Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 23.02.2004, Az.: 2 B 163/04

Vorliegen von Abschiebungsgründen; Psychische Erkrankung als Abschiebegrund; Anordnung der aufschiebenden Wirkung bei einer angesetzten Abschiebung; Grundvoraussetzung für die Brauchbarkeit einer ärztlichen Begutachtung in einem Abschiebungsverfahren; Anorderungen an eine Konstanzanalyse

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
23.02.2004
Aktenzeichen
2 B 163/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 10618
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2004:0223.2B163.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
NULL

Verfahrensgegenstand

Asylfolgeantrag

Prozessführer

Frau A.,
Staatsangehörigkeit: Serbien und Montenegro

Proz.-Bev.: Rechtsanwälte B.

Prozessgegner

Bundesrepublik Deutschland,
vertreten durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
- Außenstelle Oldenburg -,
Klostermark 70-80,
26135 Oldenburg

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Grundvoraussetzung für die Brauchbarkeit einer ärztlichen Begutachtung, ist neben der fachlichen Kompetenz des Arztes, ein detailliertes Gutachten in dem nachvollziehbare Aussagen über Ursachen und Wirkungen einer psychischen Erkrankung sowie diagnostische Feststellungen zum weiteren Verlauf der Behandlung enthält. Dabei muss das Gutachten sowohl im methodischen Vorgehen als auch in der Darstellung transparent und nachvollziehbar sein.

  2. 2.

    Im Rahmen einer Konstanzanalyse innerhalb eines Abschiebungsverfahrens muss verglichen werden, welche Aussagen ein Patient zu verschiedenen Zeitpunkten zu demselben Sachverhalt gemacht hat.

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Stade - 2. Kammer - am 23. Februar 2004
durch
den Einzelrichter
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Gründe

1

I.

Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 26. Januar 2004 (2 A 162/04) gegen den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 8. Januar 2004 anzuordnen, hat keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid erweist sich als rechtmäßig, so dass das Interesse der Antragstellerin an einem Aufschub der Vollziehung bis zur Rechtskraft einer Entscheidung in der Hauptsache gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung zurücktreten muss.

2

Die Antragstellerin ist bereits im Jahre 1992 zusammen mit ihrem Ehemann in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hat hier einen Asylantrag gestellt. In der seinerzeitigen Anhörung durch das Bundesamt am 19. Mai 1992 haben sich die Antragstellerin und ihr Ehemann zur Begründung ihres Asylantrages allein auf Auseinandersetzungen des Ehemannes mit der serbischen Polizei. Bei diesen Auseinandersetzungen, bei denen es zwar zu Handgreiflichkeiten gekommen sein mag, bei denen der Ehemann der Antragstellerin indes nicht verletzt wurde, war die Antragstellerin nicht anwesend. Sie selbst hat sich allein auf die Schilderungen ihres Ehemannes berufen und keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

3

Nach Erfolglosigkeit dieses Asylverfahrens stellte die Antragstellerin im Jahre 1999 nach dem Bekanntwerden der Massenvertreibungen von Albanern im Kosovo erneut einen Asylantrag, zu dessen Begründung sie sich zum einen auf die Zerstörung ihres Hauses und fehlende Rückkehrmöglichkeiten berief. Außerdem seien auch Familienangehörige getötet worden. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Antragstellerin in der Bundesrepublik Deutschland und hat lediglich über Dritte, u.a. wohl in erster Linie aus den Medien, über die Ereignisse im Kosovo erfahren. Auch dieses Asylverfahren blieb erfolglos.

4

Mit Schriftsatz vom 23. November 2003 stellte die Antragstellerin erneut einen Asylantrag und beruft sich nunmehr auf eine psychische Erkrankung auf Grund traumatisierender Erlebnisse. Hierzu hat sie ärztliche Bescheinigungen des Nervenarztes C., sowie eine Bescheinigung des D. über einen vorübergehenden stationären Krankenhausaufenthalt vorgelegt. Den Asylfolgeantrag lehnte das Bundesamt mit dem o. g. Bescheid ab und verneinte auch Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG.

