Staatsgerichtshof Niedersachsen
Urt. v. 30.09.2011, Az.: StGH 1/10

Grundsatz der Haushaltsklarheit; Grundsatz der Haushaltswahrheit; Grundsatz der Jährlichkeit der Haushaltsplanung; Grundsatz der Budgetöffentlichkeit; abstrakte Normenkontrolle; Grundsatz der Vollständigkeit der Haushaltsplanung

Bibliographie

Gericht
StGH Niedersachsen
Datum
30.09.2011
Aktenzeichen
StGH 1/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45317
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Maßstäbe zur Auslegung und Anwendung von Art. 71 Satz 3 NV, die der Niedersächsische Staatsgerichtshof in seinem Urteil vom 10. Juli 1997 (StGHE 3, 279) entwickelt hat, gelten grundsätzlich auch für einen Nachtragshaushalt.
2. Aus Art. 65 Abs. 1 NV ergeben sich die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit. Die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage und die Abführung des entnommenen Betrags an den Landeshaushalt verstoßen nicht gegen diese Haushaltsgrundsätze.
3. Kredite i.S. des Art. 71 NV sind vertraglich begründete Finanzschulden, die dem Land für eine bestimmte Zeit Geldmittel zur Finanzierung von Haushaltsausgaben zuführen oder ihm unmittelbar die Leistung von Haushaltsausgaben ersparen. Die niedersächsische Staatspraxis, Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage nicht als Kredit im Sinne von Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV zu behandeln, steht mit der Niedersächsischen Verfassung nicht in Einklang. Die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage gehört von Verfassungs wegen zu den Krediten im Sinne von Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV.
4. Angesichts der langjährigen - und unwidersprochenen - Staatspraxis und im Interesse einer verlässlichen Haushaltsplanung ist es geboten, dem Haushaltsgesetzgeber eine Übergangsfrist bei der Berücksichtigung der Rechtslage einzuräumen. Haushaltsbeschlüsse, die ab dem 1. Januar 2012 ergehen und die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage betreffen oder zur Aufnahme neuer Kredite ermächtigen, sind an den Voraussetzungen des Art. 71 NV zu messen.
5. Aus dem Verfassungsgrundsatz der Haushaltswahrheit (Art. 65 Abs. 1 NV) folgt die Pflicht zur Schätzgenauigkeit. Die Veranschlagung der Steuereinnahmen auf der Grundlage der für Niedersachsen regionalisierten Ergebnisse des Arbeitskreises "Steuerschätzungen" lässt im Regelfall ein angemessenes Bemühen um eine realitätsnahe Prognose der zu erwartenden Einnahmen erkennen. Ein Abweichen von dem regionalisierten Ergebnis der Steuerschätzung ist aber dann geboten, wenn bis zur Verabschiedung des Haushaltsgesetzes durch den Niedersächsischen Landtag deutliche Anzeichen erkennbar werden, die auf wesentlich verminderte Haushaltsansätze hindeuten.

Tenor:

§ 1 Satz 1 des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2010 (Haushaltsgesetz 2010) vom 17. Dezember 2009 (Nds. GVBl. S. 493), geändert durch das Gesetz zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2010 (Nachtragshaushaltsgesetz 2010) vom 11. Oktober 2010 (Nds. GVBl. S. 471), in Verbindung mit dem Einzelplan 13 Kapitel 1301 Titel 015 11-3 ist mit Art. 65 Abs. 1 Satz 1 der Niedersächsischen Verfassung insoweit unvereinbar, als die Einnahmen aus Umsatzsteuer (Landesanteil) ohne Berücksichtigung einer im März 2010 vom Land Niedersachsen zu leistenden Ausgleichszahlung aus der Umsatzsteuerverteilung zwischen Land und Bund und unter den Ländern veranschlagt worden sind.

Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

Gründe

A.

Gegenstand des Normenkontrollverfahrens sind § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2009 (Haushaltsgesetz 2009) vom 18. Dezember 2008 (Nds. GVBl. S. 421) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2009 (Drittes Nachtragshaushaltsgesetz 2009) vom 9. November 2009 (Nds. GVBl. S. 413) und § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2010 (Haushaltsgesetz 2010) vom 17. Dezember 2009 (Nds. GVBl. S. 493). Verfahrensgegenstand sind außerdem § 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2010, geändert durch das Gesetz zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2010 (Nachtragshaushaltsgesetz 2010) vom 11. Oktober 2010 (Nds. GVBl. S. 471), in Verbindung mit dem Einzelplan 13 Kapitel 1302 Titel 351 11-7 und dem Einzelplan 13 Kapitel 5131 Titel 919 11-8 sowie § 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2010, geändert durch das Nachtragshaushaltsgesetz 2010 in Verbindung mit dem Einzelplan 13 Kapitel 1301 Titel 015 11-3.

Das Verfahren betrifft zum einen die Frage, ob es mit Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 der Niedersächsischen Verfassung (NV) vereinbar ist, dass § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2009 in der Fassung des Dritten Nachtragshaushaltsgesetz 2009 (im Folgenden nur: 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009) und § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010 das Niedersächsische Finanzministerium ermächtigen, in den Haushaltsjahren 2009 und 2010 zur Deckung von Ausgaben Kredite vom Kreditmarkt bis zur Höhe von jeweils 2,3 Mrd. € aufzunehmen, deren Höhe die Summe der Ausgaben für die eigenfinanzierten Investitionen im Haushaltsjahr 2009 um 998 Mio. € und im Haushaltsjahr 2010 um 1,061 Mrd. € übersteigen.

Zum anderen wirft das Verfahren die Frage auf, ob § 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2010, geändert durch das Nachtragshaushaltsgesetz 2010 (im Folgenden nur: Haushaltsgesetz 2010) in Verbindung mit dem Einzelplan 13 Kapitel 1302 Titel 351 11-7 und dem Einzelplan 13 Kapitel 5131 Titel 919 11-8 gegen die verfassungsgeschützten Grundsätze der Haushaltswahrheit und der Haushaltsklarheit dadurch verstößt, dass zur Deckung von Ausgaben auf die allgemeine Rücklage in Höhe von 730 Mio. € zurückgegriffen wird. Ferner betrifft das Verfahren die Frage, ob § 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2010 in Verbindung mit dem Einzelplan 13 Kapitel 1301 Titel 015 11-3 den verfassungsgeschützten Grundsatz der Jährlichkeit der Haushaltsplanung deshalb verletzt, weil der im März 2010 fällige Erstattungsanspruch des Bundes aus der Umsatzsteuerverteilung 2009 nicht im Haushaltsplan 2010 berücksichtigt worden ist.

I.

1. Durch § 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2009 wurde der Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2009 in Einnahme und Ausgabe auf 24 745 212 000 € festgestellt. § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2009 ermächtigte das Niedersächsische Finanzministerium, im Haushaltsjahr 2009 zur Deckung von Ausgaben Kredite vom Kreditmarkt bis zur Höhe von 250 000 000 € aufzunehmen. Der Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2009 sah in seiner ursprünglichen Fassung in Einzelplan 13 Kapitel 1302 Titel 351 11-7 in Verbindung mit dem Einzelplan 13 Kapitel 5131 Titel 919 11-8 zum Ausgleich des Haushalts eine Entnahme aus der allgemeinen Rücklage in Höhe von 425 948 000 € vor. In Einzelplan 13 Kapitel 1320 Titel 133 11-8 war ein Ertrag von rund 280 000 000 € aus der Veräußerung von Stammkapital an der Nord/LB veranschlagt.

Das Haushaltsgesetz 2009 erfuhr in der Folgezeit mehrfache Änderungen.

Das Gesetz zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2009 (Nachtragshaushaltsgesetz 2009) und zur Umsetzung des Konjunkturpakets II vom 6. März 2009 (Nds. GVBl. S. 52) änderte § 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2009 dahin, dass der Haushaltsplan 2009 in Einnahme und Ausgabe auf 25 553 346 000 € festgestellt wurde. § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2009 blieb ebenso wie Einzelplan 13 Kapitel 1320 Titel 133 11-8 unverändert. Die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage war mit 670 909 000 € veranschlagt.

Eine weitere Änderung des Haushaltsgesetzes 2009 erfolgte durch Art. 4 des Niedersächsischen Gesetzes über die Anpassung der Besoldung und der Versorgungsbezüge in den Jahren 2009 und 2010 vom 14. Mai 2009 (im Folgenden nur: 2. Nachtragshaushaltsgesetz 2009, Nds. GVBl. S. 203). § 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2009 in der Fassung des 2. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 stellte den Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2009 in Einnahme und Ausgabe nunmehr auf 25 624 721 000 € fest. § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2009 und Einzelplan 13 Kapitel 1320 Titel 133 11-8 erfuhren wiederum keine Änderung. Die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage erhöhte sich auf 742 284 000 €.

Nach dem Ergebnis der Steuerschätzung vom 12. bis 14. Mai 2009 ergaben sich für das Land Niedersachsen gegenüber dem Haushaltsplan 2009 Steuermindereinnahmen in Höhe von 1,261 Mrd. €. Daraufhin brachte die Landesregierung den Entwurf des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 beim Niedersächsischen Landtag ein. Darin war eine Erhöhung der Kreditaufnahmeermächtigung auf 2,3 Mrd. € vorgesehen. Diese Nettokreditaufnahme überstieg die eigenfinanzierten Investitionen nach Art. 71 Satz 2 NV um 998 Mio. €.

Hierzu führte die Begründung des Gesetzentwurfs unter anderem aus, dass aufgrund der weltweiten Entwicklungen im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise eine massive Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts eingetreten sei. Die Begründung des Gesetzentwurfs stützte diese Beurteilung insbesondere auf die Gemeinschaftsdiagnose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute vom 21. April 2009 und das Ergebnis der Frühjahrsprojektion der Bundesregierung. Infolge eines massiven wirtschaftlichen Einbruchs und abweichend von einer konjunkturellen Normalsituation sei ein außergewöhnlicher Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 6 % zu erwarten. Die Binnenkonjunktur werde sich durch eine geringe Investitionstätigkeit erheblich abschwächen. Als Folge seien die Produktionskapazitäten in Deutschland bei weitem nicht ausgelastet. Aus dieser Entwicklung leite sich für den Arbeitsmarkt die Annahme einer starken Zunahme der Arbeitslosigkeit auf jahresdurchschnittlich 3,7 Mio. Personen ab. Die Bundesregierung habe ebenfalls eine ernsthafte und nachhaltige Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts angenommen und zur Grundlage ihrer Haushaltsentscheidungen gemacht. Die Feststellungen für die Bundesebene träfen auch für die gesamtwirtschaftliche Situation in Niedersachsen zu. Die die Grenze des Art. 71 Satz 2 NV überschreitende Nettokreditaufnahme sei erforderlich, um die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im Rahmen des Art. 71 Satz 3 NV abzuwehren. Substantielle Einnahmeverbesserungen seien für Niedersachsen derzeit nicht erreichbar. Ein Ausgleich der erwarteten Steuermindereinnahmen wäre daher nur durch weitreichende Ausgabenkürzungen im konsumtiven Bereich umzusetzen. Eine sinkende staatliche Nachfrage würde die Konjunktur jedoch zusätzlich belasten und die nach § 1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StWG) bestehende Verpflichtung verletzen, bei wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen des Landes die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Darüber hinaus hielten es Bund und Länder in großer Übereinstimmung für geboten, zur Abwehr der Störung in den Jahren 2009 und 2010 über die bisherige Planung hinaus zusätzliche Mittel für Investitionen der Kommunen und der Länder zu mobilisieren. In Niedersachsen ermögliche die Umsetzung des Zukunftsinvestitionsgesetzes im Rahmen des Konjunkturpakets II mit einem Programmvolumen von gut 1,2 Mrd. € eine Vielzahl zusätzlicher Maßnahmen in 2009 und 2010, zu denen noch rund 163 Mio. € für das sogenannte Aufstockungsprogramm des Landes hinzukämen. Die vorgesehene Kreditermächtigung sei erforderlich, um die Handlungsfähigkeit des Staates und damit auch das Ziel der Haushaltskonsolidierung mittelfristig zu sichern.

Zur Einbringung des Gesetzentwurfs des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 führte der Niedersächsische Finanzminister in der 45. Plenarsitzung des 16. Niedersächsischen Landtags am 23. September 2009 unter anderem aus, Einnahmeausfälle könnten nicht durch Ausgabenkürzungen aufgefangen werden. Dies würde die "Initiative Niedersachsen" und die Konjunkturprogramme von Bund und Ländern torpedieren, mit denen die Wirtschaftskrise bekämpft werden solle. Aus diesem Grunde müssten tiefe Einschnitte in die Ressorthaushalte vermieden werden. Im Hinblick auf die zu finanzierenden Programme verwies der Finanzminister unter anderem auf die Sanierung kommunaler Sportstätten, Zuschüsse an die regional finanzierten Forschungsinstitute, Unterhaltung von Landesstraßen sowie zusätzliche Stellen für pädagogische Mitarbeiter an Förder- und Ganztagsschulen. Das Land Niedersachsen liege mit seinen Steuereinnahmen bisher zwar nur um 50 Mio. € unter dem Soll. Durch ein sehr hohes Umsatzsteueraufkommen würden Mindereinnahmen bei fast allen anderen Steuerarten momentan weitgehend ausgeglichen. Die Steuermindereinnahmen würden Niedersachsen aber auch über den Länderfinanzausgleich erreichen.

Die Staatssekretärin im Niedersächsischen Finanzministerium unterrichtete den Ausschuss für Haushalt und Finanzen am 30. September 2009 darüber, dass die erkennbar günstigere Einnahmeentwicklung in Niedersachsen von plus 12 % bei Steuern, Länderfinanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen bis August 2009 in einem starken Kontrast zur bundesweiten Entwicklung von minus 6 % bei den Steuereinnahmen der Länder stehe. Der niedersächsische Sondereffekt habe seine Ursache darin, dass aufgrund der Krise bei der Umsatzsteuer verringerte Vorsteuerabzüge anfielen. Originäre Steuereinnahmen und Einnahmen im bundesstaatlichen Finanzausgleich stünden aber in einer Wechselbeziehung, so-dass sich die Einnahmeentwicklung auch in Niedersachsen noch abschwächen werde.Die Nettokreditaufnahme von 2,3 Mrd. € sei zur Abwehr einer nachhaltigen Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts unumgänglich. Mit dem Ziel, eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren, unterstütze der Bund im Rahmen des Konjunkturpakets II zusätzliche Investitionen der Kommunen und der Länder. Für die „Initiative Niedersachsen“ stünden rund 1,4 Mrd. € bereit. Investiert werde in Bildung und Hochschulen, energetische Sanierung und Infrastrukturmaßnahmen. Im 3. Nachtragshaushalt 2009 seien infolge der Verschärfung des Einstellungsstopps die Personalausgaben gegenüber dem 2. Nachtragshaushalt 2009 um 10,5 Mio. € reduziert worden. Weitere Einsparungen würden dadurch erzielt, dass der Aufbau des Sondervermögens „Niedersächsischer Versorgungsfonds“ zurückgestellt werde und aus der Versorgungsrücklage 69 Mio. € entnommen würden. Die Veräußerung von Stammkapital an der Nord/LB solle angesichts der Auswirkungen der Finanzmarktkrise um ein Jahr verschoben werden.

Der Präsident des Niedersächsischen Landesrechnungshofs führte vor dem Ausschuss für Haushalt und Finanzen am 30. September 2009 aus, er stimme der Begründung des Gesetzentwurfs für das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 zwar insoweit zu, als dort ausgeführt sei, die Haushalts- und Finanzplanung der öffentlichen Haushalte müsse den weltweiten Entwicklungen im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise Rechnung tragen. Die veränderten Rahmenbedingungen würden aber nicht dazu führen, dass im Haushaltsjahr 2009 eine Nettokreditaufnahme von 2,3 Mrd. € notwendig sei. Die Mehrausgaben infolge des Niedersächsischen Zukunftsinvestitionsgesetzes seien mit dem 1. Nachtragshaushalt 2009 gegenfinanziert worden. Mit dem 2. Nachtragshaushalt 2009 seien weitere, nicht konjunkturbedingte Mehrausgaben des Landes finanziert worden. Ausgabeseitig gebe es daher keinen Handlungsbedarf. Mit dem 3. Nachtragshaushalt 2009 seien nur die konjunkturbedingten Steuermindereinnahmen auszugleichen, die ausweislich der regionalisierten Steuerschätzung für das Haushaltsjahr 2009 brutto 1,261 Mrd. € betrügen. Zum Ausgleich des Haushalts 2009 würden somit höchstens 1,261 Mrd. € benötigt. Dieser Betrag begrenze haushalts- und verfassungsrechtlich die Höhe der Neuverschuldung. Auch diese Obergrenze müsse aber nicht ausgeschöpft werden, da das niedersächsische Steuer-Ist-Aufkommen deutlich höher sei, als es die Steuerschätzung im Mai prognostiziert habe. Entgegen der Begründung des Gesetzentwurfs sei es nicht zulässig, durch eine überhöhte Kreditaufnahme die Handlungsfähigkeit des Landes und damit auch das Ziel der Haushaltskonsolidierung mittelfristig zu sichern. Die planmäßige Bildung haushaltsrechtlicher Reserven durch Schonung der allgemeinen Rücklage und durch den Verzicht auf den Verkauf von Stammkapital der Nord/LB zur mittelfristigen Sicherung der Handlungsfähigkeit sei mit Art. 71 NV unvereinbar.

In der 46. Sitzung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen am 21. Oktober 2009 unterrichtete ein Vertreter des Niedersächsischen Finanzministeriums den Ausschuss darüber, dass Niedersachsen bis einschließlich September 2009 Steuermindereinnahmen von lediglich 260 Mio. € zu verzeichnen gehabt habe. Diese Entwicklung sei eine Anomalie, die sich spätestens über die Ausgleichsmechanismen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs wieder nivellieren werde. Im Dezember 2009 müsse Niedersachsen rund 800 Mio. € in den bundesstaatlichen Finanzausgleich einzahlen. Das Finanzministerium wisse nicht, wie sich die Steuereinnahmen in den letzten drei Monaten des Jahres 2009 entwickeln würden. Aber selbst wenn Niedersachsen die prognostizierten Steuermindereinnahmen von 1,3 Mrd. € nicht ganz erreichen würde, bliebe immer noch eine im März 2010 fällig werdende Ausgleichszahlung, die periodengerecht in das Jahr 2009 gehöre. Das Niedersächsische Finanzministerium halte daher an seiner bisherigen Einschätzung zur Entwicklung der Steuereinnahmen fest. In der 53. Sitzung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen am 19. November 2009 teilte eine Vertreterin des Niedersächsischen Finanzministeriums dem Ausschuss mit, das Finanzministerium rechne für März 2010 mit einer Ausgleichszahlung an den Bund in dreistelliger Millionenhöhe.

Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 legten Mitglieder der die Landesregierung tragenden Landtagsfraktionen dar, dass auch ihrer Auffassung nach eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gegeben sei. Das Land könne gegen die Krise nicht ansparen. Einnahmeausfälle könnten nicht durch Ausgabenkürzungen aufgefangen werden, da das Land sonst als Investor und Motor bei konjunkturbelebenden Maßnahmen ausfallen würde. Die Krise verlange antizyklisches Handeln, das nur mittels der höheren Neuverschuldung darstellbar sei. Die Regierungsfraktionen teilten auch nicht die vom Landesrechnungshof geäußerte Kritik an der Kreditaufnahme. Sie schlössen sich der Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich an. Soweit der Landesrechnungshof bemängelt habe, die Kreditermächtigung dürfe wegen des Jährlichkeitsprinzips nicht der Sicherung der mittelfristigen Handlungsfähigkeit dienen, sei die Begründung des Gesetzentwurfs lediglich missverständlich. Es habe deutlich gemacht werden sollen, dass der zur Abwehr der Störungslage erforderliche Verzicht auf Einnahmeerhöhungen bzw. Ausgabenkürzungen geeignet sei, die Handlungsfähigkeit des Landes zu sichern. Die vorgesehene Kreditaufnahme sei auch verfassungsgemäß, soweit sie die eigenfinanzierten Investitionen des Landes um 998 Mio. € übersteige. Nach dem Ergebnis der Mai-Steuerschätzung beliefen sich die für 2009 zu erwartenden Steuermindereinnahmen auf 1,261 Mrd. €. Sie seien damit sogar um 260 Mio. € höher als die die eigenfinanzierten Investitionen übersteigende Kreditermächtigung von 998 Mio. €. Ferner sei es zulässig, von der Entnahme aus der allgemeinen Rücklage und dem Verkauf von Stammkapital der Nord/LB abzusehen. Zudem entspreche es allgemeiner niedersächsischer Haushaltspraxis, auch bei kreditfinanzierten Haushalten Rücklagen zu erhalten und zeitbestimmt einzusetzen. Eine rechtliche Verpflichtung, vorrangig Mittel der allgemeinen Rücklage zu entnehmen oder Vermögen des Landes zu einem bestimmten Zeitpunkt einzusetzen, bestehe nach der Niedersächsischen Verfassung nicht.

Der Niedersächsische Finanzminister führte in der 48. Plenarsitzung des 16. Niedersächsischen Landtags am 28. Oktober 2009 unter anderem aus, nach der Niedersächsischen Verfassung gebe es keine Abhängigkeit zwischen den Steuermindereinnahmen und der Höhe der Nettokreditaufnahme. Das Land könne gegen die Einnahmeausfälle, die aufgrund der Mai-Steuerschätzung erkennbar geworden seien, nicht mit Haushaltssperren, Einstellungsstopps oder Ähnlichem angehen. Einsparungen in dieser Größenordnung wären nur möglich, indem Baumaßnahmen und Investitionen nicht getätigt, Bauaufträge für den Straßenbau nicht erteilt oder Fahrzeuge und Geräte nicht gekauft würden. Solche Maßnahmen würden die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts aber noch verschärfen. Die vorgeschlagene Kreditaufnahme sei deshalb wegen der krisenbedingten Steuerausfälle und zur Finanzierung der weiteren Ausgaben notwendig.

Mitglieder der Oppositionsfraktionen äußerten sich im Rahmen der parlamentarischen Beratungen unter anderem dahin, dass es zwar richtig sei, die Ausgabenseite nicht zu verändern. Dies wäre ein prozyklisches Verhalten und nicht angemessen. Die Veränderungen auf der Einnahmeseite seien allerdings nicht zu akzeptieren. Basis des 3. Nachtragshaushalts 2009 müsse die Mai-Steuerschätzung sein, aufgrund der Steuermindereinnahmen in Höhe von etwa 1,3 Mrd. € zu erwarten seien. Eine Nettokreditaufnahme, die die eigenfinanzierten Investitionen übersteige, sei nur als ultima ratio zulässig. In einer solchen Situation dürfe das Land die Einnahmeseite des Haushalts nicht noch einmal durch eigene Maßnahmen verschlechtern. Die Rücklagenentnahme und der ursprünglich vorgesehenen Verkauf der Anteile am Stammkapital der Nord/LB dürften daher nicht unterbleiben.

Der Ausschuss für Haushalt und Finanzen empfahl dem Niedersächsischen Landtag in seiner Beschlussempfehlung vom 21. Oktober 2009, den Gesetzentwurf des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 mit den von den Fraktionen der CDU und FDP vorgeschlagenen Änderungen anzunehmen. Der 16. Niedersächsische Landtag beschloss das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 in seiner 48. Sitzung am 28. Oktober 2009 mit den vom Ausschuss für Haushalt und Finanzen empfohlenen Änderungen. Das Gesetz wurde am 9. November 2009 verkündet und trat am Tag nach der Verkündung in Kraft. Ein Änderungsantrag der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, der die Verringerung der Kreditaufnahmeermächtigung auf 1,55 Mrd. € und Entnahmen aus Rücklagen in Höhe von 917,4 Mio. € zum Gegenstand hatte, blieb ohne Mehrheit.

Das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 sieht eine Verminderung des Haushaltsvolumens auf 25 464 019 000 € vor. Die Kreditaufnahmeermächtigung erhöht sich von 250 Mio. € auf 2,3 Mrd. €. Die im 2. Nachtragshaushalt 2009 vorgesehene Entnahme aus der allgemeinen Rücklage in Höhe von 742 284 000 € ist im 3. Nachtragshaushalt 2009 nicht mehr enthalten. Außerdem sieht der 3. Nachtragshaushalt 2009 keinen Erlös aus der ursprünglich geplanten Veräußerung von Stammkapital der Nord/LB mehr vor.

2. Für das Haushaltsjahr 2010 ergab die Steuerschätzung vom 12. bis 14. Mai 2009 nach der Regionalisierung für Niedersachsen Steuereinnahmen einschließlich der Kompensation für die Kraftfahrzeugsteuer in Höhe von 16,91 Mrd. €. Die Mittelfristige Planung (Mipla) der Niedersächsischen Landesregierung für 2008 - 2012 war noch von Steuereinnahmen in Höhe von 19,3 Mrd. € ausgegangen. Nach dem Ergebnis der Steuerschätzung betrugen die Steuermindereinnahmen gegenüber der Mipla somit 2,39 Mrd. €.

Die Niedersächsische Landesregierung brachte unter dem 25. August 2009 beim Niedersächsischen Landtag den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2010 einschließlich des Entwurfs des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2010 (Gesamtplan) ein. Der Gesetzentwurf sah vor, den Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2010 in Einnahme und Ausgabe auf 25 165 462 000 € festzustellen. Ferner sollte das Finanzministerium ermächtigt werden, im Haushaltsjahr 2010 zur Deckung von Ausgaben Kredite vom Kreditmarkt bis zur Höhe von 2,3 Mrd. € aufzunehmen.

