Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 27.08.2008, Az.: L 3 KA 484/03

Klagegegenstand im Verfahren der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V); Aktivlegitimation der ehemals an einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis beteiligten Ärzte im sozialgerichtlichen Verfahren; Prüfungsumfang hinsichtlich der Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Verordnungen durch den Beschwerdeausschuss i.R.d. sog. strengen Einzelfallprüfung; Leistungspflicht der Krankenkassen ohne Empfehlung i.F.d. Verordnung einer sog. ASI-Therapie bei Karzinomerkrankungen; Möglichkeit des statistischen Nachweises der Wirksamkeit der ASI-Therapie mit Vakzinen von macropharm; Erforderlichkeit eines Verschuldens für die Verhängung eines Arzneiverordnungsregresses; Verhängung eines Regresses gegen einen ehemals an einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis beteiligten Arzt bzgl. eines nach Auflösung der Gemeinschaftspraxis liegenden Quartals

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
27.08.2008
Aktenzeichen
L 3 KA 484/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 22952
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2008:0827.L3KA484.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 02.12.2003 - AZ: S 24 KA 682/01
nachfolgend
BSG - 03.02.2010 - AZ: B 6 KA 37/08 R

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die Rechtmäßigkeit eines Arzneiverordnungsregresses ist dem Grund und der Höhe nach vollständig gerichtlich überprüfbar. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Behandlungsfälle einzelner Versicherter untersucht worden sind (sog. strenge Einzelfallprüfung). Beurteilungs- oder Ermessensspielräume der Prüfgremien kommen dann nicht in Betracht.

  2. 2.

    Grundsätzlich kommt die Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind, nicht in Betracht. Ein Arzt, der dennoch derartige Leistungen verordnet, ist in der Regel regresspflichtig. So verhält es sich auch bei der Vakzinierung nach der ASI-Methode (aktiv-spezifische Immunisierung).
    Im Übrigen kann eine derartige Leistungsverordnung nur bei ausreichender Dokumentation der umstrittenen Arzneimitteltherapie ausnahmsweise zur Leistungspflicht der Krankenkassen führen.

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers zu 2. wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 02. Dezember 2003 unter Zurückweisung der hiergegen gerichteten Berufung im Übrigen geändert und wie folgt neu gefasst:

"Der Bescheid des Beschwerdeausschusses vom 09. November 2002 wird aufgehoben, soweit dort ein Regress zu Lasten des Klägers für das Quartal IV/99 festgesetzt worden ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte hat die Kosten des Klägers zur Hälfte zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten."

Im Übrigen werden die Berufungen der Kläger gegen die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Hannover vom 18., 26. und 27. August 2003, 08. und 29. Oktober 2003 sowie vom 19. und 20. November 2003 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass erstinstanzliche Kosten nicht zu erstatten sind. Der Beklagte hat die Kosten des Klägers zu 2. im Berufungsverfahren zu 1/10 zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Regresses in Höhe von insgesamt 153.610,58 DM (entsprechend 78.539,84 EUR).

2

Die Kläger sind als Fachärzte für innere Medizin in F. niedergelassen und nehmen an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Bis einschließlich zum 3. Quartal 1999 waren sie in Gemeinschaftspraxis tätig; seit dem Quartal IV/99 praktizieren sie in Praxisgemeinschaft. In den Jahren 1998 und 1999 verordneten sie zu Lasten verschiedener Krankenkassen mehrfach autologe Tumorvakzine im Rahmen einer Therapie zur sog. aktiv-spezifischen Immunisierung (ASI) krebskranker Patienten. Dabei handelte es sich um Präparate, die aus körpereigenen Tumorzellen der Patienten gewonnen, von der - inzwischen nicht mehr existierenden - Herstellerfirma macropharm GmbH, Bad Schwartau, bearbeitet und anschließlich den Patienten injiziert wurden. Hierdurch sollte die Immunabwehr gestärkt und der Ausbreitung von Metastasen entgegengewirkt werden. Die Verordnungen erfolgten auf vertragsärztlichen Rezeptformularen und wurden bei Apotheken in F. eingelöst.

3

Im Einzelnen handelte es sich um folgende Verordnungen:

  1. Fall 1:

    Im Quartal II/98 verordnete die Gemeinschaftspraxis autologe Tumorvakzine für den bei der Beigeladenen zu 10. versicherten G.H ... Auf Antrag der Kasse setzte zunächst die zu 1. beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KV) - auf der Grundlage von § 12 Abs. 10 der im hier fraglichen Zeitraum in Niedersachsen geltenden "Vereinbarung zur Wirtschaftlichkeitsüberwachung nach § 106 SGB V" (PrüfV) vom 24. Juni 1996 - gegenüber der Gemeinschaftspraxis eine Regressforderung in Höhe von 16.228,12 DM fest. Die verordneten Tumorvakzine gälten nicht als wissenschaftlich allgemein anerkannt und seien deshalb gemäß Abschnitt D Nr. 13 der Arzneimittelrichtlinien nicht verordnungsfähig. Auf den hiergegen am 03. August 1999 eingelegten Widerspruch der Gemeinschaftspraxis bestätigte der bei der Bezirksstelle Göttingen der Beigeladenen zu 1. eingerichtete Prüfungsausschuss den Regress mit Bescheid vom 30. September 1999. Auch der hiergegen im Oktober eingelegte Widerspruch blieb erfolglos. Der Beschwerdeausschuss bei der Bezirksstelle Göttingen der Beigeladenen zu 1. wies zur Begründung auf die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. März 2000 (Az: B 1 KR 11/98 u.a.) hin, in denen der Kostenerstattungsanspruch mehrerer Patienten, die sich mit der ASI-Therapie hätten behandeln lassen, abgewiesen worden sei. Auch der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (nunmehr: Gemeinsamer Bundesausschuss) habe diese Therapie mit Beschluss vom 10. April 2000 den nicht anzuerkennenden Behandlungsmethoden zugeordnet. Gegen die am 29. November 2000 abgesandte Entscheidung des Beschwerdeausschusses haben die Kläger am 29. Dezember 2000 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben.

  2. Fall 2:

    Zu Lasten der Innungskrankenkasse (IKK) Herzberg (nunmehr aufgegangen in der zu 11. beigeladenen Kasse) verordnete die Gemeinschaftspraxis im 2. Quartal 1998 (am 15. Juni 1998) Tumorvakzine für den Versicherten I.J ... Die Beigeladene zu 1. regressierte mit Bescheid vom 28. Juli 1999 einen Betrag in Höhe von 15.832,25 DM. Auf den am 03. August 1999 eingelegten Widerspruch der Gemeinschaftspraxis bestätigte der Prüfungsausschuss die Regressfestsetzung mit Bescheid vom 30. September 1999. Der hiergegen am 20. Oktober 1999 eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid des Beschwerdeausschusses vom 16. Oktober 2000, abgesandt am 29. November 2000). Hiergegen haben die Kläger am 29. Dezember 2000 Klage vor dem SG Hannover erhoben.

  3. Fallkomplex 3:

    Im Quartal III/98 verordnete die Gemeinschaftspraxis das umstrittene Präparat für die Patienten K.L. (Verordnung vom 01. September 1998) und M.N. (Verordnung vom 08. September 1998), die bei der früheren AOK Aschaffenburg (jetzt: Beigeladene zu 9.) versichert waren. Die Beigeladene zu 1. setzte gegen die Gemeinschaftspraxis eine Regressforderung von 30.318,10 DM fest (Bescheid vom 29. März 1999). Der am 19. April 1999 eingegangene Widerspruch hiergegen bliebt ebenso erfolglos (Bescheid des Prüfungsausschusses vom 02. Juli 1999, abgesandt am 08. Juli 1999) wie der am 20. Juli 1999 eingegangene Widerspruch gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses (Bescheid des Beschwerdeausschusses vom 16. Oktober 2000, abgesandt am 29. November 2000). Auch hiergegen haben die Kläger am 29. Dezember 2000 Klage vor dem SG Hannover erhoben.

