Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 15.01.2021, Az.: 1 A 3404/19
Administrative Überkontrolle; Auskunftsanspruch; Kommunalaufsicht; Kreistagsabgeordneter
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 15.01.2021
- Aktenzeichen
- 1 A 3404/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 71005
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 41 KomVerfG ND
- § 56 KomVerfG ND
- § 58 Abs 4 KomVerfG ND
- § 85 Abs 2 KomVerfG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der Auskunftsanspruch eines Kreistagsabgeordneten nach § 56 Satz 2 NKomVG findet seine Grenze, wenn mit dem Auskunftsbegehren (private) Partikularinteressen verfolgt werden (hier: Intervention gegen eine kommunalaufsichtliche Maßnahme bezüglich einer von einer kreisangehörigen Gemeinde beabsichtigten Kreditvergabe an eine Genossenschaft, deren Vorstandsmitglied der Kreistagsabgeordnete ist).
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Verurteilung des Beklagten zur Erteilung von Auskünften auf von ihm formulierte Fragen.
Der Kläger ist seit November 2016 Kreistagsabgeordneter im F. und Ratsherr im Flecken A-Stadt. Zudem ist er Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft "BürgerEnergie A-Stadt-Fernwärme" (G.).
Im Jahr 2015 fanden sich der Flecken A-Stadt, ein dort ansässiges Chemieunternehmen, die Betreibergesellschaft einer Biogasanlage mit Blockheizkraftwerk sowie Bürgerinnen und Bürger zusammen, um als Fernwärmeprojekt die bezeichnete Genossenschaft zu gründen. Das ortsansässige Chemieunternehmen stellt hauptsächlich Dimethylterephthalat als Grundstoff für die europäische Polyesterindustrie her. Bei den Produktionsprozessen fällt ganzjährig Abwärme an, die zu den Genossenschaftsmitgliedern als Endverbrauchern transportiert werden soll, wobei die Biogasanlage und ein Pufferspeicher eine ausreichende Spitzen- und Reserveleistung gewährleisten sollen. Ausgegangen wurde von einem Investitionsvolumen von insgesamt 10 Mio. EUR (vgl. http://www. H. }.de/fernwaerme-im-flecken/fernwaermenetz-I. }}-J. }.html). Beabsichtigt war zudem, jeden Fernwärme-Endverbraucher an ein Glasfaser-Breitbandnetz ("FTTB"="fiber to the building") anzuschließen, welches schnelles Internet liefert und der Steuerung des Fernwärmenetzes dient. Zweck und Gegenstand der Genossenschaft wurden in § 2 der Satzung (Stand 19.06.2018) wie folgt umschrieben:
"Zweck der Genossenschaft ist die Förderung des Erwerbs und der Wirtschaft der Mitglieder durch einen gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb.
Gegenstand des Unternehmens ist:
· Der Bau und die Unterhaltung von Anlagen zur Produktion und Verteilung sowie Verkauf von Wärmeenergie unter Einsatz emissionsarmer Technik mit dem Ziel, Kohlendioxidmengen zu mindern.
· Die Verteilung leitungsgebundener Daten und die Vermietung der entsprechenden geschaffenen Infrastruktur.
· Der Bau von Anlagen zur Verwertung von Stromüberschüssen zur Erzeugung von Wärme (power-to-heat) sowie die Vermarktung und Verwaltung.
· Unterstützung und Beratung in Fragen der allgemeinen Energie- und Informationsversorgung."
Der Landkreis F. verfolgt ein eigenes (kreisweites) Konzept einer NGA-Breitbandversorgung ("NGA"="next generation access") und schloss zu diesem Zweck mit den kreisangehörigen Gemeinden Kooperationsvereinbarungen, so auch mit dem Flecken A-Stadt. Auf dieser Basis schrieb der Landkreis F. für das gesamte Kreisgebiet die zu erbringenden Leistungen aus. Nachdem von der G. zunächst beabsichtigt war, die Netzkapazitäten bei dem Gewinner einer vom Landkreis F. veranlassten Ausschreibung einzukaufen, nahm sie später davon Abstand, da ein bloßer FTTC-Ausbau (= fiber to the curb, Glasfaser bis zum Verteilerkasten) anstatt des FTTB-Ausbaus als unzureichend angesehen wurde. Die G. nahm schließlich wegen des beabsichtigten Vollausbaus eines FTTB-Netzes Verhandlungen mit der Deutschen Telekom auf, die sich zu einem solchen Vollausbau im Gebiet des Fleckens A-Stadt entschloss.