Zur Begründung führte die Landesregierung unter anderem aus, eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts werde auch im Haushaltsjahr 2010 vorliegen. Die deutsche Wirtschaft befinde sich nach den Feststellungen der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose vom 21. April 2009 in der tiefsten Rezession seit der Gründung der Bundesrepublik. Die Produktionskapazitäten in Deutschland würden bei weitem nicht ausgelastet sein. Aus dieser Entwicklung leite sich eine starke Zunahme der Arbeitslosigkeit ab. Auch nach den übrigen aktuellen Wirtschaftsdaten und den in die Zukunft reichenden Indikatoren sei sicher davon auszugehen, dass eine konjunkturelle Normallage im Haushaltsjahr 2010 nicht erreicht werden könne. Nach der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Vorausschätzung der Bundesbank (Monatsbericht Juni 2009) zeichne sich für das Jahr 2010 vielmehr eine unverändert niedrige Wirtschaftsaktivität ab. Die Feststellungen und Prognosen für die Bundesebene träfen auch für die gesamtwirtschaftliche Situation in Niedersachsen zu. Es sei deshalb notwendig, im Haushaltsplanentwurf 2010 eine Nettokreditaufnahme in Höhe von 2,3 Mrd. € zu veranschlagen, die um 1,061 Mrd. € über der Grenze der eigenfinanzierten Investitionen nach Art. 71 Satz 2 NV liege. Substanzielle Einnahmeverbesserungen seien für das Land Niedersachsen derzeit nicht erreichbar. Ein Ausgleich der erwarteten Mindereinnahmen wäre daher - soweit möglich - nur durch weitreichende Ausgabenkürzungen im konsumtiven Bereich umzusetzen. Eine sinkende staatliche Nachfrage würde die Konjunktur jedoch zusätzlich belasten und die nach § 1 StWG bestehende Verpflichtung verletzen, bei wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen des Landes die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Bund und Länder hielten es deshalb für geboten, zur Abwehr der Störung über die bisherige Planung hinaus zusätzliche Mittel für Investitionen der Kommunen und der Länder zu mobilisieren. In Niedersachsen ermögliche die Umsetzung des Zukunftsinvestitionsgesetzes mit einem Programmvolumen von gut 1,2 Mrd. € eine Vielzahl zusätzlicher Maßnahmen, zu denen noch rund 163 Mio. € für das sogenannte Aufstockungsprogramm des Landes hinzukommen würden.

Der Finanzminister wies in seiner Rede in der 45. Plenarsitzung des 16. Niedersächsischen Landtags zur Einbringung des Haushaltsgesetzes 2010 am 23. September 2009 darauf hin, dass Einnahmeausfälle nicht durch Ausgabenkürzungen aufgefangen werden könnten. Zu den Steuereinnahmen führte der Niedersächsische Finanzminister in der 54. Plenarsitzung des 16. Niedersächsischen Landtags am 14. Dezember 2009 unter anderem aus, dass trotz der überproportional starken Umsatzsteuereinnahmen für das Jahr 2010 Steuermindereinnahmen von 1,3 Mrd. € einzuplanen seien, wie die November-Steuerschätzung zeige.Die zeitliche Zuordnung der Steuermindereinnahmen sei ausgesprochen schwierig. Deshalb seien die Jahre 2009 und 2010 gemeinsam zu betrachten. Die im März 2010 fällige Rückzahlung im bundesstaatlichen Finanzausgleich sei wirtschaftlich dem Jahr 2009 zuzurechnen, weil sie sich vor allem aus den Steuerströmen dieses Jahres berechne. Der Vorsitzende der Landtagsfraktion der CDU unterstrich in seiner Rede in der 45. Plenarsitzung des 16. Niedersächsischen Landtags ebenfalls, das Land könne gegen die Krise nicht ansparen, da es sonst als Investor und Motor bei konjunkturbelebenden Maßnahmen ausfallen würde. Dies würde die Krise nur verschärfen. Der Vorsitzende der Landtagsfraktion der FDP führte am 13. Dezember 2009 in der 57. Plenarsitzung des 16. Niedersächsischen Landtags aus, die Nettokreditaufnahme sei unausweichlich, weil ohne sie die Investitionen in Infrastrukturprojekte und Innovationen, mit denen gegen die Wirtschaftskrise angegangen werden solle, nicht darstellbar seien.

Mitglieder der Landesregierung und der die Landesregierung tragenden Landtagsfraktionen legten im Rahmen der parlamentarischen Beratungen des Haushaltsgesetzes 2010 im Einzelnen dar, für welche Bereiche nach dem Haushaltsplanentwurf 2010 Mittel verausgabt werden sollten. Die Redebeiträge hoben insoweit insbesondere die Bereiche Bildung, Wirtschafts- und Innovationsförderung, Forschung und Sicherheit hervor. So werde der Ausbau der Krippen und der Ganztagsschulen gefördert. Im Hochschulbereich stünden zusätzlich zu den Mitteln des Konjunkturpaketes II insgesamt rund 235 Mio. € für Bau- und Geräteinvestitionen zur Verfügung. Das Land gebe insgesamt 265 Mio. € mehr für Bildung aus. Bei den Mitteln für Infrastruktur und Wirtschaftsförderung stünden nach Abzug der Personalausgaben und der Nutzungsentgelte für Liegenschaften 499 Mio. € für ausschließlich aus Landesmitteln finanzierte Ausgaben zur Verfügung. Diese sollten schwerpunktmäßig in die Bereiche Häfen (201 Mio. €), Straßen (182 Mio. €) sowie Luft- und Raumfahrt (20 Mio. €) fließen. Durch die gerade in der Krise gebotenen Investitionen in die Häfen würden Arbeitsplätze an der Küste geschaffen. Deshalb seien in diesem Bereich keine Einsparungen vorzunehmen. Auch für die Förderung von Krankenhäusern und den Hochwasserschutz im Binnenland würden Mittel bereitgestellt. Dem Wirtschaftsförderfonds würden 50 Mio. € zugeführt. Förderschwerpunkt sei die finanzielle Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen bei der Entwicklung innovativer Produkte, Produktionsverfahren und Dienstleistungen. Fördermittel für die Sanierung kommunaler Sportstätten stünden in Höhe von 50 Mio. € zur Verfügung. Die Ausgaben für Filmförderungen und zur Förderung der Medienwirtschaft seien als ein Beitrag zur Weiterentwicklung des Medienstandortes Niedersachsen angesichts der Auswirkungen der Finanzkrise wichtiger denn je. Alle diese Programme und Maßnahmen würden der Konjunktur helfen, vor allem der Bauwirtschaft und dem örtlichen mittelständischen Handel und Handwerk. Zusammenfassend sei die Nettokreditaufnahme von 2,3 Mrd. € als ultima ratio geboten.Ohne sie könne auch das Konjunkturprogramm II nicht erfolgreich umgesetzt werden, sodass keine die Konjunktur stützenden Effekte entstünden, sondern stattdessen Stillstand eintrete. Diese Konsequenzen seien nicht hinnehmbar.

Die Staatssekretärin im Niedersächsischen Finanzministerium legte am 30. September 2009 in der 42. Sitzung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen unter anderem dar, welche Einsparungsmaßnahmen mit dem Haushalt 2010 noch realisiert werden sollten. Sie nannte in diesem Zusammenhang insbesondere Einsparungen bei den Personalausgaben. Mit dem Haushaltsplanentwurf werde das Ziel nahezu vollständig erreicht, bis zum Jahr 2010 insgesamt 6743 Stellen und Stellenäquivalente mit den entsprechenden Vollzeiteinheiten und Budgetanteilen im Landesbereich entbehrlich zu stellen. Hieraus ergebe sich zum Stand des Haushaltsplanentwurfs 2010 auf der Basis des aktuellen Bezügeniveaus eine dauerhafte Haushaltsentlastung von rund 291 Mio. € jährlich. Außerdem sollten ab dem Haushaltsjahr 2010 keine weiteren Zuführungen mehr an das Sondervermögen "Niedersächsischer Versorgungsrücklage" geleistet werden. Die dafür sonst nötigen Haushaltsmittel würden die Nettokreditaufnahme weiter erhöhen.

Der Präsident des Landesrechnungshofs bezweifelte vor dem Ausschuss für Haushalt und Finanzen hingegen, dass die veranschlagte Neuverschuldung in dieser Höhe unabweisbar sei. Zum einen könnten Zweifel bestehen, ob die Mai-Steuerschätzung mit dem dort zugrunde gelegten Rückgang des Bruttoinlandsproduktes von nominal 6,0 % (real 5,3 %) die Realität treffe. Mögliche Korrekturen aus der November-Steuerschätzung müssten zu einer Reduktion der Kreditspielräume genutzt werden.Zum anderen dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass der hohe Kreditbedarf 2010 nur zum Teil aus Steuermindereinnahmen resultiere. Insoweit erinnerte der Präsident des Landesrechnungshofs an die hohen Handlungsbedarfe von 985 Mio. € aus der Mipla, die in das strukturelle Defizit des Haushaltsentwurfs 2010 eingeflossen seien. Der haushaltspolitische Sprecher der Landtagsfraktion der FDP vertrat in der Ausschussberatung demgegenüber die Auffassung, das Land habe in der Zeit von 2003 bis 2008 die Nettoneuverschuldung um 90 % reduziert. Diese Konsolidierungspolitik habe dazu beigetragen, dass das Land auf die dramatische Finanzsituation besser vorbereitet gewesen sei und besser habe reagieren können. Der haushalts- und finanzpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag verwies darauf, dass die Mipla für die Haushaltsjahre nach 2010 eine schrittweise Reduzierung der Neuverschuldung vorsehe.

Der Ausschuss für Haushalt und Finanzen empfahl dem Niedersächsischen Landtag mit Beschlussempfehlung vom 9. Dezember 2009, den Gesetzentwurf des Haushaltsgesetzes 2010 mit Änderungen anzunehmen. Zu diesen Änderungen gehörte auch die Berücksichtigung der Ergebnisse der Steuerschätzung November 2009. Eine Änderung von § 3 Abs. 1 des Gesetzentwurfs sah die Beschlussempfehlung demgegenüber nicht vor.

Der 16. Niedersächsische Landtag beschloss das Haushaltsgesetz 2010 in seiner 57. Sitzung am 17. Dezember 2009. Er folgte dabei den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Haushalt und Finanzen mit den von den Regierungsfraktionen vorgeschlagenen Änderungen. Ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD, der unter anderem eine Entnahme aus der allgemeinen Rücklage von 745 Mio. € vorsah, und ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der eine Verminderung der Kreditaufnahmeermächtigungen auf 1 919 696 000 € beinhaltete, fanden keine Mehrheiten. Das Haushaltsgesetz 2010 wurde am 17. Dezember 2009 verkündet und trat am 1. Januar 2010 in Kraft.

Das Haushaltsgesetz 2010 stellt im § 1 den Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2010 in Einnahme und Ausgabe auf 25 142 571 000 € fest. Das Finanzministerium wird gemäß § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010 ermächtigt, im Haushaltsjahr 2010 zur Deckung von Ausgaben Kredite vom Kreditmarkt bis zur Höhe von 2,3 Mrd. € aufzunehmen. In Einzelplan 13 Kapitel 1302 - 351 11-7 in Verbindung mit Kapitel 5131 Titel 919 11-8 ist eine Entnahme aus der allgemeinen Rücklage in Höhe von 730 Mio. € veranschlagt. Die Ansätze aus Steuern und steuerinduzierten Einnahmen (Länderfinanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen) leitete der Haushaltsgesetzgeber von der zentralen Schätzung des Arbeitskreises "Steuerschätzungen" vom 3. bis 5. November 2009 ab, wie die Erläuterungen zu Einzelplan 13 Kapitel 1301 und Einzelplan 13 Kapitel 1310 Titel 211 11 und 212 11 darlegen. Einen Abschlag ("Rotabsetzung") von diesen Haushaltsansätzen wegen einer im März 2010 fällig werdenden Rückzahlung im bundesstaatlichen Finanzausgleich nahm der Haushaltsgesetzgeber nicht vor.

Das Nachtragshaushaltsgesetz 2010 änderte § 1 des Haushaltsgesetzes 2010 dahin, dass das Haushaltsvolumen auf 24 843 571 000 € herabgesetzt und der Gesamtplan entsprechend angepasst wurde. Hieraus ergaben sich auch Änderungen der Einzelpläne, insbesondere des Einzelplans 13. Die in dem vorliegenden Verfahren angegriffenen Haushaltsansätze sind hiervon allerdings nicht betroffen.

II.

59 Mitglieder des Niedersächsischen Landtags, Angehörige der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, begehren eine verfassungsrechtliche Überprüfung der in § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2009 in der Fassung des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 und der in § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010 erteilten Ermächtigungen zur Kreditaufnahme, soweit die Kreditaufnahmeermächtigungen die Höhe der eigenfinanzierten Investitionen übersteigen. Ferner begehren sie eine verfassungsrechtliche Überprüfung, ob das Haushaltsgesetz 2010 gegen das Verfassungsgebot der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit verstößt, soweit es zur Deckung von Ausgaben auf die allgemeine Rücklage zurückgreift. Darüber hinaus machen sie geltend, das Haushaltsgesetz 2010 verstoße gegen das Verfassungsgebot der Jährlichkeit der Haushaltsplanung, weil ein im März 2010 fälliger Erstattungsanspruch des Bundes aus der Umsatzsteuer 2009 nicht dem Haushaltsplan 2010 zugeordnet worden sei.

Die Antragsteller haben in der mündlichen Verhandlung am 30. September 2011 beantragt, der Staatsgerichtshof möge im Wege der Normenkontrolle gemäß Art. 54 Nr. 3 NV feststellen, dass

1. Art. 1 § 3a des Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2009 (3. Nachtragshaushaltsplan 2009) vom 9. November 2009 nicht mit Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV vereinbar und damit nichtig ist, soweit die Kreditermächtigungen die Höhe der eigenfinanzierten Investitionen (um 998 Mio. €) übersteigen,

2. das Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplanes für das Haushaltsjahr2010 vom 17. Dezember 2009

a) nicht mit Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV vereinbar ist, soweit in § 3 Abs. 1 dieses Gesetzes die Kreditermächtigungen die Höhe der eigenfinanzierten Investitionen (um 1,061 Mrd. €) übersteigen,

b) gegen das Verfassungsgebot der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit verstößt, soweit es zur Deckung von Ausgaben auf die allgemeine Rücklage in Höhe von 730 Mio. € (Einzelplan 13 Kapitel 1302 Titel 351 11-7 i.V.m. Einzelplan 13 Kapitel 5131 Titel 919 11-8) zurückgreift,

c) gegen das Verfassungsgebot der Jährlichkeit der Haushaltsplanung verstößt, soweit der Erstattungsanspruch des Bundes i.H.v. 611 Mio. € aus der Umsatzsteuer 2009 trotz Fälligkeit im März 2010 nicht dem Haushaltsplan 2010 haushaltsrechtlich zugeordnet wurde,

und wegen der Verstöße zu a), b) und c) insoweit verfassungswidrig und damit nichtig ist.

III.

Zur Begründung tragen die Antragsteller im Wesentlichen vor:

1. Die Überschreitung der Regel-Obergrenze des Art. 71 Satz 2 NV durch das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 sei nicht zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts bestimmt und geeignet.

a) Art. 71 Satz 2 NV verlange als Regel-Obergrenze, dass die Kreditermächtigungen die Höhe der eigenfinanzierten Investitionen nicht überstiegen. Neben der Absicht, den Staat daran zu hindern, konsumtive Ausgaben über Kredite zu finanzieren, gebiete es auch die generationenübergreifende Betrachtungsweise und Verantwortung, eine Neuverschuldung nur in dem Umfang zuzulassen, wie mit kreditfinanzierten Investitionen bleibende Werte auch für die nachfolgende Generation geschaffen würden und von dieser genutzt werden könnten. Art. 71 Satz 3 NV sei nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs eine Ausnahmebestimmung gegenüber Art. 71 Satz 2 NV, weil es Art. 71 Satz 3 NV in einer Krisensituation zulasse, auch staatlichen Konsum mit Krediten zu finanzieren. Da sich schon die in der Niedersächsischen Verfassung vorgesehene Regel-Kreditlinie des Art. 71 Satz 2 NV als wenig geeignet erwiesen habe, der Neuverschuldung des Staates Grenzen zu setzen, müsse die erweiterte Möglichkeit einer krisenbedingten zusätzlichen Kreditaufnahme gemäß Art. 71 Satz 3 NV als absoluter Ausnahmetatbestand angesehen werden. Hiernach sei eine Überschreitung der Regel-Obergrenze für Kreditermächtigungen als ultima ratio nur zulässig, wenn eine nachhaltige Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliege, die erhöhte Kreditaufnahme dazu bestimmt und geeignet sei, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren und im Gesetzgebungsverfahren entsprechende Darlegungen erfolgt seien.

b) Die Darlegungen der Landesregierung zur Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts seien sowohl in der Begründung des Gesetzentwurfs des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 als auch in den Beratungsgremien dürftig ausgefallen. Der Bund habe zwar eine entsprechende Feststellung für die gesamte Bundesrepublik getroffen, welcher sich die Landesregierung angeschlossen habe. Der neueren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen (VerfGH NW, NWVBl 2011, 218) sei aber zu entnehmen, dass das Vorliegen einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts landesbezogen festgestellt werden müsse. Die Begründung des Gesetzentwurfs führe hierzu nur aus, dass die Feststellungen zur Störungslage auf Bundesebene auch für die gesamtwirtschaftliche Situation in Niedersachsen zuträfen. Damit habe die Landesregierung ein gesamtwirtschaftliches Ungleichgewicht nicht dargelegt. Die gegenüber dem Ergebnis der Steuerschätzung aus Mai 2009 höheren Steuereinnahmen hätten für die Landesregierung Anlass sein müssen, der Frage nachzugehen, ob eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in Niedersachsen vorgelegen habe.

c) Die erhöhte Kreditaufnahmeermächtigung müsse zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise bestimmt und geeignet sein, soweit sie das investive Ausgabenvolumen übersteige. Die erhöhte Kreditaufnahme müsse nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) final auf die Störungsabwehr bezogen sein. Nicht „bestimmt“ und „geeignet“ seien Kreditermächtigungen, die zum Ausgleich des Haushaltes deshalb nicht benötigt würden, weil die Landesregierung für das Haushaltsjahr 2009 zu hohe Steuerausfälle prognostiziert habe. Dadurch habe sie auch den Bedarf an Kreditermächtigungen zur Schließung der Deckungslücke überzogen hoch veranschlagt. Der Grundsatz der Haushaltswahrheit enthalte das Gebot, die in einem Haushaltsjahr voraussichtlich eingehenden Einnahmen und die voraussichtlich zu leistenden Ausgaben mit größtmöglicher Genauigkeit zu errechnen oder zu schätzen sowie das Verbot, Beträge und Sachverhalte zu verschleiern oder vorzutäuschen. Unvermeidliche Ungewissheiten und Risiken seien auf ein Minimum zu reduzieren.

Die Landesregierung habe sich bei der Beurteilung der für 2009 zu erwartenden Steuermindereinnahmen an der Mai-Steuerschätzung orientiert und die Ergebnisse für Niedersachsen regionalisiert. Im Hinblick auf den absoluten Ausnahmecharakter des Art. 71 Satz 3 NV hätte die Landesregierung aber einen Abgleich mit der tatsächlichen Entwicklung der Steuereinnahmen in Niedersachsen vornehmen müssen. Sie hätte bei der Veranschlagung der Einnahmen- und Ausgabenansätze besondere Sorgfalt walten lassen müssen, was jedoch unterblieben sei. Da sich eklatante Abweichungen von der Mai-Steuerschätzung geradezu aufgedrängt hätten, hätte Anlass bestanden, den Kreditbedarf deutlich nach unten zu korrigieren. Das Haushaltsjahr 2009 habe sich bei der Verabschiedung des 3. Nachtragshaushalts 2009 dem Ende zugeneigt. Deshalb wäre es erforderlich gewesen, eine stabile und von der Mai-Steuerschätzung abweichende Prognose mit entsprechender Schätzgenauigkeit vorzunehmen. Die Sonderentwicklung in Niedersachsen sei frühzeitig erkennbar gewesen. Während von Januar bis Juli 2009 in ganz Deutschland Gemeinschafts- und Ländersteuern um 6 % zurückgegangen seien, habe Niedersachsen im gleichen Zeitraum Steuermehreinnahmen gegenüber dem Vorjahr von 10 % zu verzeichnen gehabt. Anfänglich habe die Landesregierung möglicherweise noch davon ausgehen können, dass sich entsprechend der Prognose der Mai-Steuerschätzung tiefe Einschnitte bei den Gesamtsteuereinnahmen im weiteren Verlauf des Haushaltsjahres 2009 ergeben würden. Am 29. Oktober 2009 habe sich für die ersten drei Quartale aber immer noch eine positive Entwicklung abgezeichnet. Nach dem Vierteljahresbericht für das 1. bis 3. Haushaltsvierteljahr 2009 seien die Einnahmen gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um 9,6 % (1,53 Mrd. €) und die Ausgaben um 5,5 % (942,9 Mio. €) gestiegen. Ohne Nettokreditaufnahme seien die Einnahmen um 602,7 Mio. € (3,5 %) angestiegen. Obwohl das Finanzministerium in seinem Vierteljahresbericht vom 29. Oktober 2009 mitgeteilt habe, dass die Nettokreditaufnahme für die ersten drei Quartale des Jahres 2009 noch immer einen Negativbetrag in Höhe von 72,6 Mio. € ausgewiesen habe und sich das Land somit noch in der Tilgungsphase befunden habe, sei im 3. Nachtragshaushaltsplan 2009 eine Erhöhung der Kreditaufnahmeermächtigungen auf 2,3 Mrd. € veranschlagt worden.

Auch der Landesrechnungshof habe wegen der prognostizierten Steuermindereinnahmen nur einen maximalen Handlungsbedarf für eine Nettoneuverschuldung in Höhe von 1,261 Mrd. € gesehen. Er habe ferner dargelegt, dass selbst diese Obergrenze nicht ausgeschöpft werden müsse, da das niedersächsische Steuer-Ist-Aufkommen höher sei als im Mai prognostiziert. Der Verstoß gegen den Grundsatz der Haushaltswahrheit habe sich durch die Zahlen bestätigt, die die Landesregierung dem Ausschuss für Haushalt und Finanzen Anfang 2010 mitgeteilt habe. Sie würden belegen, dass die für 2009 von der Landesregierung prognostizierten Steuerausfälle um beachtliche 700 Mio. € verfehlt worden seien. Die von der Landesregierung für 2009 ermittelten Steuermindereinnahmen in Höhe von 1,3 Mrd. € ergäben sich nur dadurch, dass die Landesregierung angekündigt habe, die erst im März 2010 fällige Erstattung an den Bund aus der Umsatzsteuer in Höhe von 611 Mio. € in das Haushaltsjahr 2009 zurückzubuchen. Die Differenz von 700 Mio. € zwischen den prognostizierten und den tatsächlichen Steuermindereinnahmen sei keine Schätzungenauigkeit, die mit Prognoseunsicherheiten erklärt werden könne. Die Landesregierung habe sich vielmehr bewusst erhebliche finanzielle Spielräume geschaffen, um sich Transfermöglichkeiten zwischen den Haushaltsjahren zu eröffnen.

d) Voraussetzung für eine erhöhte, den Rahmen des Art. 71 Satz 2 NV überschreitende Kreditermächtigung sei außerdem die Darstellung im Gesetzgebungsverfahren, dass die zusätzliche Staatsverschuldung dazu bestimmt und geeignet sei, die Wirtschaftskrise zu bekämpfen. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zeige eine deutliche Tendenz, den Gesetzgeber zwar nicht materiell-rechtlich, wohl aber verfahrensmäßig engeren Bindungen zu unterwerfen. Den am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Entscheidern (Mehrheitsfraktionen, Regierung) werde eine Rechtfertigungsspflicht und eine Verantwortungsübernahme in Form einer Darlegungslast auferlegt. Es müsse insbesondere dargelegt werden, aus welchem Grunde der Wirtschaftskrise (ausnahmsweise) mit einer die Summe der eigenfinanzierten Investitionen überschreitenden Neuverschuldung und nicht durch alternative Maßnahmen, wie z.B. Ausgabenkürzungen, Einsatz von Staatsvermögen oder Rücklagenauflösungen, beigekommen werden solle.

Die Begründung des Gesetzentwurfs zum 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 sowie die Einlassungen der Landesregierung und der Abgeordneten der Mehrheitsfraktionen im Plenum und im Fachausschuss ließen keine Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen des Art. 71 Satz 3 NV erkennen. Der in der Begründung des Gesetzentwurfs enthaltene Hinweis, ohne Überschreitung der Kreditlinie des Art. 71 Satz 2 NV wäre ein Haushaltsausgleich nur durch Eingriffe in konsumtive Ausgaben möglich, wodurch die Binnennachfrage weiter geschwächt würde, gehe über eine allgemein gehaltene formelhafte Aussage nicht hinaus. Substantielle Darlegungen im Sinne der Rechtsprechung des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs seien nicht erfolgt. Da das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 erst knapp zwei Monate vor Ende des Haushaltsjahres 2009 verabschiedet worden sei, fehle auch eine Darlegung dazu, wie die erhöhten Kreditmittel noch kurz vor Ende des Haushaltsjahres final zur Förderung und Belebung der Wirtschaft hätten eingesetzt werden können. Die Landesregierung habe nicht erwogen, in der Phase der Wirtschaftskrise anstelle der Erhöhung der Neuverschuldung Ausgabenkürzungen vorzunehmen. Insoweit fehle es an der erforderlichen Abwägung.

