Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 14.02.2000, Az.: 4 A 4220/98

Antragsfrist; Familienasyl; Fristversäumnis; Verschulden

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
14.02.2000
Aktenzeichen
4 A 4220/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 41892
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Familienasyl ist auch bei zeitlich geringfügiger Überschreitung der Asylantragsfrist für in Deutschland geborene Kinder zu gewähren, wenn die Fristüberschreitung unverschuldet war (Schwierigkeiten beim Erhalt der Geburtsurkunde).

Tenor:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 4. Juni 1998 verpflichtet, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann eine vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

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Die Klägerin begehrt ihre Anerkennung als Asylberechtigte und Abschiebungsschutz.

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Die am 25. Oktober 1997 in X. geborene Klägerin ist eine ungeklärte Staatsangehörige mit kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischer Glaubenszugehörigkeit. Sie ist die Tochter der Beigeladenen zu 1) und 2) des Verfahrens 4 A 4398/96. Ihre Eltern reisten nach den eigenen Angaben am 1. September 1996 aus Syrien aus und beantragten am 24. September 1996 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge erkannte die Eltern der Klägerin durch Bescheid vom 18. Oktober 1996 als Asylberechtigte an und stellte zugleich fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Herkunftslandes Syrien vorliegen. Aufgrund der Klage des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten wurde dieser Bescheid durch Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 19. Februar 1998 - 4 A 4398/96 - bezüglich des Vaters der Klägerin bestätigt, jedoch bezüglich der Mutter der Klägerin und ihre Geschwister aufgehoben. Letzteres beruhte darauf, dass ein Anspruch auf Gewährung von Familienasyl gem. § 26 AsylVfG (noch) nicht in Betracht kam, da die diesbezügliche Anerkennung des Vaters der Klägerin noch nicht unanfechtbar war.

3

Für die während des noch laufenden Asylverfahrens ihrer Eltern am 25. Oktober 1997 geborene Klägerin beantragten ihre Eltern am 5. Januar 1998 deren Anerkennung als Asylberechtigte. Dieser Antrag wurde durch Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 4. Juni 1998 abgelehnt. Zugleich wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG nicht vorlägen. Eine Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung wurde nicht erlassen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Familienasyl nicht vorlägen, da die vom Bundesverwaltungsgericht festgelegte Frist über die Beantragung von Asyl für ein nachgeborenes Kind von zwei Wochen bereits abgelaufen war. Gegen diesen am 8. Juni 1998 zugestellten Bescheid haben die Eltern für ihre Tochter am 22. Juni 1998 den Verwaltungsrechtsweg beschritten. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sie sich rechtzeitig um die Formalitäten im Zusammenhang mit der Geburt ihrer Tochter gekümmert hätten und sie keine Schuld an der verspäteten Asylantragstellung treffe. Ergänzend wird insoweit auf die Angaben zum Verfahrensgang in der mündlichen Verhandlung verwiesen.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 4. Juni 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG vorliegen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

8

Das Gericht hat die in der Sitzungsniederschrift bezeichneten Erkenntnisquellen zum Gegenstand des Verfahren in der mündlichen Verhandlung gemacht. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten dieses Verfahrens und des Verfahrens 4 A 4398/96  Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte. In entsprechender Anwendung von § 31 Abs. 5 AsylVfG bedurfte es bei dieser Sachlage keiner Entscheidung mehr darüber, ob Abschiebungshindernisse nach den §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG gegeben sind.

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Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 AsylVfG werden die minderjährigen ledigen Kinder eines Asylberechtigten ebenfalls als Asylberechtigte anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers unanfechtbar und nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 13.05.1997 - 9 C 35.96 -, NVwZ 1997, 1137 ff.) ist dabei bei einem in der Bundesrepublik Deutschland nach Asylantragstellung aber vor Asylanerkennung des Stammberechtigten geborenen Kindes der Asylantrag unverzüglich, d. h. regelmäßig innerhalb von zwei Wochen, nach der Geburt zu stellen. Ein späterer Antrag ist nur dann rechtmäßig, wenn sich aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles ergibt, dass ein Antrag nicht früher gestellt werden konnte. Dabei ist insbesondere zu erwarten, dass sich ein gewissenhafter Asylsuchender durch Einholung von Rechtsrat Klarheit darüber verschafft, wie ein in der Bundesrepublik Deutschland geborenes Kind in das Asylverfahren einzubeziehen ist (BVerwG, a.a.O, S. 1138).

