Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 18.02.2004, Az.: 1 A 681/03
Heranziehung des Enkels zu Bestattungskosten der Großmutter; Bestattung als Durchführung einer Ersatzvornahme; Keine Kongruenz der zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Bestattungspflicht; Unbilligkeit bei Fehlen persönlicher Beziehungen zur Verstorbenen
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 18.02.2004
- Aktenzeichen
- 1 A 681/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 11472
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2004:0218.1A681.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 66 Abs. 1 S. 1 NGefAG
- § 64 Abs. 2 Nr. 1 NGefAG
- § 6 Abs. 1 SOG
- Art. 3 Abs. 1 GG
Fundstellen
- JWO-FamR 2004, 117
- NdsVBl 2005, 81-83
- ZfF 2005, 133-135
Verfahrensgegenstand
Bestattungskosten
Prozessgegner
Gemeinde Scheeßel,
vertreten durch die Bürgermeisterin,Untervogtplatz 1, 27383 Scheeßel
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Zwar hat das Land Niedersachsen den Kreis der Bestattungspflichtigen nicht gesetzlich geregelt, doch sind die nahen Angehörigen eines Verstorbenen gewohnheitsrechtlich dazu verpflichtet, für dessen Bestattung zu sorgen, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese zu den Erben der Verstorbenen gehören, die nach § 1968 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Kosten der standesgemäßen Beerdigung zu tragen haben, da die zivilrechtlichen Vorschriften über die Kostentragungspflicht keine rechtliche Vorgabe für den Kreis der nach öffentlichem Recht Bestattungspflichtigen enthalten.
- 2.
Die öffentlich-rechtliche Pflicht naher Angehöriger, für die Bestattung eines Verstorbenen zu sorgen, besteht vorrangig aus Gründen der Gefahrenabwehr, so dass sie allenfalls in Ausnahmefällen entfallen kann, nicht aber schon deshalb, weil es an einer persönlichen Beziehung zum Verstorbenen fehlt.
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Stade - 1. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Februar 2004
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Schmidt,
den Richter am Verwaltungsgericht Lassalle,
den Richter am Verwaltungsgericht Klinge sowie
die ehrenamtlichen Richter Frau D.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu den Bestattungskosten seiner Großmutter.
Die Großmutter des Klägers ist am 09. Januar 2002 94-jährig in dem Gebiet der Beklagten verstorben, wo sie in einem Altenheim gelebt hatte. Am 11. Januar 2002 wandte sich der Bestattungsunternehmer an die Beklagte, weil der Kläger erklärt hatte, er werde nicht für die Bestattung sorgen und auch keinerlei Kosten übernehmen. Auf Nachfrage der Beklagten bestätigte der Kläger diese Äußerung. Die Beklagte sorgte daher im Rahmen der Gefahrenabwehr selbst für die Bestattung. Dabei entstanden 562,40 EUR Kosten, die von der Friedhofsverwaltung in Rechnung gestellt wurden. Das Bestattungsinstitut stellte 1.428,47 EUR in Rechnung. Die Beklagte bemühte sich sodann um Einnahmen. Die Betreuerin der Verstorbenen stellte ein Sparbach, das bei der Kreissparkasse Harburg geführt worden war, zur Verfügung. Auf einen von der Beklagten gestellten Beihilfeantrag hin wurden 665,-- EUR gewährt. Insgesamt gingen bei der Beklagten 1.190,46 EUR ein. Diesen Einnahmen standen Ausgaben in Höhe von 1.990,87 EUR gegenüber.
Mit Bescheid vom 07. Mai 2002 wandte sich die Beklagte an den Kläger, als den seinerzeit allein bekannten Enkelsohn der Verstorbenen mit der Aufforderung, die ungedeckten Kosten in Höhe von 800,41 EUR zu tragen. Der Kläger sei als nächster Verwandter verpflichtet gewesen, für die Bestattung der Verstorbenen zu sorgen. Die Beklagte habe dies im Rahmen der Gefahrenabwehr für ihn erledigt, sodass dieser nunmehr die Kosten zu tragen habe. Mit Bescheid vom 21. Mai 2002 setzte die Beklagte die Gebühren für die Amtshandlung auf insgesamt 55,60 EUR fest.