Die Entscheidung der Landesregierung und der Landtagsmehrheit, entgegen der bisherigen Planung Deckungsmittel aus der Veräußerung von Stammkapital der Nord/LB und aus der Inanspruchnahme der allgemeinen Rücklage nicht zu verwenden, indiziere zusätzlichen finanziellen Handlungsbedarf. Im Hinblick auf Art. 71 Satz 3 NV wäre es Aufgabe der Landesregierung gewesen, zunächst in Überlegungen einzutreten, wie der den Kreditrahmen des Art. 71 Satz 2 NV überschreitende Finanzbedarf ohne zusätzliche Neuverschuldung gedeckt werden könne. Zur Erfüllung der Darlegungspflicht hätte es expliziter Ausführungen zu der Frage bedurft, weshalb auf die Veräußerung der Geschäftsanteile der Nord/LB und den Einsatz der allgemeinen Rücklage als Deckungsmittel im 3. Nachtragshaushalt 2009 verzichtet werde. Beide Maßnahmen seien im Ausgangshaushalt 2009 und somit zu „Friedenszeiten“ noch zur Haushaltskonsolidierung bestimmt gewesen. In der Krisenphase seien sie aber geschont worden, um für die Zukunft finanzielle Handlungsspielräume zu eröffnen. Handele der Haushaltsgesetzgeber entgegen der bisherigen Finanzplanung, habe er dies nach der Rechtsprechung des VerfGH NW zu begründen. Darlegungsbedarf habe ferner deshalb bestanden, weil mit den im Grundhaushalt veranschlagten Deckungsmitteln aus der allgemeinen Rücklage und dem Verkauf von Stammkapital der Nord/LB kein Eingriff in den konsumtiven Bereich verbunden gewesen wäre, mithin keine negativen Auswirkungen auf die Binnennachfrage zu erwarten gewesen wären. Im Ergebnis seien Reserven geschont worden, um konsumtive Ausgaben mit Krediten zu finanzieren. Auch nach Auffassung des Landesrechnungshofs sei mit der ursprünglich veranschlagten Veräußerung von Geschäftsanteilen der Nord/LB und dem Einsatz der allgemeinen Rücklage als Deckungsmittel ein Haushaltsausgleich in den Grenzen des Art. 71 Satz 2 NV möglich gewesen.

e) Nach der Begründung des Gesetzentwurfs für das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 habe die vorgesehene Nettoneuverschuldung zudem dazu gedient, die Neuverschuldung Haushaltsjahre übergreifend - mittelfristig - zu steuern. Diese Zielsetzung lasse sich mit Art. 71 Satz 3 NV nicht vereinbaren. Im Fokus der Überlegungen bei der Aufstellung des 3. Nachtragshaushalts 2009 habe nicht - wie von der Verfassung vorgegeben - eine Kreditlinie gestanden, die trotz der Krise die Höhe der eigenfinanzierten Investitionen nicht übersteige, sondern eine 5-jährige Finanzplanung, die - losgelöst von Art. 71 Satz 3 NV - anfänglich hohe Finanzierungsbedarfe ausweise, um diese im Laufe der Folgejahre kontinuierlich herunterzufahren. Dies gehe aus der Mipla 2009 - 2013 hervor, die für die Jahre 2009 und 2010 einen gleich hohen Kreditbedarf von 2,3 Mrd. € ausweise. Dieser Kreditbedarf solle dann in den nachfolgenden Haushaltsjahren von 2011 - 2013 in „350 Mio. € - Schritten“ abgesenkt werden. Bereits das Abstellen des Finanzbedarfs auf eine 5-Jahres-Planung mit einer vorgegebenen Nettoneuverschuldung sei verfassungswidrig. Der Kreditbedarf sei individuell für jedes Haushaltsjahr zu ermitteln und mit den Voraussetzungen des Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV in Einklang zu bringen. Die Mipla könne keine verbindliche Vorgabe für Art. 71 Satz 3 NV sein. Sie könne schon gar nicht eine erhöhte bzw. überhöhte Kreditlinie i.S. von Art. 71 Satz 3 NV rechtfertigen.

2. Auch in Bezug auf das Haushaltsgesetz 2010 rügen die Antragsteller Verfassungsverstöße.

a) Die Landesregierung und die Mehrheitsfraktionen hätten nicht hinreichend dargelegt, dass die zusätzliche Verschuldung final dazu bestimmt und geeignet gewesen sei, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren. Die Landesregierung habe gemeinsam mit den Mehrheitsfraktionen den Kreditbedarf nicht anhand der für 2010 zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben ermittelt, sondern die Mipla als feste Größe mit einem mittelfristig festgelegten fiktiven Handlungsbedarf zur Grundlage gemacht. Diese Vorgehensweise verstoße gegen Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV. Die Kreditermächtigung habe ausschließlich dazu gedient, mittelfristig zunächst einen hohen Schuldensockel in Höhe von 2,3 Mrd. € zu schaffen, um dann die Nettoneuverschuldung in „350 Mio. € - Schritten“ planmäßig herunter zu fahren.

b) Der im Haushaltsgesetz 2010 vorgesehene Einsatz der allgemeinen Rücklage als Deckungsmittel stelle einen Verstoß gegen die Grundsätze der Haushaltswahrheit und der Haushaltsklarheit dar, weil die Rücklage nicht dotiert sei. Sie weise monetär einen „Null“-Bestand auf. In der allgemeinen Rücklage befänden sich ausschließlich Ermächtigungen für das Finanzministerium, zusätzliche Kredite aufzunehmen. Mit der Entnahme aus der allgemeinen Rücklage und deren Einsatz als Deckungsmittel täusche das Haushaltsgesetz 2010 vor, dass in der Rücklage finanzielle Reserven vorhanden seien, die - als Alternative zu einer höheren Nettoneuverschuldung - kreditmindernd eingesetzt werden könnten. Dies sei aber nicht der Fall.

Die allgemeine Rücklage entstehe dadurch, dass die Landesregierung die Ist-Einnahmen zuzüglich der Kreditermächtigungen als fiktive Einnahmen von den Ist-Ausgaben abziehe. Daraus ergebe sich in der Regel ein Einnahmenüberhang in Form nicht benötigter Kreditermächtigungen. Diese würden - vermindert um die Haushaltsausgabenreste - buchungstechnisch als „Überschuss“ behandelt und der allgemeinen Rücklage zugeführt. Auf diese Weise seien zum Beispiel Kreditermächtigungen in Höhe von 246,9 Mio. € aus dem Haushaltsjahr 2009 der allgemeinen Rücklage zugeführt worden. Dieser Übertragungsakt und die Art der Rücklagenbildung verstießen gegen haushaltsrechtliche Bestimmungen und gegen die Verfassung.

Zunächst sei ein Verstoß gegen § 18 Abs. 2 LHO i.V.m. § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010 gegeben. Dort sei ausdrücklich festgelegt, dass die Kreditermächtigung ausschließlich „zur Deckung von Ausgaben“ erteilt werde. Dies beinhalte nicht die Übertragung von Kreditermächtigungen, denen keine Ausgaben gegenüberstünden. Nach § 18 Abs. 2 Satz 3 LHO dürften Kreditermächtigungen regelmäßig nur bis zum Ende des nachfolgenden Haushaltsjahres genutzt werden. Mit der Einstellung der Kreditermächtigungen in die allgemeine Rücklage sei es der Landesregierung hingegen möglich, diese zeitliche Beschränkung zu unterlaufen, die übertragenen Kreditermächtigungen also zeitlich unbeschränkt zu nutzen. Darüber hinaus sei die Rücklagenbildung aus Kreditermächtigungen auch nicht mit § 25 Abs. 2 LHO vereinbar.

Eine Kreditermächtigung könne zudem nicht „rücklagefähig“ sein. Sie stelle keinen Vermögenswert dar. Eine mit Kreditermächtigungen bestückte Rücklage beinhalte entgegen ihrer Zweckbestimmung keine finanzielle Reserve zur Stabilisierung des Haushalts. Sie sei vielmehr ein zusätzliches Verschuldungspotenzial mit destabilisierender Wirkung. Der VerfGH NW habe sich bereits im Jahr 2003 damit zu befassen gehabt, dass das Land Nordrhein-Westfalen ohne konkreten Handlungsbedarf nicht benötigte Kreditermächtigungen ausgeschöpft habe, um die Rücklagen für schlechtere Zeiten aufzubessern. Der VerfGH NW habe diese Praxis für verfassungswidrig erklärt. Er habe in kreditfinanzierten Rücklagen primär einen Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot gesehen, das verfassungsrechtliche Bedeutung besitze. Der VerfGH NW habe aber auch einen Verstoß gegen die in der Verfassung von Nordrhein-Westfalen enthaltene Kredit-Obergrenzen-Regelung bejaht. Diese Regelung sei mit Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV vergleichbar. Die vom VerfGH NW als verfassungswidrig beurteilten Rücklagenzuführungen hätten erklärtermaßen der Deckung des staatlichen Finanzbedarfs in zukünftigen Haushaltsjahren gedient. Eine Verrechnung des Finanzbedarfs zwischen einzelnen Haushaltsjahren durch Einsatz von Rücklagen verstoße jedoch gegen das Jährlichkeitsprinzip.

Anders als in Nordrhein-Westfalen seien in Niedersachsen Kreditermächtigungen aus Vorjahren zwar nicht dazu benutzt worden, um Kredite aufzunehmen und die Rücklage real aufzustocken, sodass kein Verstoß gegen den Haushaltsgrundsatz der Wirtschaftlichkeit vorliege. Während in Nordrhein-Westfalen mit der Kreditaufnahme der Rücklage ein realer Gegenwert zugeführt worden sei, stünden in Niedersachsen keinerlei Mittel in der allgemeinen Rücklage zur Verfügung. Die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage und ihr Einsatz als Deckungsmittel ermögliche es dem Haushaltsgesetzgeber, die wahre Höhe der Kreditaufnahme zu verschleiern. Das ganze Ausmaß der Neuverschuldung werde nicht öffentlich. Der die eigenfinanzierten Investitionen übersteigende Betrag werde mit 1,061 Mrd. € ausgewiesen, während die zusätzliche Kreditaufnahme durch die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage von 730 Mio. € nicht sichtbar werde. Die Verletzung des Verfassungsgrundsatzes der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit sei evident.

Der Haushaltsgesetzgeber sei mit der von ihm praktizierten Rücklagenbildung in der Lage, die Grundsätze der Jährlichkeit, Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit sowie die Regelobergrenze des Art. 71 Satz 2 NV für die Kreditaufnahme zu unterlaufen. Durch Schätzungenauigkeiten könnten finanzielle Spielräume gezielt genutzt werden, um (buchungstechnisch) größere Rücklagen anzusammeln, welche die Landesregierung und die Landtagsmehrheit in späteren Haushaltsjahren nach eigenem Ermessen als haushaltsübergreifende Reserve einsetzen könnten. In den Krisenjahren 2009 und 2010 sei der Bestand an Kreditermächtigungen in der allgemeinen Rücklage erheblich angestiegen. Dies zeige auch, dass die vom Landtag für 2009 und 2010 bewilligten Kreditermächtigungen weit überzogen gewesen seien. So habe die Landesregierung mit dem 3. Nachtragshaushalt 2009 wegen der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zusätzliche Kreditermächtigungen nach Art. 71 Satz 3 NV in Höhe von 998 Mio. € in Anspruch genommen. Gleichzeitig sei aber die Rücklage in Höhe von 742 Mio. € geschont worden, um sie erklärtermaßen als Reserve im Haushaltsjahr 2010 nutzen zu können. Die allgemeine Rücklage sei jedoch im krisengeschüttelten Haushaltsjahr 2009 nicht nur geschont worden, die Landesregierung habe sie vielmehr noch um weitere 246,9 Mio. € aufgestockt.

Eine solche Handhabung sei insbesondere dann als kritisch anzusehen, wenn eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliege, mithin die Regel-Obergrenze für die Nettoneuverschuldung nicht eingehalten werde. Zur Vermeidung von erforderlich werdenden nachhaltigen Eingriffen auf der Ausgabenseite könnten Landesregierung und Mehrheitsfraktionen die Kreditaufnahme formal auf das verfassungsrechtlich vorgegebene Maß des Art. 71 Satz 2 NV beschränken und die dann noch vorhandene zusätzliche Unterdeckung im Haushalt über den Einsatz der allgemeinen Rücklage abfangen. Obwohl der Rahmen für die Gesamtkreditaufnahme des Art. 71 Satz 2 NV längst überschritten sei, könne der Gesetzgeber nach außen den Eindruck vermitteln, der Haushalt sei verfassungskonform nach Art. 71 Satz 2 NV aufgestellt worden, obwohl er sich tatsächlich im erweiterten Finanzrahmen des Art. 71 Satz 3 NV bewege. Ferner sei zu berücksichtigen, dass erhöhte Kreditermächtigungen nach Art. 71 Satz 3 NV zweckorientiert zur Beseitigung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts einzusetzen seien. Würden solche Kreditermächtigungen nach Art. 71 Satz 3 NV in dem Haushaltsjahr, für das sie bestimmt seien, nicht zur Gänze ausgenutzt, dürfe der nicht ausgenutzte Teil der Kreditermächtigungen daher nicht als Rücklage in künftige Haushaltsjahre übertragen werden.

c) Das Haushaltsgesetz 2010 habe ferner deswegen gegen das Jährlichkeitsprinzip und die Grundsätze der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit verstoßen, weil der im Jahr 2010 fällige Erstattungsanspruch des Bundes aus der Umsatzsteuer 2009 keine haushaltsrechtliche Absicherung im Haushaltsplan 2010 gefunden habe.

Der Ausgleich zwischen den Geber- und Nehmerländern im Länderfinanzausgleich erfolge im Positiven wie im Negativen im darauf folgenden Jahr. Dementsprechend seien in Niedersachsen die Ergebnisse des Länderfinanzausgleichs bisher ausnahmslos und haushaltsrechtlich korrekt im Jahr der Fälligkeit dem jeweiligen Haushalt zugeordnet worden. Art. 65 Abs. 1 NV schreibe vor, dass für jedes Haushaltsjahr alle Ausgaben des Landes, nach Zwecken getrennt, im Haushaltsplan zu veranschlagen seien. Die Ausgaben seien entsprechend ihrer Fälligkeit dem jeweils aktuellen Haushaltsplan zuzuordnen. Da der Erstattungsanspruch des Bundes aufgrund der Umsatzsteuerzerlegung erst im März 2010 fällig geworden sei, hätte der Betrag von 611 Mio. € nach dem Jährlichkeitsprinzip dem Haushaltsjahr 2010 als Ausgabeposition zugeordnet werden müssen. Art. 65 Abs. 5 NV schreibe vor, dass in das Haushaltsgesetz nur solche Vorschriften aufgenommen werden dürften, die sich auf die Einnahmen und Ausgaben des Landes sowie auf den Zeitraum bezögen, für den das Haushaltsgesetz beschlossen werde. Zwar lasse das Haushaltsrecht eine Übertragung von Ausgaben unter den Einschränkungen des § 19 LHO zu, aber stets nur aus dem abgelaufenen in das nachfolgende Haushaltsjahr.

Mit der Rückbuchung des im März 2010 fälligen Erstattungsanspruchs in das Haushaltsjahr 2009 habe nicht nur die Fehlprognose bei den Steuermindereinnahmen 2009 kaschiert werden sollen. Darüber hinaus hätten zugleich auch zusätzliche finanzielle Dispositionsmöglichkeiten für das Haushaltsjahr 2010 geschaffen werden sollen. Als Vehikel habe der Landesregierung die haushaltsrechtlich nicht haltbare Auffassung gedient, die Haushaltsjahre 2009 und 2010 seien als wirtschaftliche Einheit zu sehen. Das Finanzministerium habe in der 59. Sitzung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen am 10. Februar 2010 im Rahmen der Unterrichtung des Ausschusses über die Schlussabrechnung im bundesstaatlichen Finanzausgleich ausgeführt, dass es richtig gewesen sei, trotz des Jährlichkeitsprinzips die Jahre 2009 und 2010 wirtschaftlich als Einheit zu betrachten. Deutlicher habe die Landesregierung nicht offen legen können, dass sie sich gezielt über das Jährlichkeitsprinzip hinweggesetzt habe.

IV.

Dem Niedersächsischen Landtag und der Niedersächsischen Landesregierung ist Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden. Der Niedersächsische Landtag hat beschlossen, von einer Stellungnahme gegenüber dem Staatsgerichtshof abzusehen. Die Landesregierung hält den Antrag nicht für begründet. Sie führt im Wesentlichen aus:

1. Im Haushaltsjahr 2009 habe eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts i.S.v. Art. 71 Satz 3 NV vorgelegen. Es sei nach den wirtschaftlichen Prognosen für das Jahr 2009 zu erwarten gewesen, dass vor allem die Teilziele „hoher Beschäftigungsstand“ sowie „stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum“ nachhaltig verfehlt würden. Die im 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 enthaltene erhöhte Kreditaufnahmeermächtigung habe dem Zweck gedient, die nachhaltige Störungslage abzuwehren, sie zumindest aber abzumildern. Dieses Ziel habe der Haushaltsgesetzgeber durch eine antizyklische Konjunkturpolitik erreichen wollen. Die Landesregierung habe in der Begründung des Gesetzentwurfs zum 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 darauf hingewiesen, dass mit substantiellen Einnahmeverbesserungen nicht zu rechnen sei. Ein Ausgleich der aufgrund der Steuerschätzung aus Mai 2009 zu erwartenden Steuermindereinnahmen wäre daher nur durch weit reichende Ausgabenkürzungen im konsumtiven Bereich umzusetzen gewesen. Eine sinkende staatliche Nachfrage hätte die Konjunktur allerdings zusätzlich belastet. In den parlamentarischen Beratungen zum 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 hätten Vertreter der Landesregierung und Mitglieder der Regierungsfraktionen im Einzelnen dargelegt, wie die Mittel zur Belebung der Konjunktur eingesetzt werden sollten.

Sowohl die Kreditbegrenzung auf die Summe der Investitionsausgaben als auch die Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts durch die erhöhte Kreditaufnahme seien jeweils gewichtige öffentliche Interessen. Zu welchem von mehreren geeigneten Mitteln zur Störungsabwehr der Gesetzgeber greife, sei eine Abwägungsfrage, für die ihm eine Einschätzungsprärogative zustehe. Stehe eine nachhaltige Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts fest, sei die Kreditobergrenze nicht mehr maßgeblich. Auf die Einnahmenentwicklung komme es dann nicht an. Selbst wenn der Haushaltsgesetzgeber dem 3. Nachtragshaushaltsplan 2009 also eine falsche Einnahmenschätzung zu Grunde gelegt hätte, könnte dies den geltend gemachten Verstoß gegen Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV nicht begründen. Der Haushaltsgesetzgeber habe bei der Schätzung der Steuereinnahmen aber auch nicht gegen das Verfassungsgebot der Haushaltswahrheit verstoßen. Aus dem Grundsatz der Haushaltswahrheit folge vor allem die Pflicht zur Schätzgenauigkeit. Welche Verhaltensanforderungen im Einzelnen an die beteiligten Verfassungsorgane aus dieser Pflicht folgten, lasse sich kaum generell und abstrakt bestimmen. Jedenfalls sei der Grundsatz der Haushaltswahrheit durch bewusst falsche Etatansätze verletzt, aber auch durch „gegriffene“ Ansätze, die trotz nahe liegender Möglichkeiten besserer Informationsgewinnung ein angemessenes Bemühen um realitätsnahe Prognosen zu erwartender Einnahmen oder Ausgaben vermissen ließen. Einnahmen- und Ausgabenschätzungen verstießen aber nicht bereits dann gegen das Wahrheitsgebot, wenn sie sich im Nachhinein als falsch erwiesen. Ein Verstoß liege nur dann vor, wenn die Schätzungen aus der Sicht ex ante nicht sachgerecht und nicht vertretbar ausfielen.

Für das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 sei die Schätzung der Einnahmen nach anerkannten und üblichen Methoden erfolgt. Die Schätzung sei jedoch wegen der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Jahr 2009 durch eine außergewöhnlich hohe Prognoseunsicherheit bestimmt gewesen. Diese habe vor allem darauf beruht, dass die Folgen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise für die Steuer- und sonstigen Einnahmen kaum kalkulierbar gewesen seien. Im Oktober und November 2009 sei die haushaltswirtschaftliche Prognose auch durch die Maßnahmen erschwert worden, die Bund und Länder im Zuge der Umsetzung der Konjunkturprogramme zur Beschleunigung von Investitionsmaßnahmen ergriffen hätten. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich das Ziel formuliert, einen zügigen Mittelabfluss zu erreichen. Darüber hinaus sei nicht einzuschätzen gewesen, ob und in welcher Weise die eingetretene atypische Entwicklung der Steuereinnahmen in Niedersachsen im weiteren Jahresverlauf anhalten werde. Auch die quartalsweisen Abrechnungen für den Länderfinanzausgleich hätten im Haushaltsjahr 2009 dazu geführt, dass die Einnahmen nur höchst unsicher hätten kalkuliert werden können. In diesem Verfahren führten nicht absehbare, sprunghafte Verbesserungen des Umsatzsteueraufkommens zu Rückzahlungsverpflichtungen des Landes bei den quartalsweisen Zwischenabrechnungen, es sei denn, sie würden von anderen Effekten in Niedersachsen oder in anderen Ländern überlagert. Zur Beurteilung der Einnahmenentwicklung müssten also nicht nur die relativ hohen Umsatzsteuereinnahmen des Landes Niedersachsen, sondern auch die dadurch ausgelösten Quartalszahlungen berücksichtigt werden. Im Hinblick auf die Quartalsabrechnungen im bundesstaatlichen Finanzausgleich sei eine unterjährige Prognose deswegen schwierig, weil nicht nur die Entwicklung im eigenen Land, sondern auch die in den 15 anderen Ländern mitentscheidend sei.

Aus den Quartalsabrechnungen im bundesstaatlichen Finanzausgleich hätten sich für Niedersachsen im Juni 2009 Rückzahlungsverpflichtungen in Höhe von 95 Mio. € und im September 2009 in Höhe von 441 Mio. € ergeben. Die Höhe der Quartalsabrechnung Dezember 2009 sei unmittelbar vor der Schlussberatung des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 in der 46. Sitzung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen am 21. Oktober 2009 der Größenordnung nach in Höhe von 812 Mio. € bekannt gewesen. Damit habe der Haushaltsgesetzgeber zwar das Volumen der im Jahr 2009 fälligen Quartalsabrechnungen gekannt. Der Fortbestand der niedrigen Vorsteuerabzüge bei der Umsatzsteuer und die Entwicklung anderer Steuerarten im Krisenjahr 2009 seien gleichwohl noch nicht genauer abzuschätzen gewesen. Insgesamt hätten die zum Zeitpunkt der Verabschiedung des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 verfügbaren Zahlen auf tiefgreifende und kaum berechenbare Brüche und zeitliche Verwerfungen in der Einnahmenentwicklung hingedeutet.

Letztlich habe die vorläufige Abrechnung im bundesstaatlichen Finanzausgleich im März 2010 eine zusätzliche Rückzahlungsverpflichtung für das Land in Höhe von 611 Mio. € ergeben. Zusammen mit den bis zum 31. Dezember 2009 aufgelaufenen Mindereinnahmen des Steuer-Aggregats in Höhe von 693 Mio. habe sich ein Minus von 1,304 Mrd. € ergeben, das die Ergebnisse der Steuerschätzung aus Mai 2009 bestätigt habe. Rechne man die Rückzahlung im bundesstaatlichen Finanzausgleich in Höhe von 611 Mio. € demgegenüber nicht dem Jahr 2009 zu, hätten die Ist-Einnahmen des Steuer-Aggregats die Soll-Veranschlagung des 3. Nachtragshaushaltsplans 2009 um etwa 3,5 % überstiegen. Ein langjähriger Vergleich der Soll- und Ist-Ergebnisse einschließlich der Nachtragshaushalte seit 1971 zeige, dass sich die Schätzungen des Steuereinnahmen-Aggregats in der Regel in einem Korridor zwischen etwa +3 % und -3 % gegenüber den tatsächlichen Steuereinnahmen bewegten. Auch vor diesem Hintergrund liege die vom Haushaltsgesetzgeber für 2009 abgegebene Prognose des Steuereinnahmen-Aggregats im Rahmen des „Normalen“.

