nach draußen sei auch nicht möglich gewesen, weil ein Plastiksichtschutz das Tageslicht verdeckt habe. Lediglich für eine Stunde am Tag habe er die Zelle verlassen und sich in einem Innenhof mit einer Fläche von 5 × 8 m aufhalten dürfen, der allerdings von einem Drahtgeflecht überzogen gewesen sei, das kein Sonnenlicht durchgelassen habe. Die Aussicht, in eine solche Zelle zu müssen, erfülle den Verfolgten mit Panik, sodass er sich lieber zuvor das Leben nehmen würde. Die Situation in Polen, die dem Beistand auch von einem anderen Mandanten als äußerst schlimm geschildert worden sei, habe sich in den letzten Jahren verschlechtert, seitdem die Prawo i Spradwiedliwosc (PiS) in Polen regieren. Es gebe seither in Polen keine unabhängige Justiz mehr, wie das Oberlandesgericht Karlsruhe in einem Beschluss vom 17. Februar 2020 zutreffend ausgeführt habe. Aufgrund der politischen Lage sei es in Polen ausgeschlossen, dass Entscheidungen über Rechtsbehelfe des Verfolgten gegen seine Haftbedingungen bzw. die Durchführung des Strafverfahrens durch unabhängige Richter erfolgten.
Im Fall des Verfolgten komme hinzu, dass er an Depressionen leide und zuletzt Ende 2020 versucht habe, sich das Leben zu nehmen. Er sei deshalb mehrere Wochen in stationärer psychiatrischer Behandlung gewesen und sei zudem Ende des vergangenen Jahres an Krebs erkrankt. Der Senat möge zum Beleg dieses Vorbringens die Krankenunterlagen sowohl der JVA Rosdorf als auch der Universitätsmedizin G anfordern. Es sei nicht zu erwarten, dass in dem auf Sparsamkeit angelegten polnischen Strafvollzug die Versorgung mit den erforderlichen Krebsmedikamenten und mit Psychopharmaka gewährleistet sei. Schließlich bestehe auch keine Fluchtgefahr. Vielmehr lebe der Verfolgte seit 2017 mit seinen Eltern und seinem Bruder, der zwischenzeitlich eingebürgert worden sei, fest verwurzelt in Deutschland. Der Verfolgte sei wegen der vorliegenden Sache zudem bereits in Italien verhaftet worden. Dort sei der Haftbefehl jedoch zunächst außer Vollzug gesetzt worden, ohne dass sich der Verfolgte dem Verfahren entzogen hätte; im Gegenteil habe er sich dem damaligen Verfahren gestellt. Der Corte d'Appello di Venezia habe den Haftbefehls aufgehoben und die Auslieferung abgelehnt. Dies sei Anlass für den Senat, die polnischen Behörden um eine verbindliche Zusage zu bitten. Außerdem zeige es, dass keine Fluchtgefahr bestehe.
Der Corte d'Appello di Venezia hielt sich für befugt, bei den polnischen Behörden Einzelheiten zu den Haftbedingungen anzufordern, die den Verfolgten nach der Übergabe erwarteten. Die daraufhin erfolgte Auskunft des Gerichts in Lodz sei nach Auffassung des italienischen Gerichtes nicht ausreichend, weil die konkreten Haftbindungen nicht hinreichend beschrieben würden. Es sei nicht einmal klar, in welcher konkreten Justizvollzugsanstalt der Verfolgte untergebracht werde. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidung des Corte d'Appello di Venezia wird auf Bl. 176 - 179 d.A. sowie auf deren vom Senat veranlasste Übersetzung (Bl. 205 - 208 d.A.) verwiesen.
II.
1.
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die Auslieferung für zulässig zu erklären (§§ 78 Abs. 1, 29 Abs. 1 IRG), ist zu entsprechen. Die Auslieferung des Verfolgten ist zulässig; sie ist auch entscheidungsreif: Anlass, Zusicherungen der polnischen Behörden einzuholen, besteht nicht.
Der von den polnischen Behörden übermittelte und in die deutsche Sprache übersetzte Europäische Haftbefehl des Bezirksgerichts Lodz enthält die nach § 83a Abs. 1 IRG erforderlichen Angaben. Er teilt die Identität und die Staatsangehörigkeit des Verfolgten, die Bezeichnung der ausstellenden Justizbehörde und deren Anschrift, das Vorliegen eines polnischen Haftbefehls, die Art und rechtliche Würdigung der Straftaten, die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftaten begangen worden sein sollen und die für die betreffenden Straftaten im Ausstellungsmitgliedsstaat gesetzlich vorgesehene Höchststrafe mit.
