Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 26.06.2003, Az.: 6 A 1889/02

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
26.06.2003
Aktenzeichen
6 A 1889/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 40826
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2003:0626.6A1889.02.0A

Tatbestand:

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Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für einen Fußweg.

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Der Kläger ist Eigentümer eines 908 m2 großen Hausgrundstücks mit der Flurstücksbezeichnung 105/40 der Flur 1, Gemarkung F., das im Geltungsbereich des Bebauungsplans der Gemeinde G. Nr. 4 "Quenenberg"

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gelegen ist und an die Straße "Quenenberg" grenzt. Die Straße "Quenenberg"

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zweigt von der Straße Neu F. nach Süden ab. Nach ca. 80 m in südwestlicher

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Richtung bildet die Straße "Quenenberg" einen Abzweig in östlicher Richtung

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von etwa 80 m Länge, der mit einem Wendehammer endet.

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An diesen Wendehammer schließt in östlicher Richtung ein ca. 60 m langer Gehweg an, der in die Straße "Neu F. " mündet.

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Im Februar 2001 ließ die Gemeinde G. durch die Firma H. den bis dahin unbefestigten Fußweg ausbauen, indem dort Pflastersteine verlegt wurden.

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Zusammen mit einer auf dem Gehweg aufgestellten Radwegbremse entstanden für diese Baumaßnahme Gesamtkosten in Höhe von 12.337,24 DM.

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Mit Bescheid vom 26. März 2002 zog die Beklagte den Kläger zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 155,17 EUR heran. Unter Abzug des hälftigen Anteils der Gemeinde an den Kosten errechnete die Beklagte bei einer

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Grundstücksfläche aller Beitragspflichtigen in Höhe von 18.456 m2 unter

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Erhöhung eines 25%igen Zuschlags eine Gesamtgrundstücksfläche in Höhe von

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23.070 m2, was einem Erschließungsbeitrag von 0,13671 EUR je m2 entsprach.

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Ausgehend von der klägerischen Grundstücksfläche von 908 m2, die um 25 %

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erhöht wurde, ergab sich eine Grundstücksfläche von 1.135 m2, die

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multipliziert mit dem Erschließungsbeitrag je m2 einen Erschließungsbeitrag

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in Höhe von 155,17 EUR ergab.

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Dagegen legte der Kläger am 19. April 2002 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2002 zurückwies.

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Daraufhin hat der Kläger mit einem am 6. November 2002 bei Gericht

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eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben, mit der er geltend macht, dass für

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ihn ein Erschließungsvorteil mit der Herstellung des Weges nicht verbunden

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sei. Er sei nicht unmittelbarer Anlieger des Fußweges. Der Fußweg sei

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ausschließlich gebaut worden, damit die dort wohnenden Kinder besser zur

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Haltestelle gelangen könnten. Sein Grundstück habe weder eine Gebrauchswert-

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noch eine Verkehrswerterhöhung erfahren.

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Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 26. März 2002 und ihren Widerspruchsbescheid

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vom 7. Oktober 2002 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Sie ist der Auffassung, dass die sachliche Beitragspflicht als Voraussetzung für die Heranziehung kraft Gesetzes entstanden sei, da die

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grundstücksbezogenen Voraussetzungen vorlägen.

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Die Verpflichtung, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechende Beiträge zu erheben, liege nicht nur im Interesse der öffentlichen Haushalte, sondern auch im Interesse der Beitragsgerechtigkeit. Vorliegend sei der Erschließungsvorteil bereits darin zu sehen, dass die Möglichkeit gegeben sei, die Verbindung zwischen dem Baugebiet Quenenberg und der Straße "Neu F." zu nutzen. Die Frage des Vorteils bzw. des durch die Erhebung des Beitrags angestrebten Vorteilsausgleichs sei objektiv zu beurteilen, so dass es nicht darauf ankomme, ob ein Anlieger selbst den Weg benutzen wolle oder nicht und ob alle Anlieger den Gehweg subjektiv als einen eigenen individuellen Vorteil empfänden.

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Bei objektiver Beurteilung sei z. B. ein Vorteil für die Anlieger anzunehmen, wenn ein Weg eine zusätzliche abkürzende Verbindung zu anderen Gemeindeteilen schaffe und zu einer Verringerung der Verkehrsgefährdung führe.

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Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

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Die Klage hat Erfolg.

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Der Bescheid der Beklagten vom 26. März 2002 und ihr Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2002 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.

