Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 15.11.2010, Az.: 10 UF 182/10
Aussetzung des Verfahrens über den Versorgungsausgleich bis zur Neufassung der Satzungsbestimmungen in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 15.11.2010
- Aktenzeichen
- 10 UF 182/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 28455
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2010:1115.10UF182.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hannover - AZ: 612 F 6475/09
Rechtsgrundlagen
- § 45 Abs. 3 VersAusglG
- § 21 FamFG
Amtlicher Leitsatz
Verfahren über den Versorgungsausgleich, in denen Startgutschriften für Versicherte rentenferner Jahrgänge aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes zu berücksichtigen sind, sind auch nach neuem Recht hinsichtlich des Wertausgleichs dieser Anrechte bis zu einer Neufassung der Satzungsbestimmungen auszusetzen.
Tenor:
Das Beschwerdeverfahren wird gemäß § 21 FamFG bis zur Neuregelung der Übergangsbestimmungen für die Berechnung der Startgutschriften von Versicherten der rentenfernen Jahrgänge in der Satzung der Beteiligten zu 1 ausgesetzt.
Gründe
I. Das Amtsgericht hat mit dem allein zum Versorgungsausgleich (teilweise) angefochtenen Beschluss vom 5. Juli 2010, auf den auch zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, die Ehe der Parteien geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt. Es hat die Anrechte des Ehemannes bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Braunschweig-Hannover und bei der Zusatzversorgungskasse (ZVK) der Stadt H. sowie das Anrecht der Ehefrau bei der DRV Bund intern und das Anrecht der Ehefrau bei der Oberfinanzdirektion (OFD) Niedersachsen extern geteilt. Hinsichtlich der beiden von der Ehefrau bei dem D. Lebensversicherungsverein a.G. erworbenen Anrechte im Ausgleichswert von 502,53 € und 350,40 € hat das Amtsgericht entschieden, dass ein Wertausgleich gemäß § 18 VersAusglG nicht stattfindet.
Mit ihrer (zulässigen) Beschwerde macht die Beteiligte zu 1 geltend, dass das Amtsgericht bei seiner Entscheidung zum Versorgungsausgleich von einem unzutreffenden Ausgleichswert des vom Ehemann bei ihr erworbenen Anrechts in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes ausgegangen sei. Der auf die Ehefrau zu übertragende Ausgleichswert ergebe sich nicht durch hälftige Teilung der vom Ehemann in der Ehezeit erworbenen Versorgungspunkte, sondern sei zu ermitteln, indem die vom Ehemann erworbenen Versorgungspunkte zunächst in einen Barwert umzurechnen seien, davon dann die hälftigen Teilungskosten (i.S. des § 13 VersAusglG) abzuziehen seien und der so ermittelte korrespondierende Kapitalwert (i.S. des § 47 VersAusglG) unter Verwendung des für die Ehefrau maßgebenden Barwertfaktors in Versorgungspunkte umzurechnen sei.
II. Da das Scheidungsverbundverfahren nach dem 31. August 2009 eingeleitet worden ist, findet auf die Beschwerde das FamFG Anwendung (Art. 111, 112 FamFG).
Das Beschwerdeverfahren ist gemäß § 21 VersAusglG auszusetzen.
