Staatsgerichtshof Niedersachsen
Beschl. v. 02.05.2011, Az.: StGH 1/11

Festsetzung der Einreichungsfrist hinsichtlich des Volksbegehrens "Für gute Schulen in Niedersachsen"

Bibliographie

Gericht
StGH Niedersachsen
Datum
02.05.2011
Aktenzeichen
StGH 1/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 42354
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:STGHNI:2011:0502.STGH1.11.0A

Fundstelle

  • NdsVBl 2011, 220-221

Amtlicher Leitsatz

Festsetzung der Einreichungsfrist nach §§ 17 Abs. 1, 20 NVAbstG hinsichtlich des Volksbegehrens "Für gute Schulen in Niedersachsen"

Tenor:

Die Entscheidungen des Niedersächsischen Landeswahlleiters vom 21.01.2011 (Nds. MBl. 2011, S. 121, Ausgabe Nr. 5/2011) und vom 03.11.2010 (Nds. MBl. 2010, S. 1080) werden hinsichtlich der auf den 02.05.2011 festgesetzten Einreichungsfrist aufgehoben.

Gründe

A.

1

Die Antragsteller begehrten ursprünglich, unter Änderung der Entscheidung des Landeswahlleiters vom 24.01.2011 das Fristende für das Einreichen der Unterschriftenbögen des Volksbegehrens "Für gute Schulen in Niedersachsen" auf den 28.06.2011 festzusetzen und den Landeswahlleiter anzuweisen, die Bekanntmachung nach § 20 NVAbstG mit dieser geänderten Frist vorzunehmen.

2

Die Antragsteller haben am 28.05.2010 die Feststellung der Zulässigkeit des Volksbegehrens "Für gute Schulen in Niedersachsen" beantragt. Hierüber hat die Landesregierung am 21.09.2010 entschieden und die Zulässigkeit des Volksbegehrens mit Änderungen festgestellt. Gegen diese Entscheidung haben die Antragsteller am 02.11.2010 Klage bei dem Staatsgerichtshof erhoben (StGH 2/10). Der Landeswahlleiter hat die Entscheidung der Landesregierung am 03.11.2010 bekannt gemacht und die Frist zur Einreichung der Unterschriftenbögen auf den 02.05.2011 festgesetzt (Nds. MBl. 2010, S. 1080).

3

Am 30.11.2010 hat die Niedersächsische Landesregierung eine abändernde Entscheidung hinsichtlich der Zulässigkeit des Volksbegehrens getroffen und zugleich ihre Entscheidung vom 21.09.2010 aufgehoben. Gegen die Entscheidung vom 30.11.2010 haben die Antragsteller am 28.12.2010 einen weiteren Antrag bei dem Staatsgerichtshof eingereicht. Der Staatsgerichtshof hat mit Verfügung des Präsidenten vom 18.01.2011 diesen Antrag als zulässige Klageänderung angesehen.

4

Mit Schriftsatz vom 07.01.2011 haben die Antragsteller beim Landeswahlleiter die Anträge gestellt, 1.) die Frist zum Einreichen der Unterschriftenbögen nach § 17 Abs. 1 NVAbstG auf den 28.06.2011 festzusetzen und 2.) die Bekanntmachung nach § 20 NVAbstG aufgrund der Entscheidung der Landesregierung vom 30.11.2010 zu vollziehen.

5

Den Antrag zu 1.) lehnte der Landeswahlleiter mit Entscheidung vom 24.01.2011 ab. Hinsichtlich des Antrags zu 2.) kündigte er die Bekanntmachung entsprechend seiner Entscheidung, die Frist nicht zu verlängern, an. Diese Entscheidung ging den Antragstellern am 26.01.2011 zu. Die Bekanntmachung erfolgte im Nds. MBl. 2011, S. 121, ausgegeben am 02.02.2011 (Ausgabe Nr. 5/2011).

6

Mit Schriftsatz vom 23.02.2011 haben die Antragsteller den Staatsgerichtshof angerufen und verfolgten die eingangs dargestellten Anträge weiter.