  4. Fallkomplex 4:

    Zu Lasten der Beigeladenen zu 2. stellte die Gemeinschaftspraxis im Quartal III/98 insgesamt vier Verordnungen aus, und zwar für die Versicherten O.P. (Verordnung vom 07. Juli 1998), Q.R. (Verordnungen vom 21. Juli und vom 21. August 1998) und S.T. (Verordnung vom 18. September 1998). Der Prüfungsausschuss setzte gegen die Kläger mit Bescheid vom 27. Juni 2000 eine entsprechende Schadensersatzforderung in Höhe von 45.731,96 DM fest. Auch der hiergegen - am 11. Juli 2000 - eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid des Beschwerdeausschusses vom 22. März 2001, abgesandt am 02. Mai 2001). Hiergegen haben der Kläger zu 1. am 16. Mai 2001 und der Kläger zu 2. am 25. Mai 2001 Klage vor dem SG Hannover erhoben.

  5. Fall 5:

    Unter dem 04. März 1999 (Quartal I/99) verordnete die Gemeinschaftspraxis eine Serie autologer Tumorvakzine für die bei der Beigeladenen zu 2. versicherte U.V ... Mit Bescheiden vom 10. Februar 2000 setzte die Beigeladene zu 1. den Klägern gegenüber jeweils eine Regressforderung von 15.160,05 DM fest. Hiergegen legten die Kläger am 21. Februar 2000 Widerspruch ein. Der Prüfungsausschuss bestätigte die Entscheidung mit Bescheid vom 27. März 2000; der am 18. April 2000 hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid des Beschwerdeausschusses vom 16. Oktober 2000, abgesandt am 29. November 2000). Hiergegen haben die Kläger am 29. Dezember 2000 Klage vor dem SG erhoben.

  6. Fall 6:

    Mit Rezept vom 10. Juni 1999 (Quartal II/99) verordnete die Gemeinschaftspraxis autologe Tumorvakzine zu Gunsten der bei der Beigeladenen zu 2. versicherten S.W ... Mit weiterem Rezept vom 07. Oktober 1999 (Quartal IV/99) stellte der Kläger zu 1. eine weitere Verordnung für diese Patientin aus. Mit Bescheiden vom 05. Juli 2000 setzte die Beklagte zu Lasten der Kläger für die Verordnung von Tumorvakzinen im 2. und 4. Quartal 1999 einen Regress von je 30.320,10 DM fest.

4

Nachdem die Kläger hiergegen am 03. August 2000 Widerspruch eingelegt hatten, setzte der Prüfungsausschuss gegen die Kläger eine Schadensersatzforderung in Höhe von 30.320,10 DM fest (Bescheid vom 27. September 2000). Der hiergegen am 25. Oktober 2000 eingelegte Widerspruch der Kläger blieb erfolglos (Bescheid des Beschwerdeausschusses vom 22. März 2001, zur Post gegeben am 02. Mai 2001). Hiergegen haben der Kläger zu 1. - am 16. Mai 2001 - und der Kläger zu 2. - am 25. Mai 2001 - jeweils Klage vor dem SG Hannover erhoben.

5

Zur Begründung ihrer Klagen haben die Kläger zunächst gerügt, den Bescheiden des Beschwerdeausschusses fehle die notwendige Begründung. Dieser hätte Ausführungen dazu machen müssen, wie die Frage der Wirksamkeit der ASI-Therapie aus Sicht der Klägerseite in den fraglichen Quartalen hätte beantwortet werden müssen. Allein mit Hinweisen auf den Beschluss des Bundesausschusses vom 10. April 2000 sei in Hinblick auf Behandlungen, die bereits vorher abgeschlossen worden seien, nichts gewonnen. Die Verordnungen seien nicht pflichtwidrig erfolgt, weil der Wirksamkeitsnachweis zur Zeit der streitgegenständlichen Behandlungen erbracht gewesen sei. Denn in vielen Ländern, darunter auch in den USA, gehöre die Therapie zur Schulmedizin; ihre Wirksamkeit bei Krebserkrankungen ergebe sich u.a. aus einer Studie des comprehensive cancer center Amsterdam. Außerdem habe ein ganz erheblicher Verbreitungsgrad der ASI-Therapie, auch im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung, bestanden. Aus der negativen Entscheidung des Bundesausschusses lasse sich weiterhin nicht entnehmen, ob der Wirksamkeitsnachweis erbracht worden sei. Da es im hier streitgegenständlichen Zeitraum Erkenntnisse zu Gunsten der Wirksamkeit gegeben habe, sei die damalige Untätigkeit des Bundesausschusses objektiv als Systemversagen zu werten. Den Klägern sei im Übrigen kein Verschulden anzulasten. Angesichts der damals noch ausstehenden Entscheidung des Bundesausschusses hätten diese im Verordnungszeitpunkt davon ausgehen müssen, dass ein Wirksamkeitsnachweis noch nicht verneint werden könne. Selbst wenn die Kläger vor dem Hintergrund, dass die Erbringung der ASI-Therapie als Kassenleistung im hier maßgeblichen Zeitraum höchstrichterlich noch nicht geklärt gewesen sei, im Rechtsirrtum gewesen seien, sei dies unvermeidbar gewesen. Denn sie hätten alle Erkenntnismöglichkeiten genutzt und Rechtsrat eingeholt.

6

Während der Klageverfahren hat der Beschwerdeausschuss mit Bescheiden vom 09. November 2002 erneut die Widersprüche der Kläger zurückgewiesen und die Festsetzung von Schadensersatzforderungen wiederholt. Zur Begründung hat er dargelegt, bei der ASI-Therapie handele es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, für die bis 1999 kein unzweifelhafter Wirksamkeitsnachweis erbracht worden sei; für die Zeit danach habe der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen die Therapie den nicht anzuerkennenden Methoden zugeordnet. Im Rahmen der nach § 106 Abs. 1 und 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) durchzuführenden Ermessensprüfung habe von der Durchführung einer Beratung abgesehen werden können, weil die seit 1992 bzw. seit 1997 vertragsärztlich tätigen Kläger ausreichend über das gesetzliche Wirtschaftlichkeitsgebot informiert worden seien. Nach dem Umständen des Einzelfalls könnten auch die gesamten Verordnungskosten als Schadensersatzforderung festgesetzt werden. Denn die Kläger seien auf Grund ihrer langjährigen Tätigkeit als niedergelassene Internisten darüber informiert gewesen, dass nur bei einer abschließenden positiven Beurteilung des Bundesausschusses neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden könnten. Auch in der Rechtsprechung der Sozialgerichte sei eine Kostenerstattung der Krankenkassen auf Antrag der Versicherten für ASI-Behandlungen überwiegend abgelehnt worden.

7

Die Kläger haben auch angesichts der neuen Bescheide an ihrer Auffassung festgehalten und ergänzend ausgeführt, der Vorrang einer Beratung sei vom Beschwerdeausschuss ermessensfehlerhaft verneint worden. Diesbezügliche Regeln für die statistische Wirtschaftlichkeitsprüfung seien in den vorliegenden Fällen nicht einschlägig, weil die Kläger erhebliche Schwierigkeiten gehabt hätten, ihre Entscheidungen zu treffen; es habe eine Konfliktsituation bestanden, weil sie andernfalls ihren Patienten eine Behandlung vorenthalten hätten, die durch Studien im Ausland anerkannt sei und beispielsweise in den USA zur Schulmedizin gehöre. Bei der Höhe der Regresse hätte der Beschwerdeausschuss berücksichtigen müssen, dass die Frage der Verordnungsfähigkeit sehr schwierig zu beantworten gewesen sei, zumal das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen in seiner Entscheidung vom 22. September 1999 - L 4 KR 14/96 - von einem Systemversagen in Hinblick auf die ASI-Therapie ausgegangen sei.

