Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 12.01.2021, Az.: 13 A 5040/20

Behandlungsbeginn; Folgenbeseitigungsanspruch; kieferorthopädische; Treu und Glauben; Verpflichtungsurteil; Zustimmung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
12.01.2021
Aktenzeichen
13 A 5040/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 70640
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Beklagte wird verpflichtet, die Gebührenziffern 6100 GOZ und 6150 GOZ in den Rechnungen der Fachzahnärztin Dr. C. Nr. Nr. 00002785 vom 24. September 2019, Nr. 00002786 vom 24. September 2019, Nr. 00002788 vom 24. September 2019 und vom Nr. 00003302 vom 23. Oktober 2019 als beihilfefähig anzuerkennen und dem Kläger eine entsprechende Beihilfe zu gewähren. Außerdem wird der Beklagte verpflichtet, die Kosten der kieferorthopädischen Behandlung für D. nachdem Heil- und Kostenplan vom 19. Februar 2018 für den weiteren Behandlungszeitraum ab Juni 2019 bis Februar 2024 dem Grunde nach als Beihilfefähig anzuerkennen. Der Bescheid des Beklagten vom 18. (19.) März 2020 sowie der Bescheid vom 19. März 2020 und der Widerspruchsbescheid vom 9. September 2020 werden aufgehoben, soweit sie dieser Verpflichtung entgegenstehen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine Beihilfe für die kieferorthopädische Behandlung seines Sohnes.

Der Kläger steht als Beamter im Dienst des Landes Niedersachsen und ist beihilfeberechtigt. Sein im Jahr 2006 geborener Sohn E. ist über die Familienversicherung seiner Mutter Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung und zugleich berücksichtigungsfähiger Angehöriger seines beihilfeberechtigten Vaters, des Klägers, mit einem Beihilfebemessungssatz von 80 v.H.

Mit Schreiben vom 22. Februar 2018 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Anerkennung der Notwendigkeit einer kieferorthopädischen Behandlung seines Sohnes. Dabei ging es dem Kläger um kieferorthopädische Leistungen, die über die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen hinausgehen. Zur Begründung legte der Kläger einen „Kostenvoranschlag“ der Fachärztin für Kieferorthopädie Dr. F. vom 19. Februar 2018 vor. In dem Schriftstück heißt es, dass „die Abrechnung der Wunschleistungen“ nach der Gebührenordnung für Zahnärzte und Ärzte erfolge. Als Gesamtbetrag wird eine Summe von 1.618,52 € aufgelistet.

Mit Bescheid vom 6. März 2018 lehnte der Beklagte die begehrte Anerkennung ab. Zur Begründung verwies er auf § 5 Abs. 1 und Abs. 4 NBhVO. Hiergegen legte der Kläger am 21. März 2018 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Bescheid vom 7. Juni 2018 zurückwies.

Auf die daraufhin Anfang Juli 2018 erhobene Klage wurde der Beklagte mit Urteil der Kammer – Einzelrichter - vom 20. Februar 2020 verpflichtet, „die Notwendigkeit der kieferorthopädischen Behandlung des Sohnes des Klägers E. auf der Grundlage des Heil- und Kostenplans vom 19. Februar 2018/7. Mai 2018 anzuerkennen (Az. 13 A 4558/18). Das Urteil ist rechtskräftig.

Mit Bescheid vom 19. März 2020 erkannte der Beklagte entsprechend die Kosten der kieferorthopädischen Behandlung für den 2006 geborenen Sohn des Klägers an – für einen Behandlungszeitraum von März 2020 bis Februar 2024.

Bereits zuvor beantragte der Kläger eine Beihilfe für die kieferorthopädische Behandlung seines Sohnes. Er reichte dabei mehrere Honorarrechnungen vom 24. September 2019 und 23. Oktober 2019 ein.

Im Einzelnen:

- Die Rechnung Nr. 00002785 vom 24. September 2019 über 723,24 € erfasst Behandlungen im Zeitraum zwischen 23. Oktober 2018 bis 22. November 2018; u.a. wurden die GOZ Ziff. 6100 und 6150 berechnet.