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Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Der Vater der Klägerin ist bestandskräftig als Asylberechtigter anerkannt. Das diesbezügliche Urteil des erkennenden Gerichts vom 19. Februar 1998 - 4 A 4398/96 - ist vom Bundesbeauftragten nicht angefochten worden, so dass dieses Urteil nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bestandskräftig und die durch Bescheid vom 5. Januar 1998 ausgesprochene Anerkennung als Asylberechtigter somit unanfechtbar geworden war. Anhaltspunkte dafür, dass seine Asylanerkennung zur widerrufen oder zurückzunehmen ist, liegen dem Gericht nicht vor.

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Der Asylantrag der Klägerin ist auch rechtzeitig, d. h. ohne schuldhaftes Zögern gestellt worden. Dem steht nicht entgegen, dass er nicht innerhalb der vom Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung aufgestellten "Regelantragsfrist" von zwei Wochen, sondern erst gut zwei Monate nach der Geburt der Klägerin gestellt wurde. Es liegen nämlich die vom Bundesverwaltungsgericht genannten besonderen Umstände des Einzelfalles vor, bei denen ein Asylantrag nicht früher gestellt werden konnte. Dieses ergibt sich für das Gericht aus den Unterlagen im Verwaltungsvorgang, aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Schreiben des Landkreises vom 17. Dezember 1997 sowie aus den schlüssigen Bekundungen des Vaters der Klägerin in der mündlichen Verhandlung. Danach haben sich die Eltern der Klägerin unmittelbar nach ihrer Geburt am 25. Oktober 1997 bemüht, eine Geburtsurkunde zu erhalten. Letztere wurde jedoch erst am 25. November 1997 vom Standesbeamten des Landkreises  ausgestellt. Die Erklärung des Vaters der Klägerin, die Ausstellung der Abstammungsurkunde habe sich verzögert, da noch syrische Unterlagen übersetzt werden mussten, ist nachvollziehbar. Es ist auch nicht anzuzweifeln, dass sich der Vater der Klägerin unmittelbar nach Erhalt dieser Abstammungsurkunde an die Ausländerbehörde des für ihn zuständigen Landkreises ... gewandt hat und bei dieser Vorsprache allerdings nur die Bescheinigung des Krankenhauses über die Geburt der Klägerin und nicht die Abstammungsurkunde der Klägerin dabei gehabt hat. Dieses ergibt sich aus dem Schreiben des Landkreises ... l vom 17. Dezember 1997 an die Mutter der Klägerin, in dem u. a. noch die Geburtsurkunde der Klägerin angefordert wurde. Am 29. Dezember 1997 wurde sodann der Asylantrag für die Klägerin beim Landkreis gestellt. Der Umstand, dass letzteres Schreiben des Landkreises Wolfenbüttel an das Bundesamt beim Bundesamt erst am 5. Januar 1998 einging, kann nicht zu Lasten der Klägerin gehen. Auch das Verstreichen des Zeitraumes zwischen dem Schreiben des vom 17. Dezember 1997 und der Aufnahme des Asylantrages am 29. Dezember 1997 kann der Klägerin unter Berücksichtigung der üblichen Postlaufzeiten und des Umstandes, dass in diesen Zeitraum auch die Weihnachtsfeiertage fielen, nicht angelastet werden. Aus diesem Grunde ist die Überschreitung der Zwei-Wochen-Frist der Klägerin bzw. ihren Eltern unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieses Falles nicht vorzuwerfen. Sie haben sich zur Überzeugung des Gerichts hinreichend und intensiv darum bemüht, schnellstmöglich nach der Geburt der Klägerin einen Asylantrag für diese zu stellen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO , 83 b AsylVfG.

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Die Nebenentscheidungen im Übrigen ergeben sich aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.