8

Das SG hat die Klagen in allen Fällen abgewiesen, den Beschwerdeausschuss aber verpflichtet, die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten (Fall 1: Gerichtsbescheid vom 26. August 2003, dem Kläger zu 1. zugestellt am 08. September 2003, dem Kläger zu 2. am 13. September 2003; Fall 2: Gerichtsbescheid vom 08. Oktober 2003, beiden Klägern zugestellt am 29. Oktober 2003; Fallkomplex 3: Gerichtsbescheid vom 18. August 2003, dem Kläger zu 2. zugestellt am 29. August 2003, dem Kläger zu 1. am 01. September 2003; Fallkomplex 4: Gerichtsbescheid betreffend die Klage des Klägers zu 1. vom 29. Oktober 2003, dem Kläger zu 1. zugestellt am 05. November 2003, Gerichtsbescheid betreffend die Klage des Klägers zu 2. vom 20. November 2003, diesem zugestellt am 27. November 2003; Fall 5: Gerichtsbescheid vom 27. August 2003, beiden Klägern zugestellt am 19. September 2003; Fall 6: Gerichtsbescheid betreffend die Klage des Klägers zu 1. vom 19. November 2003, diesem zugestellt am 27. November 2003, Gerichtsbescheid betreffend die Klage des Klägers zu 2. vom 02. Dezember 2003, diesem zugestellt am 24. Dezember 2003). Die angefochtenen Entscheidungen des Beschwerdeausschusses seien nicht zu beanstanden. Vor dem Hintergrund zu beachtender Beurteilungs- und Ermessensspielräume liege ihnen in einer Gesamtschau eine deutliche Darlegung der jeweiligen Prüfungsabschnitte, eine zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe und jetzt auch eine ausreichend begründete Ermessensausübung zu Grunde. Die ASI-Therapie könne als neue Behandlungsmethode nur dann in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen abgerechnet werden, wenn der Bundesausschuss zuvor Empfehlungen über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben habe. Eine derartige positive Empfehlung liege aber nicht vor, vielmehr sei die Anerkennung inzwischen im April 2000 ausdrücklich abgelehnt worden. Selbst wenn ein Systemversagen vorliege, müsse die Wirksamkeit der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen auf Grund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken belegt werden; ob entsprechende Statistiken im Zeitpunkt der Behandlung vorgelegen hätten, sei jedoch nicht ersichtlich. Auf sie könne auch nicht ausnahmsweise verzichtet werden, weil ein Wirksamkeitsnachweis wegen der Art oder des Verlaufs der Erkrankung oder wegen unzureichender wissenschaftlicher Erkenntnisse auf erhebliche Schwierigkeiten stoße. Bei der Festsetzung der Höhe des Kürzungsbetrages stehe den Prüfgremien ein Ermessensspielraum zu, bei dessen Gebrauch zu prüfen sei, ob den Klägern bei der objektiv fehlenden Verordnungsfähigkeit der Tumorzellvakzine ein Schuldvorwurf zu machen sei. Die Ermessenprüfung des Beschwerdeausschusses sei nicht zu beanstanden, wenn er bei seiner Abwägung der Umstände des Einzelfalls darauf abstelle, dass die Kläger in Ansehung der ihnen bekannten Rechtsprechung zu keinem Zeitpunkt davon ausgehen konnten, dass die Verordnungskosten von den Krankenkassen getragen würden. Der Beschwerdeausschuss habe jedoch die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten, weil er auf Grund der zunächst nicht dargelegten Ermessensausübung Anlass zur Klage gegeben habe.

9

Gegen diese Entscheidungen haben die Kläger jeweils Berufung eingelegt (Fall 1: Kläger zu 1. am 23. September 2003, Kläger zu 2. am 29. September 2003; Fall 2: Kläger zu 1. am 03., Kläger zu 2. am 04. November 2003; Fallkomplex 3: Kläger zu 1. am 23. September 2003, Kläger zu 2. am 28. September 2003; Fallkomplex 4: Kläger zu 1. am 13. November 2003, Kläger zu 2. am 29. November 2003; Fall 5: Kläger zu 2. am 28. September 2003, Kläger zu 1. am 13. Oktober 2003; Fall 6: Kläger zu 1. am 01. Dezember 2003, Kläger zu 2. am 07. Januar 2004). Die Berufungen, die nunmehr gegen den Beklagten als Rechtsnachfolger des früheren Beschwerdeausschusses geführt werden, sind vom Senat zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.

10

Zur Begründung ihrer Berufungen wiederholen die Kläger zunächst im Wesentlichen ihr Vorbringen aus der ersten Instanz. Zur Höhe der festgesetzten Regresse weisen sie vertiefend auf den Beschluss des erkennenden Senats vom 19. September 2001 - L 3 KA 63/01 R - hin, wonach den Prüfgremien in Hinblick auf die Haftung der Höhe nach ein Ermessensspielraum zustehe, bei dessen Wahrnehmung Gesichtspunkte wie die bei den Klägern bestehende Pflichtenkollision, das geringe Verschulden, die lange Untätigkeit des Bundesausschusses, das geringe materielle Eigeninteresse der Kläger an den Verordnungen und der Umstand zu berücksichtigen sei, dass den Krankenkassen in rechnerischer Hinsicht kein Schaden entstanden sei, da auch andere Therapien (u.U. sogar höhere) Kosten ausgelöst hätten. Die notwendige Auseinandersetzung mit allen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten gäben die floskelhaft formulierten Entscheidungen des Beschwerdeausschusses jedoch schon im Ansatz nicht wieder. Angesichts zahlreicher positiver Beurteilungen der ASI-Therapie hätten die Kläger gar nicht anders gekonnt, als die umstrittenen Verordnungen auszustellen. Hierzu gehörten mehrere zusprechende Urteile des SG Hildesheim und des LSG Niedersachsen, eine randomisierte Phase-III-Studie aus dem Jahr 1997, ein vom LSG Niedersachsen eingeholtes positives Gerichtsgutachten sowie Empfehlungen in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Onkologie e.V. und der Arbeitsgruppe Tumorvakzinierung der Deutschen Gesellschaft für Immunologie zur ASI-Therapie mit autologen Tumorvakzinen. Dass die Anwendung der ASI-Therapie seinerzeit gängige klinische Praxis war, ergebe sich auch aus zusprechenden Urteilen anderer Gerichte und aus Kostenübernahmeerklärungen verschiedener Krankenkassen sowie dem Umstand, dass mehrere Universitätskliniken und Lehrkrankenhäuser die Methode eingesetzt hätten. Im Übrigen sei das in § 135 SGB V vorgesehene Verfahren der Entscheidung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss verfassungsrechtlich fragwürdig. Zumindest lägen die Voraussetzungen vor, unter denen das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss vom 06. Dezember 2005 (1 BvR 347/98) eine ausnahmsweise gegebene Leistungspflicht der Krankenkassen für neue Behandlungsmethoden bejaht habe. Hierzu legen die Kläger Behandlungsunterlagen zu den in den vorliegenden Fällen therapierten Patienten vor, außerdem eine sachverständige Stellungnahme des Arztes Dr. X. zu den Patienten Y., N. und Z ... Dr. Neßelhut hat weiterhin medizinische Veröffentlichungen von Jocham u.a. (Februar 2004), Doehn u.a. (2002), Vermorken u.a. (1999) und Schirrmacher (1995) vorgelegt. Schließlich rügt der Kläger, dass die Antragsfrist nach § 24 Abs. 4 PrüfV nicht eingehalten worden sei, weil es an einem innerhalb der Frist gestellten begründeten Antrag gefehlt habe.

