OLG Celle, 07.05.2008 - 3 U 6/08 - Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegenüber einer Bank im Falle fehlerhafter Anlageberatung; Begründung eines Beratervertrags durch Herantreten des Anlageinteressenten an die Bank zum Zweck der Anlage eines Geldbetrags; Abhängigkeit des Inhalts und Umfangs einer Beratungspflicht vom Wissensstand des Kunden hinsichtlich des konkreten Anlagegeschäfts und seiner Risikobereitschaft; Nachfragepflicht der Bank bei Unkenntnis hinsichtlich des Wissensstandes und der Risikobereitschaft des Kunden; Vermittlung einer Beteiligung an einem blind pool-Immobilienfonds durch den Anlageberater einer Bank als sichere Anlage zur Ergänzung der niedrigen Ruhegeldleistungen eines Kunden; Bestehen besonderer, über das allgemeine Maß hinausgehender Beratungspflichten der Bank gegenüber dem Anlageinteressenten aufgrund der Aufnahme eines Anlageobjektes in ihr Anlageprogramm ; Einwand des Mitverschuldens bei bewusster Entscheidung für ein Anlageobjekt nach vorheriger nicht ausreichender Beratung und Nichtverkauf bei schlechter Entwicklung des Anlageobjekts; Beginn der Verjährung von Schadensersatzansprüchen aufgrund fehlerhafter Anlageberatung bei Kenntnis des Geschädigten von erheblichen Anhaltspunkten für eine Ersatzpflicht; Dauerhaftes Ausbleiben jedweden Ertrags einer Anlage als erheblicher Anhaltspunkt für eine Ersatzpflicht der anlageberatenden Bank; Anforderungen an den Einwand der Treuwidrigkeit der erhobenen Verjährungseinrede durch "Abhalten" von verjährungsunterbrechenden Maßnahmen

Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 07.05.2008, Az.: 9 U 191/07

Umfang der Darlegungslast des Insolvenzverwalters zu stillen Reserven oder sonstigen nicht erfassten Vermögenswerten in einer Bilanz; Haftung wegen fehlender Kenntnis bei regelmäßiger Erstellung und Fortschreibung einer Überschuldungsbilanz; Vereinbarkeit von Zahlungen eines Geschäftsführers mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns im Sinne des § 64 Abs. 2 S. 2 GmbH-Gesetzes (GmbHG)

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
07.05.2008
Aktenzeichen
9 U 191/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 19175
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2008:0507.9U191.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - 18.10.2007 - AZ: 8 O 63/07

Fundstellen

  • DB 2008, 2353-2354 (Volltext mit amtl. LS)
  • GmbHR 2008, 1034-1036 (Volltext mit amtl. LS)
  • KoR 2008, 719
  • NZI (Beilage) 2009, 39-40 (red. Leitsatz)
  • OLGReport Gerichtsort 2008, 653-654
  • ZIP 2008, 2079 (amtl. Leitsatz)
  • ZInsO 2008, 1328-1329 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Handelsbilanz, aus der sich die bilanzielle Überschuldung ergibt, indiziert die rechnerische Überschuldung der Gesellschaft, die Voraussetzung der Haftung nach § 64 Abs. 2 GmbHG ist. Weitere Darlegungen des Insolvenzverwalters zu stillen Reserven oder sonstigen, in der Handelsbilanz nicht erfassten Vermögenswerten sind nur erforderlich, wenn Anhaltspunkte für solche Reserven bestehen oder vom Anspruchsgegner behauptet werden.

  2. 2.

    Die Haftung nach § 64 Abs. 2 GmbHG setzt voraus, dass der Geschäftsführer die Überschuldung kennt oder fahrlässig nicht kennt. Auf fehlende Kenntnis kann sich aber nicht berufen, wer seiner Beobachtungspflicht nicht nachgekommen ist. Dafür wiederum ist von Bedeutung, dass einerseits - sobald die Hälfte des Stammkapitals verloren ist - die Gesellschafterversammlung nach § 49 Abs. 3 GmbHG einzuberufen ist, andererseits - wenn ein "nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag" nach § 268 Abs. 3 HGB ausgewiesen werden muss - eine Überschuldungsbilanz zu erstellen und regelmäßig fortzuschreiben ist.

  3. 3.

    Zahlungen des Geschäftsführers, die den Betrieb vorläufig aufrechterhalten sollen, sind nur dann mit der "Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns" im Sinne des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG vereinbar, wenn sich der Geschäftsführer ausreichend um die finanzielle Situation der Gesellschaft gekümmert hat und auf diese Weise Sanierungsversuche und Chancen für eine Veräußerung, die sich etwa für den Insolvenzverwalter später ergeben, nicht geschmälert werden sollen. Für eine solche "Fortführung" ist regelmäßig kein Raum, wenn sich die Gesellschaft bereits in Liquidation befindet.

