Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 03.11.2008, Az.: 11 U 198/08
Rechtsfolgen der Verharmlosung der in einem Anlageprospekt dargestellten Risiken durch den Vermittler; Obliegenheiten des Anlegers hinsichtlich der Bestätigung der Beratung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 03.11.2008
- Aktenzeichen
- 11 U 198/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 30952
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2008:1103.11U198.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover, 13 O 76/08
Rechtsgrundlage
- § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB
Fundstellen
- OLGR Celle 2009, 422-423
- OLGReport Gerichtsort 2009, 422-423
Amtlicher Leitsatz
1. Der Anleger ist gehalten, einen ihm ausgehändigten Prospekt zur Kenntnis zu nehmen (Senat , Beschluss vom 28. März 2006, 11 U 26/06).
2. Nimmt der Anleger vom Vermittler einen zum Zweck der Aufklärung ausgehändigten Prospekt zur Kenntnis und verharmlost der Vermittler in einem Beratungsgespräch die dort beschriebenen Risiken, haftet der Vermittler für die unrichtige Beschreibung der Chancen und Risiken der Anlage auf Schadensersatz, ohne dass allein auf Grund des Widerspruchs zwischen Prospekt und Beratungsgespräch der Anleger mit der Folge grob fahrlässig gehandelt haben muss, dass die Verjährung der genannten Schadensersatzansprüche schon mit dem Abschluss des Kapitalanlagevertrags beginnt.
3. Ein Anleger, der schriftlich eine andere als die erfolgte Beratung bestätigen soll und sich dann nicht Gewissheit über die Richtigkeit der Beratung verschafft, handelt grob fahrlässig.
Tenor:
Es wird erwogen, die Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Dem Kläger wird Gelegenheit zur Stellungnahme und zu einer weitere Kosten zum Teil vermeidenden Berufungsrücknahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses gegeben.
Gründe
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich. Die Berufung hat nach derzeitiger Sach- und Rechtslage aus folgenden Gründen auch keine Aussicht auf Erfolg.
Die Gründe des klageabweisenden Urteils treffen im Ergebnis zu. Ansprüche des Klägers sind jedenfalls verjährt.
1. Von der Rechtsprechung des Senats nicht gedeckt ist allerdings die Auffassung des Landgerichts, dass der Anleger schon allein durch die Lektüre des Prospekts über Risiken, Gewinnerwartung und Fungibilität hinreichend aufgeklärt ist und dass Im Falle des Widerspruchs zwischen Prospektinhalt und Beratungsgespräch der Anleger grob fahrlässig handelt, wenn er den Angaben des Handelsvertreters vertraut. Zwar ist der Anleger gehalten, einen ihm ausgehändigten Prospekt zur Kenntnis zu nehmen (Senat , Beschluss vom 28. März 2006, 11 U 26/06). Aus der Kenntnisnahme des Prospekts ergibt sich jedoch allein noch nicht, dass der Anleger stets grob fahrlässig handelt, wenn die Angaben des Vermittlers mit den im Prospekt enthaltenen Hinweisen nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Der Senat hat sich schon frühzeitig der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (MDR 2007, 1270 = NJW-RR 2007, 1690) angeschlossen, wonach der Umstand, dass ein Beteiligungsprospekt Chancen und Risiken der Kapitalanlage hinreichend verdeutlicht, kein Freibrief für den Vermittler ist, Risiken abweichend hiervon darzustellen und mit seinen Erklärungen ein Bild zu zeichnen, das die Hinweise im Prospekt entwertet oder für die Entscheidungsbildung des Anlegers mindert (so schon Senat , Beschluss vom 7. September 2007, 11 U 135/07. vorgehend LG Hannover, Urteil vom 1. Juni 2007, 13 O 433/06). Nimmt der Anleger vom Vermittler einen zum Zweck der Aufklärung ausgehändigten Prospekt zur Kenntnis und verharmlost der Vermittler in einem Beratungsgespräch die dort beschriebenen Risiken, haftet der Vermittler für