11

Der Kläger zu 1. und (sinngemäß) der Kläger zu 2. beantragen,

  1. 1.

    die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Hannover vom 18., 26. und 27. August, vom 08. und 29. Oktober, vom 19. und 20. November sowie vom 02. Dezember 2003 aufzuheben, 2. die Bescheide des Beschwerdeausschusses vom 09. November 2002 aufzuheben, hilfsweise: die Bescheide des Beschwerdeausschusses vom 09. November 2002 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über die dort festgesetzten Regresse unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

12

Der Beklagte beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

13

Die Kläger hätten erkennen können, dass sie gegen vertragsärztliche Pflichten verstießen, weil es im Verordnungszeitpunkt keinen Wirksamkeitsnachweis für die ASI-Therapie gegeben habe. Die Begründungen der Entscheidungen des Beschwerdeausschusses seien ausreichend gewesen und hätten sich auf die entsprechenden Einzelfälle bezogen. Im Übrigen stehe den Prüfgremien bei Arzneimittelregressen mit Einzelfallprüfungen kein Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum zu. Die Frage der demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses stelle sich auch auf Grundlage der Entscheidung des BVerfG vom 06. Dezember 2005 nicht. Die Anträge seien von den Kassen fristgemäß gestellt worden, weil eine fristgebundene Begründungspflicht nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht bestehe. Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise gegebene Leistungspflicht der Krankenkassen auf der Grundlage des Beschlusses des BVerfG vom 06. Dezember 2005 seien nicht dargelegt worden. Krebserkrankungen seien nicht in jedem Fall lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufend. Auch nach dem Vortrag der Kläger sei davon auszugehen, dass für die Patienten - mit Ausnahme der Patienten R. und AA.- eine (palliative) Standard-Therapie für das jeweilige Krankheitsstadium vorgelegen habe. Auch aus den nunmehr vorgelegten Studiendarstellungen ergebe sich nicht, dass eine auf Indizien gestützte und nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bejaht werden könne. Weiterhin fehlten Ausführungen zu den Risiken der ASI-Therapie und Protokolle über die Impfungen und den Therapieverlauf sowie ausführliche Risiko-Nutzen-Abwägungen der Kläger oder Einwilligungserklärungen der Patienten.

14

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag. Die Beigeladene zu 1. und die Beigeladene zu 9. sind Ausführungen des Beklagten beigetreten.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des ersten und zweiten Rechtszuges sowie auf die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16

Die Berufungen sind zulässig, aber in weit überwiegendem Umfang unbegründet. Lediglich die Berufung des Klägers zu 2. gegen den Gerichtsbescheid vom 02. Dezember 2003 hat insoweit Erfolg, als der ihn betreffende Regress für das 4. Quartal 1999 aufzuheben war. Im Übrigen sind die Entscheidungen des SG im Ergebnis nicht zu beanstanden.

17

Klagegegenstand (§ 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) in Verfahren, in denen die mit der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung betrauten Gremien entschieden haben, ist nach ständiger BSG-Rechtsprechung (vgl. z.B. SozR 3-5550 § 17 Nr. 2) lediglich der das Verwaltungsverfahren abschließende Bescheid des Beschwerdeausschusses, der den vorausgegangenen Bescheid des Prüfungsausschusses ersetzt (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 35). Demzufolge haben sich die Kläger zunächst gegen die Bescheide des Beschwerdeausschusses vom 16. Oktober 2000 und vom 22. März 2001 gerichtet. Diese sind im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens durch die nachfolgenden Bescheide vom 09. November 2002 ersetzt worden, auch ohne dass dies ausdrücklich verfügt worden ist. Denn der Beschwerdeausschuss hat damit nochmals eine vollständige, nunmehr in der Begründung erweiterte Prüfung und Entscheidung der geltend gemachten Schadensersatzforderungen vorgenommen, so dass in der Sache ein Zweitbescheid vorliegt, der den ursprünglichen Bescheid aufhebt (Kastner in: Hk-VerwR/VwVfG, § 51 Rdnr. 20). Diese Bescheide sind deshalb gemäß § 96 Abs. 1 SGG alleinige Klagegegenstände geworden. Die gegen sie gerichteten Klagen sind als isolierte Anfechtungsklagen bzw. - in Hinblick auf den Hilfsantrag - als Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs. 1 SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig.

18

1.

Die Klagen sind aber - mit Ausnahme der Klage des Klägers zu 2. gegen den das Quartal IV/99 betreffenden Regress - unbegründet. Der Beschwerdeausschuss hat zu Recht Schadensersatzansprüche gegen die Kläger festgesetzt.

19

Während die streitbefangene Verordnung für das Quartal IV/99 vom 07. Oktober 1999 allein vom Kläger zu 1. ausgestellt worden ist, handelt es sich bei den übrigen Verordnungen um solche der früheren, aus beiden Klägern bestehenden Gemeinschaftspraxis. Daraus entstehende Verbindlichkeiten sind zwar einerseits der entsprechenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zugewiesen, die hiergegen auch nach ihrer Auflösung klagen kann (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 31). Daneben besteht aber auch eine Haftung der früheren Gesellschafter als Gesamtschuldner, gegen die sich diese als Einzelkläger wenden können (BSG SozR 3-2500 § 82 Nr. 3); hieraus ergibt sich die Aktivlegitimation der Kläger, sich einzeln gegen die angefochtenen Bescheide zu wenden.

20

Rechtsgrundlage der festgesetzten Schadensersatzforderungen ist § 24 Abs. 1 der im hier fraglichen Zeitraum geltenden PrüfV vom 24. Juni 1996 (NdsÄBl 1996, 106ff.; ersetzt mit Wirkung vom 01. Januar 2004 durch die PrüfV vom 28. Juni 2005 (NdsÄBl 2005, 68ff.)). Danach haben die Prüfungseinrichtungen auf Antrag der Krankenkassen den "sonstigen Schaden" nach § 48 Abs. 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 44 Abs. 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä) festzustellen. Als "sonstigen Schaden" nennen die in Bezug genommenen bundesmantelvertraglichen Vorschriften in erster Linie den Schaden, der den Kassen aus der unzulässigen Verordnung von Leistungen entstanden ist, die aus der gesetzlichen Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind. Wie das BSG näher ausgeführt hat (SozR 3-2500 § 106 Nr. 52), handelt es sich hierbei aber nicht um "sonstige Schäden" im Sinne der bisherigen BSG-Rechtsprechung, die dadurch gekennzeichnet sind, dass ein bestimmtes ärztliches Verhalten Folgekosten der Kasse ausgelöst hat und bei denen eine schuldhafte Pflichtverletzung des Vertragsarztes erforderlich ist. Vielmehr liegt insoweit eine eigenständige Regressform vor (im Folgenden: Arzneiverordnungsregress), bei der der auszugleichende Schaden demjenigen entspricht, der durch eine unwirtschaftliche Verordnungsweise im Sinne von § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V entstanden ist. Da auch die rechtlich nicht zulässige Verordnung unwirtschaftlich im Sinne des § 106 SGB V ist, hat das BSG a.a.O. die Übertragung der entsprechenden Prüfungskompetenz an die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung als rechtmäßig angesehen.

21

Ob der Beschwerdeausschuss Verordnungen zu Recht als unzulässig angesehen und deshalb einen bestimmten Regressbetrag festgesetzt hat, ist von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen. Dies gilt jedenfalls in den Fällen, in denen - wie hier - die Behandlungsfälle einzelner Versicherter untersucht worden sind (sog. strenge Einzelfallprüfung). Anders als das SG und die Kläger meinen, verfügen die Prüfgremien insoweit weder über Beurteilungs- noch über Ermessensspielräume.