5

Die Antragstellerin beruft sich zur Begründung von Klage und Eilrechtsschutzantrag auf Abschiebungsschutz gemäß § 53 Abs.6 AuslG wegen einer angeblich im Kosovo bzw. in Serbien und Montenegro nicht behandelbaren psychischen Erkrankung. Mit Attest vom 27. Januar 2004 hat der behandelnde Arzt C., bescheinigt, dass sich die Klägerin seit Juni 2002 in seiner regelmäßigen nervenärztlichen Behandlung befinde und sich der Zustand der Patientin wegen der drohenden Abschiebung verschlechtert habe. Mit Attest vom 26. Januar 2004 bestätigte auch E., dass sich die Antragstellerin seit Frühjahr 2002 in ihrer Behandlung wegen einer therapieresistenten Depression befinde. in einem nach Anfrage des Gerichts vorgelegten weiteren Attest vom 13.04.2004 (gemeint wohl der 13.02.2004) bestätigt F. nunmehr, dass die Antragstellerin wegen der in der Heimat unmittelbar oder mittelbar erlebten Ereignisse "nach Art einer posttraumatischen Belastungsstörung" leide. Es gebe wegen der Sprachproblematik Probleme bei der Behandlung. Bei der Therapie werde die Antragstellerin von Verwandten begleitet.

6

II.

Dieses Vorbringen rechtfertigt auch unter Berücksichtigung der vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage nicht, weil hierdurch die Verneinung von Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt nicht mit der für das Gericht notwendigen Substantiiertheit widerlegt wird.

7

Die ärztlichen Bescheinigungen sind im Hinblick darauf, dass sie die Kausalität zwischen traumatisierenden Erlebnissen der Antragstellerin im Kosovo und der jetzt angeblich bestehenden psychischen Erkrankung belegen sollen, ohne Aussagekraft.

8

Grundvoraussetzung für die Brauchbarkeit einer ärztlichen Begutachtung ist neben der fachlichen Kompetenz des Arztes, ein detailliertes Gutachten in dem anhand der Kriterien des ICD-10 nachvollziehbare Aussagen über Ursachen und Wirkungen der PTBS sowie diagnostische Feststellungen zum weiteren verlauf der Behandlung enthält. dabei muss das gutachten sowohl im methodischen Vorgehen als auch in der Darstellung transparent und nachvollziehbar sein. Mitentscheidend für die Brauchbarkeit eines Gutachtens mit der Diagnose eines psychischen Krankheitsbildes ist hierbei, dass bei Interpretationen und Schlussfolgerungen aus den erhobenen Informationen angegeben wird, auf welche Befundtatsachen sich diese stützen. Wesentlicher Bestandteil der Begutachtung ist dann die inhaltliche Analyse der vom Facharzt selbst erhobenen Aussage in Bezug auf das Vorliegen und den Ausprägungsgrad von Glaubhaftigkeitsmerkmalen. Im Rahmen einer Konstanzanalyse muss vergleichen werden, welche Aussagen ein Patient zu verschiedenen Zeitpunkten zu demselben Sachverhalt gemacht hat (vgl VG Sigmaringen, Urt. v. 08.10.2003 - A 7 K 12635/02 - Asylmagazin 1-2, 2004, S. 38).