- Die Rechnung Nr. 00002786 vom 24. September 2019 über 105,28 € erfasst Behandlungen am 28. Februar 2019;
u.a. wurde die GOZ Ziff. 6150 berechnet.

- die Rechnung Nr. 00002788 vom 24. September 2019 über 105,28 € erfasst Behandlungen am 28. August 2019;
u.a. wurde die GOZ Ziff. 6150 berechnet.

- die Rechnung Nr. 00003302 vom 23. Oktober 2019 über 173,40 € erfasst Behandlungen im Zeitraum zwischen 2. Mai 2019 und 13. Juni 2019;
u.a. wurde die GOZ Ziff. 6150 berechnet.

Mit Beihilfebescheid vom 18. März 2020 (so die vom Kläger vorgelegte Kopie) bzw. 19. März 2020 (so das Datum des Entwurfes des Bescheides in den Verwaltungsvorgängen des Beklagten) lehnte der Beklagte eine Beihilfegewährung für die sich aus den o.g. Rechnungen ergebenden Aufwendungen für die kieferorthopädische Behandlung zu den GOZ-Ziff. 6100 und 6150 des Sohnes ab, weil die Behandlung schon ohne vorherige Anerkennung seitens der Beihilfestelle erfolgt sei. Er kürzte die Aufwendungen um 568,80 €, was bei dem maßgeblichen Bemessungssatz zu einer versagten Beihilfe iHv. 455,05 € führte.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Die Notwendigkeit einer Behandlung müsse vor Beginn der Behandlung festgestellt sein. Die geltend gemachten Aufwendungen seien indes vor der Feststellung der Notwendigkeit erfolgt. Zugleich legte er Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. März 2020 hinsichtlich der Anerkennung der weiteren kieferorthopädischen Behandlungen ein.

Der Beklagte wies diese Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 9. September 2020 zurück.

Der Kläger hat am 1. Oktober 2020 Klage erhoben.

Er trägt vor, das Verwaltungsgericht Hannover habe die Notwendigkeit der Behandlung mit Wirkung auf die Antragstellung am 22. Februar 2018 festgestellt. Die Haltung des Beklagten verstoße gegen die Fürsorgepflicht des Dienstherrn.

Der Kläger beantragt,

1.) den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 18. März 2020 sowie des Bescheides vom 19. September 2020 zu verpflichten, dem Kläger für die kieferorthopädische Behandlung seines Sohnes E. weitere Beihilfe in Höhe von 495,18 € zu gewähren;

2.) den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 19. März 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. September 2020 zu verpflichten, aufgrund des Heil und Kostenplans vom 19. Februar 2018 die Kosten der kieferorthopädischen Behandlung für D. dem Grunde nach für den Behandlungszeitraum vom März 2018 bis Februar 2024 anzuerkennen

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht habe lediglich die Notwendigkeit einer vorgesehenen kieferorthopädischen Behandlung des Sohnes anerkannt. Erst nach Zustellung des verwaltungsgerichtlichen Urteils habe sich herausgestellt, dass die Behandlung des Klägers bereits begonnen habe. Der Kläger habe die Behandlung seines Sohnes beginnen lassen, ohne die Frage der Kostenübernahme abzuwarten. Der Kläger habe auch keinesfalls davon ausgehen können, dass im Falle der Behandlung seines Sohnes das Erfordernis der Genehmigung entfalle. Der Wortlaut § 9 Abs. 4 der niedersächsischen Beihilfeverordnung (NBhVO) besage eindeutig, dass kieferorthopädische Maßnahmen nur dann beihilfefähig seien, wenn die Maßnahme vor Behandlungsbeginn anerkannt worden sei.

Alle Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung und mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer einverstanden erklärt.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter und nach § 101 Abs. 2 VwGO weiterhin ohne mündliche Verhandlung.

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrten Beihilfeleistungen. § 9 Abs. 4 Satz 2 NBhVO steht ausnahmsweise dem Anspruch des Klägers nicht entgegen.

Nach § 9 Abs. 4 Satz 2 NBhVO wird eine Beihilfe für ambulante kieferorthopädische Leistungen nur gewährt, wenn die Festsetzungsstelle die Notwendigkeit der Behandlung vor deren Beginn auf der Grundlage eines Heil- und Kostenplanes anerkannt hat.