7

Die Antragsteller waren der Ansicht, dass die Frist nunmehr auf den 28.06.2011 festzusetzen sei. Die Frist von sechs Monaten habe erneut zu laufen begonnen, da die Landesregierung am 30.11.2010 erneut entschieden und ihren Beschluss vom 21.09.2010 aufgehoben habe. Es sei damit nur ein Beschluss existent. An diesem müsse sich die Fristberechnung ausrichten. Gegen den vom Landeswahlleiter auf den Zeitpunkt der Klageerhebung vor dem Staatsgerichtshof festgesetzten Beginn der Sechsmonatsfrist haben sich die Antragsteller zunächst nicht gewandt. Mit Schriftsatz vom 26.04.2011 vertreten die Antragsteller demgegenüber die Auffassung, dass die Frist nach § 17 Abs. 1 Satz 1 NVAbstG erst mit der Entscheidung des Staatsgerichtshofs zu laufen beginne und beantragen, den Bescheid des Landeswahlleiters vom 24.01.2011 aufzuheben und festzustellen, dass das Fristende für das Einreichen der Unterschriftenbögen erst mit Ablauf von sechs Monaten nach der Entscheidung des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs in dem Verfahren 2/10 eintritt.

8

Der Landeswahlleiter vertritt - wie bereits in seiner Entscheidung vom 24.01.2011 - die Auffassung, dass die Frist aufgrund einer materiellen Betrachtungsweise festzusetzen sei. Die ursprüngliche Zulassungsentscheidung und die nachfolgende Entscheidung seien zusammen zu betrachten. Durch die Entscheidung der Landesregierung vom 30.11.2010 seien die Antragsteller nicht belastet, da sogar eine sie belastende Einschränkung weggefallen sei. Daher sei eine Fristverlängerung nicht zu gewähren. Die Frist beginne auch nicht erst mit einer Entscheidung des Staatsgerichtshofs zu laufen.

B.

9

Der Antrag der Vertreterinnen und Vertreter des Volksbegehrens "Für gute Schulen in Niedersachsen" ist zulässig (Art. 48 Abs. 2 Halbsatz 2, Art. 54 Nr. 2 NV; § 31 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGHG) und führt in der Sache zur Aufhebung der Entscheidungen des Landeswahlleiters hinsichtlich der auf den 02.05.2011 festgesetzten Einreichungsfrist.

10

1.

Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 NVAbstG sind die Unterschriftenbögen frühestens am Tage nach der Bekanntmachung gemäß § 15 Abs. 4 NVAbstG, spätestens sechs Monate nach Feststellung der Zulässigkeit des Volksbegehrens (§ 19) bei der Gemeinde einzureichen, bei der die eingetragenen Personen ihre Hauptwohnung haben. Der Fristbeginn mit der Entscheidung der Landesregierung über die Zulässigkeit des Volksbegehrens (§ 19 NVAbstG) kann nur für den Fall gelten, dass die Landesregierung das Volksbegehren für uneingeschränkt zulässig erklärt. Hält sie es dagegen für nur eingeschränkt zulässig und Änderungen für erforderlich (§ 21 Abs. 1 Satz 1 NVAbstG) und rufen die Antragsteller des Volksbegehrens hiergegen den Staatsgerichtshof an (§ 19 Abs. 4 NVAbstG), so löst die Entscheidung der Landesregierung die Frist nach § 17 Abs. 1 Satz 1 NVAbstGnicht aus. Eine andere Auslegung dieser Vorschrift hätte zur Folge, dass die Antragsteller ein Volksbegehren verfolgen und für dieses werben müssten, das von ihnen nicht gewollt ist, sondern von der Landesregierung formuliert worden ist. Es kann hierbei nicht darauf ankommen, wie umfangreich die von der Landesregierung für erforderlich gehaltenen Änderungen sind; entscheidend ist allein, dass das Volksbegehren in der von den Antragstellern vorgelegten Form für unzulässig erachtet worden ist. Unerheblich ist deshalb auch, ob der Landeswahlleiter die bislang verwandten Unterschriftenbögen anerkennt, so dass die eingeschränkte Zulässigkeitsentscheidung der Landesregierung zunächst ohne nachteilige Folgen bliebe. Nach § 21 Abs. 1 Satz 2 NVAbstG ist eine solche Anerkennung von Unterschriftenbögen nur für den Fall vorgesehen, dass die Unterschriften vor der Entscheidung der Landesregierung über die Zulässigkeit geleistet worden sind.

