Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 13.05.2008, Az.: 1 U 68/07

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
13.05.2008
Aktenzeichen
1 U 68/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 55049
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 23.05.2007 - AZ: 2 O 59/03
nachfolgend
BGH - 09.06.2009 - AZ: VI ZR 138/08

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 23. Mai 2007 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger Schadensersatz - und zwar Schmerzensgeld mit einer Begehrensvorstellung von 25.000,- € sowie Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden -

im Zusammenhang mit der Implantation einer Hüftendoprothese aus Keramik am 11. Oktober 1999 und einem Hüftprothesenwechsel mit Einsatz eines Chrom-Kobalt-Kopfes am 3. August 2001 jeweils im AKH C, dessen Trägerin die Beklagte zu 1 ist, unter der Leitung des Beklagten zu 2. Die mit der Klagschrift ebenfalls geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz eines Haushaltsführungsschadens und der ihm entstandenen Fahrtkosten verfolgt der Kläger in der Berufungsinstanz nicht mehr.

Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO (Bl. 585 - 592 d. A.).

Das Landgericht hat nach Einholung eines orthopädisch-chirurgischen Gutachtens von Prof. Dr. S (Bl. 158ff d. A.) und eines toxikologisch-pharmakologischen Gutachtens von Prof. Dr. E (Bl. 379ff d. A.) sowie nach mündlicher Erläuterung der Gutachten durch beide Sachverständige (Bl. 290 ff. d. A., Bl. 534 ff. d. A.)  der Klage in dem angefochtenen Urteil vom 23. Mai 2007 stattgegeben, soweit der Kläger Zahlung eines Schmerzensgeldes und Feststellung beantragt hat. Zur Begründung hat es ausgeführt, in der Gesamtschau liege ein grober Behandlungsfehler des Beklagten zu 2 darin, dass er es - spätestens - am 20. Dezember 2001 versäumt habe, ein Konsil unter Hinzuziehung eines Internisten bzw. eines Toxikologen einzuberufen.

Wegen weiterer Einzelheiten zu den landgerichtlichen Entscheidungsgründen wird ebenfalls gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (Bl. 585 - 592 d. A.).

Mit ihrer Berufung machen die Beklagten geltend, dass dem Beklagten zu 2 nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme schon kein Behandlungsfehler, geschweige denn ein grober Behandlungsfehler vorgeworfen werden könne. Die fünf Einzelschritte, die das Landgericht auf dem Weg zur Annahme eines groben Behandlungsfehlers gegangen sei, seien willkürlich und falsch. So führe schon nicht jeder Austausch eines Keramikkopfes zum Abrieb bei einem nachfolgend ersatzweise eingesetzten Metallkopf, ebenso wenig zwingend sei der Rückschluss von einem Abrieb auf eine Metallintoxikation, die im Übrigen von einer Metallose zu unterscheiden sei. Vor allem sei chirurgischer Facharztstandard im Dezember 2001 nicht die Kenntnis vom Risiko einer Metallvergiftung aufgrund von Metallabrieb gewesen. Das Landgericht stütze seine gegenteilige Auffassung auf die Angaben des Sachverständigen E, übersehe aber, dass sowohl der Sachverständige S als auch der Privatgutachter P eine Verletzung von Standards in diesem Punkte gerade verneinen würden. Dementsprechend habe auch der den Kläger im Januar 2002 behandelnde Kardiologe nicht den Verdacht einer Metallvergiftung gehegt. Stattdessen setze das Landgericht verfahrensfehlerhaft auf eigene Sachkunde, lasse die Ausführungen des chirurgischen Privatgutachters Prof. Dr. P völlig unberücksichtigt und übergehe in einem Zirkelschluss den Umstand, dass der hier maßgebende chirurgische Sachverständige Prof. Dr. S in keinem der fünf Einzelschritte, geschweige denn in einer Gesamtschau, einen Behandlungsfehler des Beklagten erblicken könne.

Im Übrigen bestreiten die Beklagten die Kausalität des vom Landgericht festgestellten Behandlungsfehlers für die vom Kläger geltend gemachten Beschwerden und wenden sich gegen die Bemessung des Schmerzensgeldes.

Die Beklagten beantragen (Bl. 607, 617),

das angefochtene Urteil des Landgerichts teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen,

hilfsweise das angefochtene Urteil sowie das Verfahren aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt (Bl. 660),

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt er das angefochtene Urteil, indem er die vom Landgericht zugunsten des Klägers angenommenen Beweiserleichterungen zur Frage der Kausalität aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den sog. Befunderhebungsfehlern herleitet, und zwar selbst dann, wenn man die Ausführungen des chirurgischen Sachverständigen S zugrunde lege. Dieser habe nämlich in seiner Anhörung vom 28. März 2007 bekräftigt, dass auch ein Chirurg angesichts des nekrotischen Gewebes unter der Operation auf den Verdacht einer Metallose hätte kommen  und ein Konsil mit weiteren Spezialisten hätte einberufen müssen. Ein solches Konsil hätte ohne Umschweife zu dem positiven Befund einer Metallintoxikation und in einem weiteren Schritt zur alsbaldigen Entfernung des metallenen Hüftkopfs geführt, wodurch dem Kläger die erlittenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen erspart geblieben wären.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die vor dem Senat gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Der orthopädisch-chirurgische Sachverständige Prof. Dr. S ist im Verhandlungstermin des Senats vom 14. April 2008 ergänzend angehört worden. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der Verhandlung (Bl. 690ff d. A.) nebst Tonbandabschrift der Erläuterungen des Sachverständigen (Bl. 693ff d. A.) verwiesen.