Das ist hier nicht der Fall. Die Festsetzungsstelle hat die Notwendigkeit der kieferorthopädischen Behandlung für den Sohn des Klägers erst mit Bescheid vom 19. März 2020 anerkannt, die geltend gemachten Aufwendungen beziehen sich jedoch auf eine Behandlung, die ausweislich der Rechnung vom 24. September 2019 mit der Nummer 0 0002785 am 23. Oktober 2018 begonnen hat.

Allerdings hat hier der Beklagte vor Beginn der Behandlung rechtswidrig die Anerkennung der Notwendigkeit der kieferorthopädischen Behandlung versagt. Dies steht mit der Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichtes A-Stadt vom 20. Februar 2020 – 13 A 4558/18 – fest.

Wegen der ursprünglich rechtswidrigen Versagung der Zustimmung kann sich der Beklagte nicht mehr auf die Vorschrift des § 9 Abs. 4 Satz 2 NBhVO berufen. Hätte der Beklagte rechtmäßig gehandelt, dann hätte bei Beginn der Behandlung bereits die Zustimmung des Beklagten vorgelegen.

Der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch bietet allerdings keine Rechtsgrundlage dafür, dass nunmehr die Behandlungskosten, die vor der Anerkennung der Notwendigkeit bereits entstanden waren, als beihilfefähig zu erklären sind

Das Bundesverwaltungsgericht hat zum Folgenbeseitigungsanspruch unter anderem ausgeführt:

„Das Rechtsinstitut des öffentlich-rechtlichen allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruchs hat in der juristischen Literatur und in der Rechtsprechung einhellige Anerkennung gefunden. Die Entwicklung eines solchen Anspruchs geht auf Bachof zurück, der in seiner Schrift "Die verwaltungsgerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung" (Tübingen 1951) im Anschluß an seine dortigen Darlegungen zum Wesen der Anfechtungsklage die Auffassung vertreten hat, dem von einem rechtswidrigen Verwaltungsakt Betroffenen stehe auf der rechtlichen Grundlage des Art. 20 Abs. 3 GG nicht nur ein Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsakts, sondern im Falle des erfolgten Vollzugs des Verwaltungsakts auch ein Vollzugsfolgenentschädigungsanspruch zu, der auf die Beseitigung jedenfalls des unmittelbaren Schadens und evtl. auch der mit der Maßnahme gewollten mittelbaren Schäden gerichtet sei. In die gleiche Richtung ist Menger mit der in seiner Abhandlung "Über die Identität des Rechtsgrundes der Staatshaftungsklagen und einiger Verwaltungsstreitsachen" (in Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, München 1955) dargelegten Ansicht über das Bestehen eines allgemeinen öffentlich-rechtlichen Wiedergutmachungsanspruchs gegangen. Nach einer materiellen "Grundnorm" des ungeschriebenen Rechts habe die öffentliche Gewalt, wenn sie durch ihre Organe jemanden in seiner Rechtsstellung widerrechtlich beeinträchtigt hat, den Zustand herzustellen, der ohne die Beeinträchtigung bestehen würde. Damit würde dieser Anspruch im wesentlichen demjenigen aus § 249 Satz 1 BGB entsprechen.

Gegen diesen von Bachof und Menger als Vollzugsfolgenentschädigungsanspruch konzipierten Folgenbeseitigungsanspruch hat sich dann insbesondere Bettermann (DÖV 1955, 528 ff.) gewandt und ihn in Richtung auf einen Beeinträchtigungsbeseitigungsanspruch teilweise verengt und teilweise erweitert. Nach dessen Auffassung ist die öffentliche Gewalt, wenn sie jemanden in seiner Rechtsstellung widerrechtlich beeinträchtigt, verpflichtet, diese Beeinträchtigung wieder zu beseitigen. Dazu gehöre insbesondere die Wiederherstellung des vor der Beeinträchtigung bestehenden Zustandes. Anders als Bachof und Menger hat er einen Entschädigungscharakter des Anspruchs verneint und ihn als Wiederherstellungsanspruch mit der Folge klassifiziert, daß im Falle der Unmöglichkeit der Wiederherstellung anders als nach § 251 Abs. 1 BGB kein Anspruch auf Geldersatz bestehe.

2. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung und insbesondere diejenige des Bundesverwaltungsgerichts ist diesen von der Rechtslehre entwickelten Rechtsgedanken - wenn auch zunächst sehr vorsichtig - in den wesentlichen Punkten gefolgt und hat - im Anschluß an Bettermann - das Bestehen eines öffentlich-rechtlichen allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruchs anerkannt (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. März 1959 - BVerwG 5 C 216.55 - in DVBl. 1959, 580; Urteil vom 6. November 1959 - BVerwG 1 C 189.57 - in DVBl. 1960, 255; Urteil vom 12. November 1959 - BVerwG 2 C 100.59 - in ZBR 1960, 92; Urteil vom 15. Juni 1960 - BVerwG 8 C 3.60 - in Buchholz 310 § 41 Nr. 2 = DVBl. 1960, 854; Urteil vom 11. Januar 1962 - BVerwG 2 C 30.60 - in NDBZ 1962, 177; Urteil vom 20. März 1963 - BVerwG 6 C 169.60 - in Buchholz 232 § 79 Nr. 6). Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht den Folgenbeseitigungsanspruch zunächst als Bestandteil der Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts angesehen und ihn unter Hinweis auf § 113 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VwGO als einen Anspruch auf Rückgängigmachung der Folgen eines vollzogenen und danach auf eine Anfechtungsklage hin aufgehobenen Verwaltungsakts aufgefaßt (so noch Urteil vom 26. Oktober 1967 - BVerwG 2 C 22.65 - in BVerwGE 28, 155 = Buchholz 232 § 32 Nr. 15).

Diese Rechtsprechung ist dann vom Bundesverwaltungsgericht dahin weiterentwickelt worden, daß der Folgenbeseitigungsanspruch seine Grundlage im Bundesverfassungsrecht hat und daß er nicht nur bei vollzogenen Verwaltungsakten, sondern bei allen Amtshandlungen besteht, die rechtswidrige Folgen nach sich gezogen haben (so insbesondere Urteil vom 25. August 1971 - BVerwG 4 C 23.69 - in Buchholz 310 § 113 Nr. 58 = DVBl. 1971, 858; ferner Urteil vom 12. Oktober 1971 - BVerwG 6 C 99.67 - in BVerwGE 38, 336 = Buchholz 232 § 90 Nr. 13; Urteil vom 18. Mai 1973 - BVerwG 7 C 21.72 - in Buchholz 451.80 Nr. 19 = NJW 1973, 1854; Urteil vom 2. Juni 1978 - BVerwG 7 C 55.75 -; Urteil vom 17. Januar 1980 - BVerwG 7 C 42.78 - in BVerwGE 59, 319 = Buchholz 310 § 42 Nr. 78). Dementsprechend ist der Folgenbeseitigungsanspruch in der Folgezeit als ein Anspruch auf Beseitigung der rechtswidrigen Folgen einer Amtshandlung angesehen worden.

….

4. Hinsichtlich des Inhalts und des Umfangs des Folgenbeseitigungsanspruchs vertritt der erkennende (3.) Senat unter Berücksichtigung und Abwägung der verschiedenen Darstellungen und Meinungen in Übereinstimmung mit den vorgenannten Entscheidungen des 7. Senats die Auffassung, daß der Folgenbeseitigungsanspruch allein auf die Beseitigung der rechtswidrigen Folgen eines Tuns oder Unterlassens der vollziehenden Gewalt gerichtet ist und nur einen Ausgleich in natura gewährt. Der Grundsatz der Naturalherstellung, der in § 249 Satz 1 BGB einen gesetzlichen Niederschlag gefunden hat, verpflichtet die vollziehende Gewalt zur Herstellung des Zustandes, der bestünde, wenn sie die rechtswidrigen Folgen nicht herbeigeführt hätte. Dies bedeutet regelmäßig, daß (nur) der vor der Vornahme der Amtshandlung bestanden habende Zustand wiederherzustellen ist. Zutreffend hat Bettermann darauf hingewiesen, daß in bestimmten Fällen diese Restitution durch Geldzahlung zu erfolgen hat. Eine solche Geldrestitution kommt dann in Betracht, wenn die rechtswidrigen Folgen in einem Geldverlust bestehen.