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Der Heranziehung des Klägers als Eigentümer des Grundstückes Flurstück 105/40 zu einem Erschließungsbeitrag für die Herstellung des Fußweges steht entgegen, dass es sich bei dem Fußweg weder um einen Teil der Anbaustraße "Quenenberg" noch um eine beitragsfähige Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 2 BauGB handelt.

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Rechtsgrundlage der Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen sind die §§ 127 ff. BauGB in Verbindung mit der Satzung der Gemeinde G. über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen vom 30. April 1993 (Abl. LK ROW vom 30. April 1993, S. 59, im Folgenden: EBS). Nach diesen Vorschriften erhebt die

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Gemeinde G. zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwandes für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag. Gem. § 127 Abs. 2 Nr. 2 BauGB sowie § 2 Nr. 2 EBS zählen die öffentlichen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen mit Kraftfahrzeugen nicht befahrbaren Verkehrsanlagen

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nnerhalb der Baugebiete (z. B. Fußwege, Wohnwege) ebenso zu den Erschließungsanlagen wie die Anbaustraßen gem. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB.

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Ein Wohnweg i.S.v. § 127 Abs. 2 Nr. 2 BauGB unterscheidet sich von dem dort

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gleichfalls genannten (sonstigen) "Fußweg" dadurch, dass ihm nach Maßgabe

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des Bebauungsrechts Anbaubestimmung zukommt. Das wird im Regelfall dadurch

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bewirkt, dass der Bebauungsplan ein Grundstück oder mehrere Grundstücke als

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bebaubar ausweist, obwohl sie nicht an einer (tatsächlich und rechtlich)

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befahrbaren öffentlichen Straße liegen und obwohl somit ihre reguläre

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Erschließung i.S. der §§ 30 ff. BauGB nicht gesichert ist (OVG Münster,

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Urteil vom 21. Dezember 2001 - 3 A 3126/99 - NVwZ - RR 2002, 414). Wohnwege

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vermitteln einem Grundstück zusammen mit der nächstgelegenen Anbaustraße die

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baurechtliche Erschließung.

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Diese Konstellation ist im vorliegenden Fall nicht gegeben, denn alle an dem Weg gelegenen Grundstücke haben Zugang zu einer befahrbaren öffentlichen Straße. Damit handelt es sich vorliegend um einen Fußweg. Die in § 127 Abs. 2 Nr. 2 BauGB genannten Fußwege erfüllen im Gegensatz zu den Wohnwegen nicht die Voraussetzungen für die Zugänglichkeit des Baugrundstücks (vgl. § 5 NBauO); sie erleichtern die bauliche Nutzung der Grundstücke nur (Schmaltz, DVBl. 1987, S. 207 (209)).

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Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Fußweg jedoch nicht zusammen mit der Erschließungsanlage "Quenenberg" gewissermaßen als deren Bestandteil abzurechnen, denn Fußwege sind wie Wohnwege weder fähig, Bestandteil der Anbaustraße zu sein, in die sie einmünden oder von der sie abzweigen, noch dürfen sie nach § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB mit der Anbaustraße zur gemeinsamen Aufwandsermittlung und -verteilung zusammengefasst werden (Nds. OVG, Beschluss vom 21. Juli 2000, Az: 9 M 566/99; BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1993 - 8 C 58.91 -, DVBl. 1994, 705; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl. § 12 RN 59). Dadurch, dass der Gesetzgeber diese Art von Verkehrsanlagen nicht durch einen entsprechenden Zusatz in § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB geregelt, sondern sie in einer eigenen Nummer in den § 127 Abs. 2 BauGB aufgenommen hat, hat er zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht, dass er sie als selbständige beitragsfähige Erschließungsanlagen und nicht als unselbständige Bestandteile der Anbaustraße verstanden wissen will, von denen sie abzweigen (Driehaus, a.a.O., § 12 RN 59).palign=justify Bei der lediglich für den Fußgängerverkehr gewidmeten Teilstrecke in Verlängerung der Straße "Quenenberg" fehlt es an der Bestimmung zum Anbau. Bei ihr handelt es sich - im Vergleich zur ersten Teilstrecke - um eine andere Verkehrsanlage (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1995 - BVerwG 8 C 33/94 - NVwZ - RR 1995, 695)), der als innerörtlicher Verbindungsweg eine andere Funktion zukommt (vgl. OVG Saarlouis, Urteil vom 25. Oktober 1990 - 1 R 98/87 - DÖV 1991, 748).