II.

Die Berufung ist begründet, weil sich ein Behandlungsfehler des Beklagten zu 2, insbesondere auch in der speziellen Form eines Befunderhebungsfehlers, auch nach ergänzender Beweisaufnahme nicht feststellen lässt. Demzufolge entfällt auch eine Haftung der Beklagten zu 1.

1.  Gerichtliche Feststellungen zu Behandlungsfehlern setzen ausreichende Anknüpfungspunkte in parallelen Wertungen des medizinischen Sachverständigen voraus. Auch wenn es insoweit um eine juristische, dem Tatrichter obliegende Beurteilung geht, muss diese doch in vollem Umfang durch die vom ärztlichen Sachverständigen mitgeteilten Fakten getragen werden und sich grundsätzlich auf die medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens durch einen Sachverständigen aus dem betroffenen medizinischen Fachgebiet (BGH, VersR 1987, 1091; OLG Hamm, VersR 2002, 613), stützen können.

Maßgeblich für den Behandlungsfehlervorwurf sind im vorliegenden Fall deshalb allein die Angaben des orthopädisch-chirurgischen Sachverständigen Prof. Dr. S.

Nur für den Fall, dass das Landgericht einen Behandlungsfehler des Beklagten zu 2 auf dieser Grundlage hätte feststellen können, hätte es daran anknüpfend Fragen der Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Beschwerdebild mit Hilfe des toxikologisch-pharmakologischen Sachverständigen Prof. Dr. E klären können und müssen, nicht aber die vorgelagerte Frage einer Verletzung ärztlicher Standards durch den als Chirurgen behandelnden Beklagten zu 2. Insoweit hätte das Landgericht den vom Sachverständigen Prof. Dr. E selbst in seinem Gutachten vom 18. Juli 2006 (Bl. 383 d. A.) geäußerten Vorbehalt, keine ausreichende Expertise für „orthopädische Differentialindikationen und Vorgehensweise“ auf dem vom Beklagten zu 2 betreuten Fachgebiet zu besitzen, würdigen müssen.

b)  Der Senat hegt keine Zweifel an der Sachkompetenz von Prof. Dr. S. Der Sachverständige hat auch für den medizinischen Laien gut nachvollziehbar und widerspruchsfrei die medizinischen Zusammenhänge erläutert, das gesamte Vorbringen der Parteien zum tatsächlichen Anknüpfungspunkt der medizinischen Bewertung gemacht und sich ausnahmslos innerhalb seines Gutachterauftrags bewegt.

2.  Gemessen an den Ausführungen des orthopädisch-chirurgischen Sachverständigen Prof. Dr. S, die von dem chirurgischen Privatgutachter Prof. Dr. P bestätigt und teilweise auch von den Angaben des toxikologisch-pharmakologischen Sachverständigen Prof. Dr. E getragen werden, ist ein Behandlungsfehler des Beklagten zu 2 nicht feststellbar.

a)  Alle medizinischen Sachverständigen und Gutachter stimmen zunächst darin überein, dass der Einsatz eines Hüftkopfes aus Keramik am 11. Oktober 1999 den medizinischen Standards entsprach und nicht als behandlungsfehlerhaft angesehen werden könne (S, Gutachten, S. 27; Protokoll der Anhörung 14.12.2005, S.4f; E, Gutachten S. 5; P, Privatgutachten, S. 8).

b)  Ebenso wenig sind dem Beklagten zu 2 nach den überstimmenden Angaben aller mit der Begutachtung des Falles befassten Mediziner Vorwürfe im Zusammenhang mit der Operation am 3. August 2001 zu machen. Der Austausch des gebrochenen Keramikkopfes durch einen Chrom und Kobalt enthaltenden Metallkopf entsprach Mitte 2001 dem medizinischen Standard, wenn, wie im vorliegenden Fall ebenfalls von den Sachverständigen attestiert, das Operationsgebiet so gründlich wie möglich durch Spülung gereinigt wird (S, Gutachten, S. 28f; E, Gutachten, S. 5; P, Privatgutachten, S. 11f).