Die Beteiligung des Fleckens A-Stadt an der K. wurde dem Landkreis L. am 25. April 2016 angezeigt. Dabei wurde mitgeteilt, dass ein angemessener kommunaler Einfluss dadurch gegeben sei, dass zum einen der Bürgermeister des Fleckens A-Stadt Aufsichtsratsvorsitzender der G. sei und zum anderen dieses Amt in einem Vertrag über einen Kredit des Fleckens A-Stadt an die O. über einen Betrag von 2,5 Mio. EUR abgesichert werden solle. Aufgrund eines Beschlusses der Mitgliederversammlung der G. vom 19. Juni 2018 wechselte der Bürgermeister in den Vorstand. Die Aktivitäten des Bürgermeisters zogen kommunalaufsichtliche Verfügungen nach sich, die Gegenstand mehrerer bei der Kammer anhängiger Klageverfahren sind (1 A 2978/19, 1 A 5025/19 und 1 A 2788/20), über die noch nicht entschieden ist. Ein vom Flecken A-Stadt wegen der Beanstandung der Zuordnung der Vorstandstätigkeit des Bürgermeisters in der G. zu seinem Hauptamt gestellter Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist erfolglos geblieben (Beschl. d. Kammer v. 17.02.2020 - 1 B 5514/19 -, juris; nachgehend Nds. OVG, Beschl. v. 08.04.2020 - 10 ME 61/20 -, juris). Die Vorstandstätigkeit des Bürgermeisters des Fleckens A-Stadt ruht seit dem . Mai 2020 (https://www. M. }-N. }.de/team/).
Unter dem 24. Juni 2019 verlangte der Kläger als Kreistagsabgeordneter zu seiner Unterrichtung vom Beklagten Auskünfte zu insgesamt 17 Fragen, die die Handhabung der Kommunalaufsicht gegenüber kreisangehörigen Gemeinden im Allgemeinen und gegenüber dem Flecken A-Stadt im Zusammenhang mit der beabsichtigten Kreditvergabe an die G. im Besonderen betreffen:
"1. In wie vielen Fällen insgesamt wurde der F. seit Beginn dieser Wahlperiode als Kommunalaufsicht gegenüber den kreisangehörigen Gemeinden tätig?
2. Gegenüber welchen Kommunen wurde die Kommunalaufsicht seit Beginn dieser Wahlperiode in wie vielen Fällen tätig?
3. Was war jeweils Anlass und Gegenstand des Tätigwerdens der Kommunalaufsicht?
4. Welches Datum trug in jeder Angelegenheit das jeweils erste Schreiben der Kommunalaufsicht an die jeweilige Gemeinde?
5. Existiert beim F. eine Dienstanweisung, in der geregelt ist, wie die Kommunalaufsicht zu handhaben ist?
6. Wenn ja: Wann und durch wen wurde die Dienstanweisung erlassen?
7. Ist es zutreffend, dass sich die Kommunalaufsicht des F. durch ein Schreiben vom 07.06.2019 wegen einer vom Flecken A-Stadt beabsichtigten Vergabe eines Kredites an die G. an den Flecken A-Stadt gewandt hat?
8. Ist es zutreffend, dass der Landkreis F. in seinem Schreiben an den Flecken A-Stadt vom 07.06.2019 erhebliche Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Kreditvergabe geäußert hat?
9. Ist es zutreffend, dass der F. in seinem Schreiben an den Flecken A-Stadt vom 07.06.2019 seine zur Kreditvergabe geäußerten "erheblichen Bedenken" gegen die Kreditvergabe weder benannt noch begründet hat?
10. Entspricht es der Verwaltungspraxis der Kommunalaufsicht, selbst bei vermuteten "erheblichen Bedenken" den gegenständlichen Anlass eines Unterrichtungsverlangens zu verschweigen?
11. Entspricht es der Verwaltungspraxis der Kommunalaufsicht des F. gegenüber allen kreisangehörigen Kommunen, Unterrichtungsverlangen nicht zu begründen, insbesondere den gegenständlichen Anlass, der geeignet ist, Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines bestimmten gemeindlichen Handelns oder Unterlassens, unerwähnt zu lassen oder pflegt die Kommunalaufsicht des F. diese Praxis ausschließlich gegenüber dem Flecken A-Stadt?
