Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 15.02.2000, Az.: 4 A 4346/97
Kind; Syrien; Verfolgungsgefahr; Yeziden
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 15.02.2000
- Aktenzeichen
- 4 A 4346/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 41900
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 51 Abs 1 AuslG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Keine Gefahr politischer Verfolgung von in der Bundesrepublik Deutschland geborenen minderjährigen Kindern yezidischer Eltern aus Syrien.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können eine vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Kläger begehren ihre Anerkennung als Asylberechtigte.
Die Kläger sind die Kinder von Eltern, die durch Bescheid vom 01.10.1997 als Asylberechtigte anerkannt wurde. Der Vater der Kläger, türkischer Staatsangehöriger, wurde mit Urteil des erkennenden Gerichts als Asylberechtigter anerkannt - 5 A 5476/89 -.
Am 15.08.1997 stellten die Kläger Asylanträge, die mit Bescheid vom 21.08.1997 abgelehnt wurden.
Dagegen haben die Kläger am 04.09.1997 Klage erhoben und geltend gemacht, sie seien als Yeziden sowohl in der Türkei als auch in Syrien verfolgt.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 21.08.1997 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen sowie festzustellen, dass in ihren Personen die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die Gerichtsakte und die Gerichtsakte des Verfahrens 4 A 4363/94.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte.
Auch im Übrigen ist der Bescheid der Beklagten rechtmäßig.
Nach Art. 16 a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Eine Verfolgung ist dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale politische Überzeugung, Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder anderer für ihn unverfügbarer Merkmale, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (BVerfG, Beschluss v. 10.07.1989, BVerfGE 80, 315, 335). Begründet ist eine solche Furcht vor Verfolgung, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so dass es ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren (BVerwG, Urt. v. 24.03.1987 - Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG, Nr. 64 m.w.N.).
Das Tatbestandsmerkmal der Verfolgung in Art. 16 a Abs. 1 GG bestimmt sich nach der Art und der Intensität des Eingriffs, dem der Ausländer ausgesetzt ist. Eingriffe in Leib, Leben und physische Freiheit haben generell die von Art. 16 a Abs. 1 GG erfasste Intensität; Eingriffe in andere Freiheitsgüter und Schutzrechte stellen dagegen nur dann eine Verfolgung dar, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinaus gehen, was Bewohner des Heimatstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, Beschl. v. 01.07.1989 - BVerfGE 76, 143 ff.; BVerwG, Urt. v. 25.10.1988, DVBl. 1989, 265 ff. [BVerwG 25.10.1988 - BVerwG 9 C 37.88] m.w.N.). Entscheidendes Kriterium zur Abgrenzung einer politischen Verfolgung von sonstigen Nachteilen ist somit das Prinzip der Menschenwürde. Der politische Charakter der Maßnahme leitet sich aus den diesen Eingriffen zugrundeliegenden Motiven her. Die politische Verfolgung kriminellen Unrechts ist grundsätzlich keine politische Verfolgung. Das gleiche gilt für die Verfolgung von politisch motivierten kriminellen Handlungen, wenn sich aus objektiven Umständen ergibt, dass die Verfolgung nicht der betätigten politischen Überzeugung, sondern der kriminellen Komponente gilt.
