Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 10.03.2022, Az.: 3 W 3/22

Beschwerde gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss; 1,6-fache Verfahrensgebühr in einem Erbscheinsverfahren; Voraussetzungen einer Ermäßigung auf eine 1,1-fache Gebühr; Kontradiktorisch geführtes Beschwerdeverfahren

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
10.03.2022
Aktenzeichen
3 W 3/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 16470
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2022:0310.3W3.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
AG Braunschweig - 23.12.2021 - AZ: 30 VI 1613/16

Fundstellen

  • AGS 2022, 260-261
  • ErbR 2022, 637-639
  • FamRZ 2022, 1307
  • JurBüro 2022, 299-301
  • MDR 2022, 855
  • NJW-Spezial 2022, 348
  • Rpfleger 2022, 538-539
  • ZEV 2022, 475-476

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Seit dem Inkrafttreten 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes erhält der im Beschwerdeverfahren eines Erbscheinsverfahrens tätige Rechtsanwalt grundsätzlich eine 1,6-fache Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3200 VV RVG.

  2. 2.

    Eine Ermäßigung auf eine 1,1-fache Gebühr gemäß Nr. 3201 VV RVG i.V.m. Anm. 2 Nr. 2 findet nur dann statt, wenn sich die anwaltliche Tätigkeit auf die Einlegung und Begründung der Beschwerde sowie die Entgegennahme der gerichtlichen Entscheidung beschränkt, etwa, weil der Beschwerdegegner sich im Beschwerdeverfahren nicht äußert.

  3. 3.

    Im Falle eines kontradiktorisch geführten Beschwerdeverfahrens - etwa, wenn Schriftsätze gewechselt werden, widerstreitende Anträge gestellt werden, zu Hinweisen des Gerichts schriftsätzlich Stellung genommen wird muss oder es zu einem Termin kommt - greift diese Ermäßigung für keine der beiden Seiten.

Tenor:

Die Beschwerde vom 3. Januar 2022 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Braunschweig - Nachlassgericht - vom 23. Dezember 2021 - 30 VI 1613/16 - wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.625,73 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Höhe der Festsetzung der gegnerischen Anwaltskosten für das Beschwerdeverfahren in einer Erbscheinssache.

Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 15. Juli 2020 die zur Begründung des Erbscheinsantrags des Antragstellers vom 16. September 2016 erforderlichen Tatsachen gemäß § 352e FamFG für festgestellt erachtet. Der Senat hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers als unzulässig verworfen und dem Beschwerdeführer die Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 28. April 2021 - 3 W 8/21 - (Bl. 161-171 Bd. II d.A.) Bezug genommen.

Der Antragsteller beantragte unter dem 14. Mai 2021, die ihm für die Tätigkeit seines Verfahrensbevollmächtigten im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten gegen den Beschwerdeführer festzusetzen, namentlich eine 1,6-fache Verfahrensgebühr gemäß § 13 RVG, Nr. 3200 VV RVG in Verbindung mit Vorbemerkung 3.2.1 Ziffer 2 lit. b VV RVG nebst Telekommunikationspauschale und Mehrwertsteuer.

Dem ist der Beschwerdeführer unter dem 12. August 2021 teilweise entgegengetreten; eine 1,6-fache Gebühr sei nicht entstanden, denn der mit der Beschwerde angefochtene Beschluss sei keine Endentscheidung im Sinne der Vorbemerkung 3.2.1 Ziffer 2 lit. b VV RVG, sondern gemäß § 352e Abs. 1 FamFG nur die vorbereitende Entscheidung für die Endentscheidung, namentlich die Erbscheinserteilung. Daher verbleibe es bei der 0,5-fachen Beschwerdeverfahrensgebühr gemäß Nr. 3500 VV RVG, hilfsweise allenfalls bei einer 1,1-fachen Gebühr gemäß Nr. 3201 VV RVG. Erhalte ein Rechtsanwalt für die Einlegung und Begründung der Beschwerde nur die 1,1-fache Gebühr, könne durch den bloßen Beschwerdezurückweisungsantrag des gegnerischen Rechtsanwalts nicht eine 1,6-fache Gebühr anfallen.

Die Beteiligten führten mit Schriftsätzen vom 5. Oktober und 1. November 2021 - auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 198 f. und 200 f. d.A.) - weiter zur ihrer jeweiligen Ansicht aus.

Mit angegriffenem Beschluss vom 3. Dezember 2021 hat das Nachlassgericht die vom Beschwerdeführer dem Antragsteller zu erstattenden Kosten antragsgemäß in Höhe von 8.426,15 € festgesetzt. Die Gebühr gemäß Nr. 3200 VV RVG entstehe im Verfahren über Endentscheidungen unter anderem in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit; darum handele es sich hier. Zwar entstehe zunächst eine 1,1-fache Gebühr nach Nr. 3201 VV RVG und die 1,6-fache Gebühr nach Nr. 3200 VV RVG falle erst an, wenn der Rechtsanwalt einen Schriftsatz bei Gericht einreiche, der Sachanträge, Sachvortrag oder eine Antragsrücknahme enthalte; dies sei hier allerdings geschehen.