12. Welche erheblichen Bedenken hat die Kommunalaufsicht des F. gegen die geplante Kreditvergabe des Flecken A-Stadt an die G. und wie begründen sich diese Bedenken?
13. Ist es zutreffend, dass die Kommunalaufsicht des F. zu der beabsichtigten Kreditvergabe des Flecken A-Stadt an die G. die Finanzaufsicht eingeschaltet hat oder einzuschalten gedenkt?
14. Aus welchen Gründen ist aus Sicht der Kommunalaufsicht gegebenenfalls die Einschaltung der Finanzaufsicht erforderlich?
15. Wie viele Beratungsangebote oder Lösungsvorschläge hat der F. als Kommunalaufsicht dem Flecken A-Stadt zum Schutze der Rechte des Flecken A-Stadt unterbreitet, um die im Schreiben des Landkreises an den Flecken A-Stadt vom 07.06.2019 erwähnten erheblichen Bedenken einvernehmlich auszuräumen und weitere Schritte, zum Beispiel eine Einschaltung der Finanzaufsicht, zu vermeiden?
16. Wann erfolgten die Gesprächs-/Beratungsangebote des Landkreises und welchen Inhalt hatten die Lösungsvorschläge der Kommunalaufsicht des F.?
17. Handelt es sich bei Unterrichtungsverlangen gem. § 172 NKomVG um Verwaltungsakte, wenn, wie im Schreiben des F. an den Flecken A-Stadt vom 07.06.2019, Unterlagen angefordert werden?"
Nachdem der Kläger mit E-Mail vom 7. Juli 2019 darauf hingewiesen hatte, dass die von ihm verlangten Auskünfte unverzüglich zu erteilen seien, erhielt er vom Beklagten unter dem 16. Juli 2019 folgende Antworten:
"1. Die Kommunalaufsicht wurde seit Beginn dieser Wahlperiode in vielfältiger Form tätig. So haben beispielsweise diverse Beratungen kreisangehöriger Kommunen stattgefunden, es wurden gesetzlich vorgesehene Genehmigungen erteilt und sich vielfach über Angelegenheiten der Kommunen unterrichtet. Die jährliche Fallzahl allein für mündliche und schriftliche Beratungen der Gemeinden beträgt etwa 120. Maßnahmen nach den §§ 173 bis 175 NKomVG waren in einem Fall erforderlich.
2. Die Kommunalaufsicht hat ihre gesetzlichen Aufgaben seit Beginn der Wahlperiode gegenüber allen kreisangehörigen Kommunen wahrgenommen, allein in mündlichen und schriftlichen Beratungen bei juristischen Zweifelsfragen in ca. 300 Fällen (sh. oben).
3. Die Kommunalaufsicht wurde aus diversen Anlässen tätig u. a. in Form von Beratungen, Beantwortung von persönlich, schriftlich oder telefonisch gestellten Anfragen, Genehmigungen, Prüfung lediglich anzeigepflichtiger kommunaler Entscheidungen, Sichtung von Zuwendungsnachweisen, Bearbeitung von Bürgerbeschwerden, Sichtung verschiedener Informationsquellen über kommunales Handeln mit gegebenenfalls anschließenden Unterrichtungsverlangen und rechtlicher Prüfung.
4. Die Beantwortung dieser Frage würde es erfordern, sämtliche geführte Korrespondenz unter hohem zeitlichen Aufwand zu sichten. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Frage vom Auskunftsrecht nach § 56 Satz 2 NKomVG gedeckt ist, da sich nicht erschließt, wo der konkrete Bezug zur Ausübung des Kreistagsmandats besteht […].
5. Beim Landkreis F. existiert keine Dienstanweisung, in der geregelt ist, wie die Kommunalaufsicht zu handhaben ist, da sich dieses direkt aus § 170 Abs. 1 Satz 3 NKomVG ergibt.
6. –
7. Ja.
8. Ja.
9. Ja.
10. und 11. Auslöser für Unterrichtungsverlangen sind in der Regel auf unterschiedlichste Weise bekanntgewordene Anhaltspunkte, die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des kommunalen Handelns aufwerfen. Sind die vorliegenden Erkenntnisse für eine rechtliche Bewertung nicht ausreichend, wird von dem Unterrichtungsrecht Gebrauch gemacht. Soweit die vorhandene Informationslage noch nicht entsprechend aussagekräftig ist, entspricht es der Praxis, in dem Unterrichtungsverlangen noch keine konkreten Rechtsverletzungen zu benennen, da dies gerade die vorherige Information voraussetzt. Die Kommunalaufsicht agiert gegenüber den kreisangehörigen Kommunen einheitlich.