Niedersachsen leite seit Jahrzehnten die Ansätze des Landeshaushalts für die Steuereinnahmen sowie für die Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich und den Bundesergänzungszuweisungen aus den Ergebnissen und Beratungen des Arbeitskreises Steuerschätzungen ab. Die Ergebnisse des Arbeitskreises Steuerschätzungen würden zentral im Unterarbeitskreis „Regionalisierung“ mit Hilfe eines rechnergestützten Verfahrens auf die 16 Bundesländer regionalisiert. Das regionalisierte Ergebnis für Niedersachsen sei Basis der Veranschlagung in Haushalt und Mipla. Das Aggregat aus Steuern und Einnahmen aus dem bundesstaatlichen Finanzausgleich werde dabei insgesamt betrachtet und geschätzt. Nach der Steuerschätzung korrigiere das Finanzministerium das regionalisierte Ergebnis ggf. im Hinblick auf Sondereffekte in Niedersachsen, im Gesetzgebungsverfahren befindliche Rechtsänderungen sowie abweichende wirtschaftliche Entwicklungen. Es sei langjährige Praxis, bei Vorliegen entsprechender Informationen Korrekturen als Abschläge vom regionalisierten Ergebnis vorzunehmen, um im Sinne einer vorsichtigen Haushaltsführung für erkennbare Risiken vorzusorgen. Aufschläge würden hingegen grundsätzlich nicht vorgenommen. Das Finanzministerium informiere den Landtag im Ausschuss für Haushalt und Finanzen sowohl über das regionalisierte Ergebnis der Steuerschätzung als auch über daran vorgenommene Korrekturen. Diese für die Ableitung der Steueransätze seit Jahren übliche Methode habe auch bei der Aufstellung des 3. Nachtragshaushalts 2009 Anwendung gefunden. Korrekturen am regionalisierten Ergebnis der Steuerschätzung habe die Landesregierung nicht vorgenommen. Bei der endgültigen Festlegung der Einnahmeansätze im Entwurf des 3. Nachtragshaushaltsplans 2009 seien jedoch Anpassungen erforderlich geworden. Diese hätten z.B. auf den Auswirkungen des Gesetzes zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen (Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung) vom 16. Juli 2009 beruht. Die im Laufe der parlamentarischen Beratungen dieses Gesetzes beim Bund vorgenommenen Änderungen des Entwurfs hätten zu höheren Einnahmeausfällen geführt, als sie bei der Mai-Steuerschätzung berücksichtigt worden seien. Insofern sei ein geschätztes Steuereinnahmeaggregat von 17,324 Mrd. € berücksichtigt worden, was einem Minus von 1,3 Mrd. € gegenüber dem Grundhaushalt entsprochen habe. Eine Abweichung von den anerkannten Regeln der Steuerschätzung sei demnach nicht zu erkennen.

Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Haushaltswahrheit liege auch nicht deshalb vor, weil der Haushaltsgesetzgeber die Einnahmeansätze nicht im Hinblick auf das Ergebnis des Vierteljahresberichts über die Haushalts- und Kassenlage vom 29. Oktober 2009 angepasst habe. Das tatsächliche Kreditaufnahmebedürfnis werde wesentlich von der jeweiligen Liquiditätsentwicklung beeinflusst. Eine unterjährige Stichtagsbetrachtung sei wegen der stets am Bedarf orientierten Kreditaufnahme wenig geeignet, auf die am Ende des Haushaltsjahres erforderliche Nettokreditaufnahme zu schließen. Besonders in den „steuerstarken“ dritten Monaten eines Quartals - wie hier im September - ergebe sich typischerweise ein positiv überzeichnetes Bild. Fällige Kredite könnten dann häufig aus vorhandener Liquidität zurückgezahlt werden. Unterjährig finanziere sich das Land auch über innere Kassenkredite, indem die Geldbestände sämtlicher außerhalb des Landeshaushalts bestehenden Fonds, Stöcke, Sondervermögen usw. im Zuge eines „Kontenclearings“ täglich eingezogen würden. Da es sich hierbei rechtlich betrachtet nicht um allgemeine Deckungsmittel handele, sondern Rechtsansprüche Dritter an diese Sondervermögen zu erfüllen seien, müssten im Zuge des Haushaltsabschlusses diese Mittel „zurückgezahlt“ werden, wozu wiederum die jeweilige Kreditermächtigung herangezogen werde. Im September 2009 habe sich dieser „innere Kassenkredit“ auf 1,059 Mrd. € belaufen, sodass die Kreditermächtigung in dieser Höhe bereits gebunden gewesen sei. Darüber hinaus sei zu bedenken, dass Haushaltsmittel nicht gleichmäßig abflössen, sondern regelmäßig zu einem größeren Teil erst im letzten Quartal kassenmäßig verausgabt würden. Dies gelte vor allem für die Investitionsausgaben der Hauptgruppen 7 und 8. So seien zum Stichtag des Statusberichts erst 50,7 % der Bauausgaben und nur 36,8 % der sonstigen Investitionsausgaben abgeflossen. Bezogen auf die Gesamtausgaben habe sich ein Abfluss von 69,2 % des Gesamtsolls ergeben, d.h. circa 31 % der Ausgabeermächtigungen seien noch in den letzten drei Monaten des Jahres 2009 zu leisten gewesen. Dieser Anteil habe einem Betrag von 8,1 Mrd. € entsprochen. Die mit dem Vierteljahresbericht vom 29. Oktober 2009 abgebildete Momentaufnahme sei daher insgesamt nicht geeignet gewesen, die vom Haushaltsgesetzgeber vorgenommene Einnahmeschätzung zu erschüttern.

Zudem hätten die Antragsteller im parlamentarischen Verfahren nicht gerügt, dass der Haushaltsansatz des Steuereinnahmen-Aggregats auf der Grundlage der Mai-Steuerschätzung nicht vertretbar sei. Vielmehr hätten die Antragsteller selbst geäußert, Basis des 3. Nachtragshaushaltsplanentwurfes 2009 müsse die Mai-Steuerschätzung sein. Auch nach Bekanntwerden der Ist-Entwicklung im Oktober 2009 habe der Haushaltsgesetzgeber in breitem Konsens eine Korrektur der Steuerschätzung nicht für angezeigt gehalten. Dem habe die sachlich zutreffende Einschätzung zu Grunde gelegen, dass die krisenbedingten Einnahmeausfälle nach wie vor kaum vorhersehbar seien und ein „Aufschlag“ auf die Ergebnisse der regionalisierten Steuerschätzung nicht gerechtfertigt sei.

Der Haushaltsgesetzgeber sei des Weiteren nicht verpflichtet gewesen - wie ursprünglich geplant -, die allgemeine Rücklage als Deckungsmittel in Anspruch zu nehmen und an der Veräußerung von Stammkapital der Nord/LB festzuhalten. Die im 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 getroffene Entscheidung, auf Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage und auf den Verkauf von Beteiligungen zu verzichten, begegne auch nach dem Zweck des Art. 71 NV, die Staatsverschuldung im Rahmen der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu begrenzen, keinen Bedenken. Bei einer Gesamtbetrachtung der Haushaltsjahre 2009 und 2010 habe die vorgenannte Entscheidung keine Auswirkung auf die Höhe der Neuverschuldung gehabt. Auch bei einer Einzelbetrachtung der Haushaltsjahre zeige sich, dass der Verschuldungsstand des Landes derselbe gewesen wäre.

Das in Art. 65 Abs. 1 Satz 1 NV verankerte Prinzip der Jährlichkeit besage, dass Haushaltsjahr grundsätzlich das Kalenderjahr sei und für jedes Haushaltsjahr ein Haushaltsplan aufzustellen sei, der alle im Haushaltsjahr zu erwartenden Einnahmen, voraussichtlich zu leistenden Ausgaben und voraussichtlich benötigten Verpflichtungsermächtigungen enthalte. Diesen Grundsätzen habe das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 entsprochen. Die voraussichtlich zu leistenden Ausgaben seien ermittelt und die zur Abwendung der Störungslage erforderlichen konsumtiven Ausgaben und die Ausgaben zur Unterstützung der Konjunkturprogramme in Ansatz gebracht worden. Der Haushaltsgesetzgeber habe auf das jeweilige Haushaltsjahr bezogene Kreditermächtigungen erteilt. Die periodische Entscheidungskompetenz des Haushaltsgesetzgebers als Kern des parlamentarischen Budgetrechts sei gewahrt.

2. Im Haushaltsjahr 2010 habe ebenfalls eine nachhaltige Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorgelegen. Die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen hätten im Gesetzgebungsverfahren eingehend dargelegt, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des Art. 71 Satz 3 NV vorlägen. Zur Abwehr der Störungslage habe der Haushaltsgesetzgeber auch im Haushaltsjahr 2010 Ausgabenkürzungen im konsumtiven Bereich vermeiden und Konjunkturprogramme fördern wollen. Dies sei ein wirtschafts- und finanzwissenschaftlich anerkanntes Mittel zur Bekämpfung einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.

Bei der Verwendung nicht ausgeschöpfter Kreditermächtigungen zur Bildung der allgemeinen Rücklage handele es sich in Niedersachsen um eine gängige, seit Jahrzehnten von verschiedenen Landesregierungen geübte Staatspraxis, die in den letzten 35 Jahren 17 mal zur Anwendung gekommen sei. Die Zulässigkeit einer Rücklagenbildung sei dabei nie in Frage gestellt worden. Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen hätten sich im Rahmen der Haushaltsberatungen ebenfalls weiter an dieser anerkannten Praxis orientiert. Die Rücklagenbildung entspreche auch dem einfachgesetzlichen Haushaltsrecht. § 62 Satz 1 LHO sehe die Bildung einer allgemeinen Rücklage ausdrücklich vor. Nach § 62 Satz 5 LHO diene sie dem Haushaltsausgleich und zur Aufrechterhaltung einer ordnungsgemäßen Kassenwirtschaft ohne Inanspruchnahme von Kreditermächtigungen.

Die in Niedersachsen hinsichtlich der Rücklagenbildung und der Entnahme aus der allgemeinen Rücklage seit Jahrzehnten geübte Staatspraxis sei verfassungsgemäß. Der Niedersächsische Landtag habe in seiner Rolle als Verfassungsgeber diese Staatspraxis bei den Beratungen zur neuen Niedersächsischen Verfassung Anfang der 1990er Jahre auch nicht in Frage gestellt. Die Möglichkeit, eine klarstellende oder abweichende Regelung zu treffen, habe der Verfassungsgeber nicht ergriffen. Der Begriff der Kreditaufnahme in Art. 71 NV umfasse deshalb nicht die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage.

Aus der niedersächsischen Praxis ergäben sich keine Wirtschaftlichkeitsnachteile. Eine kreditfinanzierte, monetär unterlegte Rücklagenbildung finde nicht statt. Der Landesregierung sei es auch nicht möglich, sich über den Weg der Rücklagenbildung nach eigenem Ermessen eine neue Kreditermächtigung oder eine haushaltsübergreifende Reserve für spätere Haushaltsjahre zu verschaffen. Nicht ausgeschöpfte Kreditermächtigungen aus Vorjahren stünden nicht automatisch als zusätzliche Kreditermächtigung zur Verfügung. Sie würden vielmehr in Jahrzehnte langer Tradition im Rahmen des Jahresabschlusses in Rücklagen umgewandelt. In den Folgejahren stünden sie dann nur insoweit zur Verfügung, wie dies der Haushaltsgesetzgeber mit dem Haushaltsgesetz festlege. Die Praxis der Rücklagenbildung und der Entnahmen aus Rücklagen verstoße auch nicht gegen den Zweck des Art. 71 NV, die Kreditaufnahme des Landes zu begrenzen und das Land vor überbordender Verschuldung zu schützen. Mit Blick auf diesen Schutzzweck sei es im Ergebnis unerheblich, ob die Ausgaben des Landes nur aus Krediten, nur aus der allgemeinen Rücklage (also aus nicht ausgeschöpften alten Kreditermächtigungen) oder aus einem Mix aus beiden finanziert würden. Es sei auch irrelevant, in welchem Jahr welche Form der Kreditfinanzierung zum Zuge komme. Die Verschuldung steige in allen Fällen immer um denselben Betrag.

Die in Niedersachsen praktizierten Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage verletzten nicht die Grundsätze der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit. Ob und in welchem Umfang Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage getätigt würden, gehe aus dem Haushaltsgesetz und dem Haushaltsplan hervor. Unklarheit entstehe allenfalls dadurch, dass die Öffentlichkeit den Begriff der Nettokreditaufnahme vielfach falsch interpretiere.

Falls die in Niedersachsen geübte Staatspraxis hinsichtlich der allgemeinen Rücklage als verfassungswidrig beurteilt würde, habe dies für den Haushaltsgesetzgeber weitreichende und kaum beherrschbare Folgen. Es wäre nicht mehr möglich, eine ausgleichende Planung zwischen zwei Haushaltsjahren vorzunehmen. Damit wäre weder die Einhaltung des Verschuldungsverbots im Jahr 2020 noch die ebenfalls von Verfassungs wegen gebotene stetige Aufgabenerfüllung sinnvoll zu gewährleisten. Ohne die Möglichkeit einer rechtzeitigen Bildung von Rücklagen seien selbst absehbare Schwankungen der Einnahmen- und Ausgabenseite nicht mehr auszugleichen bzw. in ihrer Wirkung zu beherrschen. Dies würde dazu führen, dass unterjährig auftretende Haushaltsrisiken mit den Mitteln des Notbewilligungsrechts bewältigt werden müssten. Zudem würde sich die Gefahr erhöhen, dass sich Belastungen in Haushaltsjahre verschöben, in denen sie verfassungsgerecht nicht bewältigt werden könnten.

Der Ansatz der Steuereinnahmen im Haushaltsplan 2010 sei auch unter Berücksichtigung der im März 2010 fällig gewordenen Zahlung des Landes Niedersachsen in Höhe von 611 Mio. € an den Bund im Rahmen des Länderfinanzausgleichs verfassungsgemäß.

Die Abrechnungen im System des Länderfinanzausgleichs erfolgten in vier aufeinander aufbauenden Quartalsabrechnungen. Die Abrechnung zum März des Folgejahres erfolge unter erstmaliger Einbeziehung der Ist-Ergebnisse des vierten Quartals und unter Berücksichtigung der im Ausgleichsjahr bereits erfolgten vorläufigen Abrechnungen für die ersten drei Quartale. Zahlungsansprüche und -verpflichtungen würden jeweils als positive oder negative Einnahmen aus Umsatzsteuer, Länderfinanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen gebucht. Einer Ausgabeermächtigung im Haushaltsgesetz bedürfe es nicht. Der Haushaltsgesetzgeber könne zwar eine absehbare zukünftige Belastung durch einen Abschlag von den Einnahmeerwartungen bei der Veranschlagung im Steuerkapitel des Haushalts berücksichtigen. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Modifikation der aus der Steuerschätzung für 2010 abgeleiteten Ansätze habe jedoch nicht bestanden. Der Haushaltsgesetzgeber habe seiner Erfahrung folgend bei der Veranschlagung der Steuereinnahmen das aus der Steuerschätzung abgeleitete Ergebnis zugrunde gelegt. Der Ansatz eines langjährigen Erfahrungswertes stelle nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich keine Pflichtverletzung dar.

V.

In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten ihre Rechtsauffassungen nochmals dargelegt und vertieft. Der Niedersächsische Finanzminister hat unter anderem ausgeführt, bei der Veranschlagung der Steuereinnahmen im Haushaltsplan 2010 sei der im März 2010 fällig gewordene Erstattungsanspruch des Bundes gegen das Land Niedersachsen aus dem Länderfinanzausgleich nicht berücksichtigt worden. Eine sogenannte "Rotabsetzung" von den nach dem regionalisierten Ergebnis der Steuerschätzung November 2009 für 2010 zu erwartenden Umsatzsteuereinnahmen sei wegen dieses Erstattungsanspruchs nicht vorgenommen worden. Dies habe darauf beruht, dass beabsichtigt gewesen sei, die Erstattung im Rahmen der Haushaltsrechnung für das Haushaltsjahr 2009 dem Haushaltsjahr 2009 zuzurechnen. Zudem sei die genaue Höhe des Erstattungsanspruchs schwer abschätzbar gewesen. Das Finanzministerium habe aber mit einem dreistelligen Millionenbetrag gerechnet.

Als sachkundiger Dritter hat der Präsident des Landesrechnungshofs Stellung genommen. Er hat unter anderem ausgeführt, das regionalisierte Ergebnis der Steuerschätzung sei für die Veranschlagung der Steuereinnahmen im Landeshaushalt eine geeignete Grundlage. Bei der Veranschlagung der zu erwartenden Steuereinnahmen seien in Niedersachsen im Hinblick auf besondere niedersächsische Entwicklungen bisher stets nur Abschläge, jedoch nie Aufschläge gegenüber dem regionalisierten Ergebnis der Steuerschätzung angesetzt worden. Die Regionalisierung der November-Steuerschätzung 2009, die der Haushaltsgesetzgeber der Veranschlagung der Umsatzsteuer (Landesanteil) im Haushaltsplan 2010 zugrunde gelegt habe, berücksichtige die Verpflichtung des Landes Niedersachsen aus dem im März 2010 fällig gewordenen Erstattungsanspruch des Bundes aus der Umsatzsteuerverteilung für 2009 nicht. In Niedersachsen seien bislang wegen zu erwartender Abschlusszahlungen im bundesstaatlichen Finanzausgleich keine Abschläge vom regionalisierten Ergebnis der Steuerschätzung durch "Rotabsetzung" erfolgt. Mit der Frage, ob es sich bei Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage um einen Kredit im Sinne von Art. 71 Satz 2 NV handele, habe sich der Landesrechnungshof noch nicht auseinandergesetzt.

B.

Der Normenkontrollantrag gegen das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Der Antrag ist nach Art. 54 Nr. 3 NV, § 33 NStGHG zulässig. Zwar ist das Haushaltsgesetz 2009 in der Fassung des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes mit Ablauf des Haushaltsjahres 2009 außer Kraft getreten. Die in § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes enthaltene Kreditermächtigung galt jedoch gemäß § 18 Abs. 2 Satz 3 LHO bis zum Ende des nächsten Haushaltsjahres fort, sodass das angegriffene Gesetz weiterhin Rechtswirkungen zeitigte. Diese Vorschrift war somit bei Antragstellung noch in Kraft.

Der Antrag ist auch nicht nachträglich unzulässig geworden, weil den Regelungen, auf die er sich bezieht, inzwischen keine Rechtswirkung mehr zukommt. Für zulässig erhobene Normenkontrollanträge, die Bestimmungen eines Haushaltsgesetzes betreffen, ist im Hinblick auf den objektiven Charakter des Normenkontrollverfahrens ein Entscheidungsinteresse über den Zeitraum der rechtlichen Geltung und Wirkung jener Bestimmungen hinaus gegeben. Anderenfalls wäre ein Haushaltsgesetz der verfassungsrechtlichen Kontrolle praktisch entzogen (vgl. BVerfGE 79, 311 [328] [BVerfG 18.04.1989 - 2 BvF 1/82]; VerfGH NRW OVGE 45, 308 [310]; VerfGH NRW, NWVBl. 2003, 419 [422]).

II.

Der Normenkontrollantrag ist jedoch unbegründet.

§ 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2009 in der Fassung des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 ist mit der Niedersächsischen Verfassung, insbesondere mit Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV, vereinbar. Art. 71 Satz 2 NV bestimmt, dass die Summe der Kredite die für eigenfinanzierte Investitionen, Investitionsfördermaßnahmen und zur Umschuldung veranschlagten Ausgaben nicht überschreiten darf, wenn nicht der in Art. 71 Satz 3 NV geregelte Ausnahmetatbestand vorliegt. Art. 71 Satz 3 NV lässt eine über die Summe der eigenfinanzierten Investitionen (Regelobergrenze) hinausgehende Kreditaufnahme nur zur Abwehr einer nachhaltigen Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder zur Abwehr einer - im vorliegenden Verfahren von vornherein nicht in Betracht zu ziehenden - akuten Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen zu.

1. § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2009 in der Fassung des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 ist an Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV zu messen. Die Änderungen, die die Finanzverfassung des Grundgesetzes (GG) im Rahmen der Föderalismusreform II gefunden hat, stehen dem nicht entgegen.

Nach Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl I, S. 2248) sind die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Bund und Länder können gemäß Art. 109 Abs. 3 Satz 2 GG Regelungen zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen vorsehen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen. Diese Ausnahmeregelung ist mit einer entsprechenden Tilgungsregelung zu verbinden (Art. 109 Abs. 3 Satz 3 GG). Die nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder regeln diese gemäß Art. 109 Abs. 3 Satz 5 GG im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen mit der Maßgabe, dass Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG nur dann entsprochen ist, wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden. Art. 109 GG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 29. Juli 2009 trat am 1. August 2009 in Kraft. Allerdings ist Art. 109 GG in der bis zum 31. Juli 2009 geltenden Fassung (GG a.F.) nach Art. 143d Abs. 1 Satz 1 GG letztmals auf das Haushaltsjahr 2010 anzuwenden. Für die Haushaltsjahre 2009 und 2010 findet somit Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV weiterhin Anwendung.

2. Der Staatsgerichtshof hat bereits in seinem Urteil vom 10. Juli 1997 (Nds. StGHE 3, 279) zum Regelungsgehalt der Verfassungsnormen in Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV grundlegend Stellung genommen und folgende Grundsätze entwickelt:

Art. 71 Satz 3 NV bestimmt nicht näher, was unter dem Begriff einer nachhaltigen Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu verstehen ist und welche Beziehung zwischen der Störungslage und der Kreditaufnahme hergestellt werden muss, damit eine erhöhte Kreditaufnahme zulässig ist. Erlaubt wird eine erhöhte Kreditaufnahme nicht nur zur Abwehr einer bundesweiten Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, sondern auch zur Überwindung einer auf das Land bezogenen Störung der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung.

Art. 71 Satz 3 NV nimmt einen Begriff auf, der u.a. in Art. 109 Abs. 2 GG a.F. verwendet worden ist. Nach dieser Vorschrift waren Bund und Länder verpflichtet, bei ihrer Haushaltsführung den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen. Diese im Jahr 1967 in das Grundgesetz aufgenommene Bestimmung wurde durch § 1 StWG dahin konkretisiert, dass Bund und Länder ihre wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen so zu treffen haben, „dass sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenen Wirtschaftswachstum beitragen“.

Die Inanspruchnahme der Ermächtigung zu erhöhter Kreditaufnahme nach Art. 71 Satz 3 NV ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. April 1989 zu Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG a.F. (BVerfGE 79, 311 [BVerfG 18.04.1989 - 2 BvF 1/82]), an der sich der Niedersächsische Verfassungsgeber bei der Fassung von Art. 71 NV ausdrücklich orientiert hat, allerdings von weiteren Voraussetzungen abhängig.

Die Kreditaufnahme nach Art. 71 Satz 3 NV hat Ausnahmecharakter. Sie setzt voraus, dass nach der Einschätzung des Haushaltsgesetzgebers entweder eine ernsthafte und nachhaltige Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auf Bundesebene besteht bzw. unmittelbar droht oder dass eine derartige Störung in Bezug auf die Wirtschafts- oder Beschäftigungsentwicklung des Landes vorliegt. Das verlangt nicht, dass alle vier in § 1 Satz 2 StWG genannten Teilziele zugleich gestört sind. Bei der Prüfung, ob eine Störungslage i.S.v. Art. 71 Satz 3 NV besteht oder unmittelbar droht, hat der Haushaltsgesetzgeber aufgrund der Unbestimmtheit der in dieser Vorschrift verwendeten Verfassungsbegriffe einen Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum. Die Entscheidung des Landtags ist vom Staatsgerichtshof nicht auf ihre „Richtigkeit“ zu überprüfen. Andererseits genügt es nicht, dass sie frei von Willkür ist. Vielmehr muss die unverzichtbare eigene Beurteilung des Haushaltsgesetzgebers unter Berücksichtigung der vorliegenden wirtschaftlichen Daten und vor dem Hintergrund der Aussagen der gesetzlich verankerten Organe der finanz- und wirtschaftspolitischen Meinungs- und Willensbildung und der Auffassungen in Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft nachvollziehbar und vertretbar erscheinen. Um den Ausnahmecharakter einer Kreditaufnahme ohne Investitionszweck zu sichern, sind die Tatsachen, aufgrund derer die Voraussetzungen von Art. 71 Satz 3 NV bejaht werden, im Gesetzgebungsverfahren darzulegen. Die Darlegungspflicht soll dazu beitragen, die Kreditaufnahme nach dieser Vorschrift auf Ausnahmefälle zu beschränken und ihre materiell-rechtliche Unbestimmtheit durch formell-verfahrensmäßige Anforderungen auszugleichen.

Für die Darlegung schreibt die Niedersächsische Verfassung keine bestimmte Form vor. Die für die Beurteilung maßgebenden Tatsachen können von allen an der Haushaltsgesetzgebung beteiligten Organen schriftlich oder mündlich z.B. in Plenarsitzungen des Parlaments vorgetragen werden. Allerdings muss erkennbar sein, dass sie von der parlamentarischen Mehrheit in ihren Willen aufgenommen werden und diese mit der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes die Verantwortung für die Begründung der erhöhten Kreditaufnahme übernimmt.

Art. 71 Satz 3 NV setzt weiter voraus, dass die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung "zur Abwehr" der Störung erfolgt. Die erhöhte Kreditaufnahme muss nach Umfang und Verwendung bestimmt und geeignet sein, die Störung abzuwehren oder abzumildern. Dieses Erfordernis bezieht sich auf die erhöhte Kreditaufnahme insgesamt, nicht auf die Haushaltstitel, die ihre Grundlage bilden. Art. 71 Satz 3 NV schließt auch die Aufnahme von Krediten zur Deckung konsumtiver Ausgaben nicht aus. Die verfassungsrechtlichen Grenzen, die Art. 71 Satz 3 NV dem Gestaltungsspielraum für politisches Handeln setzt, lassen sich deswegen nicht eng ziehen. Vielmehr hat der Staatsgerichtshof bei seiner Prüfung zu beachten, dass die Verfassungsbestimmung die politisch zu verantwortende Abwägung und Entscheidung fordert, ob und wie einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts begegnet werden soll. Die Prüfung der getroffenen Entscheidung beschränkt sich - neben der Beurteilung, ob die Störung selbst nachvollziehbar und vertretbar dargelegt worden ist - darauf zu untersuchen, ob der im Wege der ausnahmsweisen Kreditaufnahme erweiterte finanzielle Handlungsspielraum des Landes in vertretbarer Weise "zur Abwehr der Störung genutzt" werden soll. Dies setzt voraus, dass diese Einschätzung hinsichtlich des gesamten durch Art. 71 Satz 3 NV eröffneten Kreditvolumens im Gesetzgebungsverfahren nachvollziehbar dargestellt worden ist. Denn auch insoweit gilt, dass die zu fordernde politische Verantwortung des Haushaltsgesetzgebers nur Entscheidungen einschließen kann, deren Gegenstand und beabsichtigte Folgen ihm bei seiner Entschließung bekannt waren.