22

Die Einräumung entsprechender Freiräume, die eine eingeschränkte Prüfkompetenz der Gerichte zur Folge haben (vgl. zum Beurteilungsspielraum z.B. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 25 m.w.N.; zum Ermessen § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG), gründet auf der Rechtsprechung des BSG, die vor dem Hintergrund einer nur rudimentären Regelung der Wirtschaftlichkeitsprüfung in der früheren Reichsversicherungsordnung (RVO, vgl. dort § 368 n. Abs. 5) für deren rechtliche Ausgestaltung maßgebend gewesen ist. Dabei ist - soweit ersichtlich - erstmals in einer Entscheidung vom 27. November 1959 (BSGE 11, 102, 117f.) ein "Beurteilungs- oder Ermessensspielraum" der Verwaltung eingeführt worden. Erst in späteren Entscheidungen (vgl. zur Entwicklung: Baader, SGb 1986, 309ff.) ist zwischen beiden Instituten unterschieden worden, wobei z.B. in BSGE 17, 79, 84 das Ermessen bei der Festsetzung der Honorarkürzung aus dem Beurteilungsspielraum abgeleitet worden ist. Grund für die Einräumung dieser Freiräume war die Annahme, dass die zulässige Höhe der Honorarforderung bei einer statistischen Prüfung auf der Schätzung eines sachkundigen Gremiums beruht und bei ähnlichen Verwaltungsentscheidungen auch vom Bundesverwaltungsgericht ein "gerichtsfreier Beurteilungsspielraum" der Verwaltung anerkannt sei (BSGE 11, 102, 117 f.). Dagegen hat das BSG bereits in seiner Entscheidung vom 27. November 1959 a.a.O. klargestellt, dass bei der Prüfung der Notwendigkeit oder Wirtschaftlichkeit einzelner bestimmter Leistungen die "Tat-und Rechtsfrage" durch die Gerichte in vollem Umfang nachzuprüfen sei, ohne dass die gerichtliche Entscheidungsbefugnis durch einen Beurteilungs- oder Ermessensspielraum der Verwaltung eingeschränkt sei. Hiervon ist das BSG auch später nicht abgewichen (vgl. z.B. die ausdrückliche Beschränkung des Beurteilungs- und Ermessensspielraums auf die Methode der statistischen Vergleichsprüfung im Urteil vom 01. Oktober 1990 - 6 RKa 32/89 - [...]), auch wenn es in einer Einzelentscheidung (SozR 3-5550 § 17 Nr. 2) offen gelassen hat, ob den Prüfgremien auch bei einer strengen Einzelfallprüfung ein Beurteilungsspielraum zukommt. Insbesondere in den jüngsten Entscheidungen zum Arzneiverordnungsregress ist das BSG von einer vollständigen Prüfung der Rechtmäßigkeit des Regresses dem Grund und der Höhe nach ausgegangen (vgl. Urteil vom 27. Juni 2007 - B 6 KA 44/06 R - [...]; SozR 4-2500 § 106 Nr. 6).

23

Nur dies lässt sich im Übrigen mit § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V in Übereinstimmung bringen, wonach Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, von den Versicherten nicht beansprucht werden können, von den Leistungserbringern nicht bewirkt und den Krankenkassen nicht bewilligt werden dürfen. Dem strikten Anwendungsbefehl dieser Vorschrift stünde es entgegen, wenn den Gerichten eine vollständige Prüfung der Wirtschaftlichkeit der einzelnen Leistung verwehrt wäre oder die Kassen - als Folge einer Ermessensprüfung - die Kosten der Leistung ganz oder teilweise tragen müssten, obwohl deren Unwirtschaftlichkeit fest- steht. Nur bei der Prüfung einer Vielzahl von Fällen mit den vor allem aus den Unschärfen statistischer Methoden herrührenden Unwägbarkeiten ist die Einräumung von Beurteilungs- bzw. Ermessensspielräumen gerechtfertigt.

24

Etwas anderes kann schließlich auch nicht aus § 106 Abs. 5 Satz 1 und 2 SGB V abgeleitet werden. Danach entscheidet der Prüfungsausschuss auf Antrag, ob der Vertragsarzt gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind, wobei gezielte Beratungen weiteren Maßnahmen in der Regel voran gehen sollen. Hierin kann zwar nunmehr auch eine gesetzliche Grundlage insbesondere für den o. a. Ermessensspielraum der Prüfgremien bei statistischen Prüfungen gesehen werden. Der Vorschrift ist aber nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber hiermit die bisherige, auf der BSG-Rechtsprechung gründende Praxis ändern wollte, die Sach- und Rechtslage bei Einzelfallprüfungen vollständig zu untersuchen. Vielmehr hat der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung, auf dessen Vorschlag die Gesetz gewordene Fassung des § 106 SGB V beruht, zur Begründung des § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V ausdrücklich darauf hingewiesen, dass mit der dort geregelten Zulassung anderer arztbezogener Prüfungsarten - also auch der strengen Einzelfallprüfung - erreicht werden sollte, dass an der bisherigen Praxis nichts geändert wird (BT-Drs. 11/3480, S. 60 zu § 114 SGB V des Entwurfs des Gesundheitsreformgesetzes (GRG)). Im Übrigen ist auch hier auf § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V hinzuweisen. Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber diese Vorschrift im Rahmen des § 106 SGB V relativieren wollte (vgl. in diesem Sinne bereits BSG NZS 1997, 135, 136).

25

Nach alledem hält der Senat nach eingehender Prüfung nicht an seiner im Eilverfahren L 3 KA 63/01 ER mit Beschluss vom 19. September 2001 geäußerten Auffassung fest, auch bei Arzneiverordnungsregressen der vorliegenden Art stehe den Prüfgremien ein Ermessensspielraum zu. Er folgt vielmehr dem Ergebnis des LSG Nordrhein-Westfalen, das bei entsprechenden Regressen ebenfalls die Notwendigkeit von Ermessenserwägungen verneint hat (Urteil vom 14. November 2007 - L 11 KA 36/07 - [...]; Revision anhängig unter dem Aktenzeichen: B 6 KA 63/07 R).

26

Die demnach unbeschränkte Überprüfung der Regressbescheide ergibt, dass diese in Hinblick auf die Verordnungen der früheren Gemeinschaftspraxis rechtmäßig sind.

27

Die Kläger können sich nicht auf den Ablauf der Frist des § 24 Abs. 5 PrüfV berufen. Danach muss der begründete Antrag auf Festsetzung eines sonstigen Schadens bei der Geschäftsstelle der Prüfungseinrichtungen innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen eingegangen sein, welche Veranlassung für den Antrag gegeben haben. Soweit sie ein Begründungserfordernis aufstellt, ist diese Vorschrift schon wegen der Verletzung höherrangigen Rechts unwirksam, weil § 106 Abs. 3 Satz 1 SGB V den Gesamtsvertragsparteien keine Befugnis zur Vereinbarung zusätzlicher Formvorschriften in Bezug auf die Antragstellung einräumt (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 53).

28

Im Übrigen haben Fristsetzungen der vorliegenden Art nach ständiger BSG-Rechtsprechung (SozR 3-2500 § 106 Nr. 28; Urteil vom 20. September 1995 - 6 RKa 63/94 - [...]) lediglich verfahrensrechtliche Bedeutung im Verhältnis zwischen (hier:) Krankenkassen und Prüfgremien. Sie bezwecken weder direkt noch indirekt den Schutz des geprüften Arztes (BSG a.a.O.), so dass dieser sich auf den Ablauf einer gesamtvertraglich geregelten Antragsfrist nicht berufen kann (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 4). Unabhängig hiervon sind die Antragsfristen durch die betroffenen Kassen auch gewahrt worden. Dies ergibt sich in den Fällen 2 und 5 sowie im Fallkomplex 3 daraus, dass die Anträge schon vor Ablauf eines Jahres nach Ausstellung der streitbefangenen Verordnungen eingegangen sind (am 12. Juli 1999, am 13. Januar 2000 und am 24. März 1999). Das gleiche gilt für den Fallkomplex 4 in Hinblick auf die Verordnungen vom 21. August und vom 18. September 1998 (Eingang des Antrags: 05. August 1999) und in Hinblick auf den Fall 6 in Hinblick auf die Verordnung des Klägers zu 1. vom 07. Oktober 1999 (Eingang des Antrags: 03. Juli 2000). Hinsichtlich der übrigen Fälle bzw. Verordnungen war ein vom Verordnungszeitpunkt aus gerechneter Jahreszeitraum beim Antragseingang zwar schon geringfügig überschritten (vgl. z.B. Eingang des Prüfantrags im Fall 1: 20. Juli 1999). § 24 Abs. 5 Satz 1 PrüfV stellt für den Beginn der Antragsfrist aber auf den Zeitpunkt der Kenntnis der den Antrag veranlassenden Tatsachen ab, wobei - entsprechend der Rechtsprechung zu § 45 Abs. 4 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), vgl. BSGE 77, 295, 298 [BSG 08.02.1996 - 13 RJ 35/94] - auf die Kenntnis des zuständigen Sachbearbeiters abzustellen ist. In Hinblick darauf, dass die Verordnungen zunächst eingelöst, von Apotheke und Apothekenrechenzentrum abgerechnet und sodann den bei den Kassen zuständigen Personen vorgelegt werden müssen, hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die hier fragliche Jahresfrist jeweils eingehalten worden ist.