12. Sobald der Flecken A-Stadt durch Vorlage der angeforderten Unterlagen eine kommunalaufsichtliche Prüfung ermöglicht, können die bestehenden Bedenken konkretisiert werden, soweit sie sich danach nicht entkräftet haben.
13. Ja.
14. Die Finanzaufsicht ist Teil der Kommunalaufsicht. Organisatorisch ist diese hier im Hause im Fachbereich Finanzen angesiedelt. Da hinsichtlich der geplanten Kreditvergabe auch haushaltsrechtliche Aspekte zu betrachten sind, werde ich diese bei der rechtlichen Prüfung einbeziehen.
15. Beratungsangebote oder Lösungsvorschläge können ohne zuvor umfassend über die Angelegenheit unterrichtet worden zu sein, schwerlich unterbreitet werden.
16. –
17. Das Auskunftsrecht des § 56 Satz 2 NKomVG bezieht sich auf die Mitteilung von Tatsachen. Eine Pflicht zur Darlegung rechtlicher Beurteilungen bestimmter Sachverhalte besteht nicht […]."
Da sich das Antwortschreiben aus Sicht des Klägers als unzureichend darstellte, hat er am 24. Juli 2019 Klage erhoben. Er habe in seiner Funktion als Ratsmitglied des Fleckens A-Stadt Kenntnis von der Verfügung vom 7. Juni 2019 erhalten. Nach Durchsicht von wunschgemäß vom Bürgermeister des Fleckens A-Stadt zur Verfügung gestellten Unterlagen seien ihm erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung und an einer den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Verwaltungspraxis der Kommunalaufsicht gekommen. Nach dem Grundsatz "audiatur et altera pars" habe er ein Auskunftsbegehren an den Beklagten gerichtet. Nur ein Teil der gestellten Fragen sei den gesetzlichen Vorgaben entsprechend beantwortet worden. Es sei nicht eine im Belieben des Beklagten stehende, sondern der Fragestellung entsprechende konkrete, wahrheitsgemäße und vollständige Antwort geschuldet. Das Auskunftsverlangen beziehe sich auf die Tätigkeit der Kommunalaufsicht und damit auf eine Angelegenheit des Landkreises. Auf Frage 1 habe der Beklagte nur ausweichend geantwortet, denn es sei nach der konkreten Anzahl der Fälle gefragt worden. Mit Frage 2 sei um namentliche Benennung der Kommunen nachgesucht worden, gegenüber denen die Kommunalaufsicht tätig geworden sei. Er habe nach der auf die jeweilige Kommune bezogene Zahl der Fälle gefragt. Frage 3 sei nicht "pauschal". Der Kläger wolle die konkreten Anlässe und Gegenstände des Tätigwerdens der Kommunalaufsicht wissen; dies lasse sich sehr konkret beantworten. Im Hinblick auf Frage 4 stehe dem Beklagten nicht die Befugnis zu, eine Abwägung von Verwaltungsaufwand und Ertrag für den Fragesteller vorzunehmen. Der konkrete Bezug zum Kreistagsmandat des Klägers ergebe sich aus dem begründeten Anlass zur Vermutung, dass der Landkreis seine kommunalaufsichtsrechtlichen Befugnisse gegenüber dem Flecken A-Stadt rechtsmissbräuchlich eingesetzt habe. Der Beklagte wolle das Auskunftsrecht unterlaufen, um zu verhindern, dass der Kläger seiner Kontrollpflicht aus § 58 Abs. 4 NKomVG nachkommen und rechtmäßiges Verwaltungshandeln herbeiführen könne. Wenn für den Beklagten bei den Fragen 1 bis 3 der Bezug zum Mandat nicht in Frage stehe, sei erklärungsbedürftig, warum die Frage 4 als "Schuss ins Blaue" angesehen werde. Die Antwort auf Frage 5 belege einen gravierenden Organisationsmangel und dass dem Beklagten der Sinn und Zweck einer Dienstanweisung verschlossen geblieben sei. Das Fehlen von Vorgaben habe dazu geführt, dass sich eine kommunalaufsichtliche Praxis nach Gutsherrenart habe entwickeln können. Die Frage 10 stelle sich vor