Im Gesetzgebungsverfahren darzulegen ist nicht nur die Absicht, durch die erhöhte Kreditaufnahme die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren oder abzumildern, sondern auch die begründete Prognose, dass und wie durch die erhöhte Kreditaufnahme dieses Ziel erreicht werden soll, die erhöhte Kreditaufnahme also zur Abwehr der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts geeignet erscheint. Die Darlegungspflicht des Gesetzgebers besteht auch bei einer erhöhten Kreditaufnahme, um Ausgabenkürzungen zu vermeiden. Andernfalls wäre bei Vorliegen einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts jegliche konsumtive Mehrausgabe gerechtfertigt, was dem Ausnahmecharakter des Art. 71 Satz 3 NV widerspräche.

Mit der begründeten Prognose in Bezug auf die störungsabwehrende Wirkung bestimmter Konjunkturmaßnahmen ist im Einzelnen darzulegen, welchen Inhalt und Umfang die jeweiligen Programme haben sollen, wie sie zeitlich geplant sind, wer sie durchführt und welcher Ausgleichseffekt erwartet wird. Übertragen auf die Vermeidung von Ausgabenkürzungen als Mittel der Störungsabwehr ergibt sich daraus die Pflicht des Gesetzgebers, mindestens darzulegen, welche Bereiche von den sonst notwendigen Einsparungen betroffen wären, wie negativ sich diese Einsparungen auswirken würden, welche wirtschafts- und beschäftigungsfördernden Maßnahmen (ohne investiven Charakter) unterbleiben müssten, wo im Einzelnen die Grenzen rechtlich möglicher Einsparungen lägen und welche positiven konjunkturellen Wirkungen in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht durch den Verzicht auf Haushaltskürzungen erwartet werden. Dabei hat der Gesetzgeber auch darzulegen, dass es sich um "echte" Einsparungen - etwa im Vergleich zum Vorjahr - handeln würde und nicht nur um eine Streichung überhöhter Ausgaben. Ferner wird in der Regel auch die Koordinierung der Haushaltsplanung mit flankierenden gesetzgeberischen Maßnahmen und der längerfristigen Politik darzulegen sein.

3. Der Staatsgerichtshof hält bei der Auslegung und Anwendung von Art. 71 Satz 3 NV an diesen Maßstäben fest. Sie gelten grundsätzlich auch für einen Nachtragshaushalt.

Die vom Staatsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung zugrunde gelegte Aufgabenverteilung zwischen parlamentarischer Gesetzgebung und verfassungsgerichtlicher Kontrolle ist in Bezug auf die Wahrnehmung der verfassungsrechtlichen Ermächtigung und Verpflichtung zu einer situationsgebundenen, an dynamisch gesamtwirtschaftlichen Variabeln orientierten Wirtschafts- und Finanzpolitik gemäß Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV der Sache nach geboten (vgl. BVerfGE 119, 96 [BVerfG 09.07.2007 - 2 BvF 1/04] [146]). Zwar hat der Verfassungsgeber auf Bundesebene zwischenzeitlich wirksamere Kreditaufnahmebeschränkungen eingeführt, die für zukünftige Haushaltsjahre auch für den niedersächsischen Landeshaushalt Bedeutung erlangen werden. Der niedersächsische Verfassungsgeber hat die Änderung des Grundgesetzes bisher aber nicht zum Anlass einer Änderung der Niedersächsischen Verfassung genommen. Angesichts dessen ist für die verfassungsrechtliche Überprüfung eines Haushaltsgesetzes für das Haushaltsjahr 2009 (und 2010) von dem vorgefundenen Regelungsgehalt des Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV auszugehen.

Der Staatsgerichtshof ist allerdings der Auffassung, dass der Gesetzgeber der ihm bereits in dem Urteil des Staatsgerichtshofs vom 10. Juli 1997 (StGHE 3, 279) auferlegten Darlegungslast regelmäßig nur dann hinreichend nachkommt, wenn er sich im Gesetzgebungsverfahren auch im Einzelnen substantiiert mit den Stellungnahmen des Landesrechnungshofs zu der in Aussicht genommenen Kreditaufnahme auseinandersetzt. Schon das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 18. April 1989 (BVerfGE 79, 311), an der sich der Niedersächsische Verfassungsgeber bei der Fassung von Art. 71 NV orientiert hat, hervorgehoben, dass der Gesetzgeber zu erkennen geben muss, ob er mit der Beurteilung der gesetzlich verankerten Organe der finanz- und wirtschaftspolitischen Meinungs- und Willensbildung übereinstimmt oder aus welchen Gründen er abweicht (BVerfGE 79, 311 [BVerfG 18.04.1989 - 2 BvF 1/82] [345]). Die dem Niedersächsischen Landesrechnungshof durch Art. 70 NV zugewiesene verfassungsrechtliche Stellung als oberstes Kontrollorgan für die Finanzwirtschaft des Landes gebietet es, dass sich der Haushaltsgesetzgeber mit dessen Stellungnahmen zu der geplanten Kreditaufnahme im Gesetzgebungsverfahren eingehend auseinandersetzt, falls er die Ausnahmebefugnis zu erhöhter Kreditaufnahme aus Art. 71 Satz 3 NV in Anspruch nehmen will.

III.

Nach diesen Maßstäben ist § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2009 in der Fassung des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 mit Art. 71 Satz 3 NV vereinbar.

Die veranschlagte Nettokreditaufnahme von 2,3 Mrd. € übersteigt die eigenfinanzierten Investitionen nach Art. 71 Satz 2 NV um 998 Mio. €. Die Überschreitung der Grenze der eigenfinanzierten Investitionen durch die veranschlagte Nettokreditaufnahme ist durch Art. 71 Satz 3 NV gedeckt. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs für das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 und den im Gesetzgebungsverfahren dargelegten Gründen sind (1.) die Diagnose, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ernsthaft und nachhaltig gestört sei, (2.) die Absicht, durch die erhöhte Kreditaufnahme diese Störung abzuwehren, und (3.) die Prognose, dass und wie durch die erhöhte Kreditaufnahme dieses Ziel erreicht werden könne, nachvollziehbar und vertretbar. Auch die Berücksichtigung der Steuerschätzung vom Mai 2009 begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (4.).

1. Die Einschätzung in der Begründung des Gesetzentwurfs für das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009, das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht sei nachhaltig gestört, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Das Ergebnis der Abstimmung über den Gesetzentwurf des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 belegt, dass die parlamentarische Mehrheit im Niedersächsischen Landtag der Einschätzung der Störungslage durch die Landesregierung in der Begründung des Gesetzentwurfs beigetreten ist und die Verantwortung für die ausnahmsweise Inanspruchnahme von Krediten nach Art. 71 Satz 3 NV übernommen hat. Diese Entscheidung der Mehrheit des Niedersächsischen Landtags ist nachvollziehbar und vertretbar. Sie begegnet deshalb keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Gradmesser für das Teilziel "angemessenes Wirtschaftswachstum" ist das Bruttoinlandsprodukt (Nds. StGHE 3, 279, 295). Die Darlegungen zur Verfehlung des Ziels eines angemessenen Wirtschaftswachstums sind ausgehend von einem prognostizierten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 6 % im Jahr 2009 nachvollziehbar. Außer Frage steht ebenfalls, dass der Haushaltsgesetzgeber das Teilziel hoher Beschäftigungsstand unter Berücksichtigung einer für das Jahr 2009 prognostizierten durchschnittlichen Zahl der Arbeitslosen von 3,7 Mio., was einer prognostizierten Arbeitslosenquote von 8,6 % entsprach, nachvollziehbar und vertretbar als nachhaltig verfehlt beurteilen durfte.

Die Auseinandersetzung mit Wirtschaftswachstum und Beschäftigungsstand - zwei Zielen einer konjunkturgerechten Haushaltspolitik - ist ausreichend, sofern - wie hier - eine Störung dieser Ziele vom Haushaltsgesetzgeber nachvollziehbar und vertretbar festgestellt wird.

Die Bezugnahme auf die Bundesdaten und die Annahme einer bundesweiten Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ist nicht zu beanstanden. Wie der Staatsgerichtshof bereits entschieden hat, fällt unter den Begriff der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in Art. 71 Satz 3 NV insbesondere die bundesweite Störung dieses Gleichgewichts (Nds. StGHE 3, 279 [292]). Deshalb kommt es für die verfassungsrechtliche Beurteilung nicht maßgeblich darauf an, dass die in der Begründung des Gesetzentwurfs vertretene Auffassung, die Feststellungen zur Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auf Bundesebene träfen auch auf die gesamtwirtschaftliche Situation in Niedersachsen zu, nicht mit konkret auf das Land Niedersachsen bezogenen Daten näher begründet wurde. Aus dem Urteil des Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen vom 15. März 2011 (NWVBl 2011, 218) ergibt sich insoweit entgegen der Auffassung der Antragsteller nichts anderes.

2. Im Gesetzgebungsverfahren wurde auch die Absicht, mit Hilfe der erhöhten Kreditaufnahme die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren bzw. abzumildern, hinreichend dargelegt.

In der Begründung des Gesetzentwurfs für das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 führte die Landesregierung aus, dass die die eigenfinanzierten Investitionen übersteigende Nettokreditaufnahme erforderlich sei, um die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren. In diesem Sinne äußerten sich auch Mitglieder der Landtagsfraktionen von CDU und FDP im Rahmen der parlamentarischen Beratungen des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 (vgl. oben A.I.1). Zwar legt die Gesetzbegründung ebenfalls dar, die vorgesehene Kreditermächtigung sei erforderlich, um die Handlungsfähigkeit des Staates und damit auch das Ziel der Haushaltskonsolidierung mittelfristig zu sichern. Dies stellt im Ergebnis die vom Gesetzgeber verfolgte Absicht, mit Hilfe der erhöhten Kreditaufnahme die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im Haushaltsjahr 2009 abzuwehren bzw. abzumildern, jedoch nicht in Frage. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass nach Art. 143d Abs. 1 Satz 4 GG die Haushalte der Länder so aufzustellen sind, dass im Haushaltsjahr 2020 die Vorgabe aus Art. 109 Absatz 3 Satz 5 GG erfüllt wird. Der Haushaltsgesetzgeber durfte bei Erteilung der Kreditaufnahmeermächtigungen folglich die Notwendigkeit ihrer Reduzierung in den Folgejahren bis hin zu einem grundsätzlich vollständigen Verzicht auf Krediteinnahmen nicht aus dem Auge verlieren. Zum anderen hob der haushaltspolitische Sprecher der CDU-Fraktion in der 46. Sitzung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen am 21. Oktober 2009 hervor, dass die CDU-Fraktion den vorgenannten Teil der Begründung des Gesetzentwurfs als "missverständlich" ansehe. Dem schloss sich der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Fraktion an. Damit kam in den parlamentarischen Beratungen hinreichend zum Ausdruck, dass der Hinweis in der Begründung des Gesetzentwurfs, die erhöhte Kreditaufnahme diene dem Ziel, die Haushaltskonsolidierung mittelfristig zu sichern, für die Landtagsmehrheit die Absicht der Störungsabwehr bezogen auf das Haushaltsjahr 2009 nicht in Frage stellte.

3. Ferner wurde im Gesetzgebungsverfahren noch hinreichend darlegt, dass die erhöhte Kreditaufnahme zur Abwehr der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts geeignet erschien.

a) Die Landesregierung hob in der Begründung zum Gesetzentwurf des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 diesbezüglich insbesondere zwei Gesichtspunkte hervor. Zum einen legte sie dar, dass substantielle Einnahmeverbesserungen für Niedersachsen derzeit nicht erreichbar seien. Ohne eine die eigenfinanzierten Investitionen übersteigende Kreditaufnahme sei ein Haushaltsausgleich deshalb nur durch weitreichende Ausgabenkürzungen im konsumtiven Bereich möglich, die die Konjunktur jedoch zusätzlich belasten würden. Im Kern sollte die erhöhte Kreditaufnahme mithin dazu dienen, konjunkturschädliche Einsparungen zu vermeiden. Zum anderen stellte die Landesregierung in der Begründung des Gesetzentwurfs darauf ab, dass die Kreditaufnahme erforderlich sei, um Mittel für Investitionen des Landes und der Kommunen zur Störungsabwehr zu mobilisieren. Die öffentlichen Investitionen leisteten in der aktuellen Störungslage einen erheblichen Stabilisierungsbeitrag.

Vertreter der Landesregierung und der Fraktionen von CDU und FDP griffen die beiden vorgenannten Aspekte in den parlamentarischen Beratungen auf. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen unter A.I.1 des Urteils Bezug genommen.

b) Aus den Darlegungen im Gesetzgebungsverfahren ergibt sich, dass der im Wege der ausnahmsweisen Kreditaufnahme nach Art. 71 Satz 3 NV erweiterte finanzielle Handlungsspielraum des Landes in vertretbarer Weise zur Abwehr der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts genutzt werden sollte.

Nach den Ausführungen der Deutschen Bundesbank in ihrem Monatsbericht Juni 2009, auf den die Begründung des Gesetzentwurfs für das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 ausdrücklich Bezug nimmt, leiste die Finanzpolitik einen Beitrag zur Stabilisierung der deutschen Wirtschaft. Sie lasse hiernach nicht nur die automatischen Stabilisatoren voll wirksam werden, sondern stärke im Rahmen der Konjunkturprogramme I und II über Abgabenerleichterungen und höhere Sozialtransfers auch die Kaufkraft der Konsumenten. Mit der intensivierten Förderung von Kurzarbeit reduziere sie nach Auffassung der Deutschen Bundesbank das unmittelbare Arbeitsmarktrisiko; außerdem stütze sie durch sektorspezifische Maßnahmen vor allem die Bau- und Automobilbranche. Die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose führte in ihrer Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2009, auf die in der Begründung des Entwurfs des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 ebenfalls hingewiesen wird, aus, die Konjunkturpakete I und II seien trotz grundsätzlicher Bedenken, die gegen solche Stimulierungsprogramme vorzubringen seien, in der gegenwärtigen Situation vertretbar. Neben den Konjunkturprogrammen träten weitere Regelungen in Kraft, die die Konjunktur zusätzlich anregen dürften. Insgesamt ergebe sich im Jahr 2009 ein fiskalischer Impuls von 32 Mrd. Euro (1,3 % des Bruttoinlandsprodukts). Angesichts der Stärke der dämpfenden Wirkungen, die von dem außerordentlich kräftigen Rückgang der weltwirtschaftlichen Produktion und dem Zusammenbruch des Welthandels ausgehen würden, könnten Programme zur Stimulierung der binnenwirtschaftlichen Nachfrage die Rezession zwar nur mildern, nicht aber verhindern. Schätzungen mit ökonometrischen Modellen zeigten aber, dass aufgrund des Konjunkturpakets II (ohne die Aufstockung der „Abwrackprämie“) für das Jahr 2009 eine um gut 0,5 Prozentpunkte höhere Veränderungsrate des BIP zu erwarten sei. Im Großen und Ganzen seien viele der beschlossenen Maßnahmen positiv zu beurteilen. Die zentralen Komponenten des zweiten Konjunkturpakets, die Steigerung der Investitionen sowie die Entlastungen bei Steuern und Sozialbeiträgen, führten nicht nur zu den aus konjunktureller Perspektive wünschenswerten Nachfrageimpulsen. Aufgrund der langfristig positiven Produktivitätseffekte und der Leistungsanreize förderten sie zugleich auch das Wachstum. Daher sei es vertretbar, sie vorübergehend über Verschuldung zu finanzieren.

Angesichts der vorgenannten sachverständigen Stellungnahmen konnte der Landesgesetzgeber vertretbar davon ausgehen, dass die Maßnahmen im Rahmen des Konjunkturpakets II und des Niedersächsischen Zukunftsinvestitionsgesetzes (NZuInvG), das die Weiterleitung des Hauptteils der Mittel aus dem Gesetz zur Umsetzung von Zukunftsinvestitionen der Kommunen und Länder (Zukunftsinvestitionsgesetz - ZuInvG -) regelt, geeignet seien, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zumindest abzumildern. Inhalt und Umfang der Investitionsmaßnahmen, ihre zeitliche Planung sowie die durchführenden Stellen wurden im Gesetzgebungsverfahren dadurch hinreichend dargelegt, dass die Landesregierung in der Begründung des Gesetzentwurfs, die sich der Haushaltsgesetzgeber mit der Verabschiedung des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 zu eigen gemacht hat, ausdrücklich auf das Konjunkturpaket II, das ZuInvG und seine Umsetzung in Niedersachsen insbesondere durch die Verwaltungsvereinbarung zur Umsetzung von Zukunftsinvestitionen der Kommunen und der Länder Bezug genommen hat. In den parlamentarischen Beratungen des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 verwiesen Vertreter der Landesregierung und der Regierungsfraktionen in diesem Zusammenhang mehrfach ausdrücklich auf die sog. "Initiative Niedersachsen" und damit auf das NZuInvG. Aus den genannten gesetzlichen Vorschriften und der Verwaltungsvereinbarung ergibt sich hinreichend deutlich, welchen Inhalt und Umfang die Investitionsmaßnahmen hatten, in welchem zeitlichen Rahmen und von welcher Stelle sie ausgeführt werden sollten. Bei dieser Sachlage ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, vom Haushaltsgesetzgeber eine ins Einzelne gehende Wiederholung der vorgenannten Maßnahmen zu verlangen. Dem Haushaltsgesetzgeber waren das ZuInvG, die Verwaltungsvereinbarung zum ZuInvG und das NZuInvG, das der 16. Niedersächsische Landtag am 20. Februar 2009 selbst beschlossen hatte, bekannt. Ihm waren deshalb Gegenstand und beabsichtigte Folgen seiner Entschließung bewusst. Damit ist dem vom Staatsgerichtshof herausgestellten Zweck der Darlegungen im Gesetzgebungsverfahren Genüge getan, dass der Haushaltsgesetzgeber die politische Verantwortung für die erhöhte Kreditaufnahme in Kenntnis ihres Gegenstand und der beabsichtigten Folgen übernimmt.

Ebenso ist es vertretbar, dass der Haushaltsgesetzgeber es nicht für zweckmäßig hielt, Einnahmeausfälle durch Ausgabenkürzungen aufzufangen. Auch hierdurch sollte eine Verstärkung des konjunkturellen Abschwungs durch die Haushaltspolitik vermieden werden. Insoweit hielt der Haushaltsgesetzgeber an dem Konzept einer antizyklischen Haushaltspolitik fest. Er wollte nicht durch zusätzliche Sparmaßnahmen dazu beitragen, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts noch zu verstärken. Die Erhöhung der Kreditaufnahmeermächtigung war somit Folge der Aufrechterhaltung eines nachfrageorientierten Konzepts und deshalb eine nachvollziehbare und vertretbare Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers. Zwar sind nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs bei einem Verzicht auf Einsparungen grundsätzlich weitere Darlegungen erforderlich. Bei dem hier zu beurteilenden 3. Nachtragshaushalt 2009, den der Niedersächsische Landtag erst am 28. Oktober 2009 und damit kurz vor Ende des Haushaltsjahres beschlossen hat, ist jedoch zu berücksichtigen, dass substantielle Ausgabenkürzungen zu diesem späten Zeitpunkt im Haushaltsjahr 2009 von vornherein nicht mehr in Betracht kamen. Dementsprechend hat es auch das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf den am 23. November 2004 vom Deutschen Bundestag beschlossenen Nachtragshaushalt 2004 als ausreichend angesehen, dass der Gesetzgeber dargelegt hatte, die Situation nicht durch zusätzliche Sparmaßnahmen verschärfen zu wollen (BVerfGE 119, 96 [BVerfG 09.07.2007 - 2 BvF 1/04] [153]). Eine solche Zielrichtung brachte die Niedersächsische Landesregierung in ihrer Begründung des Gesetzentwurfs hinreichend zum Ausdruck. Die positiven konjunkturellen Auswirkungen des Verzichts auf Haushaltskürzungen ergaben sich aus den dort in Bezug genommenen Ausführungen der Deutschen Bundesbank in ihrem Monatsbericht Juni 2009. Der Finanzminister wies vor dem Niedersächsischen Landtags zudem darauf hin, dass die Landesregierung zur Abwehr der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gegen die Steuerausfälle nicht mit Haushaltssperren, Einstellungsstopps oder Ähnlichem angehen könne. Die Staatssekretärin im Finanzministerium benannte - wie oben bereits dargelegt - darüber hinaus Einsparungsmaßnahmen im 3. Nachtragshaushalt 2009 und brachte damit zugleich zum Ausdruck, wo die Grenzen möglicher Einsparungsmaßnahmen nach Einschätzung der Landesregierung lagen. Die Koordinierung der Haushaltsplanung mit der längerfristigen Politik legte der Vorsitzende der Landtagsfraktion der CDU in der 45. Plenarsitzung des 16. Niedersächsischen Landtags vom 23. September 2009 dar, indem er auf die Mipla Bezug nahm und das Ziel der Landtagsmehrheit hervorhob, die Neuverschuldung ab 2011 sukzessive wieder abzubauen und im Jahr 2017 einen Landeshaushalt ohne Neuverschuldung vorzulegen.

Auch die Stellungnahme des Präsidenten des Landesrechnungshofs in der Sitzung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen vom 30. September 2009 war mehrfach Gegenstand parlamentarischer Beratungen. So setzte sich der haushaltspolitische Sprecher der Landtagsfraktion der CDU in der Sitzung des Ausschusses für Haushalt- und Finanzen vom 21. Oktober 2009 und in der 48. Plenarsitzung des Niedersächsischen Landtags am 28. Oktober 2009 mit den Einwänden auseinander, die der Landesrechnungshof gegen das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 vorgebracht hatte. Der Haushaltsgesetzgeber folgte den Einwendungen des Landesrechnungshofs im Ergebnis aber nicht, wie die Abstimmung über den 3. Nachtragshaushalt 2009 zeigt.

c) Der Prognose des Haushaltsgesetzgebers, die die eigenfinanzierten Investitionen übersteigende Kreditaufnahme sei dazu geeignet, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren, steht nicht entgegen, dass die Finanzierung der Maßnahmen zur Umsetzung des Konjunkturpakets II in Niedersachsen bereits Gegenstand des (ersten) Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 war. Nach dem Haushaltsgrundsatz der Gesamtdeckung gemäß § 8 Satz 1 LHO und § 7 Satz 1 des Gesetzes über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz - HGrG -), der nach § 1 HGrG auch für den Niedersächsischen Landeshaushalt gilt, dienen alle Einnahmen als Deckungsmittel für alle Ausgaben. Einnahmen sind alle im Haushaltsjahr zu erwartenden Deckungsmittel ohne Rücksicht auf ihre Art und Herkunft. Hierzu gehören insbesondere die Einnahmen aus Krediten (vgl. § 10 Abs. 3 Nr. 1 HGrG). Durch den Grundsatz der Gesamtdeckung soll eine Zweckbindung von Einnahmen zugunsten bestimmter Ausgaben verhindert werden. Verfassungsrechtlich besteht eine Verbindung von Einnahmen- und Ausgabenseite des Landeshaushalts nur insofern, als die Nettokreditaufnahme im laufenden Haushaltsjahr die Summe der investiven Ausgaben desselben Haushaltsjahrs gemäß Art. 71 Satz 2 NV nicht überschreiten darf, wobei Ausnahmen unter den Voraussetzungen des Art. 71 Satz 3 NV zulässig sind. Art. 71 Satz 2 und Satz 3 NV betreffen aber nicht die Frage nach der konkreten Verwendung der einzelnen aufgenommenen Kreditmittel. Eine Einzelzuordnung der Kreditmittel zu einer bestimmten (investiven) Verwendung ist verfassungsrechtlich nicht vorgesehen. Sie wäre auch haushaltsrechtlich nach dem Prinzip der Gesamtdeckung irrelevant.

d) Die Prognose des Haushaltsgesetzgebers, die die eigenfinanzierten Investitionen übersteigende Kreditaufnahme sei zur Störungsabwehr geeignet, stellt sich ferner nicht deshalb als unvertretbar dar, weil der Haushaltsgesetzgeber mit dem 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 davon Abstand genommen hat, Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage vorzunehmen bzw. Stammkapital der Nord/LB zu aktivieren. Der Haushaltsgesetzgeber war von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage in den 3. Nachtragshaushalt 2009 einzustellen bzw. Stammkapital der Nord/LB zu veräußern, um auf diese Weise die Nettokreditaufnahme im 3. Nachtragshaushalt 2009 niedriger ansetzen zu können.