die unrichtige Beschreibung der Chancen und Risiken der Anlage auf Schadensersatz, ohne dass allein auf Grund des Widerspruchs zwischen Prospekt und Beratungsgespräch der Anleger mit der Folge grob fahrlässig gehandelt haben muss, dass die Verjährung der genannten Schadensersatzansprüche schon mit dem Abschluss des Kapitalanlagevertrags beginnt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Landgericht zitierten Beschlüssen des Senats vom 20. März (Hinweisbeschluss) und vom 23. April 2008 (Zurückweisungsbeschluss), beide ergangen in der Sache 11 U 13/08. Im letztgenannten Beschluss vom 23. April 2008 hat der Senat ausdrücklich klargestellt, dass keineswegs eine generelle Verpflichtung des Anlegers zur dezidierten Durcharbeitung des Emissionsprospekts trotz erfolgter Beratung durch einen Vermittler statuiert wird. Der Senat hat allerdings im erstgenannten Hinweisbeschluss vom 20. März 2008 ausgeführt, dass ein Anleger grob fahrlässig handelt, der schriftlich eine andere als die erfolgte Beratung bestätigen soll und sich dann nicht Gewissheit über die Richtigkeit der Beratung verschafft. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Bereits bei einer gebotenen inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Hinweisen in der von ihnen unterzeichneten Gesprächsnotiz vom 20. November 2000 (Anlage B04 im Anlagenband) hätte den Anlegern auffallen müssen, dass im Hinblick auf die darin enthaltenen Informationen die nach ihrer Darstellung zu den Aspekten Verlustsicherheit, Renditegarantie und Fungibilität erfolgten Angaben des Handelsvertreters der Beklagten unzutreffend gewesen sind. Der Senat hat es in dem genannten Beschluss (11 U 13/08) als grob fahrlässig angesehen, wenn ein Anleger sich über diejenigen Umstände nicht informiert, von denen er sich ohne nennenswerte Mühe Kenntnis verschaffen kann, wenn sich ihm der Verdacht einer möglichen Schädigung aufdrängen muss. Deshalb trifft ihn die Obliegenheit, sich durch Lektüre des überreichten Prospekts über die Richtigkeit der Aussagen des Handelsvertreters Gewissheit zu verschaffen, wenn sich aus der von ihm unterzeichneten Gesprächsnotiz Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Darstellung der Risiken durch den Vermittler ergeben. Nichts anderes kann gelten, wenn dem Anleger ein Prospekt überreicht wird, welcher deutliche Risikohinweise enthält und der Anleger sodann ein Beratungsprotokoll unterzeichnet, in welchem er der Wahrheit zuwider bekundet, auf diese Risiken hingewiesen worden zu sein. Wenn also ein Anleger dem überreichten Prospekt entnimmt, dass die Anlage nicht kurzfristig veräußerbar ist, der Vermittler ihm sodann erklärt, entgegen dem Inhalt des Prospekts sei die Anlage jederzeitig veräußerbar und der Anleger sodann eine vom Vermittler überreichte Erklärung unterschreibt, wonach er auf die fehlende Fungibilität hingewiesen worden ist, handelt er grob fahrlässig.
Besteht - wie vorliegend - wegen augenfälliger Diskrepanzen zwischen den Anpreisungen des Vermittlers und den Angaben in den den Anlegern übermittelten Unterlagen eine Überprüfungsobliegenheit anhand des überreichten FondsProspekts, so erstreckt sich die positive Kenntnis bzw. die bei Unterlassen der Überprüfung grob fahrlässige Unkenntnis auf alle anleger- und anlagerelevanten Eigenschaften des gezeichneten Fonds, die dem Prospekt zu entnehmen sind.
Ansprüche des Klägers sind daher jedenfalls verjährt.
2. Darüber hinaus teilt der Senat die Bedenken hinsichtlich des vom Kläger geltend gemachten Freistellungsanspruchs zu Gunsten seiner Ehefrau. Insoweit handelt es sich um keine zulässige Prozessstandschaft. Der Kläger und seine Ehefrau bilden keine Bruchteilsgemeinschaft. Eine solche liegt nicht schon deshalb vor, weil ein Ereignis mehrere Personen schädigt.