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Dieser innerörtliche Verbindungsweg ist im vorliegenden Fall auch nicht nach

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§ 127 Abs. 2 Nr. 2 BauGB als eigene Erschließungsanlage beitragsfähig.

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Vom Wortlaut des § 127 Abs. 2 Nr. 2 BauGB her ist es nicht ausgeschlossen,

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solche Wege ebenfalls den erschließungsbeitragsfähigen Anlagen zuzuordnen,

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denn das Gesetz erwähnt neben den Wohnwegen in der ohnehin nicht abschließenden Aufzählung auch "Fußwege" als weitere Beispiele für öffentliche nicht befahrbare Verkehrsanlagen innerhalb der Baugebiete. Die allgemeine Systematik des Erschließungsbeitragsrechts zwingt indes dazu, § 127 Abs. 2 Nr. 2 BauGB eng auszulegen (OVG Saarlouis, Urteil vom 25. Oktober 1990 - 1 R 98/87 - NVwZ - RR 1991, 423-425). Eine Beitragspflicht für Erschließungsanlagen kann nämlich allgemein nur bejaht werden, wenn eine bestimmte Anlage ihrer Erschließungsfunktion nach einem Abrechnungsgebiet zuzuordnen ist, das hinsichtlich des Kreises der beitragspflichtigen Grundstücke hinreichend genau und überzeugend abgegrenzt werden kann (so BVerwG, Urteil vom 25. November 1981 - 8 C 16-19/81 - NVwZ 1982, 555 = NJW 1982, 2834 [BVerwG 25.11.1981 - 8 C 16/81] = KStZ 1982, 49; Urteil vom 03. Juni 1983 - 8 C 70/82 - BVerwGE 67, 216 (221) = NVwZ 1984, 170 = BRS 43 Nr. 24 (S. 43) und Urteil vom 24. September 1987 - 8 C 75/86 - BVerwGE 78, 125 = NVwZ 1988, 359 = KStZ 1987, 230).

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Fußwegen, die einem hinreichend bestimmten Abrechnungsgebiet nicht zugeordnet werden können, stellen in aller Regel keine erschließungs-beitragsfähigen Anlagen dar (Nds. OVG, Beschluss vom 14. Januar 1991 - 9 M 98/90 -; OVG Saarlouis, Urteil vom 25. Oktober 1990 - 1 R 98/87 -NVwZ - RR 1991, 423-425; Driehaus, a.a.O., § 12 RN 66, § 2 RN 50; Ernst, in:Ernst - Zinkahn - Bielenberg, BauGB, § 127 Rdnr. 15d; Schmaltz, DVBl 1987,207 (211), und Uechtritz, BauR 1988, 4 f. sowie DVBl 1986, 1125 (1129); a. A. Müller, KStZ 1987, 7 (8)), weil eine hinreichend deutliche und überzeugende Abgrenzung zwischen den Grundstücken, denen der Fußweg seiner Funktion entsprechende Vorteile vermittelt, und denjenigen, für die dies nicht zutrifft, nicht möglich ist (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 14. Januar

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1991 - 9 M 98/90 -).

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Eine Ausnahme kommt nur in Betracht, wenn ein solcher Weg nach den konkreten Umständen des Einzelfalls die einzige fußgängergerechte Verbindung zwischen einem eindeutig abgrenzbaren Baugebiet und dem Stadtzentrum darstellt (OVG Saarlouis, Urteil vom 25. Oktober 1990 - 1 R 98/87 - NVwZ - RR 1991, 423-425). Das trifft hier nicht zu. Der ausgebaute Fußweg stellt nicht die einzige fußgängergerechte Verbindung dar, sondern, sondern bietet lediglich eine Abkürzung für die Anlieger des Weges "Quenenberg" zur östlich des Fußweges gelegenen Straße Neu F., die aber ebenso über die Straße "Quenenberg" fußläufig erreicht werden kann. Der Fußweg erleichtert den Anliegern lediglich den fußgängergerechten Zugang zu dem südöstlich gelegenen Ortsteil wie etwa zum Gemeindehaus. Auch angesichts der vergleichsweise geringen Entfernungen im Ort kann dem Fußweg eine ausschließliche Verbindungsfunktion für Fußgänger im Bereich der Straße Quenenberg nicht beigemessen werden. Auch nach Einschätzung der Beklagten bzw. der Gemeinde G. schafft der Fußweg eine zusätzliche, abkürzende Verbindung zu anderen Gemeindeteilen und trägt zu einer Verringerung der Verkehrsgefährdung bei.

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Gründe, die Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.