Gemäß Art. 65 Abs. 1 Satz 1 NV sind im Haushaltsplan für jedes Haushaltsjahr alle Einnahmen des Landes nach dem Entstehungsgrund zu veranschlagen. Gemäß Art. 65 Abs. 1 Satz 2 NV ist der Haushaltsplan in Einnahme und Ausgabe auszugleichen. Das Gebot des Ausgleichs von Einnahmen und Ausgaben beschränkt sich auf eine formale, rechnerische Regel (vgl. BVerfGE 119, 96 [BVerfG 09.07.2007 - 2 BvF 1/04] [119]). Unter Einnahmen sind auch Einnahmen aus Krediten zu verstehen, sodass auch ein Haushalt mit erheblichem Anteil an Einnahmen aus Krediten ausgeglichen sein kann und muss. Die Niedersächsische Verfassung sagt nichts darüber, aus welcher Quelle die Einnahmen für den Ausgleich des Haushalts stammen müssen. Bei der Auswahl der Deckungsmittel, also z.B. Steuern, Verwaltungseinnahmen, Einnahmen aus Vermögensveräußerungen, Kredite und Entnahmen aus Rücklagen, macht die Verfassung dem Gesetzgeber grundsätzlich keine Vorgaben. Ein gewisser Vorrang kommt den Einnahmen aus Steuern in diesem Zusammenhang zwar dadurch zu, dass den Einnahmen aus Krediten durch Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV Grenzen gesetzt werden. Sofern der Haushaltsgesetzgeber diese Grenzen beachtet und den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung trägt, ist er aber grundsätzlich frei, darüber zu entscheiden, durch welche Einnahmen er den verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleich mit den Ausgaben herstellt. Dies sichert die Dispositionsbefugnis des Parlaments auf finanzwirtschaftlichem Gebiet.

Nach § 62 Satz 1 LHO soll eine allgemeine Rücklage gebildet werden. Die allgemeine Rücklage dient gemäß § 62 Satz 5 LHO dem Haushaltsausgleich und zur Aufrechterhaltung einer ordnungsmäßigen Kassenwirtschaft ohne Inanspruchnahme von Kreditermächtigungen (Kassenverstärkungskredite, § 34 a LHO). Bei den im vorliegenden Verfahren zu beurteilenden Kreditaufnahmeermächtigungen handelte es sich nicht um Kassenverstärkungskredite. Die allgemeine Rücklage ist nicht monetär unterlegt. Sie wird aus Kreditaufnahmeermächtigungen gebildet, die in Vorjahren im Rahmen des Haushaltsvollzugs nicht in Anspruch genommen wurden. Eine Entnahme aus der allgemeinen Rücklage führt dem Haushalt deshalb keine Geldmittel zu. Sie ermächtigt das Niedersächsische Finanzministerium lediglich, von den der allgemeinen Rücklage zugeführten Kreditaufnahmeermächtigungen aus Vorjahren (wieder) Gebrauch zu machen.

Nach einfachem Recht sind bei der Aufstellung des Haushaltsplans die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten (§ 7 Abs. 1 LHO, § 6 Abs. 1 HGrG). Der Staatsgerichtshof kann offen lassen, ob dem niedersächsischen Verfassungsrecht ebenfalls ein Wirtschaftlichkeitsgebot immanent ist, das als Verfassungsgrundsatz auch den Haushaltsgesetzgeber bindet. Jedenfalls ergibt sich aus dem Gebot wirtschaftlichen Staatshandelns weder die allgemeine Verpflichtung des Haushaltsgesetzgebers, Landesvermögen zu veräußern, noch Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage vorzunehmen, um die Kreditaufnahmeermächtigungen niedriger ausweisen zu können. Die Summe der vorgesehenen Ausgaben ist durch Einnahmen auszugleichen. Wäre dem Wirtschaftlichkeitsgebot zu entnehmen, dass der Veräußerung von Landesvermögen Vorrang vor der Erteilung von Kreditaufnahmeermächtigungen einzuräumen sei, wäre dem Haushaltsgesetzgeber die Veranschlagung von Einnahmen aus Krediten zum Haushaltsausgleich praktisch verwehrt. Ein solches Ergebnis stünde mit Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV nicht in Einklang, denn diese Vorschriften gehen von der grundsätzlichen Zulässigkeit der Kreditfinanzierung des Landeshaushalts aus. Sie machen die Erteilung von Kreditaufnahmeermächtigungen insbesondere nicht vom (vorrangigen) Einsatz von Landesvermögen abhängig. Vermögensaktivierungen, die der Finanzierung laufender, konsumtiver Ausgaben und nicht der Finanzierung neuer, vergleichbar langlebiger Vermögenswerte dienen, sind zudem nur begrenzt verfügbar. Sie leisten keinen dauerhaft wirksamen Beitrag zur Konsolidierung (vgl. Jahresbericht des Landesrechnungshofs 2008, S. 9). Aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot lässt sich auch kein Maßstab für das Verhältnis zwischen dem Ansatz von Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage und der Erteilung neuer Kreditaufnahmeermächtigungen ableiten. Denn sowohl Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage als auch die Erteilung neuer Kreditaufnahmeermächtigungen gestatten dem Finanzministerium die Aufnahme von Krediten. Beide Ansätze sind damit in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit gleichwertig.

e) Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, die Entscheidung über die Auswahl der Deckungsmittel näher zu begründen, wenn er unter Berufung auf Art. 71 Satz 3 NV Kreditaufnahmeermächtigungen erteilt, die die eigenfinanzierten investiven Ausgaben übersteigen. Die Anforderungen, die an die Darlegungen des Gesetzgebers von Verfassungs wegen zu stellen sind, falls er die Befugnis nach Art. 71 Satz 3 NV in Anspruch nimmt, hat der Staatsgerichtshof bereits klargestellt (Nds. StGHE 3, 279). Zu den Darlegungsanforderungen, die der Gesetzgeber hiernach zu erfüllen hat, gehört es nicht, einzelne Einnahmeansätze näher zu begründen. Nichts anderes gilt für den Verzicht auf Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage und die Aktivierung von Landesvermögen, selbst wenn diese Einnahmeansätze in vorhergehenden Haushaltsplänen noch veranschlagt waren. Die Veränderung einzelner Einnahmepositionen bedeutet auch noch keine Abkehr von der bisherigen Finanzplanung, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 79, 311 [BVerfG 18.04.1989 - 2 BvF 1/82] [345]) eine Begründungspflicht des Gesetzgebers auslöst. Jeder Haushaltsplan enthält ein differenziertes Gefüge von Einnahme- und Ausgabeposten, das sich aufgrund bestimmter Prioritätssetzungen und Abwägungsentscheidungen als Ergebnis einer politischen Gesamtentscheidung darstellt. Es ist nicht Aufgabe einer vom Staatsgerichtshof anzustellenden Eignungsprüfung, einzelne Einnahme- und Ausgabeansätze aus diesem Gefüge herauszubrechen und isoliert auf ihre Eignung, auf höhere Einnahmemöglichkeiten und auf gegebene Einsparungsmöglichkeiten o.ä. zu untersuchen. Dem Haushaltsgesetzgeber steht als Ausfluss seines politischen Handlungsermessens ein Beurteilungsspielraum zu, der es ausschließt, dass der Staatsgerichtshof jeden einzelnen Haushaltsansatz unter dem Gesichtspunkt seiner verfassungsrechtlichen Unabdingbarkeit bewertet.

Im Übrigen wurde im Gesetzgebungsverfahren auch dargelegt, aus welchen Gründen die Veräußerung von Stammkapital der Nord/LB im 3. Nachtragshaushalt 2009 nicht mehr vorgesehen war. Hierzu führte die Staatssekretärin im Niedersächsischen Finanzministerium in der 42. Sitzung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen am 30. September 2009 aus, das Land halte am Verkauf des Stammkapitals im Jahr 2009 wegen der Entwicklungen auf den Zinsmärkten und der damit zu erwartenden geringeren Erlöse aus dem Beteiligungsverkauf nicht mehr fest. Der Leiter der Haushaltsabteilung im Niedersächsischen Finanzministerium legte gegenüber dem Ausschuss für Haushalt und Finanzen am 21. Oktober 2009 dar, die Verschiebung des Verkaufs des Stammkapitals sei angesichts der Auswirkungen der Finanzmarktkrise aus Sicht der Landesregierung sinnvoll. Dieser nachvollziehbaren Einschätzung schloss sich der Haushaltsgesetzgeber an, wie die Abstimmung über das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 belegt.

f) Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV ist darüber hinaus nicht zu entnehmen, dass eine Kreditfinanzierung nur unter Bindung an das Verhältnismäßigkeitsprinzip erfolgen dürfe (ebenso BVerfGE 79, 311 [341], zu Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG a.F.). Der Verfassungsgeber hat für den Fall einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu deren Abwehr mit Art. 71 Satz 3 NV eine Ausnahme von der Kreditbegrenzungsvorschrift in Art. 71 Satz 2 NV eröffnet. Damit steht diese Handlungsmöglichkeit neben derjenigen der Einhaltung der Kreditobergrenze. Zu welcher Möglichkeit der Gesetzgeber greift, ist eine Abwägungsfrage. Es ist eine politische Aufgabe, diese Abwägung vorzunehmen. Zwar muss die Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts durch Kreditfinanzierung des Haushalts und nicht durch andere Maßnahmen - wie z.B. Ausgabenkürzungen oder Abgabenerhöhungen - zu bekämpfen, zur Störungsabwehr geeignet und damit "final auf die Störungsabwehr bezogen sein" (BVerfGE 119, 96 [BVerfG 09.07.2007 - 2 BvF 1/04] [140]). Unter mehreren Mitteln der Finanzierung, z.B. durch Kreditaufnahme oder Veräußerung von Landesvermögen, besteht jedoch keine Abstufung im Sinne einer Erforderlichkeit oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (vgl. dazu BVerfGE 79, 311 [BVerfG 18.04.1989 - 2 BvF 1/82] [342 f.]).

Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 vertrat der Landesrechnungshof die Auffassung, die den Betrag der Steuerausfälle übersteigende Kreditaufnahme sei dann nicht notwendig, wenn der Gesetzgeber an der Veräußerung von Stammkapital der Nord/LB und der Entnahme aus der allgemeinen Rücklage festhalte. Dies ist zwar rechnerisch richtig. Verfassungsrechtlich kommt es hierauf aber nach den vorgenannten Maßstäben im Hinblick auf die dem Haushaltsgesetzgeber zustehende Gestaltungsfreiheit nicht an. Die parlamentarische Mehrheit des Niedersächsischen Landtags entschied mit dem 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009, Stammkapital der Nord/LB in Höhe von 280 Mio. € nicht zu aktivieren und Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage in Höhe von 730 Mio. € nicht zu tätigen. Hierbei handelte es sich um haushaltspolitische Entscheidungen, die nicht der Nachprüfung durch den Staatsgerichtshof unterliegen.

4. Auch begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass der Haushaltsgesetzgeber dem Haushaltsgesetz 2009 die Mai-Steuerschätzung zugrunde gelegt hat.

a) Art. 65 Abs. 1 NV bildet die Grundlage für die verfassungsrechtlichen Haushaltsgrundsätze der Vollständigkeit, Wahrheit und Ausgeglichenheit des Haushaltsgesetzes in Verbindung mit dem Haushaltsplan (vgl. BVerfGE 119, 96 [118]). Aus dem Verfassungsgebot der Haushaltswahrheit folgt vor allem die Pflicht zur Schätzgenauigkeit (Hess.StGH, LVerfGE 16 , 262 [293]). Diese Pflicht ist jedenfalls durch bewusst falsche Etatansätze verletzt, aber auch durch "gegriffene" Ansätze, die trotz naheliegender Möglichkeiten besserer Informationsgewinnung ein angemessenes Bemühen um realitätsnahe Prognosen zu erwartender Einnahmen oder Ausgaben vermissen lassen (BVerfGE 119, 96 [130]). Haushaltswahrheit bedeutet in verfahrensmäßiger Hinsicht, dass die prognostischen Angaben über Einnahmen und Ausgaben nach sachgerechten Maßstäben und Methoden gemacht werden (vgl. Hess.StGH, LVerfGE 16, 262 [293]). Der Gesetzgeber verfügt insoweit über einen Prognosespielraum. Wie andere Prognosen sind auch die vielfach erforderlichen Einnahmen- und Ausgabenschätzungen nicht schon dann als Verstoß gegen das Wahrheitsgebot zu bewerten, wenn sie sich im Nachhinein als falsch erweisen. Sie müssen stets nur aus der Sicht ex ante sachgerecht und vertretbar ausfallen (BVerfGE 30, 250 [263]; 113, 167 [234]; 119, 96 [130]). Was dabei als vertretbar zu gelten hat, kann nur aufgrund einer Gesamtbewertung der konkreten Entscheidungssituation unter Berücksichtigung des betroffenen Sach- und Regelungsbereichs, der Bedeutung der zu treffenden Entscheidung und deren Folgen sowie der verfügbaren Tatsachengrundlagen für die Prognose bestimmt werden (BVerfGE 119, 96 [BVerfG 09.07.2007 - 2 BvF 1/04] [130]). Bei der Veranschlagung der Steuereinnahmen, deren Höhe von der nicht präzise voraussehbaren gesamtwirtschaftlichen Entwicklung abhängt, kann vom Haushaltsgesetzgeber insoweit nicht mehr verlangt werden als eine auf vernünftigen Erwägungen beruhende Schätzung (VerfGH NRW, NWVBl 2003, 419 [425]).

b) Der Haushaltsgesetzgeber leitete die Ansätze der Steuern und steuerinduzierten Einnahmen (Länderfinanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen) im 3. Nachtragshaushalt 2009 im Wesentlichen aus der zentralen Schätzung des Arbeitskreises "Steuerschätzungen" vom 12. bis 14. Mai 2009 ab. Der Ansatz folgte dabei grundsätzlich dem für Niedersachsen regionalisierten Ergebnis der Steuerschätzung. Anpassungen nahm der Gesetzgeber bei den Einnahmeansätzen insofern vor, als er vor allem die Auswirkungen des Gesetzes zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen (Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung) vom 16. Juli 2009 (BGBl. I S. 1959) berücksichtigte, die teilweise schon im Haushaltsjahr 2009 in Kraft traten. Die im Laufe der parlamentarischen Beratungen dieses Gesetzes erfolgten Änderungen des Gesetzentwurfs waren bei der Steuerschätzung im Mai 2009 noch nicht berücksichtigt worden.

Der Haushaltsgesetzgeber folgte bei der Ableitung der Ansätze der Steuern und steuerinduzierten Einnahmen aus dem Ergebnis der Schätzung des Arbeitskreises "Steuerschätzungen" im 3. Nachtragshaushalt 2009 einer seit vielen Jahren üblichen Methode. Dies ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Die Veranschlagung der Einnahmen aus Steuern auf der Grundlage der Ergebnisse des Arbeitskreises "Steuerschätzungen" lässt im Regelfall ein angemessenes Bemühen um realitätsnahe Prognosen zu erwartender Einnahmen erkennen. Dem Grundsatz der Haushaltswahrheit trägt der Gesetzgeber dadurch Rechnung, dass er in einem institutionalisierten Verfahren wie dem der regelmäßigen Steuerschätzungen des hierfür eingerichteten Arbeitskreises Vorkehrungen trifft, politisch motivierte subjektive Bewertungen auf Seiten des Parlaments und der Regierung nach Möglichkeit zu reduzieren.

Der Haushaltsgesetzgeber konnte auch in der konkreten Entscheidungssituation bei der Verabschiedung des 3. Nachtragshaushalts 2009 aus der Sicht ex ante vertretbar die regionalisierten Ergebnisse des Arbeitskreises "Steuerschätzungen" aus der Mai-Steuerschätzung für die Veranschlagung der Steuereinnahmen zugrunde legen. Es finden jährlich zwei Sitzungen des Arbeitskreises "Steuerschätzungen" statt. Mitte Mai erfolgt eine Steuerschätzung für den mittelfristigen Zeitraum (laufendes Jahr plus vier Folgejahre). Die zweite Sitzung findet zeitnah zur Verabschiedung des Bundeshaushalts im Herbst statt. Die Schätzung umfasst das laufende Jahr und fünf Folgejahre. Im Jahr 2009 fanden die Mai-Sitzung vom 12. bis zum 14. Mai 2009 und die Herbst-Sitzung vom 3. bis zum 5. November 2009 statt. Zum Zeitpunkt der Herbst-Sitzung hatte der Landtag das 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 bereits beschlossen, sodass die Berücksichtigung des Ergebnisses der Herbst-Schätzung für den Haushaltsgesetzgeber von vornherein ausschied.

c) Der Haushaltsgesetzgeber musste bei der Veranschlagung der Einnahmen aus Steuern unter Berücksichtigung der im Zeitpunkt der Verabschiedung des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 bestehenden besonderen Prognoseunsicherheiten von den Ergebnissen der Mai-Steuerschätzung nicht im Hinblick auf die Ist-Entwicklung abweichen und die Steuereinnahmen höher ansetzen. Zwar kann ein Abweichen von den regionalisierten Ergebnissen der Steuerschätzung zulässig und sogar geboten sein, wenn "handfeste" Indizien für wesentlich geänderte Ansätze der Steuern und steuerinduzierten Einnahmen erkennbar werden (vgl. BVerfGE 119, 96 [131]). Solche handfesten Indizien lagen jedoch weder bei Einbringung des Gesetzentwurfs noch zu einem späteren Zeitpunkt bis zur Annahme des Gesetzentwurfs im Landtag am 28. Oktober 2009 vor. Für die Vertretbarkeit der Ansätze aus Steuern und steuerinduzierten Einnahmen auf der Grundlage der Steuerschätzung vom Mai 2009 spricht bereits, dass ihr Ansatz im Gesetzentwurf zu keiner Zeit erkennbarer Gegenstand parlamentarischer Kontroversen war (vgl. BVerfGE 119, 96 [BVerfG 09.07.2007 - 2 BvF 1/04] [131]). In der 46. Sitzung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen am 21. Oktober 2009 vertrat die haushalts- und finanzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag selbst die Auffassung, Basis für den 3. Nachtragshaushaltsplanentwurf 2009 müsse die Mai-Steuerschätzung sein. Dem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 26. Oktober 2009 (LT-Drucks. 16/1781) zum 3. Nachtragshaushaltsgesetz 2009 lag bei den Ansätzen der Steuern und steuerinduzierten Einnahmen ebenfalls das Ergebnis der regionalisierten Mai-Steuerschätzung zugrunde.

Die Tatsache, dass die Steuereinnahmen in Niedersachsen in den Monaten Januar bis Juli 2009 gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum um rund 10 % gestiegen waren und sich selbst zum Ende des dritten Quartals 2009 nach dem Vierteljahresbericht vom 29. Oktober 2009 noch Steuermehreinnahmen von 2,9 % gegenüber dem Vorjahrszeitraum zeigten, war nicht ausreichend, um den Haushaltsgesetzgeber von Verfassungs wegen als verpflichtet anzusehen, von den Ergebnissen der Mai-Steuerschätzung abzuweichen. Der Haushaltsgesetzgeber musste auch nicht deshalb von den Ergebnissen der Mai-Steuerschätzung abweichen, weil nach dem Vierteljahresbericht des Niedersächsischen Finanzministeriums über die Haushalts- und Kassenlage vom 29. Oktober 2009 in den ersten drei Haushaltsvierteljahren 2009 die Tilgungen die Neuverschuldung um 72,6 Mio. € überstiegen, das Land also bis zum Ablauf des 3. Quartals 2009 noch gar keine Nettokreditaufnahme getätigt hatte. Das Festhalten an den Ergebnissen der Mai-Steuerschätzung war vertretbar, weil für den Haushaltsgesetzgeber nicht absehbar war, ob die positive Entwicklung der Steuereinnahmen in Niedersachsen im weiteren Jahresverlauf weiter anhalten würde. Wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse hierüber lagen dem Haushaltsgesetzgeber nicht vor. Angesichts der Dynamik wirtschaftlicher Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Steuereinnahmen können Ist-Ergebnisse lediglich Anhaltspunkte für eine Vorausschätzung sein. Sie können als Momentaufnahme eine anhand der gesamtwirtschaftlichen Eckdaten und volkswirtschaftlicher Kennzahlen fundierte Steuerschätzung für den Ansatz der Steuereinnahmen im Haushaltsplan indessen nicht entkräften. Dies gilt jedenfalls dann, wenn dem Haushaltsgesetzgeber - wie hier - keine zuverlässigen Erkenntnisse darüber vorliegen, dass sich aus dem für einen Teil des Haushaltsjahres gegebenen Ist-Ergebnis der Steuereinnahmen ein bestimmtes Ergebnis für das gesamte Haushaltsjahr, das Grundlage des Haushaltsansatzes sein muss, ableiten lässt.

C.

Die Normenkontrollanträge gegen das Haushaltsgesetz 2010 sind ebenfalls zulässig.

Die Normenkontrollanträge zu 2.a) und 2.b) sind jedoch unbegründet. Allerdings steht die niedersächsische Staatspraxis, Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage nicht als Kredit im Sinne von Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV zu behandeln, mit der Niedersächsischen Verfassung nicht in Einklang.

Der Normenkontrollantrag zu 2.c) ist teilweise begründet. § 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2010 in der Fassung des Nachtragshaushaltsgesetzes 2010 in Verbindung mit Einzelplan 13 Kapitel 1301 Titel 015 11-3 ist mit Art. 65 Abs. 1 Satz 1 NV insoweit unvereinbar, als der Haushaltsgesetzgeber die Umsatzsteuer (Landesanteil) zu hoch veranschlagt hat, indem er den im März 2010 fälligen Erstattungsanspruch des Bundes im Haushaltsplan 2010 nicht einnahmemindernd berücksichtigt hat.

I.

§ 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010 ist mit Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV vereinbar.

Die Maßstäbe, an denen die Verfassungsmäßigkeit der Kreditaufnahmeermächtigung in § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010 zu messen ist, entsprechen den oben bereits für § 3 Abs. 1 des 3. Nachtragshaushaltsgesetzes 2009 dargelegten Voraussetzungen. Diese Prüfungsmaßstäbe sind auch für das Haushaltsjahr 2010 anzuwenden.

Die in § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010 veranschlagte Nettokreditaufnahme von 2,3 Mrd. € übersteigt die eigenfinanzierten Investitionen nach Art. 71 Satz 2 NV um 1,061 Mrd. €. Die Überschreitung der Grenze der eigenfinanzierten Investitionen durch die veranschlagte Nettokreditaufnahme ist durch Art. 71 Satz 3 NV gedeckt. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs für das Haushaltsgesetz 2010 und den Darlegungen im Gesetzgebungsverfahren sind (1.) die Diagnose, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht auch im Haushaltsjahr 2010 ernsthaft und nachhaltig gestört sei, (2.) die Absicht, durch die erhöhte Kreditaufnahme diese Störung abzuwehren, und (3.) die begründete Prognose, dass und wie durch die erhöhte Kreditaufnahme dieses Ziel erreicht werden könne, nachvollziehbar und vertretbar.

1. Die in der Begründung des Gesetzentwurfs für das Haushaltsgesetz 2010 zum Ausdruck gebrachte Einschätzung, das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht sei auch im Haushaltsjahr 2010 nachhaltig gestört, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Die Landesregierung orientierte sich mit der Begründung des Gesetzentwurfs an den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im Sinne von Art. 109 Abs. 2 GG a.F.. Das Ergebnis der Abstimmung über den Gesetzentwurf des Haushaltsgesetzes 2010 zeigt, dass die parlamentarische Mehrheit im Niedersächsischen Landtag der Einschätzung der Störungslage durch die Landesregierung in der Begründung des Gesetzentwurfs beigetreten ist.

Die Landesregierung hat die Verfehlung des Ziels eines angemessenen Wirtschaftswachstums nachvollziehbar dargelegt. Nach dem Monatsbericht der Deutschen Bundesbank Juni 2009, auf den die Begründung des Gesetzentwurfs für das Haushaltsgesetz 2010 ausdrücklich Bezug nimmt, zeichnete sich ausgehend von einem Rückgang des BIP im Jahr 2009 um etwa 6 % für das Jahr 2010 eine unverändert niedrige Wirtschaftsaktivität ab. Die Deutsche Bundesbank rechnete für das Jahr 2010 insgesamt mit einer kalenderjährlichen jahresdurchschnittlichen BIP-Rate von 0,0 %. Die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose ging in ihrer Frühjahrsprojektion ebenfalls davon aus, dass sich die extrem schlechte konjunkturelle Grundtendenz des Jahres 2009 nicht wesentlich ändern werde. Mit einer durchgreifenden Erholung sei auch für das Jahr 2010 nicht zu rechnen. Erfahrungen mit früheren Rezessionen hätten gezeigt, dass diese besonders hartnäckig seien, wenn sie mit einer Banken- und Immobilienkrise einhergingen. Aufgrund der sich weiter verschlechternden Arbeitsmarktlage sei außerdem zu erwarten, dass der private Konsum spürbar zurückgehen werde. Im Jahresdurchschnitt sei ein Rückgang des realen BIP um 0,5 % zu erwarten. Angesichts der prognostizierten Stagnation des BIP auf dem schon sehr niedrigen Niveau des Jahres 2009 bzw. eines weiteren leichten Rückgangs des realen BIP um 0,5 % konnte der Haushaltsgesetzgeber vertretbar von einer Verfehlung des Ziels eines angemessenen Wirtschaftswachstums ausgehen.