Am 10. Juni 2002 legte der Kläger durch Schreiben seines Prozessbevollmächtigten Widerspruch gegen die ergangenen Bescheide ein. Er sei zur Übernahme der Bestattungskosten nicht verpflichtet, weil er seit über 20 Jahren keinerlei Kontakte zu seiner Großmutter gehabt habe. Er wisse auch nicht, wer der Verstorbenen möglicherweise näher gestanden hat und daher vorrangig verpflichtet gewesen wäre, für die Bestattung zu sorgen.
Durch Bescheid vom 31. März 2003 wies der Landkreis Rotenburg den Widerspruch gegen die ergangenen Bescheide zurück. Die Ersatzvornahme sei dringend geboten gewesen, weil die Bestattung im Rahmen der gesetzlichen Frist habe erfolgen müssen. Andere Verpflichtete seien nicht erreichbar gewesen. Der Kläger könne sich gegen seine Verpflichtung nicht damit wenden, er habe keinen Kontakt zu der Verstorbenen gehabt. Insoweit wird auf Urteile des Verwaltungsgerichts Hannover verwiesen, die allerdings das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern betreffen. Andere Bezugspersonen habe die Verstorbene nicht gehabt. Sie habe in dem Seniorenheim vielmehr für sich allein gelebt.
Der Kläger hat am 02. Mai 2003 Klage erhoben. Er sei als Enkel nicht verpflichtet, für die Bestattung Sorge zu tragen. Unterhaltsrechtlich bestehe zwischen Enkeln und Großeltern keine Unterhaltsverpflichtung. Aus moralischen bzw. Gründen der Pietät könnte sich eine derartige Verpflichtung ebenfalls nicht ergeben, weil dies weder rechtlich geregelt noch im vorliegenden Fall, in dem keinerlei Beziehungen bestanden hätten, gewohnheitsrechtlich geboten sei. Darüber hinaus habe die Beklagte nicht hinreichend geprüft, ob weitere eigene Mittel zur Verfügung stehen. Außerdem hinaus gebe es weitere Enkel der Verstorbenen in Hamburg, in Rotenburg und in Tostedt.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide der Beklagten vom 07. und 21. Mai 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2003 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt die ergangenen Bescheide. Weiteres Vermögen der Verstorbenen habe es nicht gegeben. Die Enkelkinder seien gewohnheitsrechtlich zur Bestattung ihrer Großeltern verpflichtet. Dies ergebe sich schon daraus, dass dies in den anderen Bundesländern durch Verordnungen geregelt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und des Landkreises Rotenburg Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Bescheid, mit dem der Kläger zur Übernahme der Bestattungskosten herangezogen wird, beruht auf § 66 Abs. 1 S. 1 des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes i.d.F. vom 20.02.1998 - NGefAG - (Nds. GVBl. S. 101, jetzt wieder Niedersächsisches Gesetz über die Öffentliche Sicherheit und Ordnung - Nds. SOG -, zuletzt geändert am 11. Dezember 2003, Nds. GVBl. S. 414). Danach kann die Verwaltungsbehörde auf Kosten der betroffenen Personen eine Handlung selbst ausführen oder eine andere Person mit der Ausführung beauftragen, wenn eine Verpflichtung, eine Handlung vorzunehmen, deren Vornahme durch eine andere Person möglich ist (vertretbare Handlung), nicht erfüllt wird. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift lagen hier vor.
Die Beklagte hat die Ersatzvornahme ordnungsgemäß durchgeführt. Zwar ist gemäß § 64 Abs. 1 SOG in der Regel vor der Durchführung einer Ersatzvornahme der Erlass eines Verwaltungsaktes, mit dem Vornahme der vertretbaren Handlung unanfechtbar oder sofort vollziehbar aufgegeben wird, nötig. Hiervon kann jedoch gem. § 64 Abs. 2 Nr. 1 NGefAG abgesehen werden, wenn die Ersatzvornahme zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr, insbesondere weil Maßnahmen gegen Personen nach §§ 6 bis 8 SOG nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen, erforderlich ist. Dies war bei der Bestattung der Großmutter des Klägers der Fall.