Das Asylrecht des Art. 16 a Abs. 1 GG setzt einen kausalen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht voraus. Ein bereits vor der Ausreise vorverfolgter Asylsuchender ist als Asylberechtigter anzuerkennen, wenn die fluchtbegründenden Umstände auch nach dem Verlassen des Heimatlandes noch fortbestehen oder wenn diese zwar entfallen sind, aber Anhaltspunkte vorliegen, die die Möglichkeit einer erneut einsetzenden Verfolgung bei einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht als ganz entfernt erscheinen lassen. Wer dagegen unverfolgt ausgereist ist oder bei wem der kausale Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht fehlt, hat nur dann einen Asylanspruch, wenn ihm aufgrund eines asylrechtlich erheblichen Nachfluchttatbestandes politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (BVerwG, Urt. v. 30.10.1990 - BVerwGE 87, 52 m.w.N.). Das bedeutet, dass unter Berücksichtigung der Schwere des befürchteten Eingriffs und der Wahrscheinlichkeit des Eintretens gewichtigere oder mehr Umstände für eine Verfolgung sprechen müssen, als gegen eine solche Maßnahme. Asylrelevant sind insoweit in erster Linie Verfolgungssituationen, die im Nachhinein ohne eigenes Zutun des Asylsuchenden entstanden sind und nicht seinem Einflussbereich unterliegen (objektive Nachfluchttatbestände). Bei selbstgeschaffenen Nachfluchtgründen (subjektive Nachfluchttatbestände) kann eine Asylberechtigung in aller Regel nur dann in Betracht gezogen werden, wenn diese Umstände sich als Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthaltes im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung und Lebenshaltung darstellen (BVerfG, Beschl. vom 26.11.1986 - BVerfGE 74, 51 ff. -).
Diese Grundsätze sind in den Personen der Kläger nicht erfüllt. Ein individuelles Verfolgungsschicksal können die Kläger, die in der Bundesrepublik Deutschland geboren sind, nicht vortragen. Auch die bei einer Rückkehr sowohl in die Türkei als auch nach Syrien vorgetragene Furcht vor Verfolgung als Yezide vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Für die Türkei ergibt sich das aus der Rechtsprechung des 11. Senats des Nieders. Oberverwaltungsgerichts (vgl. die Beschlüsse vom 09.01.1996 - 11 L 7939/95 - und 27.06.1996 - 11 L 3625/96 -) sowie dem Beschluss vom 27.01.1998 - 2 L 2910/97 -. Danach droht grundsätzlich nur glaubensgebundenen Yeziden in der Türkei eine Gruppenverfolgung aufgrund ihrer Religion. Glaubensgebunden leben nur Personen, die religiös geprägt sind. Voraussetzung dafür ist, dass diese Person die Überzeugung und die Forderung ihres Glaubens als wesentliches Element seiner Einstellung zu Welt und Mensch in sich aufgenommen hat. Diese Voraussetzungen können naturgemäß bei den Klägern aufgrund ihres Alters nicht vorliegen.
Hinsichtlich der Furcht vor einer Verfolgung als Yezide in Syrien ist nach der neuesten Rechtsprechung des Nieders. Oberverwaltungsgerichts (vgl. die Urteile vom 22.06.1999 - 2 L 666/98 - und vom 14.07.1999 - 2 L 4943/97 -) geklärt, dass in Gesamtsyrien eine solche Gruppenverfolgung nicht stattfindet. Diese Auffassung entspricht auch der ständigen Rechtsprechung der erkennenden Kammer.
Den Klägern ist auch kein "Familienasyl" nach § 26 AsylVfG zu gewähren, da die entsprechenden Anträge nicht rechtzeitig gestellt wurden.
Dem Kläger ist auch kein Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zu gewähren. Nach dieser Vorschrift dürfen Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit wegen ihrer Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung bedroht ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind mit denen des Art. 16 a Abs. 1 GG deckungsgleich, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den Charakter der Verfolgung betrifft. Auch hinsichtlich der Frage, ob die Gefahr politischer Verfolgung droht, führen sie zu keinen unterschiedlichen Ergebnissen (BVerwG, Urt. v. 18.01.1994, DVBl. 1994, S. 531, 532 ff. [BVerwG 18.01.1994 - BVerwG 9 C 48/92]).
Nach den oben zur mangelnden Asylberechtigung der Kläger gemachten Ausführungen ist ihnen daher auch Abschiebungsschutz nicht zu gewähren.
Es liegt auch kein Abschiebungshindernis gem. § 53 AuslG vor. Weder droht den Klägern die konkrete Gefahr der Folter, noch werden sie in ihrem Heimatland wegen einer mit der Todessstrafe bedrohten Straftat gesucht. Es gibt auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Es muss sich dabei um eine schwere existentielle Bedrohung handeln.
Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in dem angegriffenen Bescheid vom 21.08.1997 entsprechen den Maßgaben der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylVfG.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11 ZPO.