In dem Rechtsstreit
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S. sowie
der Richter am Oberlandesgericht D. und Dr. St.
auf die mündliche Verhandlung vom 16. April 2008
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 18. Oktober 2007 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer (Kammer für Handelssachen) des Landgerichts Stade abgeändert und der Beklagte verurteilt, an den Kläger 5.500 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.05.2007 zu zahlen unter dem Vorbehalt, nach Zahlung des Betrages an die Masse seine Gegenansprüche, die sich nach Rang und Höhe mit den Beträgen decken, welche die durch die verbotswidrigen Zahlungen begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, gegen den Kläger als Insolvenzverwalter zu verfolgen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

Die Berufung ist begründet. dem Kläger steht als Insolvenzverwalter der von ihm geltend gemachte Zahlungsanspruch gegen den Beklagten gem. §§ 71 Abs. 4, 64 Abs. 2 GmbHG zu.

2

1.

Die vom Beklagten als Liquidator geführte Gesellschaft war im Zeitraum der von ihm vorgenommenen Auszahlungen (15.11.2004 - 31.12.2004) überschuldet. Zwar hat der Kläger zunächst nur die Handelsbilanz vorgelegt, aus der sich zum 31.12.2003 ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag in Höhe von 6.728,48 EUR ergab. Diese Handelsbilanz indiziert jedoch auch die rechnerische Überschuldung der Gesellschaft, die Voraussetzung der Haftung nach § 64 Abs. 2 GmbHG ist. Denn weitere Darlegungen des Klägers zu stillen Reserven oder sonstigen, in der Handelsbilanz nicht erfassten Vermögenswerten waren nicht erforderlich. Die Gesellschaft verfügte nämlich einerseits nicht über Grundvermögen, andererseits hatte sich der Beklagte mit der Klageerwiderung vom 25.06.2007 im Hinblick darauf, dass ein Rückschluss aus dem negativen Eigenkapital auf eine Überschuldung unzulässig sei, lediglich darauf berufen, dass der zum Firmenvermögen gehörende Pkw Nissan am 19. Mai 2004 zum Preis von 4.000 EUR veräußert worden sei (Anlage B 8). Der Beklagte geht also selbst nicht davon aus, dass weitere stille Reserven vorhanden waren. dies ist im Übrigen auch nicht ersichtlich. Deshalb konnte es der Kläger bei seinem - zutreffenden - Hinweis darauf belassen, dass die Realisierung der stillen Reserve durch den Verkauf des Pkw Nissan die Überschuldung nicht beseitigt hätte: Wie sich aus dem Kontennachweis zur Bilanz zum 31.12.2003 ergibt, ist der Fuhrpark mit 13.574,00 EUR bewertet worden, wobei auf den zum 20.07.1999 angeschafften Nissan Micra zum 31.12.2003 581,00 EUR entfielen. Selbst wenn man eine Wertreduzierung des Nissan Micra in der Zeit vom 31.12.2003 bis zu seinem Verkauf am 19. Mai 2004 berücksichtigte, ist nicht ersichtlich, dass dieser Wert die Differenz zwischen Buchwert und tatsächlichem Wert, nämlich (4.000 EUR ./. 581 EUR =) 3.419 EUR, noch um ein Maß erhöhte, das die buchmäßige Überschuldung von 6.728,48 EUR hätte kompensieren können. Im Übrigen stellt der Wert von 6.728,48 EUR die buchmäßige Überschuldung zum 31.12.2003 dar, wobei der Kläger hier Ersatz von Zahlungen im Zeitraum ab 15.11.2004 verlangt, also während der letzten 6 Wochen des Jahres 2004, in dem sich der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag sogar auf 27.594,33 EUR erhöht hat, wobei nicht ersichtlich ist, dass die Überschuldung in den ersten 11 Monaten des Jahres 2004 beseitigt werden konnte und etwa erst Ende November (neu) in einem weitaus höheren Umfang entstanden ist. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass der Beklagte - wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben hat - im Laufe des Jahres 2004 der Gesellschaft zusätzlich finanzielle Mittel zugeführt hat, sodass die Überschuldung ohne diese Unterstützung noch wesentlich höher ausgefallen wäre.

3

2.

