Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.09.1985, Az.: 6 TaBV 5/85

Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei Entschädigungszahlungen an Arbeitnehmer für die Bestreikung einer Druckerei

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
17.09.1985
Aktenzeichen
6 TaBV 5/85
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1985, 10463
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1985:0917.6TABV5.85.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Braunschweig - 17.04.1985 - AZ: 3 BV 73/84

In dem Beschlußverfahren
hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen
auf die mündliche Anhörung vom 17. September 1985
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Pietzke
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 17. April 1985 - 3 BV 73/84 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

1

I.

Der Antragsteller ist Betriebsrat der Antragsgegnerin. Diese druckt unter anderem die im Verlag ... erscheinende "... Zeitung". Die Antragsgegnerin wurde während des Arbeitskampfes in der Druckindustrie im ersten Halbjahr 1984 zeitweise bestreikt. Bis auf eine Ausnahme gelang es ihr dennoch, die ... Zeitung zu drucken und auszuliefern. Nach Beilegung des Arbeitskampfes erhielten einige Mitarbeiter der Antragsgegnerin auf deren Firmenbogen ein Schreiben der Geschäftsleiter mit folgendem Wortlaut:

"Die zurückliegende Tarifauseinandersetzung brachte uns allen Sorgen und Verdruß. In der Zeit, in der Parolen und Pressionen mehr galten als Argumente, hatten Sie sich für den Betrieb entschieden. Gesellschafter und Geschäftsführung würdigen Ihre Haltung mit Genugtuung und besonderer Anerkennung.

Ihrer eindeutigen Stellungnahme verdanken wir es, daß wir die ... ZEITUNG auch zu Zeiten der Arbeitskampfmaßnahmen herausbringen konnten. Für Ihren Beitrag und Ihre Einsatzbereitschaft über das normale Maß hinaus wollen wir uns mit der Einmalzahlung eines Betrages in Höhe eines zusätzlichen Bruttomonatslohns erkenntlich zeigen.

Wir verbinden damit die Hoffnung, daß Sie möglichst rasch Abstand zur jüngsten Vergangenheit gewinnen mögen und sich mit dem finanziellen Plus persönlich einen langgehegten Wunsch erfüllen oder Ihre verdienten Ferien erlebnisreicher gestalten.

Der Betrag wird mit der nächsten Lohnabrechnung auf Ihr Konto überwiesen. Der formale Hinweis, daß diese Zahlung keinen Rechtsanspruch für die Zukunft begründet, sollte Ihre Freude an unserem Dankeschön nicht schmälern."

2

Zwischen den Parteien ist streitig, ob dem Verlag ... oder der Antragsgegnerin die inzwischen erfolgten Zahlungen zuzurechnen sind.

3

Der Antragsteller hat die Auffassung vertreten, gemäß § 87 Abs. 1 Ziffer 10 und 11 BetrVG stehe ihm ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der geleisteten Zahlungen zu, weil die Antragsgegnerin eine kollektive Lohngestaltung in Form einer Einmalzahlung an einzelne Arbeitnehmer eingeführt habe.

4

Der Antragsteller hat beantragt,

als Vorsitzenden der Einigungsstelle zwischen den Beteiligten wegen der von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 13.07.1984 zugesagten "Einmal Zahlung" den Richter am Landesarbeitsgericht Hannover, ..., zu bestellen und die Zahl der beiderseitigen Beisitzer auf je 3 festzulegen.

5

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

6

Sie hat die Ansicht vertreten, der Antragsteller habe keinen Sachverhalt dargelegt, aus dem sich ein Mitbestimmungsrecht ergebe, daß die Einigungsstelle im Rahmen des Einigungsstellenverfahrens ausüben könne.

7

Das Arbeitsgericht Braunschweig hat mit Beschluß vom 17. April 1985 den Antrag zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie dessen rechtlicher Wertung durch das Arbeitsgericht wird auf den angefochtenen Beschluß Bezug genommen.

8

Gegen den dem Antragsteller am 07. Mai 1985 zugestellten Beschluß hat er am 20. Mai 1985 Beschwerde eingelegt und diese am 03. Juni 1985 begründet.

9

Der Antragsteller ist der Auffassung, daß ihm gemäß § 87 Abs. 1, Ziffer 10 und 11 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht an der geleisteten Einmalzahlung zustehe, da die Antragsgegnerin eine kollektive Lohngestaltung durchgeführt habe. Eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle sei nicht zu erkennen. Da nach dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 13. Juli 1984 die Zahlungen als Belohnung für die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer trotz des Arbeitskampf es gedacht gewesen seien, honorierten sie eine bestimmte von den Arbeitnehmern erbrachte Leistung und seien somit als Entgelt anzusehen, wobei es weder auf die Bezeichnung der Zahlungen als Geschenk noch auf die Freiwilligkeit der Zahlungen für die Frage, ob ein Mitbestimmungsrecht vorliege, ankomme. Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschwerdevorbringens des Antragstellers wird auf dessen Schriftsätze vom 03. Juni 1985 und 01. August 1985 Bezug genommen.