Der Haushaltsgesetzgeber durfte auch eine Verfehlung des Ziels eines hohen Beschäftigungsstands im Haushaltsjahr 2010 bejahen. Die Deutsche Bundesbank prognostizierte in ihrem Monatsbericht Juni 2009 für das Jahr 2010 eine deutliche Verschlechterung der Arbeitsmarktlage. Während die Einschränkung der gesamtwirtschaftlichen Aktivität bisher weitgehend von einer rückläufigen Arbeitszeit und einer abnehmenden Stundenproduktivität aufgefangen worden sei, würden die Unternehmen mehr und mehr versuchen, den Arbeitseinsatz in größerem Maße als bisher den gesunkenen Absatzmöglichkeiten anzupassen. Es sei mit einer Zunahme der Arbeitslosigkeit im Jahresmittel 2010 auf 4,4 Mio. zu rechnen. Die Arbeitslosenquote werde im Jahr 2010 in der Abgrenzung der Bundesagentur für Arbeit damit auf 10,5 % steigen. Die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose ging hinsichtlich der Arbeitsmarktlage davon aus, dass auch im Jahr 2010 die Unterauslastung der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten anhalten werde. Da die Entlastung durch die Kurzarbeit abnehmen dürfte, werde die Arbeitslosenzahl im Jahr 2010 um 970 000 auf jahresdurchschnittlich 4,7 Mio. steigen. Dies entspreche einer Arbeitslosenquote von 10,8 %.

Die Auseinandersetzung mit den Zielen Wirtschaftswachstum und Beschäftigungsstand war zur Darlegung einer nachhaltigen Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ausreichend, da der Haushaltsgesetzgeber eine Störung dieser Ziele nachvollziehbar und vertretbar festgestellt hat.

2. Die Absicht, mit Hilfe der erhöhten Kreditaufnahme die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren bzw. abzumildern, wurde im Gesetzgebungsverfahren ebenfalls hinreichend dargelegt. Die Landesregierung führte in der Begründung des Gesetzentwurfs zum Haushaltsgesetz 2010 aus, dass die die eigenfinanzierten Investitionen übersteigende Nettokreditaufnahme erforderlich sei, um die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren. Vertreter der Landtagsfraktionen der CDU und der FDP vertraten in den parlamentarischen Beratungen ebenfalls diese Auffassung. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen unter A.I.2 des Urteils verwiesen.

3. Die Begründung des Gesetzentwurfs und die Darlegungen im Gesetzgebungsverfahren verdeutlichen ferner, dass die auf Art. 71 Satz 3 NV gestützte, erhöhte Kreditaufnahme zur Störungsabwehr geeignet erschien und der im Wege der ausnahmsweisen Kreditaufnahme erweiterte finanzielle Handlungsspielraum in vertretbarer Weise zur Störungsabwehr genutzt werden sollte.

Die Deutsche Bundesbank vertrat in ihrem Monatsbericht Juni 2009, auf den die Begründung des Gesetzentwurfs für das Haushaltsgesetz 2010 Bezug nimmt, die Auffassung, dass die Finanzpolitik einen Beitrag zur Stabilisierung der deutschen Wirtschaft leiste. Das Risiko einer Abwärtsspirale dürfte durch diesen Stabilisierungsbeitrag, der von den staatlich aufgelegten Konjunkturprogrammen ausgehe, gebannt sein. Die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose kam in ihrer Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2009, auf die sich die Begründung des Gesetzentwurfs ebenfalls stützt, zu dem Ergebnis, die Konjunkturpakete I und II seien trotz grundsätzlicher Bedenken, die gegen solche Stimulierungsprogramme vorzubringen seien, in der gegenwärtigen Situation vertretbar. Schätzungen mit ökonometrischen Modellen würden zeigen, dass aufgrund des Konjunkturpakets II (ohne die Aufstockung der „Abwrackprämie“) für das Jahr 2010 eine um gut 0,3 Prozentpunkte höhere Veränderungsrate des BIP zu erwarten sei. Die zentralen Komponenten des zweiten Konjunkturpakets, die Steigerung der Investitionen sowie die Entlastungen bei Steuern und Sozialbeiträgen, würden nicht nur zu den aus konjunktureller Perspektive wünschenswerten Nachfrageimpulsen führen. Aufgrund der langfristig positiven Produktivitätseffekte und der Leistungsanreize würden sie zugleich auch das Wachstum fördern. Daher sei es vertretbar, sie vorübergehend über Verschuldung zu finanzieren.

Der Landesgesetzgeber konnte angesichts der vorgenannten sachverständigen Stellungnahmen Ende 2009 vertretbar davon ausgehen, dass die Investitionsmaßnahmen im Rahmen des Konjunkturpakets II und des NZuInvG geeignet waren, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zumindest abzumildern. Der Haushaltsgesetzgeber konnte auch die weiteren, durch den Haushalt 2010 finanzierten Maßnahmen und Programme zur Investitionsförderung unter Berücksichtigung der Einschätzung der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose vertretbar als zur Abmilderung der Störungslage geeignet ansehen. Zu nennen sind hier insbesondere die Bau- und Geräteinvestitionen sowie weitere Ausgaben für verschiedene Forschungsprojekte aus dem Bereich des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur, die Finanzhilfen für Filmförderungen und zur Förderung der Medienwirtschaft, die Finanzierung von Projekten in Bezug auf die niedersächsischen Seehäfen, im Straßenbau, in der Luft- und Raumfahrt sowie des Wirtschaftsförderfonds.

Inhalt und Umfang der Investitionsmaßnahmen, ihre zeitliche Planung sowie die durchführenden Stellen wurden im Gesetzgebungsverfahren ebenfalls hinreichend dargelegt. Dies geschah im Hinblick auf die Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Konjunkturpaket II dadurch, dass die Landesregierung in der Begründung des Gesetzentwurfs für das Haushaltsgesetz 2010, die sich der Haushaltsgesetzgeber mit der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes 2010 zu eigen gemacht hatte, ausdrücklich auf das Konjunkturpaket II, das ZuInvG und seine Umsetzung in Niedersachsen insbesondere durch die Verwaltungsvereinbarung zur Umsetzung von Zukunftsinvestitionen der Kommunen und der Länder Bezug genommen hat. In den parlamentarischen Beratungen des Haushaltsgesetzes 2010 verwiesen Vertreter der Landesregierung und der Regierungsfraktionen in diesem Zusammenhang mehrfach ausdrücklich auf die sog. "Initiative Niedersachsen" und damit auf das NZuInvG. Aus den genannten gesetzlichen Vorschriften, der Verwaltungsvereinbarung und weiteren Erläuterungen im Rahmen der parlamentarischen Beratungen des Haushaltsgesetzes 2010 in den Ausschüssen und Unterausschüssen des Niedersächsischen Landtags ergibt sich hinreichend deutlich, welchen Inhalt und Umfang die Maßnahmen hatten, in welchem zeitlichen Rahmen und von welcher Stelle sie ausgeführt werden sollten. Hinsichtlich der weiteren Maßnahmen, mit denen die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abgewehrt werden sollte, erfolgte eine hinreichende Darlegung ihres Inhalts und Umfangs, ihrer zeitlichen Planung und der durchführenden Stellen nach den vom Staatsgerichtshof beigezogenen Sitzungsniederschriften ebenfalls im Rahmen der Haushaltsberatungen in den Ausschüssen und Unterausschüssen des Niedersächsischen Landtags. Nach Abschluss der Ausschussberatungen bestand bei den Landtagsabgeordneten ausweislich der Sitzungsniederschriften bezüglich des Inhalts der Maßnahmen, die durch den Landeshaushalt 2010 finanziert werden sollten, kein weiterer wesentlicher Klärungsbedarf mehr. Fragen der Landtagsabgeordneten zu einzelnen Maßnahmen hatte die Landesregierung im Rahmen der Ausschussberatungen beantwortet. Damit war der Zweck der Darlegungen im Gesetzgebungsverfahren erreicht. Aufgrund der entsprechenden Informationen durch die Landesregierung konnte der Haushaltsgesetzgeber die politische Verantwortung für die erhöhte Kreditaufnahme in Kenntnis ihres Gegenstands und der beabsichtigten Folgen übernehmen. Dies geschah mit der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes 2010.

Soweit der Haushaltsgesetzgeber es für zweckmäßig hielt, Einnahmeausfälle nicht durch Ausgabenkürzungen aufzufangen, ist dies ebenfalls vertretbar. Der Haushaltsgesetzgeber verfolgte mit dieser Entscheidung das Konzept einer antizyklischen Haushaltspolitik. Er wollte nicht durch zusätzliche Sparmaßnahmen dazu beitragen, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts noch zu verstärken. Der Haushaltsgesetzgeber erfüllte auch insoweit die Darlegungsanforderungen, die die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs bei einem Verzicht auf weitere Einsparungen entwickelt hat. In der Begründung des Gesetzentwurfs für das Haushaltsgesetz 2010 hob die Landesregierung hervor, ein Ausgleich der konjunkturell bedingten Mindereinnahmen käme - wenn überhaupt - nur durch weitreichende Ausgabenkürzungen im konsumtiven Bereich in Betracht. Eine sinkende staatliche Nachfrage würde die Konjunktur jedoch zusätzlich belasten und die Verpflichtung verletzen, bei wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen des Landes die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Auch die Deutsche Bundesbank wies in ihrem von der Begründung des Gesetzentwurfs in Bezug genommenen Monatsbericht Juni 2009 auf die positiven konjunkturellen Auswirkungen des Verzichts auf Haushaltskürzungen hin. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag vertrat in den parlamentarischen Beratungen ebenfalls die Auffassung, es sei falsch, gegen die Krise anzusparen. Das Ergebnis der Abstimmung über das Haushaltsgesetz 2010 zeigt, dass die Landtagsmehrheit diese Einschätzung teilte.

Darüber hinaus nahmen Vertreter der Landesregierung und verschiedene Landtagsabgeordnete in den Haushaltsberatungen der Ausschüsse und Unterausschüsse des Landtags zu einzelnen Einsparungsmöglichkeiten, ihren Grenzen und den positiven konjunkturellen Auswirkungen des Verzichts auf Haushaltskürzungen Stellung. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen unter A.I.2 Bezug genommen.

Im Hinblick auf die Koordinierung der Haushaltsplanung mit der längerfristigen Politik verwiesen der Vorsitzende der Landtagsfraktion der CDU sowie der haushalts- und finanzpolitische Sprecher der CDU-Fraktion auf die Mipla. Sie betonten das Ziel der Landtagsmehrheit, die Neuverschuldung ab 2011 sukzessive wieder abzubauen, um im Jahr 2017 einen Landeshaushalt ohne Neuverschuldung vorlegen zu können.

Gegenstand der parlamentarischen Beratungen des Haushaltsgesetzes 2010 war auch das vom Präsidenten des Landesrechnungshofs im Ausschuss für Haushalt und Finanzen angesprochene, nicht durch Einsparungen gedeckte strukturelle Haushaltsdefizit. Diesbezüglich vertraten die haushaltspolitischen Sprecher beider die Landesregierung tragenden Fraktionen allerdings die Auffassung, dass eine Reduzierung der Nettoneuverschuldung angesichts der Wirtschaftskrise im Haushaltsjahr 2010 noch nicht möglich sei. Eine Rückführung des strukturellen Defizits komme erst ab dem Haushaltsjahr 2011 in Betracht. Die Mehrheit des Niedersächsischen Landtags teilte diese Einschätzung, wie das Ergebnis der Abstimmung über das Haushaltsgesetz 2010 belegt. Diese Entscheidung des Landtags ist vertretbar. Der Niedersächsische Haushaltsgesetzgeber hat sich mit den Ursachen der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auseinandergesetzt. Er sah die Ursachen allerdings nicht in dem strukturellen Haushaltsdefizit, das durch Nachfrageausweitungen mittels Investitionsmaßnahmen schwerlich bekämpft werden könnte, sondern in den Auswirkungen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise. Diese Einschätzung ist für den Zeitpunkt Dezember 2009 nachvollziehbar. Sie steht in Einklang mit den vom Haushaltsgesetzgeber herangezogenen sachverständigen Stellungnahmen der Deutschen Bundesbank und der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose.

4. Der Einwand der Antragsteller, der Haushaltsgesetzgeber habe den Kreditbedarf unter Verstoß gegen Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV nicht anhand der Einnahmen und Ausgaben im laufenden Haushaltsjahr 2010 ermittelt, sondern die Mipla zur Grundlage für die Veranschlagung der Kreditaufnahmeermächtigung in § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010 gemacht, greift nicht durch.

Der Haushaltsgesetzgeber muss die Ausgeglichenheit des Landeshaushalts (Art. 65 Abs. 1 Satz 2 NV) herstellen. Der Landeshaushalt 2010 ist unter Berücksichtigung der nach § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010 zugelassenen Kreditaufnahmeermächtigung in Höhe von 2,3 Mrd. € ausgeglichen. Die Kreditaufnahmeermächtigung ist in § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010 auch nicht mit einem höheren Betrag veranschlagt, als er zur Herstellung der Ausgeglichenheit des Haushalts erforderlich ist. Damit orientiert sich die Kreditaufnahmeermächtigung an den Einnahmen und Ausgaben im Haushaltsjahr 2010. Die Auffassung der Antragsteller, der Haushaltsgesetzgeber habe die Kreditaufnahmeermächtigung in § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010 deshalb erteilt, um unter Verstoß gegen Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV einen (zu) hohen Schuldensockel zu schaffen, trifft mithin nicht zu.

Nach alledem hält § 3 Abs. 1 des Haushaltsgesetzes 2010 verfassungsrechtlicher Nachprüfung stand.

II.

Demgegenüber steht die niedersächsische Staatspraxis, Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage nicht als Kredit im Sinne von Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV zu behandeln, mit der Niedersächsischen Verfassung nicht in Einklang. Für Haushaltsbeschlüsse bis zum 31. Dezember 2011 ist es verfassungsrechtlich jedoch hinzunehmen, dass der Haushaltsgesetzgeber die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage entsprechend der bisherigen Staatspraxis nicht als Kredit im Sinne von Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV berücksichtigt.

1. Die in Einzelplan 13 Kapitel 1302 Titel 351 11-7 i.V.m. dem Einzelplan 13 Kapitel 5131 Titel 919 11-8 des Haushaltsplans veranschlagte Entnahme aus der allgemeinen Rücklage und die Abführung des entnommenen Betrags an den Landeshaushalt verstößt nicht gegen die Grundsätze der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit (Art. 65 NV).

a) Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Haushaltswahrheit folgt aus Art. 65 Abs. 1 Satz 1 NV. Der Grundsatz der Haushaltswahrheit zielt darauf ab, das gesamte staatliche Finanzvolumen der Budgetplanung und -entscheidung von Parlament und Regierung zu unterstellen und so das Haushaltsbewilligungsrecht als eines der wesentlichen Instrumente der parlamentarischen Regierungskontrolle wirksam auszugestalten. Regierung und Parlament sind gleichermaßen Adressaten der haushaltsrechtlichen Verpflichtung zur Vollständigkeit des Haushaltsplans. In ihrem Zusammenwirken haben sie für die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Regierungssystems im freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat durch sorgfältige und transparente haushaltswirtschaftliche Planung, Entscheidung und Kontrolle der staatlichen Tätigkeit Sorge zu tragen (BVerfGE 119, 96 [119] m.w.N.). Der Grundsatz der Haushaltswahrheit enthält das Gebot, die in der Haushaltsperiode voraussichtlich eingehenden Einnahmen und die voraussichtlich zu leistenden Ausgaben möglichst genau zu errechnen oder zu schätzen (BVerfGE 119, 96 [BVerfG 09.07.2007 - 2 BvF 1/04] [129]). Der Grundsatz der Haushaltswahrheit bezweckt, die Wirksamkeit der Budgetfunktionen im parlamentarischen Regierungssystem - Leitung, Kontrolle und Transparenz durch Öffentlichkeit der staatlichen Tätigkeiten - zu gewährleisten.

Damit ist auch der ebenfalls aus Art. 65 Abs. 1 Satz 1 NV abzuleitende verfassungsrechtliche Haushaltsgrundsatz der Haushaltsklarheit angesprochen. Der Grundsatz der Haushaltsklarheit besagt, dass der Etat durchsichtig und übersichtlich, das heißt nach einheitlichen rationalen Gesichtspunkten gegliedert sein muss. Die einzelnen Positionen sind so zu bezeichnen, dass bei den Einnahmen die Herkunft und bei den Ausgaben die Zweckbestimmung eindeutig zu erkennen sind. Die Ermächtigungen des Haushaltsgesetzes und des Haushaltsplans müssen so präzise gefasst sein, dass sie das Finanzgebaren der Exekutive wirksam zu steuern vermögen. Der Haushaltsplan muss den Willensbildungsprozess des Parlaments verdeutlichen, welche Mittel für welchen Zweck bewilligt wurden. In Bezug auf die Einnahmen verlangt der Grundsatz der Haushaltsklarheit, dass Haushaltsgesetz und Haushaltsplan erkennen lassen müssen, welche Mittel der Gesetzgeber zur Finanzierung der Staatsaufgaben herangezogen hat.

Der Grundsatz der Haushaltswahrheit und -klarheit steht damit in engem Zusammenhang mit dem Grundsatz der Budgetöffentlichkeit, der aus dem Demokratieprinzip folgt. Öffentlichkeit des Haushalts bedeutet, dass sich Entstehung, Beschlussfassung und Vollzug des Haushaltsplans nicht im Geheimen abspielen. Jedermann soll sich darüber Kenntnis verschaffen und das Finanzgebaren des Staates zum Gegenstand öffentlicher Diskussion machen können.

b) Nach diesen Maßstäben verstoßen die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage und die Abführung des entnommenen Betrags an den Landeshaushalt nicht gegen den Grundsatz der Haushaltswahrheit und -klarheit.

Die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage und die Abführung des entnommenen Betrags an den Landeshaushalt sind in dem durch § 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2010 festgestellten Haushaltsplan 2010 in Einzelplan 13 Kapitel 1302 Titel 351 11-7 i.V.m. dem Einzelplan 13 Kapitel 5131 Titel 919 11-8 enthalten. Damit entspricht der Haushaltsplan in Bezug auf die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage und der Abführung des entnommenen Betrags an den Landeshaushalt dem Gebot des Grundsatzes der Haushaltswahrheit, die in der Haushaltsperiode voraussichtlich eingehenden Einnahmen möglichst genau im Haushaltsplan auszuweisen. Der Haushaltsgesetzgeber stellte den Haushaltsplan in § 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2010 fest. Das Parlament traf folglich hinsichtlich der Entnahme aus der allgemeinen Rücklage und ihrer Abführung an den Landeshaushalt die Entscheidung über das Finanzvolumen des Budgets. Das Ziel des Grundsatzes der Haushaltswahrheit, das Haushaltsbewilligungsrecht des Landtags zu sichern, war hierdurch erreicht.

Die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage und die Abführung des entnommenen Betrags an den Landeshaushalt stehen auch mit dem Grundsatz der Haushaltsklarheit in Einklang. Die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage ist im Haushaltsplan unter den Einnahmen in Einzelplan 13 Kapitel 1302 Titel 351 11-7 veranschlagt. Die Herkunft der Einnahme ist durch die Bezeichnung "Entnahme aus der Allgemeinen Rücklage" eindeutig zu erkennen. Die Veranschlagung der Entnahme in Einzelplan 13 Kapitel 1302 Titel 351 11-7 entspricht der Gliederung des Haushaltsplans und stellt die Übersichtlichkeit des Etats nicht in Frage. Dasselbe gilt für die in Einzelplan 13 Kapitel 5131 Titel 919 11-8 veranschlagte Abführung des aus der allgemeinen Rücklage entnommenen Betrags an den Landeshaushalt. Die Bezeichnung "Abführung an den Landeshaushalt" verdeutlicht, dass der Betrag von 730 Mio. € aus der allgemeinen Rücklage dem Landeshaushalt zufließen soll.

Die Haushaltsansätze in Einzelplan 13 Kapitel 1302 Titel 351 11-7 i.V.m. dem Einzelplan 13 Kapitel 5131 Titel 919 11-8 sind damit eindeutig gefasst und konnten das Finanzgebaren der Exekutive im Haushaltsvollzug wirksam steuern. Sie verdeutlichen in Verbindung mit der Feststellung des Haushaltsplans durch § 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2010 den Willen des Haushaltsgesetzgebers, einen Betrag von 730 Mio. € aus der allgemeinen Rücklage zu entnehmen und dem Haushalt zuzuführen.

c) Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Haushaltswahrheit und -klarheit liegt auch nicht deshalb vor, weil die allgemeine Rücklage nicht monetär unterlegt ist. Die Niedersächsische Verfassung enthält über die allgemeine Rücklage keine Regelung. Nach § 62 Satz 1 LHO ist eine allgemeine Rücklage zu bilden. Diese dient nach § 62 Satz 5 LHO dem Haushaltsausgleich und zur Aufrechterhaltung einer ordnungsgemäßen Kassenwirtschaft ohne Inanspruchnahme von Kreditermächtigungen (§ 34 a LHO). § 62 LHO sagt aber nichts darüber, woraus und wie die allgemeine Rücklage zu bilden ist. Nach der langjährigen niedersächsischen Staatspraxis wird die allgemeine Rücklage aus nicht ausgeschöpften Kreditermächtigungen vorangegangener Haushaltsjahre gebildet. Haushaltsrechtlich handelt es sich bei Kreditermächtigungen um Einnahmen aus Krediten (§ 18 Abs. 1 Satz 1 LHO). Nach § 13 Abs. 2 HGrG, § 18 Abs. 2 Satz 3 LHO gelten (nicht ausgeschöpfte) Kreditermächtigungen mindestens bis zum Ende des nächsten Haushaltsjahres fort. Im Rahmen des Haushaltsabschlusses werden nicht ausgeschöpfte Kreditermächtigungen unter Bezugnahme auf § 25 Abs. 2 Satz 1 LHO der allgemeinen Rücklage zugeführt. Die Zuführung zur allgemeinen Rücklage ist in der Haushaltsrechnung des Landes offen ausgewiesen. Über eine Entnahme aus der allgemeinen Rücklage entscheidet der Haushaltsgesetzgeber mit dem jeweiligen Haushaltsgesetz. Der Staatsgerichtshof hat in dem vorliegenden Normenkontrollverfahren nicht zu entscheiden, ob die niedersächsische Staatspraxis mit den Bestimmungen der LHO in Einklang steht. Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage werden im Haushaltsgesetz 2010 - welches im vorliegenden Verfahren vom Staatsgerichtshof allein zu überprüfen ist - jedenfalls nicht verschleiert. Sie werden vielmehr offen ausgewiesen.

Das Haushaltsgesetz 2010 täuscht auch nicht vor, dass die allgemeine Rücklage dotiert ist. Die Entnahmen aus Rücklagen, zu denen auch die Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage gehören, sind in der Finanzierungsübersicht zum Gesamtplan für das Haushaltsjahr 2010 bei der "Zusammensetzung des Finanzierungssaldos" zusätzlich zu der Nettoneuverschuldung unter Abschnitt II Nr. 3.1 aufgeführt. Die Zuordnung der Rücklagenentnahme zum Finanzierungssaldo verdeutlicht, dass in der allgemeinen Rücklage keine Geldmittel vorhanden sind. Die niedersächsische Haushaltswirtschaft erfolgt in ihrem Rechnungswesen kameral (§ 1a Abs. 1 Satz 1 HGrG). Bei der kameralistischen Haushaltswirtschaft des Landes gehören Schuldaufnahmen am Kreditmarkt - abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch und vom Handels- und Steuerrecht - zu den Einnahmen. Vor diesem Hintergrund ist auch die niedersächsische Staatspraxis zu sehen, nicht ausgenutzte und somit "angesparte" Kreditermächtigungen der allgemeinen Rücklage zuzuführen. Regierung und Parlament ist dabei gleichermaßen bekannt, dass die allgemeine Rücklage aus nicht ausgeschöpften Kreditermächtigungen der Vorjahre besteht. Die Transparenz einer haushaltswirtschaftlichen Planung und Entscheidung ist gewährleistet. Eine "Schattenkreditwirtschaft" der Exekutive ist ausgeschlossen.

Der Grundsatz der Budgetöffentlichkeit ist ebenso wenig verletzt. Die interessierte Öffentlichkeit kann sich anhand des Haushaltsplans über die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage und die Abführung des entnommenen Betrags an den Landeshaushalt Kenntnis verschaffen. Das Finanzgebaren des Landes Niedersachsen im Zusammenhang mit der Rücklagenentnahme kann zum Gegenstand öffentlicher Diskussion gemacht werden. Dies gilt insbesondere auch für die jeweilige Opposition im Niedersächsischen Landtag, die die Rücklagenentnahme in der politischen Auseinandersetzung thematisieren kann. Zwar mag es sein, dass der Öffentlichkeit und Presse trotz der seit Jahrzehnten bestehenden niedersächsischen Staatspraxis in Bezug auf Zuführungen zu der allgemeinen Rücklage und Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage nicht im Einzelnen bekannt ist, wie die allgemeine Rücklage gebildet wird und woraus sie besteht. Ein insoweit möglicherweise vorhandenes Informationsdefizit der Öffentlichkeit führt aber nicht zur Verfassungswidrigkeit des Haushaltsgesetzes.