Der Beklagte kann nicht geltend machen, die Überschuldung sei für ihn nicht erkennbar gewesen. er kann sich insbesondere nicht darauf berufen, dass er erst durch Beschluss vom 10. November 2004 zum Liquidator bestellt worden ist. Denn zu diesem Zeitpunkt war ihm als Alleingesellschafter der sodann von ihm geführten - und zu liquidierenden - GmbH seit der Erstellung des Jahresabschlusses am 16. September 2004 die Überschuldung bekannt. ansonsten wäre nicht erklärbar, warum der Beklagte gegenüber der Gesellschaft in diesem Zeitraum Finanzierungshilfen erbracht hat. Selbst wenn man nicht von einer positiven Kenntnis des Beklagten ausginge, träfe ihn wenigstens der Vorwurf der Fahrlässigkeit, was im Rahmen der Haftung nach § 64 Abs. 2 GmbHG genügt (Lutter/ Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 64 Rdnr. 62). Es ist insbesondere nicht erkennbar, dass der Beklagte - unabhängig davon, dass zu Beginn der Liquidation eine Eröffnungsbilanz gem. § 71 Abs. 1 GmbHG erstellt werden musste - seiner Beobachtungspflicht hinsichtlich der Überschuldung im November 2004 oder später nachgekommen wäre. Sobald nämlich die Hälfte des Stammkapitals verloren und die Gesellschafterversammlung nach § 49 Abs. 3 GmbHG einzuberufen ist, und spätestens, wenn ein "nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag" nach § 268 Abs. 3 HGB ausgewiesen werden muss, hat der Geschäftsführer eine Überschuldungsbilanz zu erstellen (Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, a. a. O., § 64 Rdnr. 16), die von ihm auch regelmäßig fortzuschreiben ist, selbst wenn eine positive Fortbestehensprognose (§ 19 Abs. 2 InsO) vorliegt. Dem ist der Beklagte jedoch nicht nachgekommen, wobei er zur Erstellung und Fortschreibung einer Überschuldungsbilanz allen Anlass hatte, da der am 16. September 2004 erstellte Jahresabschluss ihm bei seiner Einsetzung als Liquidator am 10. November 2004 vorlag. Wie bereits ausgeführt, bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte annehmen durfte, die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft habe sich im Lauf des Jahres 2004 geändert.

4

3.

Die Zahlungen des Beklagten waren auch nicht mit der "Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns" im Sinne des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG vereinbar. Einerseits setzt dies nämlich voraus, dass - sofern die Gesellschaft überschuldet ist und der Geschäftsführer noch Zahlungen leistet - sich dieser überhaupt ausreichend um die finanzielle Situation der Gesellschaft gekümmert hat, insbesondere die Frage der Überschuldung im Auge behält (Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, a. a. O., § 63 Rdnr. 60), was hier nicht der Fall ist. Andererseits kommt eine Fortsetzung des Zahlungs- und Leistungsverkehrs (möglicherweise sogar als Pflicht) nur dann zur Aufrechterhaltung des Betriebes in Betracht, wenn auf diese Weise Sanierungsversuche und Chancen für eine Veräußerung, die sich etwa für den Insolvenzverwalter später ergeben, nicht geschmälert werden sollen (Lutter/ Hommelhoff /Kleindiek, a. a. O., § 64 Rdnr. 61). Diese Rechtfertigung scheidet hier jedoch aus, weil die Gesellschafterversammlung vom 10.11.2004 gerade die Liquidation der Gesellschaft beschlossen hatte, was seinen Grund - wie der Beklagte vorgetragen hat - darin hatte, dass seine Ehefrau und er sich in den Ruhestand begeben wollten. Damit war - jedenfalls bei Überschuldung der Gesellschaft - kein Raum mehr für weitere Zahlungen, selbst wenn der Beklagte - wie er ebenfalls geltend gemacht hat - im Jahr 2004 noch Umsatzerlöse in Höhe von 22.069,71 EUR erzielt hat. Im Übrigen ist aus der Aufstellung der vom Beklagten veranlassten Zahlungen ersichtlich, dass er nicht Ausgaben getätigt hat, um dadurch noch (Vermögens)Werte für die Gesellschaft zu realisieren. der Beklagte hat vielmehr offene Rechnungen bezahlt und damit einzelne Gläubiger befriedigt, was das Gesetz im Fall der Überschuldung im Hinblick auf die nunmehr gebotene Gleichbehandlung der Gläubiger gerade verhindern will.

5

4.

Der Beklagte hat die entgegen § 64 Abs. 2 GmbHG geleisteten Zahlungen ungekürzt zu erstatten. Im Hinblick auf den Umstand, dass die von ihm befriedigten Gläubiger eine Insolvenzquote erhalten hätten, kann er aber verlangen, dass er in Rang und Höhe an die Stelle der befriedigten Gläubiger tritt. Diesem Begehren ist der Kläger bereits mit dem Antrag aus der Klageschrift vom 4. Mai 2007 nachgekommen.

6

5.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.