Zum Zeitpunkt der Ersatzvornahme durch die Beklagte lag eine gegenwärtige Gefahr vor. Gem. § 2 Abs. 1 der Verordnung über die Bestattung von Leichen vom 29.10.1964 (Nds. GVBl. S. 183) muss jede Leiche innerhalb von 96 Stunden seit dem Eintritt des Todes bestattet oder zur Bestattung auf den Weg gebracht sein. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine verpflichtende Gebotsnorm, deren Nichteinhaltung bei Durchführung der Ersatzvornahme, d.h. bei der Bestattung der Verstorbenen unmittelbar bevorstand. Der zu diesem Zeitpunkt allein bekannte Verwandte der Verstorbenen, der Kläger, hatte unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er nicht bereit sei, sich um die Bestattung der Verstorbenen zu kümmern. Eine erneute Aufforderung der Beklagten an den Kläger, für die Bestattung seiner Großmutter zu sorgen, versprach insoweit zweifellos keinen Erfolg. Die Beklagte konnte daher die Ersatzvornahme einleiten, auch ohne diese zuvor gegenüber dem Kläger anzudrohen (§ 70 Abs. 1 SOG).
Der Kläger war entgegen seiner Auffassung auch zur Bestattung seiner Großmutter verpflichtet. Die Beklagte hätte den Kläger zur Bestattung auffordern können. Gem. § 6 Abs. 1 SOG sind die Maßnahmen gegen die Personen zu richten, die die Gefahr verursacht haben. Vorliegend war dies der Kläger, der zur Bestattung seiner Großmutter verpflichtet war. Dadurch, dass er die Veranlassung der Bestattung unterließ, verstieß er gegen § 2 Abs. 1 der Verordnung über die Bestattung von Leichen.
Eine Verpflichtung des Klägers ergibt sich zwar nicht aus der Verordnung zur Bestattung von Leichen oder einer gesetzlichen Bestimmung, weil Niedersachsen im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern (vgl. die Nachweise im Urteil des OVG Münster vom 15. Oktober 2001 - 19 A 571/00 -, zitiert nach Juris) den Kreis der Bestattungspflichtigen nicht gesetzlich geregelt hat. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat jedoch bereits mehrfach entschieden, dass die nahen Angehörigen eines Verstorbenen gewohnheitsrechtlich dazu verpflichtet sind, für dessen Bestattung zu sorgen (OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.05.2003 - 8 ME 76/03 -; Beschluss vom 09.12.2002 - 8 LA 158/02 -; Beschl. v. 09.07.2002 - 8 PA 94/02 -; Gaedke, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 8. Aufl. S. 116 ff). Im Zeitpunkt des Todes der Großmutter des Klägers war dieser als Enkel der Verstorbenen der nächste Angehörige und daher zur Bestattung seiner Großmutter verpflichtet. Bei dieser Entscheidung kommt es, wie das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ausdrücklich klargestellt hat, nicht darauf an, ob der Kläger zu den Erben der Verstorbenen gehörte, die nach § 1968 BGB die Kosten der standesgemäßen Beerdigung zu tragen haben. Die zivilrechtlichen Vorschriften über die Kostentragungspflicht enthalten keine rechtliche Vorgabe für den Kreis der nach öffentlichem Recht Bestattungspflichtigen (BVerwG, Beschl. v. 19.08.1994, NVWZ RR 1995 S. 283; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 05.12.1996, NJW 1996 S. 3113). Diese Bestimmungen hindern die Ordnungsbehörde auch nicht daran, von dem Bestattungspflichtigen, der seiner Bestattungspflicht nicht nachgekommen ist, den Ersatz der Aufwendungen zu verlangen, die durch die Ersatzvornahme entstanden sind, und zwar unbeschadet eines etwaigen Erstattungsanspruchs des Bestattungspflichtigen gegen den zivilrechtlich zur