2. Demgegenüber steht die jahrzehntelange niedersächsische Staatspraxis, Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage nicht als Kredit im Sinne von Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV zu behandeln, mit der Niedersächsischen Verfassung nicht in Einklang. Die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage gehört vielmehr von Verfassungs wegen zu den Krediten im Sinne von Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV.

a) Die Niedersächsische Verfassung erläutert den Kreditbegriff des Art. 71 NV nicht. Der Sonderausschuss "Niedersächsische Verfassung" erörterte die Bedeutung der Formulierung "Aufnahme von Krediten" in Art. 71 Satz 1 NV. Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtags vertrat dabei die Auffassung, mit "Aufnahme von Krediten" sei nicht die Nettoveranschlagung von Haushaltseinnahmen aus Krediten, sondern das bürgerlich-rechtliche Rechtsgeschäft gemeint (Niederschrift über die 41. - öffentliche - Sitzung des Sonderausschusses "Niedersächsische Verfassung" am 26. Februar 1993, S. 31, in: Niedersächsische Verfassung vom 19. Mai 1993, Band I, S. 1005). In seinem "Schriftlichen Bericht zum Entwurf einer Niedersächsischen Verfassung" zu Art. 71 Satz 1 NV nahm der Sonderausschuss zum Begriff der "Aufnahme von Krediten" und zum Kreditbegriff selbst keine Stellung. Zu Art. 71 Satz 2 NV vertrat der Sonderausschuss die Auffassung, die dort bestimmte Grenze gelte nicht für veranschlagte Einnahmen aus Krediten, sondern für die Kreditaufnahme als solche (LT-Drucks 12/5840, S. 41 f.). Der Sonderausschuss wandte sich damit einerseits gegen eine Empfehlung des Landesrechnungshofs, die dahin ging, die Umschuldung in Art. 71 Satz 2 NV nicht zu erwähnen, um zu vermeiden, dass "die Staatspraxis, Schulden nicht zu tilgen, in den Rang der Verfassung gehoben" werde. Andererseits teilte der Sonderausschuss den Einwand der Staatskanzlei nicht, dass nach dem Nettoprinzip für Umschuldungen keine Ausgaben veranschlagt werden könnten. Die Frage, was unter der "Kreditaufnahme als solche" zu verstehen sei, beantwortete der Sonderausschuss in seinem Bericht indessen nicht.

In Art. 71 NV wird - anders als in Art. 115 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG a.F. - nicht zwischen der "Aufnahme von Krediten" und den "Einnahmen aus Krediten" unterschieden. Art. 71 Satz 1 NV betrifft, wie der fast wortgleiche Art. 115 Abs. 1 GG, die "Aufnahme von Krediten". Art. 71 Satz 2 NV verwendet demgegenüber abweichend von Art. 115 Abs. 1 Satz 2 GG a.F. und Art. 115 Abs. 2 GG nicht die Formulierung der "Einnahmen aus Krediten", sondern spricht allgemein von Krediten. Da die "zur Umschuldung veranschlagten Ausgaben" aber die Grenze für die Kreditaufnahme nach Art. 71 Satz 2 NV erhöhen, wirken sich die zur Umschuldung bestehender Schulden aufgenommenen Kredite letztlich nicht aus. Im Ergebnis ist deshalb bei Art. 71 Satz 2 und Satz 3 NV von dem Schuldenzuwachs, der sog. Nettokreditaufnahme, auszugehen. Dementsprechend erlaubt auch § 15 Abs. 1 Satz 2 LHO eine Nettoveranschlagung der Einnahmen aus Krediten und der damit zusammenhängenden Tilgungsausgaben. § 12 Abs. 1 Satz 2 HGrG lässt die Abweichung vom Bruttoprinzip für Kredite ausdrücklich zu. Unter einem Kredit i.S. von Art. 71 NV ist dabei die Hereinnahme von Geldern zu verstehen, die mit einer Rückzahlungspflicht verbunden ist. Art. 71 NV gilt für die Begründung von Finanzschulden, die dem Land für eine bestimmte Zeit Geldmittel zur Finanzierung von Haushaltsausgaben zuführt oder ihm unmittelbar die Leistung von Haushaltsausgaben erspart (vgl. BT-Drucks. V/3040, S. 47 Tz. 129, zu Art. 115 Abs. 1 GG a.F.; VerfGH Rh-Pf, DÖV 1997, 246, 247, zu Art. 117 Satz 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz in der bis zum 30. Dezember 2010 geltenden Fassung).

b) Unter diesen Voraussetzungen ist die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage Kredit im Sinne des Art. 71 NV. Die allgemeine Rücklage ist nicht monetär unterlegt. Sie besteht vielmehr aus nicht in Anspruch genommenen Kreditermächtigungen zurückliegender Haushaltsjahre. Diese Kreditermächtigungen ändern ihre Rechtsnatur auch nicht dadurch, dass sie in die allgemeine Rücklage eingestellt werden. Mit einer im Haushaltsplan veranschlagten Entnahme aus der allgemeinen Rücklage gestattet der Haushaltsgesetzgeber der Exekutive ebenso wie durch die Veranschlagung einer sonstigen Kreditermächtigung, Kredite vom Kreditmarkt zur Finanzierung von Haushaltsausgaben aufzunehmen. Daher müssen für die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage staatsschuldenrechtlich dieselben Anforderungen wie für die Kreditaufnahmeermächtigung selbst gelten.

Diesem Verfassungsverständnis steht nicht entgegen, dass der Landesgesetzgeber im Haushaltsrecht zwischen Krediten und Entnahmen aus Rücklagen unterscheidet. Letztere rechnet er zwar gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 LHO den Einnahmen zu, nicht aber den Einnahmen aus Krediten. Diese sind in § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 LHO gesondert vor den Entnahmen aus Rücklagen aufgeführt. Das Haushaltsrecht kann für die Auslegung des Kreditbegriffs in Art. 71 NV jedoch keine verbindlichen Vorgaben schaffen. Vielmehr hat sich das Haushaltsrecht an den Bestimmungen der Niedersächsischen Verfassung zu orientieren und nicht umgekehrt die Niedersächsische Verfassung am Haushaltsrecht.

c) In zeitlicher Hinsicht ist die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage im Rahmen der Berechnung der nach Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV zulässigen Höhe der Kreditaufnahme in dem Jahr zu berücksichtigen, in dem sie im Haushaltsplan veranschlagt wird.

Die von Art. 71 Satz 2 NV geforderte Gegenüberstellung der Kredite und der für eigenfinanzierte Investitionen, Investitionsfördermaßnahmen und zur Umschuldung veranschlagten Ausgaben gilt, wie die Bezogenheit der Vergleichsgrößen auf die Ansätze im Haushaltsplan zeigt, für das einzelne Haushaltsjahr (ebenso für Art. 83 Satz 2 LV NRW, VerfGH NRW, NWVBl 2003, 419 [423]). Im jeweiligen Haushaltsjahr sind die Kredite mit den Ausgaben für die eigenfinanzierten Investitionen, Investitionsfördermaßnahmen und zur Umschuldung zu vergleichen. Die Verrechnung zwischen den Haushaltsjahren ist unzulässig (vgl. VerfGH NRW, NWVBl 2003, 419 [423]). Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage unterliegen deshalb im Jahr der Entnahme (erneut) den staatsschuldenrechtlichen Begrenzungen aus Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV. Der Haushaltsgesetzgeber kann sich nicht darauf berufen, dass die Kreditaufnahmeermächtigungen, die in die allgemeine Rücklage eingestellt worden sind, im Jahr der ursprünglichen Veranschlagung mit Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV in Einklang standen. Diese Rechtfertigung der Kreditaufnahmeermächtigung wirkt nicht über das Haushaltsjahr hinaus. Das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV muss vielmehr bezogen auf das Jahr untersucht werden, in dem der Exekutive durch die Veranschlagung einer Entnahme aus der allgemeinen Rücklage die Möglichkeit eröffnet wird, über die anderweitig veranschlagten Kreditaufnahmeermächtigungen hinaus Kredite vom Kreditmarkt zur Finanzierung von Haushaltsausgaben aufzunehmen.

Diese Auslegung ist auch aus teleologischen Gründen geboten. Durch die Einstellung nicht in Anspruch genommener Kreditermächtigungen in die allgemeine Rücklage wird ein "Kreditermächtigungspolster" geschaffen, auf das der Haushaltsgesetzgeber durch die Veranschlagung einer Entnahme aus der allgemeinen Rücklage zugreifen kann. Die bisherige niedersächsische Staatspraxis, die die Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage nicht in die Berechnung nach Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV einbezog, führte dazu, dass der Haushaltsgesetzgeber eine Entnahme aus der allgemeinen Rücklage zusätzlich zu den Kreditermächtigungen veranschlagen konnte, ohne dass dem entnommenen Betrag eigenfinanzierte Investitionen gegenüberstehen mussten. Es bestand folglich die Möglichkeit, in einem Haushaltsjahr mehr Kredite aufzunehmen, als Ausgaben für eigenfinanzierte Investitionen, Investitionsfördermaßnahmen und zur Umschuldung veranschlagt wurden. Hierdurch konnte der Haushaltsgesetzgeber die Kreditaufnahme über das nach Art. 71 Satz 2 NV zulässige Maß hinaus ausdehnen, ohne dass die hierfür in Art. 71 Satz 3 NV vorgesehenen besonderen Voraussetzungen vorlagen. Diese Möglichkeit ist mit dem von Art. 71 Satz 2 i.V.m Satz 3 NV verfolgten Ziel, die Kreditaufnahme ohne Investitionszweck auf Ausnahmesituationen zu beschränken (vgl. Nds. StGHE 3, 279 [293]), nicht vereinbar. Art. 71 Satz 2 NV dient dem Schutz vor einer unbeschränkten Vorwälzung staatlicher Lasten. Der haushaltswirtschaftliche Vorgriff auf zukünftige Einnahmen soll jedenfalls dadurch begrenzt werden, dass Kredit nur im Umfang der Ausgaben mit zukunftsbegünstigendem Charakter in Anspruch genommen werden darf (vgl. BVerfGE 79, 311 [BVerfG 18.04.1989 - 2 BvF 1/82] [334]). Die Einhaltung dieser Begrenzung konnte die bisherige niedersächsische Staatspraxis nicht gewährleisten.

Die bisherige niedersächsische Staatspraxis konnte darüber hinaus nicht sicherstellen, dass auf Art. 71 Satz 3 NV beruhende Kreditaufnahmeermächtigungen bestimmungsgemäß nur zur Abwehr einer nachhaltigen Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts verwendet wurden. Solche Kreditermächtigungen konnten ebenfalls der allgemeinen Rücklage zugeführt werden, soweit sie im Jahr ihrer Veranschlagung nicht zur Störungsabwehr in Anspruch genommen wurden. Hierdurch war es möglich, auch auf Art. 71 Satz 3 NV beruhende Kreditermächtigungen entgegen ihrer Zweckbestimmung haushaltsjahreübergreifend zu nutzen. Dies galt selbst dann, wenn in dem Haushaltsjahr, in dem eine entsprechende Entnahme aus der allgemeinen Rücklage erfolgte, eine nachhaltige Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nicht mehr vorlag. Bei dieser Sachlage kann insbesondere angesichts der immer weiter steigenden Verschuldung des Landes und der heute allgemein anerkannten Notwendigkeit, der überbordenden Staatsverschuldung Herr zu werden, an der bisherigen niedersächsischen Staatspraxis nicht länger festgehalten werden.

d) Nach diesen Maßstäben hätte der Haushaltsgesetzgeber die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage in Höhe von 730 Mio. € und die Abführung des entnommenen Betrags an den Landeshaushalt im Haushaltsjahr 2010 als Kredit gemäß Art. 71 Satz 2 NV in Ansatz bringen müssen. Er hätte deshalb auch die nach Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV erforderliche Darlegung auf den aus der allgemeinen Rücklage entnommenen und an den Haushalt abgeführten Betrag erstrecken müssen. Zwar ist dies nicht geschehen. Dieser Umstand führt jedoch nicht zur Verfassungswidrigkeit des Haushaltsgesetzes 2010.

Der Haushaltsgesetzgeber ging in Übereinstimmung mit der jahrzehntelangen niedersächsischen Staatspraxis davon aus, dass die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage nicht in die Berechnung nach Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV einzubeziehen sei. Er stellte deshalb keine Erwägungen an, ob die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage zur Störungsabwehr bestimmt und geeignet sei. Auch die Antragsteller haben während der parlamentarischen Beratungen des Haushaltsgesetzes 2010 nicht geltend gemacht, dass es sich bei der Entnahme aus der allgemeinen Rücklage um einen Kredit im Sinne von Art. 71 NV handele. Erst im anhängigen Verfahren vor dem Staatsgerichtshof ist deutlich geworden, dass die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage als Kredit im Sinne von Art. 71 NV anzusehen ist und damit den staatsschuldenrechtlichen Begrenzungen aus Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV unterliegt.

Die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage und die Abführung des entnommenen Betrags an den Landeshaushalt waren jedoch zur Abwehr der nachhaltigen Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im Sinne des Art. 71 Satz 3 NV geeignet. Der Haushaltsgesetzgeber hat in den parlamentarischen Beratungen zum Haushaltsgesetz 2010 hinreichend dargelegt, dass er weitere Einsparungen im Landeshaushalt angesichts der gesamtwirtschaftlichen Störungslage nicht für vertretbar hielt. Da das Land auch keine substantiellen Einnahmeerhöhungen erreichen konnte, worauf in der Begründung des Gesetzentwurfs für das Haushaltsgesetz 2010 hingewiesen wird, war es vertretbar, zur Bekämpfung der nachhaltigen Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts eine Entnahme aus der allgemeinen Rücklage vorzunehmen. Denn hierdurch konnte der Haushaltsgesetzgeber einen ausgeglichenen Haushalt ohne weitere - nach seiner Auffassung - konjunkturschädliche Einsparungen erreichen.

Nach Klarstellung der Rechtslage durch diese Entscheidung hat der Haushaltsgesetzgeber zukünftig zu berücksichtigen, dass Entnahmen aus der allgemeinen Rücklage zu den Krediten im Sinne des Art. 71 Satz 2 und Satz 3 NV gehören und an dessen Voraussetzungen zu messen sind. Angesichts der langjährigen - und unwidersprochenen - Staatspraxis und im Interesse einer verlässlichen Haushaltsplanung ist es jedoch geboten, dem Haushaltsgesetzgeber eine Übergangsfrist bei der Berücksichtigung der Rechtslage einzuräumen. Haushaltsbeschlüsse, die ab dem 1. Januar 2012 ergehen und die Entnahme aus der allgemeinen Rücklage betreffen oder zur Aufnahme neuer Kredite ermächtigen, sind an den Voraussetzungen des Art. 71 NV zu messen.

e) Nach § 18 Abs. 2 Satz 3 LHO gelten Kreditermächtigungen bis zum Ende des nächsten Haushaltsjahres und, wenn das Haushaltsgesetz für das zweitnächste Haushaltsjahr nicht rechtzeitig verkündet wird, bis zur Verkündung dieses Haushaltsgesetzes fort. Der Staatsgerichtshof hat nicht darüber zu entscheiden, ob nach § 18 Abs. 2 Satz 3 LHO fortgeltende Kreditermächtigungen im Haushaltsvollzug in Anspruch genommen werden dürfen, ohne sie im Jahr ihrer tatsächlichen Inanspruchnahme erneut in die Berechnung der nach Art. 71 Satz 2 i.V.m. Satz 3 NV zulässigen Kreditaufnahme einzubeziehen. Gegen ein solches Vorgehen könnten allerdings verfassungsrechtliche Bedenken bestehen.

III.

§ 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2010 in der Fassung des Nachtragshaushaltsgesetzes 2010 in Verbindung mit dem Einzelplan 13 Kapitel 1301 Titel 015 11-3 ist mit Art. 65 Abs. 1 Satz 1 NV insoweit unvereinbar, als die Einnahmen aus Umsatzsteuer (Landesanteil) ohne Berücksichtigung der im März 2010 zu leistenden Ausgleichszahlung im bundesstaatlichen Finanzausgleich aus der Umsatzsteuerverteilung veranschlagt worden sind.

1. Nach Art. 65 Abs. 1 Satz 1 NV sind für jedes Haushaltsjahr alle Einnahmen und Ausgaben des Landes im Haushaltsplan zu veranschlagen. Haushaltsjahr ist nach einfachem Recht das Kalenderjahr (§ 4 Satz 1 HGrG, § 4 Satz 1 LHO). Art. 65 Abs. 1 Satz 1 NV enthält den Grundsatz der Vollständigkeit des Haushaltsplans. Hiernach müssen grundsätzlich alle Einnahmen und Ausgaben des Landes im Haushaltsplan des Landes veranschlagt und so der Beschlussfassung des Landtags unterworfen werden. Insbesondere ist das Steueraufkommen gemäß Art. 65 Abs. 1 Satz 1 NV ausnahmslos als Einnahme in den Haushaltsplan einzustellen (BVerfGE 55, 274 [302] [BVerfG 10.12.1980 - 2 BvF 3/77] zu Art. 110 Abs. 1 GG).

Das einfache Recht ergänzt die Grundsätze der Jährlichkeit und Vollständigkeit bei der kameralen Haushaltswirtschaft des Landes durch das Fälligkeits- oder Kassenwirksamkeitsprinzip (§ 8 Abs. 2 HGrG, § 11 Abs. 2 LHO). Nach dem Fälligkeitsprinzip dürfen nur diejenigen Einnahmen oder Ausgaben veranschlagt werden, die im Haushaltsjahr voraussichtlich fällig und damit kassenwirksam werden. In engem Zusammenhang damit steht der Grundsatz der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit. Der Grundsatz der Haushaltswahrheit enthält - wie oben bereits dargelegt wurde - das Gebot, die in der Haushaltsperiode voraussichtlich eingehenden Einnahmen und die voraussichtlich zu leistenden Ausgaben möglichst genau zu errechnen oder zu schätzen. Bei der Veranschlagung der Steuereinnahmen hat der Haushaltsgesetzgeber eine auf vernünftigen Erwägungen beruhende Schätzung vorzunehmen.

2. Die Veranschlagung der Umsatzsteuer (Landesanteil) in Einzelplan 13 Kapitel 1301 Titel 015 11-3 des Haushaltsplans 2010 entspricht diesen Grundsätzen nicht.

a) Ausgleichszahlungen im bundesstaatlichen Finanzausgleich wegen der Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Land und unter den Ländern, die das Land Niedersachsen zu leisten hat, stellen haushaltsrechtlich negative Einnahmen aus Umsatzsteuer (Landesanteil) dar. Die Einnahmen aus der Umsatzsteuer (Landesanteil) waren im Haushaltsplan 2010 in der sich aus der Regionalisierung der Steuerschätzung November 2009 ergebenden Höhe angesetzt. Der Haushaltsgesetzgeber leitete die Ansätze aus Steuern und steuerinduzierten Einnahmen (Länderfinanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen) für den Haushaltsplan 2010 von der zentralen Schätzung des Arbeitskreises "Steuerschätzungen" vom 3. bis 5. November 2009 ab, wie auch die Erläuterungen zu Einzelplan 13 Kapitel 1301 und Einzelplan 13 Kapitel 1310 Titel 211 11 und 212 11 darlegen. Dies ist von Verfassungs wegen zwar grundsätzlich nicht zu beanstanden. Denn diese Haushaltsansätze lassen in der Regel ein angemessenes Bemühen um realitätsgerechte Prognosen erkennen. In der besonderen Situation des Haushaltsjahres 2010 war der Haushaltsgesetzgeber aber verpflichtet, von dem regionalisierten Ergebnis der Steuerschätzung abzuweichen und die Einnahmen aus der Umsatzsteuer (Landesanteil) niedriger zu veranschlagen.

Die Regionalisierung der November-Steuerschätzung, die der Haushaltsgesetzgeber der Veranschlagung der Umsatzsteuer (Landesanteil) in Einzelplan 13 Kapitel 1301 Titel 015 11-3 des Haushaltsplans 2010 zugrunde gelegt hat, berücksichtigte die Verpflichtung des Landes Niedersachsen aus dem im März 2010 fällig werdenden Erstattungsanspruch des Bundes aus der Umsatzsteuerverteilung für 2009 nicht. Dies haben der niedersächsische Finanzminister und der Präsident des Landesrechnungshofs in der mündlichen Verhandlung vor dem Staatsgerichtshof übereinstimmend ausdrücklich bestätigt. Zwar war dem Haushaltsgesetzgeber die genaue Höhe des vorgenannten Erstattungsanspruchs bei Verabschiedung des Haushaltsgesetzes 2010 nicht bekannt. Das Niedersächsische Finanzministerium hatte den Ausschuss für Haushalt und Finanzen aber bereits am 19. November 2009 darüber informiert, dass aufgrund des im März 2010 fällig werdenden Erstattungsanspruchs des Bundes mit einer Zahlung des Landes im dreistelligen Millionenbereich zu rechnen sei. Bei dieser Sachlage war der Haushaltsgesetzgeber angesichts der Höhe der voraussichtlichen Mindereinnahmen aus der Umsatzsteuer (Landesanteil) verpflichtet, einen Abschlag (Rotabsetzung) vom regionalisierten Ergebnis der Steuerschätzung bei den Einnahmen aus der Umsatzsteuer (Landesanteil) vorzunehmen. Aufgrund der Mitteilung des Niedersächsischen Finanzministeriums vom 19. November 2009 lagen deutliche Anzeichen dafür vor, dass sich aufgrund des Erstattungsanspruchs des Bundes gegenüber dem Ergebnis der Steuerschätzung wesentlich verminderte Ansätze der Einnahmen aus Umsatzsteuer (Landesanteil) ergeben würden. Solche Indizien können vom Haushaltsgesetzgeber ein Abweichen von langjährigen Erfahrungswerten bei der Wahl eines Haushaltsansatzes verlangen (vgl. BVerfGE 119, 96 [131]). Die hier zu beurteilende Entscheidungssituation war dadurch gekennzeichnet, dass mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von dem Ergebnis der November-Steuerschätzung eine im März 2010 fällige Erstattung an den Bund in dreistelliger Millionenhöhe abzusetzen sein würde. Der Haushaltsgesetzgeber konnte sich in dieser Situation nicht darauf berufen, die Veranschlagung der Steuereinnahmen aus Umsatzsteuer (Landesanteil) nach Maßgabe des Ergebnisses der November-Steuerschätzung sei deshalb vertretbar, weil sie nicht Gegenstand parlamentarischer Kontroversen gewesen sei (dazu BVerfGE 119, 96 [BVerfG 09.07.2007 - 2 BvF 1/04] [131]). Der Haushaltsgesetzgeber hat die Verpflichtung, die in der Haushaltsperiode voraussichtlich eingehenden Steuereinnahmen möglichst genau zu schätzen, unabhängig davon zu erfüllen, ob der betreffende Haushaltsansatz umstritten war oder nicht.

b) Der erforderlichen Rotabsetzung von den Einnahmen aus Umsatzsteuer (Landesanteil) stand auch nicht entgegen, dass die Höhe des im März 2010 fällig werdenden Erstattungsanspruchs des Bundes für den Haushaltsgesetzgeber bei der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes 2010 aus der insoweit maßgeblichen Sicht ex ante nur schwer vorhersehbar war. Denn eine solche Prognoseunsicherheit rechtfertigt es nicht, eine Rotabsetzung wegen des zu erwartenden Erstattungsanspruchs des Bundes in dreistelliger Millionenhöhe gänzlich zu unterlassen. Die Prognoseunsicherheit eröffnet dem Haushaltsgesetzgeber vielmehr lediglich einen Prognosespielraum bei der Beurteilung der Frage, in welcher Höhe er wegen des zu erwartenden Erstattungsanspruchs einen Abschlag vom Ergebnis der regionalisierten Steuerschätzung vornimmt.

c) Auch die bereits vor Verabschiedung des Haushaltsgesetzes 2010 erkennbar gewordene Absicht der Landesregierung, eine Rückbuchung des im März 2010 fälligen Erstattungsanspruchs des Bundes aus der Abrechnung der Umsatzsteuerverteilung 2009 in das Haushaltsjahr 2009 vorzunehmen, berechtigte den Haushaltsgesetzgeber nicht, bei der Veranschlagung der Umsatzsteuereinnahmen (Landesanteil) von einer Rotabsetzung wegen des vorgenannten Erstattungsanspruchs abzusehen. Die Rückbuchung des Erstattungsanspruchs des Bundes aus der Umsatzsteuerverteilung für 2009, die das Finanzministerium letztlich im Laufe des Jahres 2010 aufgrund der im März 2010 erfolgten Schlussabrechnung im bundesstaatlichen Finanzausgleich für 2009 vorgenommen hat, ist eine Maßnahme des Haushaltsvollzugs. Sie unterliegt damit zum einen nicht der Überprüfung durch den Staatsgerichtshof im Rahmen des vorliegenden Normenkontrollverfahrens. Eine solche in Aussicht genommene Maßnahme des Haushaltsvollzugs enthält zum anderen aber auch für den Haushaltsgesetzgeber keine verbindliche Vorgabe, die ihn berechtigen würde, bei der Veranschlagung der Steuereinnahmen von den durch Art. 65 Abs. 1 Satz 1 NV vorgegebenen Maßstäben abzuweichen.

3. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof (NStGHG) kann der Staatsgerichtshof Landesrecht, das der Niedersächsischen Verfassung nicht entspricht, für nichtig oder mit der Verfassung unvereinbar erklären. Der Staatsgerichtshof stellt hier lediglich die Unvereinbarkeit von § 1 Satz 1 des Haushaltsgesetzes 2010 in der Fassung des Nachtragshaushaltsgesetzes 2010 in Verbindung mit dem Einzelplan 13 Kapitel 1301 Titel 015 11-3 mit der Niedersächsischen Verfassung fest, um der auf ihm beruhenden, bereits erfolgten Verwaltungstätigkeit nicht nachträglich die Rechtsgrundlage zu entziehen. Insoweit stehen Gesichtspunkte einer verlässlichen und in ihren Wirkungen kalkulierbaren Finanz-, Ausgaben- und Haushaltswirtschaft einer Erklärung der Nichtigkeit entgegen (vgl. BVerfGE 72, 330 [423]; 86, 148 [279]).

D.

Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 21 Abs. 1 NStGHG). Auslagen werden nicht erstattet (§ 21 Abs. 2 Satz 2 NStGHG).