29

Die Festsetzung der Regresse ist auch inhaltlich rechtmäßig.

30

a)

Die Kläger haben im Sinne der §§ 48 Abs. 1 BMV-Ä, 44 Abs. 1 EKV-Ä Leistungen verordnet, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind. Der Ausschluss folgt vorliegend aus § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V (in der Fassung des 2. GKV-Neuordnungsgesetzes vom 23. Juni 1997), wonach neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden dürfen, wenn die Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen auf Antrag in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung abgegeben haben. Wie das BSG bereits entschieden hat (grundlegend: SozR 3-2500 § 135 Nr. 14), handelt es sich bei der ASI-Therapie um eine derartige neue Behandlungsmethode. Die hierzu benötigten Tumorvakzine hätten deshalb im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erst von dem Zeitpunkt an verordnet werden dürfen, in denen der (jetzt: Gemeinsame) Bundesausschuss zu dieser Methode entsprechende Empfehlungen in den Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB-RL) bzw. - später - der Richtlinie zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB-RL) bzw. - nunmehr - der Richtlinie zu den Methoden in der vertragsärztlichen Versorgung (Method-RL) abgibt. Bis zu diesem Zeitpunkt ist eine Verordnung zu Lasten der Krankenkassen - entsprechend dem Charakter des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7) - ausgeschlossen. Eine Empfehlung über die Anerkennung des therapeutischen Nutzens der ASI-Therapie hat der Bundesausschuss jedoch nicht abgegeben. Vielmehr hat er die ASI-Therapie mit Beschluss vom 10. April 2000 ausdrücklich den nicht anerkannten Methoden zugeordnet (vgl. nunmehr Nr. 29 in Anlage II Method-RL).

31

In den hier umstrittenen Behandlungsfällen haben auch nicht die Voraussetzungen dafür vorgelegen, dass ausnahmsweise eine Leistungspflicht der Krankenkassen ohne Empfehlung nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V gegeben war.

32

(1)

Zunächst lagen keine Fälle einzigartiger Krankheiten vor, die so selten sind, dass die systematische Anwendung einer bestimmten Therapiemethode - wie in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V vorausgesetzt - nicht in Betracht kam (vgl. hierzu: BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 1). Die von den Klägern behandelten Versicherten litten jeweils an (teilweise metastasierenden) Karzinomerkrankungen (Fall 1: Sigmakarzinom; Fall 2: Colon- bzw. Coecumkarzinom; Fallkomplex 3: Patienten L. und N. jeweils mit Nierenkarzinom; Fallkomplex 4: Patient P. mit Rektumkarzinom, Patient R. mit Osteosarkom und Patientin T. mit Sigmakarzinom; Fall 5: Osteosarkom und Fall 6 - wiederum Patientin T.-Sigmakarzinom). Dass es sich hierbei um außergewöhnlich seltene Erkrankungen handelt, ist nicht anzunehmen. Dies wird auch von den Klägern nicht geltend gemacht; vielmehr berufen sie sich mit ihrem Vorbringen, die ASI-Therapie sei ein hinlänglich Erfolg versprechendes Verfahren, gerade darauf, diese als Methode zur Behandlung verschiedener Karzinomerkrankungen eingesetzt zu haben.

33

(2)

Eine Leistungspflicht der Krankenkassen ergibt sich auch nicht unter Zugrundelegung einer verfassungskonformen Auslegung der §§ 12, 27, 135 SGB V nach Maßgabe des Beschlusses des BVerfG vom 06. Dezember 2005 (SozR 4-2500 § 27 Nr. 5). Nach diesem Beschluss verstößt es gegen das Grundgesetz, wenn eine neue ärztliche Behandlungsmethode unter Hinweis auf die fehlende Anerkennung gemäß § 135 Abs. 1 SGB V nicht als Kassenleistung gewährt wird, obwohl eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit vorliegt, bezüglich derer eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, und wenn hinsichtlich der Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Das BSG hat sich mittlerweile dieser Rechtsprechung angeschlossen und die angeführten Voraussetzungen für die Anwendung in Fällen von Arzneimitteltherapien konkretisiert (BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 4). Dabei hat es auch die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten hervorgehoben, die den Leistungsansprüchen Versicherter selbst in Fällen regelmäßig tödlich verlaufender Krankheiten Grenzen setzten. Hierzu gehöre auch, dass weiterhin institutionelle Sicherungen beachtet werden müssten, die der Gesetzgeber im Interesse des Gesundheitsschutzes der Versicherten und der Gesamtbevölkerung errichtet habe. Deshalb setze ein Leistungsanspruch des Versicherten nach der BVerfG-Rechtsprechung - u.a. - auch voraus, dass nicht nur nach einer abstrakten, sondern auch nach einer speziell auf den Versicherten bezogenen konkreten Analyse der voraussichtliche Nutzen der Therapie die Risiken überwiege und die Behandlung im Übrigen den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt und ausreichend dokumentiert werde. Dabei hat das BSG in einer späteren Entscheidung (SozR 4-2500 § 27 Nr. 12) ergänzend ausgeführt, dass zu den Regeln der ärztlichen Kunst auch gehören könne, bei Heilversuchen die vorherige Anhörung der zuständigen Ethikkommission entsprechend der Deklaration von Helsinki einzuholen.

34

Diese Voraussetzungen sind in den hier umstrittenen Behandlungsfällen nicht erfüllt gewesen. Allerdings ergibt sich aus den von den Klägern vorgelegten Behandlungsunterlagen, dass die acht Patienten, die diese 1998/99 behandelt haben, jeweils an (mit Ausnahme des Patienten Dinges) metastasierenden bzw. rezidivierenden Karzinomerkrankungen mit infauster Prognose litten. Demzufolge ist die Vakzinierung nach das ASI-Methode nur adjuvant eingesetzt worden, um die Lebensdauer der Erkrankten zu verlängern. Warum eine vergleichbare Lebensverlängerung nicht mehr mit allgemein anerkannten medizinischen Standardmaßnahmen möglich oder zumutbar war, ist von den Klägern aber nicht ausreichend dargelegt worden. Sie haben in den im Berufungsverfahren vorgelegten Behandlungsunterlagen lediglich behauptet, eine adäquate schulmedizinische Behandlung (z.B. Chemo- oder Strahlentherapie) sei nicht mehr möglich gewesen bzw. nicht durchgeführt worden, ohne hierfür verwertbare Gründe oder Anhaltspunkte zu nennen. Warum es aus Sicht der Kläger zum Einsatz der ASI-Therapie kommen musste, ist insbesondere bei den Patienten AB. und T. nicht nachvollziehbar, weil in diesen Behandlungsfällen gleichzeitig eine Chemotherapie durchgeführt wurde, bei Frau T. später auch eine nuklearmedizinische Antikörpertherapie (vgl. Bericht der Universitätsklinik Göttingen für Allgemeinchirurgie vom 20. November 2000).

35

Weiterhin liegen auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die in den vorliegenden Behandlungsfällen durchgeführte ASI-Therapie mit einer auf Indizien gestützten, nicht ganz fern liegenden Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verbunden war. Ausreichend sind angesichts des vorhersehbar tödlichen Verlaufs der hier diagnostizierten Krankheiten erhebliche ernsthafte Hinweise auf einen individuellen Wirkungszusammenhang (BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 4). Dabei ist vorliegend von ausschlaggebender Bedeutung, dass es sich bei den im Rahmen der ASI-Therapie eingesetzten Vakzine nicht um standardisierte Fertigarzneimittel, sondern um speziell für die jeweiligen Versicherten hergestellte Rezepturarzneimittel handelt (BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 14). Wie sich insbesondere aus den in den Verwaltungsakten vorliegenden Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Bayern und Niedersachsen vom 12. Februar 1997 bzw. vom 15. Februar 1999 - Dr. AC. und AD.- ergibt, unterscheiden sich die im Rahmen der ASI-Therapie verwandten Vakzine aber erheblich nach den verschiedenen Herstellern, die die von den Patienten gewonnenen körpereigenen Präparate in unterschiedlicher Weise bearbeiten. Da die hier problematischen Behandlungsfälle mit Vakzinen der Firma macropharm therapiert worden sind, könnte eine mögliche Wirksamkeit der ASI-Therapie auch nur unter Rückgriff auf Erfahrungen oder wissenschaftliche Beiträge belegt werden, die sich auf die Anwendung von derartigen Vakzinen stützen.