Damit stellt sich die hier entscheidende weitere Frage, ob aufgrund des Folgenbeseitigungsanspruchs die vollziehende Gewalt entweder alle oder - mit Bettermann - nur bestimmte rechtswidrige Folgen zu beseitigen hat. Die engere Auffassung definiert den Beseitigungsanspruch dahin, daß der alte Zustand nur insoweit wiederherzustellen ist, wie seine Veränderung durch die Amtshandlung unmittelbar hervorgerufen worden ist. Damit soll ein Anspruch auf Beseitigung mittelbar verursachter und mittelbar eingetretener Folgen ("mittelbarer Schäden") ausgeschlossen werden.

Nach der Auffassung des Senats stellt dies eine Rechtsfrage dar, die auf der Stufe der Zurechenbarkeit der eingetretenen Folgen angesiedelt ist. Sie ist im Grundsatz dahin zu beantworten, daß die rechtswidrigen Folgen einer Amtshandlung der handelnden Behörde dann zuzurechnen sind, wenn zwischen der Amtshandlung und den Folgen Kausalität besteht und keine Haftungsbeschränkung eingreift. Solche Haftungsbeschränkungen können hinsichtlich der Haftungsbegründung und hinsichtlich des Haftungsumfangs bestehen. Dementsprechend wird heute im allgemeinen zwischen den Erfordernissen der haftungsbegründenden Kausalität und der haftungsausfüllenden Kausalität differenziert (vgl. Grunsky im Münchener Kommentar zum BGB, Vorbemerkungen vor § 249, Randnrn. 36 - 46).

In entsprechender Anwendung dieser Grundsätze ist zunächst erforderlich, daß zwischen der Amtshandlung der Behörde und den eingetretenen rechtswidrigen Folgen eine haftungsbegründende Kausalität besteht. Dieser haftungsrechtlich relevante Zusammenhang ist jedenfalls bei allen Folgen einer Amtshandlung gegeben, auf deren Eintritt sie - unmittelbar - gerichtet war. Darüber hinaus dürfte er auch bei allen weiteren Folgen vorhanden sein, die aufgrund der Amtshandlung unmittelbar eingetreten sind, sofern sie im Hinblick auf die Amtshandlung adäquat sind. Ob ein solcher Zusammenhang auch noch hinsichtlich nur mittelbar eingetretener adäquater Folgen (vgl. Erman, Komm. z. BGB, 7. Aufl., § 249 Randnr. 10; Palandt, Komm. z. BGB, 43. Aufl., Vorbem. v. § 249 Anm. 2 f und 5 d aa) zu bejahen ist, kann hier offenbleiben.

Außerdem muß noch eine haftungsausfüllende Kausalität gegeben sein. Bei ihr geht es um den Umfang der zuzurechnenden Folgen. Für diesen Haftungsumfang kommt es in erster Linie auf den Schutzzweck der haftungsbegründenden Norm an. Dieser Schutzzweck ist bei dem Folgenbeseitigungsanspruch dem Art. 20 Abs. 3 GG zu entnehmen. Er geht dahin, daß durch die Amtshandlung eingetretene Folgen, die mit Gesetz und Recht nicht im Einklang stehen, keinen Bestand haben sollen und folglich wieder zu beseitigen sind. Dies gilt uneingeschränkt hinsichtlich aller Folgen, auf die die Amtshandlung unmittelbar gerichtet war. Dagegen gebietet der Schutzzweck des Art. 20 Abs. 3 GG die Beseitigung sonstiger Folgen, auf deren Eintritt die Amtshandlung nicht unmittelbar gerichtet war, jedenfalls dann nicht, wenn sie erst durch ein Verhalten des Betroffenen - oder eines Dritten - verursacht oder mitverursacht worden sind, das auf dessen eigener Entschließung beruht.

