Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 19.06.2003, Az.: 5 B 28/03
Abrechnungsbetrug; Approbation; Arzt; Ruhen; Ruhensanordnung; Straftat; Unwürdigkeit; Unzuverlässigkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 19.06.2003
- Aktenzeichen
- 5 B 28/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48499
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs 1 Nr 1 BÄO
Gründe
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Mai 2003, mit dem die Antragsgegnerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung das Ruhen der dem Antragsteller im Jahr 1972 erteilten Approbation als Arzt angeordnet hat.
Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, aber unbegründet.
Bei der im vorliegenden Verfahren vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das nach § 80 Abs. 3 VwGO ordnungsgemäß begründete öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids das private Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung der Vollziehung, weil der Bescheid sich bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als offensichtlich rechtmäßig erweist.
Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Bundesärzteordnung - BÄO - kann das Ruhen der Approbation angeordnet werden, wenn gegen den Arzt wegen des Verdachts einer Straftat, aus der sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergeben kann, ein Strafverfahren eingeleitet worden ist. Unzuverlässig ist, wer nicht die Gewähr für die ordnungsgemäße Berufsausübung bietet. Unwürdigkeit liegt vor, wenn der Arzt durch sein gezeigtes Verhalten nicht mehr das zur Ausübung seines Berufs erforderliche Ansehen und Vertrauen besitzt (BVerwG, Beschl. v. 9.1.1991, NJW 1991, 1557; Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 8 Rdnr. 6 ff).
Die Antragsgegnerin hat danach aller Voraussicht nach zu Recht die Ruhensanordnung gegenüber dem Antragsteller verfügt. Gegen den Antragsteller hat die Staatsanwaltschaft Lüneburg am 1. April 2003 Anklage erhoben wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs in 2465 Fällen. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft soll er in der Zeit vom 1. April 1997 bis zum 31. Januar 2002 rechtswidrig und mit Bereicherungsabsicht den Einsatz von Lasersonden bei Knieoperationen in 1858 Fällen gegenüber gesetzlich krankenversicherten Patienten mit einer Gesamtsumme von 1.150.522,00 DM und in weiteren 607 Fällen gegenüber privatversicherten Patienten mit einer Gesamtsumme von 376.190,00 DM abgerechnet haben. Aus den dem Antragsteller zur Last gelegten Taten kann sich die Unzuverlässigkeit und auch die Unwürdigkeit für die Ausübung des Arztberufes ergeben. Denn die Pflicht zur ordnungsgemäßen Abrechnung nicht nur den Kassen, sondern auch den Patienten gegenüber gehört zu den wesentlichen Berufspflichten des Arztes. Ihre Einhaltung ist grundlegende Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Gesundheitswesens und das hohe Vertrauen, das von der Allgemeinheit und speziell den Patienten in den ärztlichen Beruf gesetzt wird. Nach den Feststellungen in der Anklageschrift vom 1. April 2003, die in tatsächlicher Hinsicht im wesentlichen unstreitig sind, muss davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller nachhaltig über einen längeren Zeitraum hinweg gegen seine Berufspflichten verstoßen hat. Der lange Zeitraum von 4 ¾ Jahren und die erhebliche Anzahl von insgesamt 2465 Straftaten, die dem Antragsteller zur Last gelegt werden, deuten auf eine nicht unerhebliche kriminelle Energie hin. Nach den Ausführungen in der Anklageschrift, denen im vorliegenden Verfahren besonderes Gewicht zukommt, hat der Antragsteller die Abrechnungspraxis im Zusammenhang mit den eingesetzten Lasersonden auch im Anschluss an die Entscheidung des Niedersächsischen Landessozialgerichts vom 18. Januar 2001, das die Abrechnungsweise letztinstanzlich für nicht zulässig erachtet hat, nicht eingestellt, sondern nur modifiziert. Im Anschluss daran soll er die MLC-MED Laser Consult GmbH & Co. KG zum Zwecke einer Fortsetzung der Laserabrechnungen gegründet haben. Seinen Stiefsohn soll er als Geschäftsführer der Gesellschaft in einem sogenannten Strohmannverhältnis eingesetzt haben, während er selbst die Firma tatsächlich geleitet habe. Weiterhin und in besonderem Maße spricht gegen den Antragsteller, dass er den Patienten gegenüber die verwendeten und in Rechnung gestellten Lasersonden wahrheitswidrig als Einwegartikel bezeichnet haben soll. Einer als Zeugin vernommenen Patientin soll er darüber hinaus erklärt haben, er gebe den Laserkopf zum Selbstkostenpreis weiter und verdiene daran nichts. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hat er die Lasersonden tatsächlich aber mehrfach verwendet und dann jeweils in voller Höhe abgerechnet, d. h. durchschnittlich fünf Mal und in Einzelfällen noch wesentlich häufiger. Weiterhin soll er die Sonden keineswegs zum Selbstkostenpreis weitergegeben haben. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hat er für 505 gelieferte Lasersonden - unter Berücksichtigung erhaltener Gutschriften - jeweils 472,38 DM gezahlt und sie ab April 1997 in Höhe von 610,-- DM, ab Juni 1998 in Höhe von 615,-- DM und ab September 2001 mit 704,10 DM den damit behandelten Patienten in Rechnung gestellt.
