Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 22.05.2019, Az.: 3 B 77/19
Abbruch; Abbruchgrund; ämtergleiche Besetzung; Auswahlverfahren; Bewerbungsverfahrensanspruch; Dokumentation der Abbruchgründe; Fortsetzung des Stellenbesetzungsverfahrens; Personalwirtschaftliche Gründe; Prüfungsmaßstab; Regelstreitwert; sachlicher Grund für Verfahrensabbruch; Stellenausschreibung; Stellenbesetzungsverfahren; Streitwert; vorläufiger Rechtsschutz
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 22.05.2019
- Aktenzeichen
- 3 B 77/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 69945
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 33 Abs 2 GG
- § 52 Abs 2 GKG
- § 53 Abs 2 Nr 1 GKG
- § 123 Abs 1 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Es kann einen sachlichen Grund darstellen, wenn ein öffentlich-rechtlicher Dienstherr ein nach den Grundsätzen der Bestenauslese begonnenes entscheidungsreifes Stellenbesetzungsverfahren abbricht, weil er die Stelle zwar weiterhin besetzen will, sich für ihn nach erfolgter Ausschreibung aber aus schriftlich dokumentierten unabweisbaren personalwirtschaftlichen Gesichtspunkten die nicht voraussehbare Notwendigkeit ergeben hat, die Stelle einem nicht an der Ausschreibung beteiligten Beamten oder Tarifbeschäftigten zu übertragen (hier verneint).
2. Bei der gerichtlichen Prüfung, ob die Gründe für den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens rechtlich Bestand haben, ist allein auf die in der Begründung angegebenen Erwägungen abzustellen. Ist das Stellenbesetzungsverfahren aus rechtlich nicht tragfähigen Erwägungen abgebrochen, bedarf es keiner gerichtlichen Prüfung, ob der Abbruch aus anderen Gründen hätte erfolgen können.
3. Für ein auf Fortführung eines Stellenbesetzungsverfahrens gerichtetes Eilverfahren nach § 123 VwGO eines Bewerbers, der sich aufgrund des Verfahrensabbruchs in seinen Rechten verletzt
sieht, ist als Streitwert der volle Regelstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG anzusetzen (im Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 10.12.2018 – 2 VR 4.18 –, juris Rn. 23).
Gründe
Der zulässige, insbesondere innerhalb der Monatsfrist nach Bekanntgabe der Abbruchentscheidung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.12.2018 - 2 VR 4.18 -; Urteil vom 03.12. 2014 - 2 A 3.13 -, beide juris) gestellte Antrag des Antragstellers,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, das im Januar 2019 abgebrochene, die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle „Waldpädagogik (mehrtägig) im WPZ …“ betreffende Stellenbesetzungsverfahren fortzusetzen,
ist begründet.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag und bereits vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Derjenige, der vorläufigen Rechtsschutz begehrt, muss gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft machen, dass ein Grund für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht (Anordnungsgrund) und dass ihm der geltend gemachte materiell-rechtliche Anspruch zusteht (Anordnungsanspruch). Maßgebend sind hierbei die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Anordnungsgrund ergibt sich aus dem Umstand, dass im Interesse der Rechtssicherheit umgehend zu klären ist, ob die betreffende Stelle doch in dem vom Dienstherrn abgebrochenen Auswahlverfahren zu vergeben ist oder ein weiteres Verfahren eingeleitet werden darf (BVerwG, aaO.; vgl. auch VG Berlin, Beschluss vom 24.01.2019 - 5 L 235.18 -, juris, Rn 10). Bei der vorliegenden Stellenbesetzung handelt es sich nicht um eine Bewerberkonkurrenz um eine ämtergleiche, also den Statusämtern der Konkurrenten entsprechende Dienstpostenvergabe, bei der mangels eines Bewerbungsverfahrensanspruchs entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO die Antragsbefugnis fehlen würde (vgl. von der Weiden, Anmerkung zu BVerwG, Beschluss vom 10.12.2018, juris PR-BVerwG 5/2019, Anm. 5 C). Denn ausweislich des Ausschreibungstextes sind bewerbungsberechtigt alle „Beamtinnen und Beamte der NLF in der Laufbahn der Fachrichtung agrar- und umweltbezogene Dienst, Laufbahngruppe 2, erstes Einstiegsamt…sowie die unbefristet Beschäftigten in entsprechender Tätigkeit“ ohne Rücksicht darauf, ob der ausgeschriebene Dienstposten für sie eine förderliche oder ämtergleiche Verwendung wäre oder gar eine Rückernennung aus einem höheren Amt bzw. eine Herabgruppierung aus einer höheren Entgeltgruppe erforderlich machen würde.