Dass der Wortlaut der anwendbaren Strafvorschriften entgegen § 83a Abs. 1 Nr. 4 IRG nicht übermittelt wurde, schadet bereits deshalb nicht, weil der Senat den Wortlaut der anwendbaren Gesetzesbestimmungen selbst ermitteln kann (Böse, in: Grützner/Pötz/Kreß/Gazaes, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Auflage, Stand April 2020, § 83a IRG Rn. 8). Im Übrigen ist aber die beiderseitige Strafbarkeit, deren Überprüfung die Vorschrift des § 83a Abs. 1 Nr. 4 IRG dient, fraglos gegeben. Die Tat Nr. 1 wäre nach deutschem Recht als mittäterschaftlich begangener (§ 25 Abs. 2 StGB) schwerer Wohnungseinbruchsdiebstahl gemäß §§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 4 StGB strafbar. Jedenfalls wäre dem Verfolgten entsprechend der polnischen Wertung im Europäischen Haftbefehl, der von einem Verleiten des A. ausgeht, Anstiftung (§ 26 StGB) zur Tat des schweren Wohnungseinbruchsdiebstahls vorzuwerfen. Die Tat Nr. 2 wäre in Deutschland gemäß §§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1, 25 StGB strafbar (...).
Weil für die Taten im Höchstmaß nach polnischem Recht Freiheitsstrafe von sogar 10 Jahren (Nr. 1) und 15 Jahren (Nr. 2) vorgesehen sind, sind auch die Voraussetzungen von § 81 Nr. 1 IRG gegeben, wonach die Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht sein muss.
Verfolgungsverjährung ist nicht eingetreten. Nach polnischem Recht tritt diese ausweislich der Angaben im Europäischen Haftbefehl für die Tat Nr. 1 erst am 31. Oktober 2028 und für die Tat Nr. 2 erst am 31. Oktober 2033 ein.
Die Fragen der Gegenseitigkeit (§ 5 IRG) und, da ein Europäischer Haftbefehl vorliegt, der Spezialität (§ 11 IRG) sind im Auslieferungsverfahren mit Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht zu prüfen (§ 82 IRG).
Ein Auslieferungshindernis gemäß § 73 IRG besteht ebenfalls nicht.
Der generelle Zustand des polnischen Justizsystems und insbesondere die Bedenken des Verfolgten im Hinblick auf die Unabhängigkeit der zuständigen Richter begründen vorliegend kein Auslieferungshindernis nach § 73 Satz 2 IRG in Verbindung mit dem Grundrecht auf ein faires Verfahren, das von Art. 47 GRCh erfasst wird und über Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG zudem auch im deutschen Verfassungsrecht verankert ist. Zwar liegen tatsächlich im Grundsatz Anhaltspunkte für systemische und allgemeine Mängel in Bezug auf die Unabhängigkeit der Justiz in Polen vor (OLG Bremen, Beschluss vom 28. April 2020, 1 Ws 169/19, juris, Rn. 20). Diese betreffen indes nicht die vorliegende Fallkonstellation.
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 22. Februar 2022 mit Blick auf Polen hervorgehoben, dass der Mechanismus des Europäischen Haftbefehls auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten aufbaue (EuGH, Urteil vom 22. Februar 2022, C-562/21, juris, Rn. 40, vgl. zum Grundsatz gegenseitigen Vertrauens auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 16. August 2018, 2 BvR 237/18, juris, Rn. 26). Weil das Verfahren der Übergabe auf der Basis eines europäischen Haftbefehls allgemein nur nach einer Feststellung des Europäischen Rates gemäß Art. 7 Abs. 2 EUV ausgesetzt werden könne (EuGH, a.a.O., Rn. 64), sei bei Ersuchen polnischer Gerichte über pauschale Bedenken hinaus immer der konkrete Fall in den Blick zu nehmen. Es sei deshalb zu verlangen, dass gerade unter den besonderen Umständen des jeweiligen Falles ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe die Annahme rechtfertigen, die verfolgte Person werde im Fall der Übergabe einer echten Gefahr der Verletzung des Grundrechts auf ein faires Verfahren ausgesetzt sein (EuGH, a.a.O., Rn. 103). Die in diesem Zusammenhang gebotene Gesamtwürdigung des Einzelfalles erfolgt auf der Grundlage der Informationen, die der Verfolgte vorlegt. Gegebenenfalls können auch ergänzende - von der ausstellenden Justizbehörde übermittelte - Gesichtspunkte einfließen (EuGH, a.a.O., Rn. 96).