11

Wird gegen die Entscheidung über die Zulässigkeit nach § 19 NVAbstG der Staatsgerichtshof angerufen, so liegt eine - unanfechtbare - Entscheidung noch nicht vor. Die Zulässigkeit ist gerade nicht festgestellt. Solches erfolgt erst mit der Entscheidung des Staatsgerichtshofs. Würde gleichwohl die Frist nach § 17 Abs. 1 Satz 1 NVAbstG mit der Feststellung der Landesregierung einsetzen, so bliebe die Entscheidung des Staatsgerichtshofs für das laufende Volksbegehren ohne Wirkung, weil die Sechsmonatsfrist regelmäßig abgelaufen wäre, bevor der Staatsgerichtshof über die von der Landesregierung für erforderlich gehaltenen Einschränkungen oder Änderungen zu entscheiden vermag. Sollte der Staatsgerichtshof im konkreten Fall zu dem Ergebnis kommen, dass die Landesregierung zu Unrecht Änderungen für erforderlich gehalten hat, so bliebe ein solches Urteil folglich ohne Auswirkungen auf das streitgegenständliche Volksbegehren, weil die Sechsmonatsfrist angesichts der üblichen Verfahrensdauer in jedem Fall abgelaufen wäre. Für die Antragsteller des Volksbegehrens bliebe in diesem Fall nur die Möglichkeit, erneut ein Volksbegehren einzuleiten.

12

Durch die Auslegung des § 17 Abs. 1 Satz 1 NVAbstG im Sinne einer Unanfechtbarkeit der Feststellung der Landesregierung treten keine Rechtsfolgen ein, die mit dem Institut des Volksbegehrens als solchem unvereinbar wären. Volksbegehren können nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 NV nur darauf gerichtet werden, ein Landesgesetz zu erlassen, zu ändern oder aufzuheben. Sie sind deshalb grundsätzlich anderen Gesetzesinitiativen - der Landesregierung oder aus der Mitte des Landtages - gleichzuachten. Hält die Landesregierung im Rahmen ihrer Prüfungskompetenz nach § 19 NVAbstG Änderungen für erforderlich und rufen die Antragsteller hiergegen den Staatsgerichtshof an (§ 19 Abs. 4 NVAbstG), so liegt erst mit seiner Entscheidung eine unanfechtbare Entscheidung vor. Eine Ungleichbehandlung gegenüber für zulässig erklärten Volksbegehren ist schon deshalb zu verneinen, weil es sich um keine vergleichbaren Sachverhalte handelt. Erklärt nämlich die Landesregierung ein Volksbegehren für uneingeschränkt zulässig, so steht dem Fristbeginn nach § 17 Abs. 1 Satz 1 NVAbstG schon deshalb nichts im Wege, weil die Antragsteller von einer uneingeschränkten Zulässigkeit ausgehen und mit ihr werben können. Sofern die Landesregierung dagegen die Zulässigkeit nicht einschränkungslos feststellt und die Antragsteller hiergegen den Staatsgerichtshof anrufen, so gehen sie das Risiko ein, dass der Staatsgerichtshof die Auffassung der Landesregierung teilt und die nach der Entscheidung der Landesregierung gesammelten Unterschriften nicht angerechnet werden. Insofern besteht bis zur Entscheidung des Staatsgerichtshofs eine Phase der Unsicherheit. Schon aus diesem Grund fehlt es an der Vergleichbarkeit von durch die Landesregierung für zulässig oder für änderungsbedürftig erklärten Volksbegehren.

13

Das Niedersächsische Volksabstimmungsgesetz geht auch an anderer Stelle davon aus, dass die Unanfechtbarkeit der Feststellungsentscheidung für den Fristablauf maßgeblich ist. Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 NVAbstG können die Vertreterinnen und Vertreter des Volksbegehrens binnen zwei Wochen nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung das Volksbegehren ändern, sofern festgestellt worden ist, dass es nur mit Änderungen zulässig ist. Das Volksabstimmungsgesetz liefert insofern keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Sechsmonatsfrist nach § 17 Abs. 1 Satz 1 NVAbstG bereits mit Klageerhebung einsetzen könnte. Auch aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen ist ein solcher Fristbeginn nicht abzuleiten.

14

2.

Der Beschluss konnte sich darauf beschränken, die Entscheidungen des Landeswahlleiters vom 21.01.2011 und 03.11.2010 hinsichtlich der auf den 02.05.2011 festgesetzten Einreichungsfrist aufzuheben. Einer besonderen Feststellung, dass die Sechsmonatsfrist nach § 17 Abs. 1 NVAbstG erst mit der Entscheidung des Staatsgerichtshofs in der Sache StGH 2/10 beginnt, bedarf es angesichts der Begründung des Beschlusses nicht.