Daraus ergibt sich, daß der Folgenbeseitigungsanspruch nicht diejenigen weiteren rechtswidrigen Folgen einer Amtshandlung erfaßt, die erst infolge eines Verhaltens des Betroffenen eingetreten sind, das auf seiner eigenen Entschließung beruht. Der Senat hält diese Einschränkung der Zurechenbarkeit der rechtswidrigen Folgen einer Amtshandlung für geboten, um dem Charakter des aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Folgenbeseitigungsanspruchs gerecht zu werden. Eine Ausdehnung des Folgenbeseitigungsanspruchs auf die vorgenannten Sachverhalte läßt sich schwerlich aus dieser Verfassungsnorm herleiten. Im Übrigen wird durch diese Begrenzung auch eine sonst nicht mehr eindämmbare Ausuferung des Folgenbeseitigungsanspruchs vermieden, die zugleich zu einer Verwischung der Abgrenzung zwischen diesem Anspruch und dem Schadensersatzanspruch aus § 839 BGB und Art. 34 GG führen würde. Aus allen diesen Gründen muß eine etwaige weitere Ausdehnung des Folgenbeseitigungsanspruchs dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.

(BVerwG, Urteil vom 19. Juli 1984 – 3 C 81/82 –, BVerwGE 69, 366-374, Rn. 32 - 38)

Dem schließt sich das Gericht an. Der Behandlungsbeginn vor einer Anerkennung der Notwendigkeit war nicht direkte Folge der rechtswidrigen Versagung der Anerkennung, sondern beruhte auf einen eigenen Entschluss des Klägers bzw. seines Sohnes, die Behandlung durchzuführen, ohne eine Entscheidung des Gerichtes abzuwarten.

Einen Anspruch auf die Anerkennung der Beihilfefähigkeit folgt jedoch aus der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht und den auch im öffentlich Recht geltenden Grundsätzen von Treu und Glauben. Der Kläger hatte vor Behandlungsbeginn einen Antrag auf Anerkennung der Behandlung gestellt. Dieser Antrag war zunächst in rechtswidriger Weise abgelehnt worden. Der Grundsatz von Treu und Glauben gebietet es deshalb, den Kläger so zu stellen, als wäre sein Antrag von Anfang an rechtmäßig beschieden worden.

Es war dem Sohn des Klägers nicht zumutbar, die Behandlung hinauszuschieben, bis das Klageverfahren rechtskräftig abgeschlossen war. Zahn- und Kieferfehlstellungen können die Funktionsfähigkeit und die Mundgesundheit gefährden. Schiefe Zähne oder eine fehlerhafte Kieferstellung können zu Überbelastungen einzelner Regionen führen und somit sowohl die Zähne selbst schädigen, als auch zu Problemen des Zahnhalteapparates, der Kieferknochen, des Kiefergelenks und der Kaumuskulatur führen. Kieferorthopädische Maßnahmen können diese Folgeschäden verringern oder ihnen vorbeugen. Zahnfehlstellungen können daneben in bestimmten Fällen außerdem die Mundhygiene erschweren und so die Bildung von Karies, Parodontitis und Mundgeruch fördern.

Wann genau eine kieferorthopädische Behandlung beginnen sollte, lässt sich zwar nicht allgemeingültig sagen; dies hängt von der individuellen Zahn- und Kieferstellung jedes einzelnen Patienten ab. Gesicherte medizinische Erkenntnis ist jedoch, dass eine derartige Behandlung möglichst bereits im Kindesalter starten sollte, da bei Erwachsenen das Kieferwachstum bereits abgeschlossen und die Gewebereaktion eingeschränkt ist. Der Sohn des Klägers war bei Beginn der Behandlung bereits in seinem 13. Lebensjahr. Das Abwarten eines möglicherweise sich über mehrere Instanzen und über Jahre hinziehenden Rechtsstreit hätte einen rechtzeitigen Behandlungsbeginn verzögert.

Unter diesen Gesichtspunkten würde die Anknüpfung an eine vorherige Zustimmung lediglich eine Förmelei bedeuten. Ihren Zweck, eine vorherige Prüfung der Notwendigkeit und Angemessenheit der Behandlung zu prüfen, kann die Vorschrift des § 9 Abs. 4 Satz 2 NBhVO nicht mehr erfüllen. Dies ist aber auch nicht erforderlich, weil hierzu bereits eine rechtskräftige Entscheidung des Gerichts ergangen ist.

Nach alledem war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.