Solche ernsthaften und tatsachenfundierten Anhaltspunkte sind hier nicht gegeben. Das Vorbringen des Verfolgten erschöpft sich in einer pauschalen Darstellung der politischen Lage in Polen, die ausschließe, dass Entscheidungen über Rechtsbehelfe des Verfolgten in Bezug auf die Haftbedingungen oder im Rahmen des Strafverfahrens durch unabhängige Richter erfolgten. Das genügt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht, um ein Auslieferungshindernis zu begründen. Eine gezielte politische Verfolgung liegt angesichts der konkreten Straftaten, die dem Verfolgten vorgeworfen werden, vielmehr fern.
Der Verfolgte hat überdies auch keine konkreten Gründe vorgebracht, die nach dem maßgeblichen Schutzniveau des Unionsrechts (dazu: EuGH, a.a.O., Rn. 41) wegen der Haftbedingungen, die ihn in Polen erwarten, zu einem Auslieferungshindernis führen könnten. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffende Rechtsprechung des Kammergerichts (KG Berlin, Beschluss vom 15. November 2019, (4) 151 AuslA 167/19 (185/19), juris, Rn.13 ff.; Beschluss vom 3. April 2020, (4) 151 AuslA 201/19 (234/19), juris, Rn. 16 ff.), wonach insoweit bereits systemische und allgemeine Mängel des Justizsystems nicht bestehen. Weil solche Mängel nicht vorliegen, war dem Senat im Rahmen des europäischen Auslieferungsverkehrs auf der Grundlage des Rahmenbeschlusses EuHB (Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung) verwehrt, vor einer Auslieferung die konkreten Haftbedingungen zu überprüfen, die den Verfolgten in Polen erwarten. Das Vorgehen des Corte d'Appello di Venezia war im Rahmen der Auslieferung auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls nicht gerechtfertigt, weil es gegen den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten, der eine Überprüfung anderer Mitgliedstaten nur im Ausnahmefall gestattet (EuGH, a.a.O., C-562/21, juris, Rn. 40), verstößt. Denn die Mitgliedstaaten sind regelmäßig verpflichtet, die Beachtung der Grundrechte durch die übrigen Mitgliedstaaten zu unterstellen (EuGH, a.a.O., Rn. 41). Das konkrete Vorbringen des Verfolgten führt zu keinem anderen Ergebnis. Soweit er seine Erlebnisse bei der Inhaftierung im Jahr 2009 schildert, ist zunächst klarzustellen, dass die Verhältnisse des Jahres 2009 nicht auf die aktuelle Situation übertragen werden können. Außerdem entspricht die Zellengröße von 4 m² dem europäischen Standard (EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2019, C-128/18, juris, Rn. 76), den der Senat unabhängig von dem etwa in Deutschland zu fordernden Standard hinzunehmen hat (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Februar 2022, C-562/21, juris, Rn. 41).
Dass bei Inhaftierten, die einen Suizidversuch unternommen haben, besondere Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden müssen, liegt im Übrigen auf der Hand und begründet, mögen die Maßnahmen im Fall des Verfolgten auch im Einzelfall überzogen gewesen sein, jedenfalls keine allgemeinen Mängel des Justizsystems. Zudem gestattet auch das deutsche Recht, wenngleich im Rahmen einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 18. März 2015, 2 BvR 111/13, juris, Rn. 32), bei suizidgefährdeten Gefangenen besondere Sicherungsmaßnahmen (vgl. § 88 StVollzG; § 81 NJVollzG). Diese Maßnahmen, die u.a. auch eine permanente Überwachung ermöglichen, sind zu nutzen, um der Gefahr der Selbsttötung zu begegnen (OLG Braunschweig, Beschluss vom 29. August 2019, 1 Ws 206/19, juris, Rn. 12).