36

Aus diesem Grund kann es nicht überzeugen, wenn sich die Kläger zur Begründung ihrer Klagen im Wesentlichen auf die 1999 veröffentliche, in den Niederlanden durchgeführte randomisierte Phase III-Studie von Vermorken u.a. berufen, als deren Ergebnis von einer nach ASI-Einsatz verringerten Tumorrate bei an Darmkrebs erkrankten Patienten berichtet worden ist. Denn die bei dieser Studie eingesetzten Vakzine waren aus bestrahlten Tumorzellen gewonnen worden, wobei in dem von den Klägern vorgelegten Artikel in der Ärzte-Zeitung vom 09. Februar 1999 ausgeführt wird, dass die für den Erfolg erforderliche einheitliche Vakzinezubereitung in den USA bzw. in Amsterdam erfolgt sei. Eine Bestrahlung mit dem Ziel der Inaktivierung der Tumorzellen wird in Deutschland aber nur noch innerhalb von Studien angewandt, wie die MDK Bayern und Niedersachsen in ihren Gutachten unter Hinweis auf eine entsprechende Entscheidung des Landgerichts Hamburg dargelegt haben. Auch die weiteren wissenschaftlichen Stellungnahmen, die die Kläger auszugsweise vorgelegt haben (von Doehn, Wunderlich, Schirrmacher, Hoover), sagen nichts über die Wirksamkeit von Autovakzinen der Firma macropharm aus, sondern enthalten allgemeine Ausführungen über den Therapie-Ansatz der ASI. Der MDK Bayern berichtet in seinem Gutachten vom 12. Februar 1997 zwar selbst von drei Gutachten zur Wirksamkeit der ASI-Therapie mit Autovakzinen der Firma macropharm, weist aber darauf hin, dass dort lediglich Thesen vorgetragen worden seien. Die Kläger selbst berufen sich nicht auf diese Gutachten. Auf die methodischen Unzulänglichkeiten einer weiteren - von der Firma macropharm veröffentlichten - Studie von Repmann hat bereits das LSG Sachsen-Anhalt in seiner Entscheidung vom 06. Mai 1998 (L 4 KR 11/97) und ihm nachfolgend das BSG (SozR 3-2500 § 135 Nr. 14) verwiesen. Eine erst Anfang 1997 begonnene klinische Phase-III-Studie in Lübeck (vgl. hierzu LSG Sachsen-Anhalt a.a.O.), auf die sich offensichtlich der von Dr. Neßelhut vorgelegte Artikel von Jocham u.a. vom Februar 2004 bezieht, war auf fünf Jahre angelegt und konnte deshalb für den hier fraglichen Verordnungszeitraum noch nicht relevant sein.

37

Schließlich fehlt es auch an der vom BSG geforderten ausreichenden Dokumentation der umstrittenen Arzneimitteltherapie. Die Kläger haben lediglich nachträglich gefertigte kurze Zusammenfassungen der Behandlungsfälle vorgelegt, bei den Patienten V., T. und AE. ergänzt durch Krankenhausberichte, die über den Verlauf der ASI-Behandlung aber keine Aussage treffen. In diesen Zusammenfassungen haben sie sich auf eine kurze Schilderung der Vorgeschichte der jeweiligen Therapieentscheidung zu Gunsten der ASI-Therapie und die Mitteilung des späteren Todes der Patienten beschränkt. Wie die Therapie im einzelnen verlaufen ist, ist nicht dokumentiert. Dabei ist hervorzuheben, dass die Kläger ihren Berichten zufolge (zumindest) in den Fällen der Patienten P. und AA. noch nicht einmal die verantwortlichen Behandler gewesen sind, weil die ASI-Therapie offensichtlich von dem Arzt Dr. X. initiiert und fortgeführt worden ist.

38

Liegen nach alledem bereits drei der vom BSG geforderten Voraussetzungen für eine nach der BVerfG-Entscheidung vom 06. Dezember 2005 ausnahmsweise anzunehmende Leistungspflicht der Krankenkassen nicht vor, kann offenbleiben, ob der Einsatz von macropharm-Vakzinen im Widerspruch zur Deklaration von Helsinki bzw. hierauf gestützten berufsrechtlichen Pflichten der behandelnden Ärzte stand. Hieran bestehen allerdings Zweifel, wenn man mit dem MDK-Gutachten von Dr. Burkhard (S. 17) davon ausgeht, dass es sich bei dem Einsatz von macropharm-Vakzinen in der zweiten Hälfte der 90er Jahre um ein Massenexperiment gehandelt hat, worauf auch die zahlreichen hierzu ergangenen Gerichtsentscheidungen hindeuten, die von den Beteiligten zitiert worden sind.

39

(3)

Die Kläger können sich zur Abwehr der Regresse schließlich auch nicht auf ein sogenanntes Systemversagen berufen, das das BSG (SozR 3-2500 § 135 Nr. 14) wegen der möglicherweise verspäteten Entscheidung des Bundesausschusses zur ASI-Therapie (erst) im Jahr 2000 als möglich angesehen hat. Denn ein derartiges Systemversagen begründet eine Leistungspflicht der Krankenkassen allenfalls dann, wenn die Wirksamkeit der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode im Behandlungszeitpunkt bereits in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen auf Grund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken belegt ist (BSG a.a.O.). Nur ausnahmsweise, wenn ein Wirksamkeitsnachweis wegen der Art oder des Verlauf der Erkrankungen oder wegen unzureichender wissenschaftlicher Erkenntnisse auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, darf danach darauf abgestellt werden, ob sich die in Anspruch genommene Therapie in der medizinischen Praxis durchgesetzt hat. Hierbei handelt es sich um Erkrankungen, bei denen Entstehung und Verlauf ungeklärt sind, die sich nicht gezielt beeinflussen lassen und bei denen auch Ansätze einer symptomatischen Behandlung nur eine vorübergehende und begrenzt objektivierbare Wirkung entfalten (BSG a.a.O. n.w.N.) Wie das BSG a.a.O. dargelegt hat, ist eine derartige Situation bei Nierenkrebs - an dem die Patienten L. und N. erkrankt waren - angesichts einer jährlichen Neuerkrankungsrate von 11.000 bis 12.000 im Bundesgebiet nicht gegeben. Nichts anderes kann für Darmkrebs gelten, der bei den Patienten J., Z., AE. und T. vorgelegen hat, und an dem jährlich etwa 73.000 Personen in Deutschland neu erkranken (vgl. GEKD/Robert-Koch-Institut (Hrsg), Krebs in Deutschland, Häufigkeiten und Trends 2003 bis 2004, Seite 34).

40

Der in den Fällen der genannten Patienten somit zu fordernde statistische Nachweis der Wirksamkeit der ASI-Therapie mit Vakzinen von macropharm kann aber nicht erbracht werden. Wie bereits dargelegt, haben in den Jahren 1998 und 1999 noch nicht einmal Indizien vorgelegen, die für eine nicht ganz fern liegende spürbare positive Einwirkung dieser Therapie auf den Krankheitsverlauf sprechen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Bundesausschuss bereits kurz nach den hier fraglichen Behandlungszeiträumen mit Beschluss vom 11. April 2000 festgestellt hat, dass ein hinreichender Nachweis für Wirksamkeit, Nutzen und Risiken der ASI-Therapie nicht erbracht ist. Da dem die Erstellung eines Überblicks über die medizinische Literatur und die Meinung der einschlägigen Fachkreise zu Grunde liegt (BSG SozR 4-2500 § 135 Nr. 1), kann hieraus auch auf die kurz vorher bestehende Erkenntnislage geschlossen werden. Schließlich hat auch das BSG in seiner ASI-Entscheidung vom 28. März 2000 (SozR 3-2500 § 135 Nr. 14) ausgeführt, dass von der therapeutischen Zweckmäßigkeit dieser Therapie nicht ausgegangen werden könne, solange die Phase-III-Studie an der Universität Lübeck oder andere vergleichbare Untersuchungen nicht abgeschlossen seien.