10

Der Antragsteller beantragt:

Unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 17.04.1985 - 3 BV 73/84 - als Vorsitzenden der Einigungsstelle zwischen den Beteiligten wegen der von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 13.07.1984 zugesagten "Einmal-Zahlung" den Richter am Landesarbeitsgericht Hannover, Herrn ..., zu bestellen und die Zahl der beiderseitigen Beisitzer auf je 3 festzulegen.

11

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

12

Sie verteidigt den angefochtenen Beschluß. Wegen der Einzelheiten des Beschwerdevorbringens der Antragsgegnerin wird auf deren Schriftsatz vom 01. Juli 1985 Bezug genommen.

13

II.

Die statthafte, sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig.

14

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

15

Aus dem vom Antragsteller vorgetragenen Sachverhalt ergibt sich ohne weiteres, daß kein Raum für eine verbindliche Regelung durch den Spruch der Einigungsstelle besteht. Die Einigungsstelle ist deshalb gemäß § 98 Abs. 1 ArbGG offensichtlich unzuständig.

16

Zu unterscheiden ist, ob ein zwingendes oder freiwilliges Einigungsstellenverfahren angestrebt werden soll. Zwingend ist das Einigungsstellenverfahren nur in den vom Gesetz näher aufgeführten Fällen (Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Auflage § 76 Rz. 6, sowie Rz. 57 mit der Liste der gesetzlich geregelten Fälle zwingender Mitbestimmung). Ist die Entscheidung der Einigungsstelle nicht verbindlich, kann sie nur tätig werden, wenn beide Seiten es beantragen; das Einverständnis kann jederzeit widerrufen werden (Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Auflage § 76 Rz. 24; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Auflage § 76 Rz. 27).

17

Aus der genannten Kompetenzregelung ergibt sich, daß die Bildung der Einigungsstelle nur in Fällen erzwingbarer Mitbestimmung durchsetzbar ist und die Einigungsstelle sich auf die Regelung der Sachverhalte beschränken muß, für die ihr kraft Gesetzes die Kompetenz zugewiesen ist. Da die Einigungsstelle sich nicht auf die Entscheidung von Rechtsfragen beschränken darf (vgl. näher Galperin/Löwisch a.a.O. Rz. 11), kann Gegenstand des Einigungsstellenverfahrens im konkreten Fall nicht allein - also losgelöst von einer bestimmten Sachverhaltsregelung - die Klärung der zwischen den Parteien streitigen Rechtsfrage sein, ob Arbeitnehmer, die am Streik beteiligt waren, von der Zahlung einer Zuwendung ausgeschlossen werden dürften, die den nicht am Streik beteiligten Arbeitnehmern gezahlt wurde.

18

Als Sachverhalte, über die eine Regelung denkbar wäre, um den aus der Sicht des Antragstellers unrechtmäßigen Zustand zu beseitigen, der dadurch entstanden ist, daß Geldbeträge allein an solche Arbeitnehmer gezahlt worden sind, die nicht gestreikt haben, kämen lediglich in Betracht:

  1. 1)

    Zahlung entsprechender Beträge an die Arbeitnehmer, die wegen Streikteilnahme keine Zahlungen erhielten oder

  2. 2)

    gleichmäßige Umlegung der tatsächlich gezahlten Beträge auf sämtliche Arbeitnehmer.

19

Beide Möglichkeiten unterliegen jedoch nicht der Kompetenz der Einigungsstelle im Verfahren der erzwingbaren Mitbestimmung:

20

Zu 1)

21

Die Zahlung entsprechender Beträge an Arbeitnehmer, die bisher nicht mit Geldleistungen bedacht worden sind, scheidet aus, weil im Rahmen der erzwingbaren Mitbestimmung nicht über die Höhe der vom Arbeitgeber zur Verfügung zu stellenden Geldmittel mitentschieden werden kann, Hiervon geht zutreffend auch der Antragsteller aus. Eine Zuständigkeit der Einigungsstelle scheidet daher insoweit aus.

22

Zu 2)

23

Die gleichmäßige Umlegung der tatsächlich an einzelne Arbeitnehmer gezahlten Beträge auf sämtliche Arbeitnehmer scheidet schon deshalb aus, weil durch den Spruch der Einigungsstelle nicht über den Verbleib von Geldbeträgen, die einzelnen Arbeitnehmern bereits zugeflossen sind, entschieden werden kann. Denn für eine entsprechende Regelungskompetenz findet sich keine gesetzliche Grundlage.

24

Andere Regelungsmöglichkeiten sind nicht erkennbar und konnten dem Beschwerdegericht in der mündlichen Anhörung trotz ausdrücklichen Befragens nicht genannt werden, so daß die Einigungsstelle gemäß § 98 Abs. 1 ArbGG offensichtlich unzuständig ist.