Die Erkrankung des Verfolgten rechtfertigt es ebenfalls nicht, die Auslieferung als unzulässig anzusehen. Zwar wäre eine Auslieferung abzulehnen, wenn dem Verfolgten im Fall seiner Auslieferung die Gefahr des Todes oder schwerster gesundheitlicher Beeinträchtigungen drohen würde (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Oktober 2010, 1 AK 45/10, juris, Rn. 12). Jedoch greift auch insoweit der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens. Es ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass in polnischen Justizvollzugsanstalten eine ausreichende medizinische und medikamentöse Versorgung erkrankter Inhaftierter gewährleistet ist (vgl. auch OLG Karlsruhe, a.a.O.). Das Vorbringen des Verfolgten, dem im Übrigen weder die Art der Krebserkrankung noch deren konkrete Auswirkungen zu entnehmen sind, enthält keine Hinweise, die die gegenteilige Annahme rechtfertigen könnten. Dass die polnischen Behörden im Jahr 2009 auf den Suizidversuch des Verfolgten reagiert haben, zeigt vielmehr die Besorgnis der damaligen Justizvollzugsanstalt um das Leben und die Gesundheit des Verfolgten. Vor diesem Hintergrund hatte der Senat keinen Anlass, die polnischen Behörden um etwaige Zusicherungen zu bitten. Und es gab, worauf der Senat bereits mit Verfügung vom 1. März 2022 hingewiesen hat, auch keinen Anlass, zuvor Krankenunterlagen bei der Universität G oder beim Anstaltsarzt der Justizvollzugsanstalt A anzufordern.
Bewilligungshindernisse nach § 83b IRG bestehen auch nicht. Die Generalstaatsanwaltschaft hat am 10. Februar 2022 gemäß § 79 Abs. 2 IRG zutreffend entschieden, keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen. Diese Entscheidung ist nach ihrer im Hinblick auf die rahmenbeschlusskonforme Auslegung des § 79 Abs. 2 IRG gebotenen Überprüfung (dazu: OLG Braunschweig, Beschluss vom 11. Februar 2021, 1 AR (Ausl.) 17/20, juris, Rn. 21; OLG Dresden, Beschluss vom 17. Februar 2021, OLGAusl 258/20, juris, Rn. 10) rechtsfehlerfrei getroffen worden; der Senat tritt ihr bei. Die Voraussetzungen des § 83b Abs. 1 IRG liegen nicht vor. Es kann dahinstehen, ob der Verfolgte überhaupt seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (§ 83b Abs. 2 IRG). Jedenfalls sind die Voraussetzungen von § 83 b Abs. 2 Nr. 1 IRG nicht erfüllt. Die Tat hat vielmehr einen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden Mitgliedstaat (§ 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IRG) und es besteht, wie die Generalstaatsanwaltschaft in der Vorabentscheidung richtig dargelegt hat, kein Anlass, die Auslieferung von der Vollstreckung der Strafe im Inland anhängig zu machen.
2.
Der Senat hat darüber hinaus gemäß § 26 Abs. 1 IRG über die Fortdauer der Auslieferungshaft entschieden. Diese hat fortzudauern. Es besteht auch weiterhin die Gefahr, dass sich der Verfolgte dem Auslieferungsverfahren und der Durchführung der Auslieferung entziehen wird (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG).
Wenn ein Europäischer Haftbefehl vorliegt, ist in rahmenbeschlusskonformer Auslegung regelmäßig davon auszugehen, dass der ersuchende Staat die Haftgründe geprüft und zutreffend bejaht hat (vgl. etwa OLG Braunschweig, Beschluss vom 22. Oktober 2014, 1 AR (Ausl) 6/14, Rn. 14, juris).
Diese Annahme ist im vorliegenden Fall auch weiterhin gerechtfertigt. Der Verfolgte hat in Polen eine durchaus erhebliche Strafe zu erwarten. Ausreichende fluchthemmende Umstände liegen nicht vor. Es liegt vielmehr nahe, dass er dem Fluchtanreiz jedenfalls jetzt nachgeben wird, nachdem er erfährt, dass der Senat die Auslieferung für zulässig erachtet und die frühere Auffassung des Corte d'Appello di Venezia nicht teilt. Denn der Verfolgte hat, wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat, mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass er sich dem Strafverfahren in Polen nicht stellen werde. Er verfügt zudem über entsprechende Bindungen ins Ausland. So betreibt er mit seiner in Italien lebenden Ehefrau, von der er sich allerdings inzwischen getrennt hat, in Großbritannien ein Unternehmen.
Weniger einschneidende Maßnahmen, die die Gewähr bieten, dass der Zweck der Auslieferungshaft auch durch sie erreicht wird (§ 25 Abs. 1 IRG), sind bei dieser Sachlage nicht zu erkennen.
3.
Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit bestehen weder gegen die Zulässigkeit der Auslieferung noch gegen die Fortdauer der Auslieferungshaft Bedenken.