41

Beim Osteosarkom, das bei den Patienten Chudzinski und Schwedhelm behandelt worden ist, handelt es sich zwar um eine seltenere Krebserkrankung (nach Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft e. V.: jährlich 2 bis 3 Neuerkrankungen je 1.000.000 Einwohner, vgl. www.krebsgesellschaft.de/knochenkrebs,30235.html). Selbst wenn man aus diesem Grund darauf abstellen würde, ob sich die ASI-Therapie zur Behandlung dieses Leidens durchgesetzt hat, wirkt sich dies aber nicht zu Gunsten der Kläger aus; denn ein derartiger Nachweis ist nicht zu erbringen. Die Kläger selbst berufen sich jeweils nur auf Veröffentlichungen, die die Behandlung von Darm- oder Nierenkrebs betreffen. In den MDK-Gutachten von Dr. AC. und AD. werden als derzeitige Hauptindikationen der ASI-Behandlung Nierenzellkarzinom, malignes Melanom, Ovarial-, Dickdarm- und Mammakarzinom genannt. Der 4. Senat des LSG Niedersachsen hat in seiner Entscheidung vom 22. September 1999 - L 4 KR 23/96 - zwar bejaht, dass die ASI-Therapie von einer erheblichen Zahl von Ärzten angewandt wird, dabei aber - entgegen BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 14 - nicht zwischen den jeweils therapierten Erkrankungen unterschieden. Aus alledem ergibt sich nichts für die Möglichkeit eines Nachweises, dass sich die ASI-Therapie 1998/1999 zur Behandlung von Osteosarkomen durchgesetzt hatte.

42

b)

Infolge der nach alledem rechtswidrigen Arzneiverordnungen ist den beigeladenen Kassen zu 2., 9., 10. und 11. auch ein Schaden entstanden, und zwar in Höhe von (umgerechnet ) 78.539,84 EUR, weil sie auf Grund der Vorlage der Verordnungen und der Auslieferung der Vakzine durch die Apotheken zur Zahlung entsprechender Beträge verpflichtet worden sind (zum Abschluss eines Kaufvertrags zwischen Krankenkasse und Apotheke in diesem Fall vgl. BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 2). Dem können die Kläger auch nicht entgegen halten, dass den Kassen auch ohne Einsatz von Vakzinen entsprechende Kosten - für dann notwendige andere Behandlungsmaßnahmen - entstanden wären. Auf die Anrechnung entsprechender Ersparnisse der Kassen können sich die Kläger nicht berufen, weil der Grundsatz der Vorteilsausgleichung bei unzulässigen Arzneiverordnungen ausgeschlossen ist (BSG SozR 3-2500 § 95 Nr. 5). Das BSG hat a.a.O. hierzu ausgeführt, dass die für die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit maßgebenden Rechtsvorschriften (auch) dazu bestimmt sind, die Funktionsfähigkeit des vertragsärztlichen Systems als Ganzes zu sichern, und dass dieser Zweck nicht durch die Anwendung bereicherungsrechtlicher Grundsätze oder von Gesichtspunkten des Schadensersatzrechts unterlaufen werden darf.

43

c)

Darauf, ob der durch die Pflichtverletzung der Kläger verursachte Schaden auf einem schuldhaften Verhalten beruht, kommt es schließlich ebenfalls nicht an. Arzneiverordnungsregresse setzten nach ständiger BSG-Rechtsprechung (vgl. nur SozR 3-2500 § 106 Nr. 52; Beschluss vom 30. Mai 2006 - B 6 KA 14/06 B) ein Verschulden nicht voraus. Insoweit gilt nichts anderes als für die (sonstige) Prüfung der Wirtschaftlichkeit von Behandlungs- oder Verordnungsweise des Vertragsarztes (vgl. hierzu z.B. SozR 4-2500 § 106 Nr. 1). Damit führt eine fehlerhafte Verordnung von Arzneimitteln auch dann zur Festsetzung eines Schadensersatzanspruchs gegen den Vertragsarzt, wenn dieser in gutem Glauben von der Verordnungsfähigkeit ausging (ausdrücklich: BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 1). Hiervon zu unterscheiden ist der Fall des "echten" sonstigen Schadens, der nur bei schuldhaftem Verhalten des Vertragsarztes zu ersetzten ist (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 52). Um einen solchen Schaden handelt es sich - wie anfangs bereits dargelegt - im vorliegenden Fall aber nicht. Da - wie ebenfalls bereits dargelegt - die Kürzungsentscheidung nicht im Ermessen der Prüfgremien steht, ist ein Verschulden auch nicht auf der Rechtsfolgenseite, etwa bei der Festsetzung der Regresshöhe, zu untersuchen und zu würdigen.

44

Dies führt auch nicht zu unvertretbaren Ergebnissen zu Lasten der Vertragsärzte. Wie das BSG in seinem Beschluss vom 31. Mai 2006 (MedR 2007, 557, 560) überzeugend dargelegt hat, steht es dem Vertragsarzt nämlich frei, bei nicht eindeutig auf ihre Wirksamkeit geprüften Arzneimitteln eine Privatverordnung entsprechend § 29 Abs. 8 BMV-Ä bzw. § 15 Abs. 71 EKV-Ä auszustellen und damit den Weg für den Versicherten zu eröffnen, die Leistungspflicht der Krankenkasse im Kostenerstattungsverfahren nach § 13 Abs. 3 SGB V klären zu lassen. Tut er dies nicht, sondern verordnet das fragwürdige Arzneimittel vertragsärztlich, übernimmt er damit selbst das Risiko, dass später die Leistungspflicht der Krankenkasse verneint wird. Verwirklicht sich dies Risiko wie im vorliegenden Fall, kann ein entsprechender Regress nicht beanstandet werden (BSG a.a.O.)

45

2.

Rechtswidrig ist dagegen der das Quartal IV/99 betreffende Bescheid des Beschwerdeausschusses, soweit er gegen den Kläger zu 2. einen Regress verhängt hat. Denn wie sich aus der Verordnung vom 07. Oktober 1999 ergibt, war diese allein vom Kläger zu 1. ausgestellt worden. Die ursprünglich bestehende Gemeinschaftspraxis der Kläger bestand zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Zwar haben diese (offensichtlich irrtümlich) im Erörterungstermin vom 06. Dezember 2006 angegeben, sie hätten bis ins Jahr 2000 in Gemeinschaftspraxis zusammen gearbeitet. Schon aus den Widerspruchsschreiben, die im 4. Quartal 1999 gegen Bescheide des Prüfungsausschusses gerichtet worden sind, ergibt sich ausweislich des Briefkopfs aber, dass bereits zum damaligen Zeitpunkt nur noch eine Praxisgemeinschaft bestand und damit eine Gemeinschaftspraxis - jedenfalls mit Außenwirkung - nicht mehr existierte. Die Verordnung des Klägers zu 1. für die Patientin W., die für das Quartal IV/99 ausgestellt worden ist, kann dem Kläger zu 2. demzufolge nicht mehr zugerechnet werden. Für den entsprechenden Betrag - ausweislich des Antrags der Beigeladenen zu 2. vom 30. Juni 2000: 15.160,05 DM - ist er nicht mehr haftbar.

46

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG (hier noch in der bis zum 01. Januar 2002 geltenden Fassung anwendbar). Dabei hat der Senat die erstinstanzlichen Kostenentscheidungen korrigiert, die dem (damaligen) Beklagten die Erstattung der Kosten der Kläger auferlegt hatten, weil diese durch eine fehlerhafte Ermessenbegründung Anlass zur Erhebung der Klagen gegeben hätten. Dieser Gesichtspunkt trifft nicht zu, weil der Beschwerdeausschuss - wie ausgeführt - keine näheren Ermessenserwägungen anstellen musste. Die Berichtigung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung ist auch in einem von den Klägern angestrengten Berufungsverfahren zu Lasten der Kläger möglich (BSG SozR 4100 § 141 b Nr. 40).

47

Der Senat hat gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Revision zugelassen. -