dem Hintergrund, dass ein Unterrichtungsverlangen nur fundiert beantwortet werden könne, wenn die Kommune die konkreten Gründe für ein Tätigwerden der Kommunalaufsicht kenne. Werde von erheblichen Bedenken gesprochen, müsse umfassend darüber informiert und eine umfassende Beratung erfolgen, wie diese ausgeräumt werden könnten. Mit Frage 11 sei unmissverständlich gefragt worden, ob der Landkreis gegenüber dem Flecken A-Stadt eine andere kommunalaufsichtsrechtliche Praxis pflege als gegenüber anderen Kommunen. In Frage 12 sei nicht danach gefragt worden, wann sich der Landrat zu einer kommunalaufsichtlichen Prüfung in der Lage sehe, sondern welche "erheblichen Bedenken" gegen die geplante Kreditvergabe bestünden. Bei einem Unterrichtungsverlangen müsse eine Kommune in die Lage versetzt werden, es so substantiiert zu beantworten, dass weitergehende Maßnahmen vermieden werden könnten. Es seien weder die Bedenken noch die Begründung genannt worden. Mit Frage 14 habe der Kläger nach den konkreten Gründen für die Einschaltung der Finanzaufsicht gefragt. Frage sei nur ausweichend beantwortet worden; der Beklagte scheine allen Ernstes der Auffassung zu sein, einer kreisangehörigen Kommune keine Lösungsvorschläge für vermutete Rechtsverletzungen zu schulden. Frage 16 sei nicht beantwortet worden.
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, das vom Kläger durch Schreiben vom 24. Juni 2019 gestellte Unterrichtungsverlangen zu den Fragen 1, 2, 3, 4, 10, 11, 12, 14, und 16 zu beantworten.
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Alle mit der Klage begehrten Auskünfte seien bereits erteilt worden. Mit Frage 1 sei nach dem Tätigwerden der Kommunalaufsicht gefragt worden; eine weitere Konkretisierung nach bestimmten Tätigkeiten habe die Fragestellung nicht enthalten. Frage 2 sei umfassend beantwortet worden; die Kommunalaufsicht sei gegenüber allen kreisangehörigen Kommunen tätig geworden. Frage 3 sei so umfassend beantwortet worden, wie es die pauschale Fragestellung zugelassen habe. Zu Frage 4 sei zu betonen, dass das Auskunftsrecht zur Überwachung seine Grenze in einer missbräuchlichen Ausübung finde. Es habe sich um eine "Frage ins Blaue hinein" gehandelt. Die Fragen 10 und 11 seien vollständig beantwortet worden. In der Beantwortung der Frage 12 sei erläutert worden, dass eine Mitteilung des Prüfungsergebnisses erfolgen werde, sobald nach Vorlage der erbetenen Unterlagen eine fundierte Stellungnahme möglich sei. Zur Frage nach den Gründen einer Beteiligung der Finanzaufsicht sei ausgeführt worden, dass u. a. haushaltsrechtliche Aspekte zu betrachten seien. Die Fragen und 16 nach der Anzahl der Beratungsangebote und Lösungsvorschläge sei durch die Mitteilung beantwortet worden, dass Angebote und Vorschläge aufgrund einer unvollständigen Unterrichtung nicht möglich gewesen seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten der Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO, § 101 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg.
1.
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreites statthaft (vgl. zur statthaften Klageart bei Auskunftsbegehren: Sächs. OVG, Beschl. v. 07.02.2020 - 4 A 428/19 -, juris Rn. 6 f. m. w. N.). Sie ist auch ansonsten zulässig. Da der Kläger organschaftliche Rechte als Kreistagsmitglied gegenüber dem beklagten Landrat geltend macht, ist dieser und nicht der F. als juristische Person der richtige Klagegegner.
2.
Die Klage ist nicht begründet.
Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen (weitergehenden) Auskunftsanspruch nach § 56 Satz 2 NKomVG. Nach dieser Bestimmung kann jeder Abgeordnete zur eigenen Unterrichtung vom Hauptverwaltungsbeamten Auskünfte in allen Angelegenheiten der Kommune verlangen; dies gilt nicht für Angelegenheiten, die der Geheimhaltung unterliegen (§ 6 Abs. 3 Satz 1). Zwar betreffen die vom Kläger formulierten Fragen Angelegenheiten des Landkreises (dazu nachfolgend a)); es fehlt bei den Fragen aber schon insgesamt an einem anzuerkennenden Zusammenhang mit der Ausübung seines Kreistagsmandats (dazu b)). Unabhängig davon wurden die Fragen 1, 2, 3, 4, 10, 11, 12, 14, und 16 entgegen der Auffassung des Klägers inhaltlich hinreichend beantwortet (dazu c)).
a) Dem Auskunftsanspruch steht nicht schon entgegen, dass die Fragen als ausschließlich die Kommunalaufsicht betreffend sich schon nicht auf "Angelegenheiten der Kommune" beziehen würden. Zwar handelt es sich bei der Kommunalaufsicht um eine staatliche Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises, die zudem – abgesehen von den in § 85 Abs. 2 Satz 2 NKomVG geregelten Ausnahmen – vom Beklagten nach § 85 Abs. 2 NKomVG ohne Vorbehaltsmöglichkeit der Vertretung oder des Hauptausschusses und damit ausschließlich wahrzunehmen ist (vgl. etwa BeckOK Kommunalrecht Niedersachsen, Stand: 01.10.2020, § 85 NKomVG Rn. 11). Damit ist aber die von einem Landrat gegenüber den kreisangehörigen Gemeinden wahrzunehmende Kommunalaufsicht den "Angelegenheiten des Kreises" i. S. v. § 56 Satz 2 NKomVG nicht etwa von vornherein entzogen. Es sind vielmehr dem Grunde nach sämtliche Angelegenheiten des eigenen und des übertragenen Wirkungskreises einer Kommune erfasst, ohne dass eine Angelegenheit Gegenstand einer Sitzung der Vertretung sein müsste und ohne dass diese nach der Kommunalverfassung überhaupt zuständig sein müsste (vgl. KVR-NKomVG, Stand: Juni 2020, § 56 Rn. 21 m. w. N.; Nds. OVG, Urt. v. 03.06.2009 - 10 LC 217/07 -, juris Rn. 62). Ein Abgeordneter muss demzufolge auch nicht darlegen, dass er aus den Antworten einen objektiven Nutzen für die Ausübung seines Rechts nach § 56 Satz 1 NKomVG ziehen könnte, in der Vertretung und in den Ausschüssen Anträge zu stellen. Das Auskunftsrecht der Abgeordneten zur eigenen Unterrichtung nach § 56 Satz 2 NKomVG umfasst auch die Auskunft zur Überwachung i. S. d. § 58 Abs. 4 Satz 1 NKomVG (vgl. Urt. d. Kammer v. 17.06.2016 - 1 A 13723/14 -, juris Rn. 50; KVR-NKomVG, a. a. O. Stand: Juni 2020, § 56 Rn. 18). Eine solche Überwachung des Ablaufs der Verwaltungsangelegenheiten ist auch bezogen auf die Aufgaben eines Landrats als Kommunalaufsichtsbehörde dem Grunde nach denkbar. Offenbleiben kann, ob es vorliegend um eine solche Überwachung geht und ob sich Überwachung auf die äußeren Abläufe der Aufgabenerledigung zu beschränken hat (so KVR-NKomVG, a. a. O., § 58 Rn. 108; a. A. BeckOK Kommunalrecht Niedersachsen, a. a. O., § 58 NKomVG Rn. 53).
b) Ein (weitergehender) Auskunftsanspruch scheitert jedenfalls an dem erforderlichen Mandatsbezug der vom Kläger formulierten Fragen. Ein Vertretungsmitglied ist aufgrund seines Mandats berufen, eigenverantwortlich an den Aufgaben mitzuwirken, die der Vertretung obliegen. Wenn es – wie in § 54 Abs. 1 Satz 1 NKomVG vorgesehen – sein Mandat nach seiner freien, nur durch Rücksicht auf das öffentliche Wohl geleiteten Überzeugung ausüben können soll, muss es grundsätzlich selbst darüber befinden können, welcher Informationen es für die eigenverantwortliche Erfüllung seiner Aufgaben bedarf (vgl. etwa OVG Nordrh.-Westf., Urt. v. 17.11.2020 - A 3460/18 -, Rn. 97). Ein Vertretungsmitglied ist ähnlich wie ein Bundestags- oder Landtagsabgeordneter Vertreter der gesamten Bürgerschaft (Thiele, Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz, § 54 Rn. 1). Eine Grenze findet das Auskunftsrecht zur eigenen Unterrichtung – sei es zur Überwachung oder zu anderen Zwecken – aufgrund dieser funktionalen Einbettung in das Mandat insoweit, als das Auskunftsbegehren in einem sachlichen Zusammenhang mit der Mandatsausübung stehen muss und nicht missbräuchlich sein darf, womit etwa private Zwecke ausgeschlossen werden (vgl. KVR-NKomVG, a. a. O., § 56 Rn. 21, 24, 29; Urt. d. Kammer v. 17.06.2016 - 1 A 13723/14 -, juris Rn. 52). So läge es in offenkundiger Weise beispielsweise, wenn ein Mandatsträger durch die Inanspruchnahme seiner mit dem Mandat verbundenen Rechte einen gegen ihn gerichteten belastenden Verwaltungsakt – etwa eine bauaufsichtliche Verfügung – abwehren will. Organ- oder Organteilrechte – wie etwa das vorliegend in Rede stehende Auskunftsrecht nach § 56 Satz 2 NKomVG – dienen auch dann nicht dem Schutz privater subjektiver Interessen oder Rechtspositionen eines Vertretungsmitglieds, wenn im konkreten Fall nicht das Mitwirkungsverbot nach § 41 NKomVG greift.