§ 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO eröffnet Ermessen. Die Ruhensanordnung stellt einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG dar und darf deshalb nur zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen. Sie ist deshalb nur dann rechtlich nicht zu beanstanden, wenn eine Verurteilung des betroffenen Arztes wegen der ihm zur Last gelegten Straftaten hinreichend wahrscheinlich ist (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 21.5.1996, NJW 1997, 2470 [OVG Nordrhein-Westfalen 21.05.1996 - 13 B 350/96]; Nds. OVG, Beschl. v. 29.8.2002 - 8 LA 92/02 - zu § 8 Abs. 1 Bundes-Apothekerordnung). Die Antragsgegnerin ist in dem angefochtenen Bescheid zutreffend zu der Annahme gelangt, dass eine Verurteilung des Antragstellers wahrscheinlich ist. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die Erhebung der Anklage nach § 170 Abs. 1 StPO hinreichenden Tatverdacht voraussetzt. Darüber hinaus spricht für eine Verurteilung des Antragstellers, dass er den ermittelten Sachverhalt im wesentlichen eingeräumt und zum Teil sogar selbst offenbart hat, mithin nicht damit zu rechnen ist, dass sich im weiteren Verlauf des Strafverfahrens ein anderer Geschehensablauf herausstellen wird. Die Ruhensanordnung ist aller Voraussicht nach auch verhältnismäßig. Das dem Antragsteller zur Last gelegte Verhalten ist aus berufsrechtlicher Sicht als schwerwiegend anzusehen. Sollte sich der hinreichende Tatverdacht des Betrugs in den genannten zahlreichen Fällen bestätigen, würde das zu einem Vertrauensverlust hinsichtlich der weiteren Berufsausübung des Antragstellers führen und seine persönliche und berufliche Integrität derart herabsetzen, dass sich daraus die Unzuverlässigkeit und Unwürdigkeit zur Berufsausübung als Arzt ergäbe. Angesichts der Schwere und Nachhaltigkeit der ihm zur Last gelegten Taten lässt der Umstand, dass er an der Aufklärung des Sachverhalts mitgewirkt und schon Anfang 2002 erhebliche Schadensersatzzahlungen unter anderem an die AOK Niedersachsen geleistet hat, nicht auf eine grundlegende Verhaltensänderung schließen.
Das weitere Vorbringen des Antragstellers rechtfertigt keine anderen Entscheidung. Eigenen Angaben zufolge hat er zwar seine Zulassung als Kassenarzt freiwillig zurückgegeben und ist inzwischen außerhalb Deutschlands tätig. Die Rechtmäßigkeit der Ruhensanordnung wird dadurch aber nicht in Frage gestellt. Die Behauptung, in Deutschland nicht wieder ärztlich tätig zu werden, ist eine schlichte Absichtserklärung, die im vorliegenden Verfahren nicht weiter verifizierbar ist. Sofern die Ruhensanordnung unterbliebe, könnte der Antragsteller ohne Kassenarztzulassung zumindest als angestellter Arzt in einem Krankenhaus oder in einer Privatpraxis tätig werden.
Der Anordnung der sofortigen Vollziehung steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt, sondern erst im Anschluss an die Erhebung der Anklage gegen den Antragsteller mit der hier streitigen Maßnahme eingeschritten ist. Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Ruhensanordnung ist dadurch nicht entfallen oder verwirkt. Denn erst aus der Anklageschrift ist das Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen deutlich hervorgetreten und der für die Anklageerhebung erforderliche hinreichende Tatverdacht dargetan. Das private Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung der sofortigen Vollziehung muss nach alledem gegenüber dem öffentlichen Interesse, die weitere Ausübung des ärztlichen Berufs durch den Antragsteller im Geltungsbereich der Bundesärzteordnung einstweilen zu verhindern, zurücktreten.