c)  Keiner der Sachverständigen und Gutachter hat einen Fehler des Beklagten zu 2 im Zusammenhang mit den Punktionen vom 25. Oktober und vom 4. Dezember 2001 gesehen. Dies gilt nicht nur für die Angaben der beiden mit der Sache befassten Chirurgen (S, Protokoll der Anhörung vom 28.03.2007, S. 2f; P, Privatgutachten, S. 15), sondern auch für den toxikologisch-pharmakologischen Sachverständigen Prof. Dr. E, der seine schriftlichen Ausführungen (Gutachten, S. 6) in seiner Anhörung vom 28.03.2007 (Protokoll, S. 14f) ergänzt und den für die Einstufung als Behandlungsfehler maßgebenden Zeitpunkt einer Säumnis des Beklagten zu 2 letztlich auf den 19. /20. Dezember 2001 datiert hat, nicht aber auf den Zeitraum vor der ersten Revisionsoperation am 14. Dezember 2001.

d)  Ferner ist dem Beklagten zu 2 auch kein Behandlungsfehler im Rahmen der ersten Revisionsoperation am 14. Dezember 2001 unterlaufen. Der Sachverständige Prof. Dr. S hat bereits in seiner ersten Anhörung vom 14. Dezember 2005 (Protokoll, S.5f) dargelegt, dass er genauso wie der Beklagten zu 2 vorgegangen wäre, und hat diese Ansicht in seiner zweiten Anhörung vom 28. März 2007 (Protokoll, S. 4ff) auch auf eindringliches Nachfragen des Gerichts und der Parteien bekräftigt. Gleiches gilt - wie bereits erwähnt - letztlich auch für den Sachverständigen Prof. Dr. E, der sowohl in seinem Gutachten (dort S. 6) als auch in seiner Anhörung vom 28. März 2007 (Protokoll, S. 17) den zeitlichen Anknüpfungspunkt für einen - aus seiner Sicht zu bejahenden - Behandlungsfehler des Beklagten zu 2 mit dem 19./20. Dezember 2001 benennt.

e)  Schließlich vermag der Senat nach der ergänzenden Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. S auch keinen Behandlungsfehler, insbesondere keinen Befunderhebungsfehler, in der versäumten Einberufung eines Konsils im Anschluss an den pathologischen Befundbericht vom 19. Dezember 2001 zu erblicken.

aa)  In der Beurteilung des Behandlungsgeschehens nach Vorliegen des pathologischen Befundberichts vom 19. Dezember 2001 mit dem Verdacht „Metallose“ macht sich der Senat insoweit die Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. S zu Eigen. Dieser hat während seiner eindringlichen Befragung durch den Senat zu diesem Punkt mitgeteilt und mehrfach bekräftigt, dass die beratende Hinzuziehung von Kollegen anderer Fachrichtungen zwar im Nachhinein als wünschenswert angesehen werden könne, dass aber die Entscheidung des Beklagten zu 2, von einem solchen Konsil zur Erörterung des Befundberichts abzusehen, keine Verletzung ärztlicher Behandlungsstandards darstelle.

bb)  Diese Ausführungen des Sachverständigen überzeugen den Senat. Denn es ist unstreitig, dass der vorliegende Fall einer schweren Metallintoxikation einen medizinischen Präzedenzfall (Prof. Dr. P, Gutachten S. 14, Bl. 475 d. A.: Rarität bei der Rarität“) darstellt, dessen schicksalhaft schwere Folgen den Kläger aufgrund der unglücklichen Verkettung mehrerer Umstände (Bruch eines zunächst implantierten Keramikkopfes, verbleibende Keramikbestandteile als Medium des Abriebs, Einsatz eines Chrom-Kobalt enthaltenden Hüftkopfs) getroffen haben. Für den Senat ist gut nachvollziehbar, dass sich für eine solche - in medizinischen Fachkreisen bis dahin weitestgehend unbekannte - Problemlage ein medizinischer Standard (!) für ihre Bewältigung notwendigerweise im Behandlungszeitraum Dezember 2001 gar nicht herausgebildet haben konnte.

Es kommt noch zweierlei hinzu: Zum einen konnte der Beklagte zu 2 am 19. Dezember 2001 nach Vorlage des pathologischen Befundberichts davon ausgehen, zur therapeutischen Behandlung der Metallose, also eines durch Metallimplantate veränderten, schwärzlich-verfärbten Gewebes, mit der Entfernung der Pseudobursa anlässlich der Operation am 14. Dezember 2001 alles Erforderliche getan zu haben. Zum anderen hat der Sachverständige Prof. Dr. S dem Beklagten zu 2 bescheinigt, dass er mit der späteren Einschaltung der kardiologischen und neurologischen Abteilung des AKH C auch in den folgenden Wochen bis zur zweiten Revisionsoperation am 15. Februar 2002 sein fortgesetztes Bemühen um weitere Genesung des Klägers angemessen zum Ausdruck gebracht habe.

f)  Insgesamt gelingt es dem Kläger also nicht, den Beweis für einen Behandlungsfehler des Beklagten zu 2 zu führen, weshalb die Beklagten mit ihrer Berufung Erfolg haben müssen.

III.

Die Kostenentscheidung und die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der gesetzlichen Zulassungsgründe gegeben ist, § 543 Abs. 2 ZPO.