Gegen diesen - ihm am 23. Dezember 2021 zugestellten - Beschluss hat der Beschwerdeführer mit am 4. Januar 2022 eingegangenem Schriftsatz vom Vortag Beschwerde eingelegt; es seien auf Basis einer 1,1-fachen Gebühr nach Nr. 3201 VV RVG lediglich 5.800,42 € festzusetzen. Nr. 3201 VV RVG sei auch auf die Rechtsmittelgegnerseite anzuwenden, bei der Nichterwähnung handele es sich um eine omissio neglegens des Gesetzgebers; eine auf die Beschwerdezurückweisung gerichtete Anwaltstätigkeit sei einer solchen zur Beschwerdeeinlegung und -begründung gleichzustellen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den genannten Schriftsatz (Bl. 209-211 Bd. II d.A.) Bezug genommen.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 5. Januar 2022 - auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 212 Bd. II d.A.) - nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Der Antragsteller hat den angegriffenen Beschluss mit Schriftsatz vom 17. Januar 2022 - auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 222 f. Bd. II d.A.) - verteidigt und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Beschwerde ist statthaft und auch ansonsten zulässig.

Gemäß § 85 FamFG sind für das Kostenfestsetzungsverfahren die §§ 103-107 ZPO entsprechend anwendbar. Statthaftes Rechtsmittel gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers deshalb ist grundsätzlich die sofortige Beschwerde, §§ 11 Abs. 1, 21 Nr. 1 RPflG, §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 ZPO. Über diese entscheidet der Einzelrichter des Senats, § 568 Satz 1 ZPO (OLG Köln, Beschluss vom 10. Dezember 2018 - 2 Wx 408/18 -, juris, Rn. 5; OLG Nürnberg Beschluss vom 3. November 2011 - 14 W 1974/11 - juris, Rn. 1).

Der Beschwerdewert überschreitet hier auch die Grenze von 200,00 € gemäß § 567 Abs. 2 ZPO und die zweiwöchige Beschwerdefrist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist gewahrt.

2. Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Die Kostenfestsetzung auf Basis der 1,6-fache Gebühr nach Nr. 3200 VV RVG ist nicht zu beanstanden.

Seit dem Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - 2. KostRMoG) vom 23. Juli 2013 (BGBl. I 2013, S. 2586) zum 1. August 2013 - also auch im hiesigen Kostenfestsetzungsverfahren - gilt das Folgende:

a) Im Erbscheinsverfahren erhält der im Beschwerdeverfahren tätige Rechtsanwalt grundsätzlich eine 1,6-fache Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3200 VV RVG. Dies ist die allgemeine Ansicht in Rechtsprechung und Literatur (OLG Köln, Beschluss vom 10. Dezember 2018 - 2 Wx 408/18 -, juris, Rn. 8; OLG Jena, Beschluss vom 23. Februar 2016 - 1 W 84/16 -, juris, Rn. 8; OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. Mai 2014 - 8 W 167/14 -, juris, Rn. 26; OLG Frankfurt, Beschluss vom 3. Mai 2017 - 20 W 2/16 -, juris, Rn. 13; Deppenkemper, in: BeckOGK BGB, Stand: 1. März 2021, § 2139 BGB, Rn. 64 m.w.N.; Enders, in Hamm, Beck'sches Rechtsanwalts-Handbuch, 12. Auflage 2022, § 57, Rn. 199; Gierl, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Auflage 2019, § 352e FamFG, Rn. 238; Grziwotz, in: MüKo FamFG, 3. Auflage 2019, § 352e, Rn. 67; Horn, in: Beck'sche Online-Formulare Erbrecht, 34. Edition 2022, Stand: 1. März 2021, Formular 5.9.1, Anm. 16; Kroiß, in: Kroiß/Ann/Mayer, BGB, Band 5: Erbrecht, 6. Auflage 2022, § 2353, Rn. 58 a.E.; Hähn, in: Krug/Horn, Pflichtteilsprozess, 3. Auflage 2022, § 20, Rn. 65; Poller, in: Kroiß/Horn/Solomon, Nachfolgerecht, 2. Auflage 2019, § 352e FamFG, Rn. 68; Zimmermann, in: Keidel, FamFG, 20. Auflage 2020, § 352e, Rn. 140).

Entgegenstehende Rechtsprechung bezieht sich auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes; zu diesem Zeitpunkt Umfasste die Vorbemerkung 3.2.1 noch nicht die Endentscheidungen zur Hauptsache in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. z.B. OLG München, Beschluss vom 7. März 2006 - 32 Wx 23/06 u. 26/06 -, NJW-RR 2006, S. 1727 [1728]). Durch das Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetz sind diese Beschwerden aber nun gebührenrechtlich der Berufung gleichgestellt. Das gilt auch für Beschwerden in Erbscheins- oder Nachlassverfahren (OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. Mai 2014 - 8 W 167/14 -, juris, Rn. 26; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 25. Auflage 2021, Nr. 3500 VV, Rn. 4 m.w.N. auch zur alten Rechtslage).