Ein Anordnungsanspruch besteht ebenfalls. Ein Stellenbesetzungsverfahren führt nur in drei Fällen zum Erlöschen des Bewerbungsverfahrensanspruchs (vgl. von der Weiden, aaO.; BVerwG, aaO.; OVG Rh-Pf, Beschluss vom 25.03.2019 - 2 B 10139/19 -, juris, Rn 30ff):
- wenn das Auswahlverfahren durch die rechtsbeständige Ernennung eines Mitbewerbers abgeschlossen ist, was vorliegend nicht der Fall ist,
- wenn sich das Auswahlverfahren erledigt hat, weil die ursprünglich beabsichtigte Ämtervergabe nicht mehr stattfinden soll, da die Planstelle nicht mehr zur Verfügung steht, sie durch eine Versetzung/Umsetzung besetzt wurde oder das Amt nicht mehr oder mit verändertem Zuschnitt vergeben werden soll. Auch dies ist nicht der Fall, weil die Besetzung des ausgeschriebenen Dienstpostens/Arbeitsplatzes im Zeitpunkt des Abbruchs im Januar 2019 zum 01.09.2019 unverändert erfolgen soll.
- wenn das Auswahlverfahren wirksam abgebrochen wird, weil der Dienstherr die Stelle zwar weiterhin vergeben will, aber infolge eines fehlerhaften Auswahlverfahrens oder zur Gewinnung weiterer leistungsstarker Bewerber eine erneute Ausschreibung für erforderlich hält. Auch dieser Fall liegt nicht vor, da eine Neuausschreibung nicht beabsichtigt ist.
Dabei kann im Ergebnis dahinstehen, ob hier ein Fall der Erledigung oder des Abbruchs vorliegt. Denn in beiden Fällen ist – unabhängig davon, ob der Prüfungsmaßstab das Willkürverbot oder Art. 33 Abs. 2 GG ist – ein sachlicher Grund erforderlich (vgl. OVG Rh-Pf, aaO., Rn 21f m.w.N.), der jedenfalls dann, wenn er sich nicht evident aus dem Vorgang selbst ergibt, schriftlich dokumentiert werden muss (ebenso Nds. OVG, Beschluss vom 17.05.2018 - 5 ME 41/18 -, juris, Rn 20; Hess. VGH, Beschluss vom 05.09.2017 - 1 B 998/17 -, juris, Rn 19; OVG NRW, Beschluss vom 26.04.2018 - 6 B 355/18 -, juris, Rn 18f). Denn die Bewerber werden grundsätzlich nur durch eine schriftliche Fixierung der wesentlichen Erwägungen in die Lage versetzt, etwa anhand von Akteneinsicht sachgerecht darüber befinden zu können, ob die Entscheidung des Dienstherrn ihren Bewerbungsverfahrensanspruch berührt und ob Rechtsschutz in Anspruch genommen werden sollte. Darüber hinaus eröffnet erst die Dokumentation des sachlichen Grundes dem Gericht die Möglichkeit, die Beweggründe für den Abbruch nachzuvollziehen.
Ein hinreichender sachlicher Grund für den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens ist nicht dokumentiert worden. Mit Vermerk vom 23.01.2019 hat die Betriebsleitung der Antragsgegnerin als Entscheidung der Leitungsrunde vom 21.01.2019 zwei Gründe für den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens festgehalten. Zum einen solle der Dienstposten einem Forstoberamtsrat, der mit seinen jetzigen Aufgaben überfordert sei, „in den nächsten Personalgesprächen als Alternative angeboten werden“. Aus dieser Begründung folgt, dass im Zeitpunkt der Abbruchentscheidung weder geklärt war, ob der Forstoberamtsrat überhaupt für waldpädagogische Aufgaben und die damit verbundenen Leitungstätigkeiten geeignet und zu einem Wechsel seines Dienstortes bereit wäre, noch war absehbar, ob er mit einer dauerhaften unterwertigen Tätigkeit bzw. einer Rückernennung um zwei Besoldungsgruppen einverstanden sein würde. Bevor nicht feststeht, dass der Forstoberamtsrat auf diesem Dienstposten dauerhaft eingesetzt werden kann, darf seinetwegen das Auswahlverfahren nicht beendet werden.