Nach der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 174, 127. Beschluss des XII. Zivilsenats vom 5. November 2008 - XII ZB 53/06, FamRZ 2009, 303) sind die Satzungsbestimmungen der Zusatzversorgungsanstalten des öffentlichen Dienstes, zu denen die Beteiligte zu 1 gehört, wegen Verstoßes gegenArt. 3 GG insoweit unwirksam, als sie die Berechnung der (auf den 31. Dezember 2001 bezogenen) Startgutschriften von Versicherten der sog. rentenfernen Jahrgänge betreffen. Darunter fallen Versicherte, die am 1. Januar 2002 das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, also nach 1946 geboren sind. Die Tarifvertragsparteien sind aufgefordert worden, eine verfassungskonforme Neuregelung zu treffen. Daher können die bisherigen Auskünfte der Zusatzversorgungsträger für den genannten Personenkreis im Versorgungsausgleich nicht mehr verwendet werden. Der Ehemann gehört zu diesem Personenkreis, denn er ist am 9. März 1968 geboren und hat aufgrund seiner Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst vor 2002 eine Startgutschrift erhalten (vgl. die Auskunft der Beteiligten zu 1 vom 27. Januar 2010). Eine Vereinbarung der Ehegatten dahin, dass der Ausgleich des Anrechts aus der Zusatzversorgung auf der Grundlage des bisherigen Satzungsrechts vorgenommen wird, ist nicht zustande gekommen. Der Versorgungsausgleich kann daher hinsichtlich des Ausgleichs der Anwartschaft des Ehemannes aus der Zusatzversorgung derzeit nicht durchgeführt werden. Das Beschwerdeverfahren ist vielmehr bis zu einer Neufassung der Satzung des Versorgungsträgers förmlich auszusetzen und erst nach einer Neufassung der Satzung wiederaufzunehmen und fortzusetzen. Da sich das Beschwerdeverfahren auf den Versorgungsausgleich beschränkt, der nicht zu den Familienstreitsachen gehört, stützt sich die Aussetzung auf§ 21 FamFG. Einer entsprechenden Heranziehung des § 148 ZPO, die der BGH (FamRZ 2009, 303) nach früherem Recht befürwortet hatte, bedarf es nicht mehr.
Das OLG München (Beschlüsse vom 1. September 2010 - 12 UF 1006/10 - und vom 20. September 2010 - 33 UF 801/10 -) vertritt allerdings die Auffassung, nach neuem Recht bedürfe es in einem derartigen Fall keiner Verfahrensaussetzung mehr. Das auf der Startgutschrift beruhende Anrecht eines rentenfernen Versicherten sei als nicht ausgleichsreif i.S. des § 19 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG anzusehen, weil es der Höhe nach noch nicht hinreichend verfestigt sei. Seine Höhe hänge von einer künftigen Einigung der Tarifparteien des öffentlichen Dienstes und einer entsprechenden Änderung der Satzung des Versorgungsträgers ab. Das Anrecht sei deshalb gar nicht in den Wertausgleich bei der Scheidung einzubeziehen. Vielmehr sei der ausgleichsberechtigte andere Ehegatte hinsichtlich dieses Anrechts auf die spätere Geltendmachung (schuldrechtlicher) Ausgleichsansprüche nach der Scheidung (§§ 22 - 26 VersAusglG) zu verweisen.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Das OLG München verkennt den beschränkten Anwendungsbereich des § 19 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG. Diese Bestimmung ist zwar weiter gefasst als § 1587 a Abs. 2 Nr. 3 S. 3 BGB a.F., der lediglich verfallbare betriebliche Anrechte vom öffentlichrechtlichen Wertausgleich ausnahm. Der Gesetzgeber wollte mit der Einbeziehung von anderen noch nicht hinreichend verfestigten Anrechten aber nur solche Anrechte in den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich verweisen, die zum Zeitpunkt der Scheidung noch ähnlich ungesichert sind wie verfallbare betriebliche Anrechte. Gedacht wurde dabei vornehmlich an Anrechte, die zwar nicht unter das Betriebsrentengesetz fallen, für die aber aufgrund individual oder tarifvertraglicher Bestimmungen ähnliche Unverfallbarkeitsregelungen gelten wie für Anrechte i.S. des BetrAVG, bei denen die endgültige Sicherung also von einer weiteren Fortdauer der Zugehörigkeit zum Unternehmen abhängt, wie z.B. bei Anrechten von herrschenden GesellschafterGeschäftsführern (BTDrucks. 16/11903 S. 55. FAKommFamR/Wick 4. Aufl. § 19 VersAusglG Rn. 13).
Die vor 2002 erworbenen Anrechte aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes, die in der zugeteilten Startgutschrift ausgedrückt werden, sind damit in keiner Weise vergleichbar. Diese Anrechte sind, wenn der Arbeitnehmer - wie hier - die satzungsmäßige Wartezeit von 60 Pflichtbeitrags bzw. Umlagemonaten erfüllt hat, sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach unverfallbar und damit bereits endgültig gesichert. Sie erfüllen damit nicht (mehr) die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG (ebenso Bergmann FamFR 2010, 466). Dass die genaue Höhe des Anrechts aufgrund der ausstehenden Neufassung der Satzungsbestimmungen derzeit noch nicht abschließend berechnet werden kann, ändert nichts an der Sicherung des Anrechts für den Versorgungsanwärter. Im Übrigen dürfte die vom BGH angemahnte Korrektur der maßgeblichen Satzungsbestimmungen zu einer geringfügigen Erhöhung des Werts der Anrechte gegenüber dem derzeitigen Recht führen, nicht dagegen zu einer Wertminderung.