Kostentragung Verpflichteten. Das Niedersächsische OVG hat daher in den Kreis der nahen Angehörigen, die aus dem gewohnheitsrechtlichen Institut der Totenfürsorge berechtigt und verpflichtet sind, nicht nur die Kinder und Ehegatten, sondern auch die Eltern und Geschwister der Verstorbenen mit einbezogen Zu diesem Kreis der nahen Angehörigen, von deren Erstattungspflicht letztlich auch die Verordnung über die Bestattung von Leichen ausgeht, sind danach auch die Enkel einzubeziehen. Das aus Art. 2 Abs. 1 GG folgende subjektiv-öffentliche Recht der Totenfürsorge, das Ausfluss bzw. Nachwirkung des familienrechtlichen Verhältnisses ist, das den Verstorbenen zu Lebzeiten mit den überlebenden Familienangehörigen verbunden hat und über den Tod hinaus fortdauert, entspricht auch der tradierten Anschauung des ganz überwiegenden Teils der Bevölkerung (vgl. Gaedke, a.a.O., S. 116 f., OVG Münster, Beschl. v. 15.10.2001, 19 A 571/00, zitiert nach Juris, S. 4 f., insbesondere S. 6 m.w.N.).
Die Einbeziehung des Klägers in den Kreis der Bestattungspflichtigen stößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist nicht systemwidrig. Vielmehr sind die Enkelkinder mit ihren Großeltern in gerader Linie verwandt und daher selbst in unterhaltsrechtlichem Sinne (vgl. § 1601, 1606 BGB) eher zu berücksichtigen, als Geschwister, die nach der Rechsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in den Kreis der Verpflichteten einbezogen wurden. Dass eine Heranziehung z.B. für sozialhilferechtliche Aufwendungen nicht erfolgt, ist für den vorliegenden Zusammenhang unerheblich. Insoweit ergibt sich keine rechtliche Vorgabe für den Kreis der nach öffentlichem Recht Bestattungspflichtigen.
Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg einwenden, dass seine Heranziehung zu den Bestattungskosten deshalb unbillig wäre, weil er seit längerem keine persönlichen Beziehungen zu der Verstorbenen mehr unterhalten hat. Die öffentlich-rechtliche Pflicht für die Bestattung eines Verstorbenen zu sorgen, besteht vorrangig aus Gründen der Gefahrenabwehr. Die Ordnungsbehörden sind gezwungen, die Bestattung durchführen zu lassen, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Gesundheitsgefahren abzuwenden. Daher kann die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht eines nahen Angehörigen des Verstorbenen allenfalls in Ausnahmefällen entfallen. Ein solcher Grund liegt hier nicht vor, weil es dem Kläger als Enkel der Verstorbenen nicht unzumutbar ist, für deren Bestattung zu sorgen.
Der Kläger kann sich gegen seine Heranziehung auch nicht mit dem Argument wenden, dass es neben ihm weitere Enkelkinder gibt, die ebenfalls herangezogen werden müssten. Ausweislich der Akte war der Beklagten kein anderes Enkelkind bekannt, als sie von dem Tod der Großmutter erfahren und als er die Bestattung veranlasst hat. Der Kläger hat seinerzeit auch keinerlei derartige Hinweise gegeben. Im Hinblick darauf, dass seine Heranziehung unbeschadet der zivilrechtlichen Ansprüche aus Gründen der Gefahrenabwehr erfolgt, muss er sich insoweit darauf verweisen lassen, dass er selbst entsprechende Ausgleichsansprüche im Rahmen des Gesamtschuldverhältnisses gegenüber den anderen Enkelkindern geltend machen muss.
Die Klage hat danach insgesamt keinen Erfolg und war mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 800,41 Euro festgesetzt.
Lassalle, Richter am Verwaltungsgericht
Klinge, Richter am Verwaltungsgericht