Die skizzierte Grenze ist vorliegend durch das Auskunftsverlangen des Klägers vom 24. Juni 2019 überschritten. Dem Kläger ging und geht es nach Einschätzung des Einzelrichters bei Lichte betrachtet nicht etwa darum, im Interesse des Gemeinwohls der Bürgerschaft des Landkreises auf eine gleichmäßige Handhabung der Kommunalaufsicht hinzuwirken, sondern erkennbar darum, im ausschließlichen oder jedenfalls primären Interesse des Fleckens A-Stadt und der G. gegen konkretes Aufsichtshandeln des Beklagten zu intervenieren. Zwar sind die ersten sechs Fragen des Auskunftsverlangens vom 24. Juni 2019 noch allgemein formuliert und beziehen sich formal zunächst auf die Aufsichtstätigkeit gegenüber allen kreisangehörigen Kommunen. Die weiteren elf Fragen – bei denen der Kläger "zum Punkt kommt" – befassen sich indessen sämtlich mit der konkreten Art und Weise der Ausübung der Kommunalaufsicht gegenüber dem Flecken A-Stadt im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Kreditvergabe an die G.. Damit macht sich der Kläger insgesamt zum Sachwalter der Partikularinteressen des Fleckens A-Stadt und der G.. In der Klagebegründung macht der Kläger selbst deutlich, dass Anlass des Auskunftsbegehrens allein die von ihm für rechtswidrig gehaltene kommunalaufsichtliche Verfügung gegenüber dem Flecken A-Stadt vom 7. Juni 2019 war. Auch wenn man nicht annehmen wollte, dass er letztlich nur als privat anzusehende Interessen der Genossenschaft G. verfolgen würde, wäre ein anzuerkennender originärer Zusammenhang mit der Ausübung des Kreistagsmandats, die nach § 54 Abs. 1 Satz 1 NKomVG vom öffentlichen Wohl geleitet sein soll, zu verneinen. Der Kläger versucht vielmehr seine Stellung als Kreistagsabgeordneter in einem Bereich zu nutzen, in dem für ihn wegen seiner gleichzeitigen Eigenschaft als Ratsherr des Fleckens A-Stadt und zudem als Vorstandsvorsitzender der G. nach Auffassung des Einzelrichters in besonderer Weise Zurückhaltung geboten wäre. Das Auskunftsrecht nach § 56 Satz 2 NKomVG dient nicht dazu, unter Ausblendung von offenkundigen Interessenkonflikten reine Partikularinteressen zu verfolgen. In einem solchen Fall liegt es der Sache nach letztlich nicht anders als bei der Verfolgung rein privater Interessen, was – wie dargestellt – im Zusammenhang mit dem Auskunftsrecht als missbräuchlich anzusehen ist.