Die Verweisung des Ausgleichsberechtigten auf Ausgleichsansprüche nach der Scheidung ist auch deshalb abzulehnen, weil es das erklärte Ziel des Gesetzgebers war, den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich gegenüber der früheren Rechtslage zurückzudrängen (BTDrucks. 16/10144 S. 37 und 63). Die Auffassung des OLG München erstreckt den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich demgegenüber auf eine Fallgruppe, die bisher dem Wertausgleich zugeordnet war. Sie führt zwar zu einer formalen Beendigung des Verfahrens über den Wertausgleich, belastet beide Ehegatten aber mit der Notwendigkeit eines späteren Verfahrens über den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich. Ferner ist sie für den ausgleichsberechtigten Ehegatten mit schwerwiegenden Rechtsnachteilen verbunden. Er erhält kein eigenständiges Versorgungsanrecht, sondern muss sich nach Eintritt des Versorgungsfalles bei beiden Ehegatten - also in der Regel erst viele Jahre nach der Scheidung - um die Durchsetzung schuldrechtlicher Ausgleichsansprüche gegen den anderen Ehegatten kümmern. Dem Ausgleichsberechtigten werden alle mit dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich verbundenen Risiken aufgebürdet. Dazu gehören neben der Durchsetzbarkeit schuldrechtlicher Ausgleichsansprüche insbesondere die Gefahr eines Vorversterbens des Ausgleichspflichtigen (die nicht in allen Fällen durch Ansprüche gegen den Versorgungsträger nach § 25 VersAusglG beseitigt wird) und die Möglichkeit, dass die schuldrechtlichen Ansprüche durch Wiederheirat des Ausgleichsberechtigten erlöschen.
III. Der Senat weist die Beteiligten nochmals auf Folgendes hin: Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 beschränkt sich zwar auf den Ausgleich des bei ihr erworbenen Anrechts als einen trennbaren Teil der angefochtenen Entscheidung. Sie hat jedoch zur Folge, dass die Entscheidung des Amtsgerichts zum Versorgungsausgleich auch hinsichtlich ihrer anderen Teile noch nicht rechtskräftig werden kann. Denn jeder der anderen Beteiligten kann sich während des Beschwerdeverfahrens dem Rechtsmittel der Beteiligten zu 1 anschließen (§ 66 FamFG). Die Einlegung der Anschlussbeschwerde in Versorgungsausgleichssachen ist weder fristgebunden noch muss der Einlegende durch die angefochtene Entscheidung beschwert sein (Zöller/Feskorn ZPO 28. Aufl. § 66 FamFG Rn. 3, 5. Keidel/Sternal FamFG 16. Aufl. § 66 Rn. 8, 10).
Die von der Beschwerde der Beteiligten zu 1 nicht erfassten Teile der Entscheidung über den Versorgungsausgleich können nur dann vorab in Rechtskraft erwachsen, wenn alle anderen Beteiligten durch Erklärung gegenüber dem Senat insoweit auf Anschlussrechtsmittel verzichten (§ 67 Abs. 2 FamFG). Bisher haben nur die Ehefrau, die OFD Niedersachsen und die DRV Braunschweig-Hannover Erklärungen abgegeben, die als Verzicht auf Anschlussrechtsmittel ausgelegt werden können. Der Ehemann hat zwar eine Verzichtserklärung abgegeben. Diese ist jedoch nicht wirksam, weil das vorliegende Verfahren dem Anwaltszwang unterliegt (§ 114 Abs. 1 FamFG) und der Ehemann deshalb nur durch einen zugelassenen Rechtsanwalt wirksame Verfahrenserklärungen abgeben kann. Die DRV Bund hat keinen Verzicht auf Anschlussrechtsmittel erklärt.