Zum anderen werde eine Tarifbeschäftigte zum Ende Juli 2019 aus der Elternzeit zurückkehren. „Ihr ist aus familiären Gründen ein wohnortnaher Einsatz im Raum G. zu ermöglichen“. Sie könne sich den Einsatz im WPZ gut vorstellen und sei als 2. Option nach dem Oberamtsrat vorgesehen. Auf Nachfragen des Gerichts hat die Antragsgegnerin dazu erläutert, dass diese Tarifbeschäftigte seit Anfang 2016 in der Entgeltgruppe E 11 eingruppiert war, in G. wohne, vor einer Erkrankung, dem Mutterschutz und der Elternzeit dem Forstamt R. angehörte und ihr für den Zeitraum vom 27.07.2019 bis zum 31.01.2020 eine Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 15,92 Wochenstunden bewilligt worden sei. Ab 01.02.2020 beabsichtige sie eine Teilzeitbeschäftigung von 50 %. Auch dieser Grund ist ungeeignet, einen Abbruch des Auswahlverfahrens zu begründen. Auf der angegebenen Grundlage ist zum einen nicht zu erkennen, auf welcher Rechtsgrundlage der von der Antragsgegnerin angenommene Anspruch der Tarifbeschäftigten auf einen wohnortnahen Einsatz beruhen sollte. Fürsorgegesichtspunkte dürften allenfalls im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen sein und nicht zu einer gebundenen Entscheidung verpflichten. Zum anderen würde im Widerspruch zu dem von der Betriebsleitung angenommenen Anspruch stehen, dass ein Einsatz des Oberamtsrats im WPZ vorrangig sein soll und angeblich kein anderer wohnortnaher Arbeitsplatz zur Verfügung stehe.
Im Übrigen widerspräche ein Einsatz dieser Tarifbeschäftigten im WPZ … den Ausschreibungsbedingungen, wonach aufgrund der dienstlichen Anforderungen eine Wohnungsnahme bis 20 km zum … (WPZ) erforderlich sei. Die Fahrstrecke von der gegenwärtigen Wohnung der Tarifbeschäftigten in G. bis zum …(WPZ) ist mehr als doppelt so lang und nach Kenntnis der Kammer von den örtlichen Verkehrsverhältnissen und –verbindungen auch unter günstigen Umständen kaum unter einer Dreiviertelstunde zu bewältigen. Wenn die Tarifbeschäftigte bei einem Einsatz im …(WPZ) jedoch ohnehin umziehen müsste, kann denknotwendig ihr bisheriger Wohnsitz nicht mehr relevant sein. Außerdem gehört zum zwingenden Anforderungsprofil des ausgeschriebenen Dienstpostens/Arbeitsplatzes „die Bereitschaft auch außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeiten Dienst zu leisten“. Ob eine Teilzeitbeschäftigung überhaupt möglich wäre, ist nach der Ausschreibung unklar, da eine Teilzeitregelung erst bei entsprechendem Interesse geprüft werde; weder ist zu erkennen, dass diese Prüfung vor der Abbruchentscheidung stattgefunden hätte, noch liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die vielfältigen Aufgaben im … (WPZ), die derzeit von einer Vollzeitstelle bearbeitet werden, auch und gerade in der Einarbeitungsphase mit weniger als 16 Wochenarbeitsstunden zu bewältigen sein könnten.
Demzufolge hat die Antragsgegnerin für ihre Abbruchentscheidung keinen sachlichen Grund dokumentiert, der einer Überprüfung auch nur ansatzweise standhält, so dass sie zur Fortsetzung des Auswahlverfahrens zu verpflichten ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG. Weil es sich nicht um eine Streitigkeit wegen der Besetzung einer Beförderungsstelle handelt, sondern lediglich die Weiterführung des Auswahlverfahrens begehrt wird, ist der nicht weiter zu kürzende Auffangstreitwert maßgeblich (BVerwG, Beschluss vom 10.12.2018, aaO, Rn 23).