9

Im vorliegenden Fall beschränken sich die ärztlichen Aussagen auf die unreflektierte Wiedergabe der Schilderungen der Antragstellerin über angebliche Erlebnisse im Kosovo. Die Gutachten setzen sich auch nicht ansatzweise mit Fragen der Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Antragstellerin auseinander, die seit 1992 im Bundesgebiet lebt, nach eigenem Bekunden seinerzeit unverfolgt eingereist ist und insbesondere die "Kriegswirren" des Jahres 1999 nicht selbst erlebt haben kann. Die Angaben in den Gutachten zu den konkreten persönlichen Erlebnissen der Antragstellerin sind völlig nebulös. Einzelheiten werden nicht erwähnt. Im vorliegenden Fall hätte indes erhebliche Veranlassung bestanden, den Ursachen der angeblichen Erkrankung genauer nachzugehen, denn selbst wenn man in Rechnung stellt, dass die Erkrankung dadurch gekennzeichnet ist, dass sich die Störung charakteristischerweise nicht sofort nach dem traumatischen Erlebnis, wie dies bei einer akuten Belastungsreaktion oder einer Anpassungsstörung der Fall ist, sondern erst Wochen bis Monate später, doch selten später als 6 Monate nach dem Trauma entwickelt (vgl. Symptomatik der posttraumatischen Belastungsstörung - www.panikattacken.at), ist hier doch auffällig, dass die Erkrankung erst 10 Jahre nach den angeblichen Ereignissen aufgetreten sein soll. Es fehlt auch jede Auseinandersetzung zur Frage, ob und wie sich die Tatsache, dass die Antragstellerin von dem angeblichen Tod ihrer Familienangehörigen nur über Dritte erfahren haben kann, auf das Krankheitsbild auswirkt.

10

Bei der Erforschung des Umfeldes im Rahmen der Anamnese hätte darüber hinaus auch Veranlassung bestanden, dem Phänomen nachzugehen, dass die Antragstellerin und ihr Ehemann in dem ersten Asylfolgeverfahren, d. h. im Jahre 1999, 7 Jahre nach der Ausreise, über die Zerstörung ihres Hauses und den angeblichen Tod von Verwandten freimütig berichteten, dann aber gleichwohl in der mündlichen Verhandlung vom 30. Oktober 2000, der Ehemann der Antragstellerin war persönlich anwesend, die Klage zurücknahmen (2 A 1747/99). Zu diesem Zeitpunkt war von einer psychischen Erkrankung der Antragstellerin nicht die Rede. Warum dieselben Ereignisse dann wiederum zwei Jahre später eine Erkrankung auslösen können, wird nicht erläutert.

11

Weiterer Aufklärungsbedarf hätte aber auch deshalb bestanden, weil das hier beschriebene Krankheitsbild ungefähr seit Beginn der Aufnahme von Abschiebungen in den Kosovo, d. h. seit ca. 2 Jahren, nahezu flächendeckend in allen Asylverfahren geltend gemacht wird. Die ärztliche Begutachtung hätte deshalb auch näher differenzieren müssen, ob die Symptome nicht auch lediglich auf - verständlichen, aber im Rahmen des § 53 Abs. 6 AuslG unbeachtlichen - Befürchtungen wegen der bevorstehenden Abschiebung beruhen können.

12

Widersprüchlich und nicht nachvollziehbar in dem oben genannten Sinne sind schließlich auch die Angaben zur Therapiefähigkeit der Erkrankung. Während der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin zunächst vorgetragen hatte, die Krankheit könne in Serbien und Montenegro nicht behandelt werden, weil es keine albanisch sprechenden Fachärzte gebe und die Antragstellerin keine andere Sprache spreche, wird auf Nachfrage des Gerichts nunmehr mitgeteilt, dass die Behandlung in Deutschland unter Mithilfe von Familienangehörigen stattfinde, weil die Antragstellerin auch nur schlecht deutsch spreche. Die ärztlichen Stellungnahmen äußern sich nicht zu der Frage, ob eine Behandlung überhaupt über einen Sprachmittler möglich ist. Ausgeschlossen wird ein Erfolg indes nicht. Wenn demnach ein Sprachmittler den Behandlungserfolg nicht in Frage stellt, dürfte eine Behandlung auch in Serbien mit diesem Hilfsmittel möglich sein. Ist andererseits eine Behandlung in einer Fremdsprache generell nicht erfolgversprechend, könnte sie auch in Deutschland nicht erfolgreich verlaufen. Im Rahmen der hier nach § 53 Abs. 6 AuslG anzustellenden Prognose ist daher zu fragen, ob eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes gegenüber dem Zustand hier überhaupt eintreten würde.

13

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Klinge, Einzelrichter