Danach reicht für die Entstehung einer Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3200 VV RVG im Beschwerdeverfahren grundsätzlich aus, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdegegners beauftragt ist und im Beschwerdeverfahren tätig wird, also - über die bloße Entgegennahme der Beschwerdeschrift hinaus - etwa die Beschwerdeschrift pflicht- und auftragsgemäß darauf prüft, ob etwas für seinen Mandanten zu veranlassen ist, oder - was nicht erforderlich aber hier geschehen ist - sogar einen Schriftsatz einreicht oder einen Antrag stellt (OLG Köln, Beschluss vom 10. Dezember 2018 - 2 Wx 408/18 -, Rn. 8, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. Mai 2014 - 8 W 167/14 -, juris, Rn. 22).

b) Eine Ermäßigung auf eine 1,1-fache Gebühr gemäß Nr. 3201 VV RVG in Verbindung mit Anmerkung 2 Nr. 2 zu dieser Ziffer findet nur dann statt, wenn sich die anwaltliche Tätigkeit auf die Einlegung und Begründung der Beschwerde sowie die Entgegennahme der gerichtlichen Entscheidung beschränkt (kritisch aber: Grziwotz, in: MüKo FamFG, 3. Auflage 2019, § 352e, Rn. 67 m.w.N.): Der Gesetzgeber wollte nicht in allen Fällen dem Anwalt die 1,6-fache Gebühr für das Beschwerdeverfahren zugestehen. Grundsätzlich soll der Rechtsanwalt zwar eine höhere Vergütung erhalten als die 0,5-fache Gebühr nach alter Rechtslage; bleibt es bei der Rechtsmitteleinlegung und seiner Begründung und muss der Rechtsanwalt darüber hinaus keine weiteren Tätigkeiten entfalten, als später die Entscheidung des Gerichts entgegenzunehmen, dann soll seine Tätigkeit aber mit einer 1,1-fachen Gebühr angemessen vergütet sein. Damit sollen insbesondere die einseitigen Verfahren erfasst werden (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 17/11471 vom 14. November 2012, S. 277), denn häufig gibt es in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit keinen echten Gegner, der sich beteiligt oder der sich gegen ein Rechtsmittel wehrt. Zum Teil gibt es zwar einen "Gegner"; dieser beteiligt sich aber im Verfahren nicht, so dass die Sache "einseitig" bleibt und es der Anwalt nur mit dem Gericht zu tun hat. Diese Fälle sollen mit einer 1,1-Verfahrensgebühr vergütet werden (Schneider, in: NJW 2014, S. 982 [984]; vgl. auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. Mai 2014 - 8 W 167/14 -, Rn. 23, 28 [im Beschwerdeverfahren keine Tätigkeit des Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdegegner nach außen]).

Schließt sich an die Begründung des Rechtsmittels dagegen eine weitere Tätigkeit an, werden also - wie hier - Schriftsätze gewechselt, weil sich der Gegner am Verfahren beteiligt und auf seine Einlassung erwidert werden muss, werden widerstreitende Anträge gestellt, muss zu Hinweisen des Gerichts schriftsätzlich Stellung genommen werden oder kommt es zu einem Termin oder Ähnlichem, dann greift nicht mehr die Ermäßigung gemäß Nr. 3201 VV RVG in Verbindung mit Anmerkung 2 Nr. 2, sondern der Rechtsanwalt erhält die volle 1,6-fache Gebühr nach Nr. 3200 VV RVG (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 17/11471 vom 14. November 2012, S. 277; Schneider, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage 2021, Nr. 3201 VV RVG, Rn. 21; Schneider, in: NJW 2014, S. 982 [984 f.]).

Zu der vom Beschwerdeführer angenommenen Ungleichbehandlung der Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers einerseits und des Beschwerdegegners andererseits kommt es gerade nicht, da in kontradiktorischen Verfahren Nr. 3201 VV RVG in Verbindung mit Anmerkung 2 Nr. 2 regelmäßig für keine der beiden Seiten greift.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Verweisung des § 85 FamFG auf die Zivilprozessordnung umfasst auch die Kostenregelung (BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2013 - II ZB 4/13 -, NJW-RR 2014, S. 186 [188 Rn. 21] m.w.N.; a.A. Horn, in: Kroiß/Horn/Solomon, Nachfolgerecht, 2. Auflage 2019, § 85 FamFG, Rn. 18 m.w.N.).

Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Beschwerdeverfahren orientiert sich an dem Interesse des Beschwerdeführers, eine um (8.426,15 € - 5.800,42 € =) 2.625,73 € niedrigere Kostenfestsetzung zu erwirken.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen. Zulassungsgründe im Sinne des § 574 Abs. 2 ZPO sind weder vorgetragen noch ersichtlich.