c) Unabhängig von dem aufgrund der skizzierten Umstände insgesamt fehlenden anzuerkennenden Mandatsbezug des Auskunftsbegehrens ist der Einzelrichter – die Entscheidung selbstständig tragend – der Auffassung, dass die Fragen 1, 2, 3, 4, 10, 11, 12, 14, und 16 im Schreiben des Beklagten vom 16. Juli 2019 hinreichend beantwortet wurden (Fragen 1 bis 3, 10 bis 12, 14 und ) bzw. eine Beantwortung zutreffend nicht erfolgte (Fragen 4 und 16). Dies betrifft zunächst die einleitenden Fragen 1 bis 3 nach den Fallzahlen des Tätigwerdens der Kommunalaufsicht nach Beginn der Wahlperiode, den betroffenen Kommunen und den Anlässen, denn die Antworten des Beklagten machen deutlich, dass die Kommunalaufsicht gegenüber allen kreisangehörigen Kommunen in jährlich etwa 120 Fällen und insgesamt etwa 300 Fällen tätig geworden ist. Da der Kläger das "Tätigwerden" nicht näher spezifiziert hat, konnte er auch keine listenmäßige Aufarbeitung aller konkreten Einzelfälle erwarten. Konkreter wurde der Kläger erst bei Frage 4, aus welcher sich entnehmen lässt, dass es ihm bei dieser Frage um die Daten der Anschreiben an die kreisangehörigen Kommunen, also offenbar um ein Tätigwerden in schriftlicher Form ging. Bei der Frage nach dem Datum der jeweiligen Schreiben erschließt sich – selbst bei Annahme eines dem Grunde nach anzuerkennenden Auskunftsinteresses – indessen der Mandatsbezug nicht mehr. Vielmehr wird hier deutlich, dass die Grenze zur administrativen Überkontrolle (vgl. dazu etwa BVerwG, Beschl. v. 02.09.2019 - 6 VR 2/19 -, juris Rn. 36 m. w. N.; zum Zumutbarkeitsvorbehalt bei parlamentarischen Informationsrechten: BVerfG, Urt. v. 07.11.2017 - 2 BvE 2/11 -, juris Rn. 249) überschritten wurde, wenn ein mit hohem Aufwand verbundenes Heraussuchen einzelner Daten verlangt wird, deren Relevanz sich nicht erschließt. Dies betrifft indessen auch die Fragen 1 bis 3 mit dem Bedeutungsgehalt, den der Kläger ihnen in der Klagebegründung nunmehr beimessen möchte. Die Fragen 10 bis 12 sind beantwortet worden. Die Fragen kleiden den Vorwurf gegenüber dem Beklagten ein, dass der Flecken A-Stadt bei einer von ihm beabsichtigten Kreditvergabe an die G. keine hinreichenden Angaben dazu bekommen hatte, wie konkret die Bedenken aussahen und warum sie als erheblich eingestuft wurden. Der Beklagte verweist insoweit zu Recht darauf, dass eine Unterrichtung darauf abzielt, zunächst überhaupt Informationen zur Ermöglichung einer näheren rechtlichen Beurteilung zu erhalten. Es ist in Anbetracht dessen, dass – was auch dem Kläger bekannt sein dürfte – die Gewährung von Krediten an Dritte regelmäßig nicht zum Aufgabenkreis einer Kommune gehört (vgl. nur § 136 Abs. 6 Satz 1 NKomVG), auch keineswegs verfänglich, bei einer beabsichtigten Kreditvergabe durch eine Gemeinde auch ohne nähere Kenntnisse über Volumen, Zweck und Modalitäten des Kredits zunächst einmal "erhebliche Bedenken" anzumelden und im Rahmen einer Unterrichtung (§ 172 NKomVG) Unterlagen anzufordern. Auch die Frage 14 nach den Gründen für die Beteiligung der Finanzaufsicht wurde unter Hinweis auf die haushaltsrechtlichen Aspekte einer Kreditvergabe hinreichend beantwortet. Bei der Frage nach der Anzahl von Beratungsangeboten und Lösungsvorschlägen gab der Beklagte eine Begründung dafür, warum solche nicht erfolgten. Aus dem Umstand, dass der Beklagte die Frage nicht lediglich mit "keine" beantwortet hatte, lässt sich ersichtlich nicht der Schluss einer unzureichenden Beantwortung ziehen. Letztlich stellt sich Frage aber auch lediglich als ein in Frageform gekleideter Vorwurf dar. Dass Frage 16 nach den Zeitpunkten von Gesprächs-/Beratungsangeboten nicht beantwortet werden konnte, wenn es solche nicht gab, erschließt sich von selbst.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO. § 167 Abs. 2 VwGO gilt für die vorliegende Konstellation einer allgemeinen Leistungsklage entsprechend (vgl. zur Anwendbarkeit des § 167 Abs. 2 VwGO über den Wortlaut hinaus, insbesondere bei Organakten: Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 167 Rn. 11).