Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 05.07.2005, Az.: 16 U 13/05

Streit über eine offene Forderung aus Warenlieferungen; Folgen der Abtretung von Gesellschaftsanteilen für die Fortführung des Unternehmens; Anwendbarkeit der Vorschriften des Handelsgesetzbuchs (HGB) auf einen Nichtkaufmann; Voraussetzungen für die Annahme eines Handelsgeschäfts im Rechtssinne

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
05.07.2005
Aktenzeichen
16 U 13/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 35845
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2005:0705.16U13.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 21.12.2004 - AZ: 5 O 303/04

Fundstelle

  • JurBüro 2005, 609-610 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreit
...
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 23. Juni 2005
durch
den Vorsitzenden Richter xxx sowie
die Richter xxx und xxx
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 21. Dezember 2004 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Streitwert: 29.299,43 EUR.

Gründe

1

I.

Die Klägerin verfolgt eine offene Forderung aus Warenlieferungen.

2

Die Klägerin betreibt ein Unternehmen, das sich u.a. mit dem Handel von Sanitäreinrichtungen befasst. Sie hatte der B. GmbH - Gas-Wasser-Wärme - diverse Waren geliefert und macht insoweit die streitgegenständliche Forderung geltend. Die Beklagte, frühere Gesellschafterin und Geschäftsführerin der GmbH, bestreitet eine Firmenfortführung und damit ihre Passivlegitimation. Außerdem bestreitet sie die Berechtigung der Forderung als solcher mit Nichtwissen.

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Wegen der Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen, mit welchem die Beklagte im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt worden ist.

4

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Rechtsstandpunkt, eine Firmenfortführung im Sinne des § 25 Abs. 1 HGB liege nicht vor, weiterverfolgt. Insbesondere scheide eine Firmenfortführung schon deshalb aus, weil sie, die Beklagte, zwar weiterhin von zu Hause aus im Heizungs- und Sanitärbereich geschäftlich tätig sei und dabei die Bürogegenstände und zwei Firmenfahrzeuge der GmbH nutze. Diese habe sie aber schon vor dem Verkauf der GmbH und unabhängig hiervon erworben gehabt. Eine Haftung scheide zudem aus Rechtsgründen aus, weil sie vom Umfang her kein kaufmännisches Unternehmen betreibe. Auf Kleingewerbetreibende sei § 25 HGB indes nicht anwendbar.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des angefochtenen landgerichtlichen Urteils abzuweisen.

6

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

7

II.

Die Berufung der Beklagten bleibt aus den dem Berufungsvorbringen gegenüber zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung ohne Erfolg.

8

1.

a)

Die Abtretung der Gesellschaftsanteile der B. GmbH an L. J. in B. begründet nicht die Annahme, dass dieser statt der Beklagten in W. die Firma fortführt. Die Übertragung des Geschäfts auf den neuen Alleingesellschafter und Geschäftsführer L. J., B., ist vielmehr nur erfolgt, damit dieser die Gesellschaft "beerdigt", wie die Klägerin nachvollziehbar vorgetragen hat.

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Dem hat die Beklagte mit Substanz nichts entgegengesetzt. Sie hat nicht vorgetragen, dass sie und ihr Ehemann einen Kaufpreis erhalten haben und ob und in welchem Umfang der neue Gesellschafter J., der den Firmensitz nach B. verlegt hat, das Unternehmen dort tatsächlich betreibt. Auch aus der notariell beurkundeten Abtretungsvereinbarung ergibt sich nichts anderes, insbesondere nicht, welcher Kaufpreis vereinbart wurde (Bl. 57 ff. d.A.). Wenn es im Übrigen trotz der unstreitigen Verschuldung der Firma überhaupt einen Unternehmenswert gab, bestand dieser in dem Know-how des Ehemanns der Beklagten sowie in dem aufgebauten Kundenstamm. All dies kommt dem Erwerber J. in B. aber nicht zugute, sondern ist bei der Beklagten und der von ihr nunmehr betriebenen Einzelfirma in W. verblieben, sodass für die Abtretung der Gesellschaftsanteile allein das von der Klägerin vorgetragene Motiv der Unternehmensbeerdigung überhaupt einen Sinn macht.

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b)

Entgegen der offenbar allein von Canaris (Handelsrecht, 23. Aufl., § 7 Rn. 20) geteilten Auffassung der Beklagten scheitert eine Haftung auch nicht von vornherein daran, dass nach der Neuregelung des Kaufmannsbegriffs durch das Handelsrechtsreformgesetz 1998 § 25 Abs. 1 HGB bei der Firmenfortführung durch einen Nichtkaufmann nicht anwendbar wäre. Denn § 25 Abs. 1 HGB setzt entsprechend seinem Wortlaut nur das Bestehen eines Handelsgeschäftes voraus. Daran hat sich durch die Gesetzesreform nichts geändert. Geändert haben sich nur die Voraussetzungen, wann ein Handelsgeschäft im Rechtssinne vorliegt, sofern es sich um ein Kleingewerbe handelt. Hier geht es aber nicht um ein Kleingewerbe, sondern um eine GmbH und damit um ein vollkaufmännisches, im Handelsregister eingetragenes Unternehmen. Dieses wird von dem Handelsrechtsreformgesetz 1998 nicht berührt; es fällt nach altem wie nach neuem Handelsrecht unzweifelhaft unter das Tatbestandsmerkmal "Handelsgeschäft" in § 25 Abs. 1 HGB (vgl. auch Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, München 2001, § 25 Rn. 22 f.).

11

c)

Bei der Beurteilung der Frage der Firmenfortführung durch die Beklagte ist davon auszugehen, dass eine durch tatsächliche Umstände nach außen dokumentierte Unternehmenskontinuität zum Schutze des Rechtsverkehrs auch zu einer Haftungskontinuität führen soll. Es ist deshalb eine weite Auslegung des § 25 Abs. 1 HGB gerechtfertigt (OLG Frankfurt NJW-RR 2001, 1404 = VersR 2001, 497 [OLG Hamburg 01.10.1999 - 14 U 136/99]; zit. nach Juris). Der Haftungstatbestand knüpft lediglich daran an, dass der neue Unternehmensträger das Geschäft tatsächlich unter einer Firma fortführt, die sich mit derjenigen des bisherigen Inhabers in ihrem Kern gleicht. Dabei bleibt es ohne Bedeutung, ob der ehemalige Inhaber dem neuen seine Firma mit übertragen hat, ob und ggf. mit welchem Inhalt der alte und der neue Inhaber Vereinbarungen zum Zwecke der Fortführung des Unternehmens getroffen habe. Erheblich ist vielmehr allein die tatsächliche Weiterführung des Geschäfts (OLGR Frankfurt 2001, 67; zit. nach Juris). Dabei muss die Frage, ob eine Weiterführung vorliegt, aus der Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise beurteilt werden (BGH NJW 1992, 911 = MDR 1992, 564; 2001, 1352 [BGH 26.07.2001 - III ZR 243/00]= MDR 2001, 701; ders. DB 2004, 1204 = ZIP 2004, 1103 = WM 2004, 1178 = BGHReport2004, 1089 = MDR 2004, 949 = NJW-RR 2004, 1173; jew. zit. nach Juris). § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB greift deshalb selbst dann ein, wenn einzelne Vermögensbestandteile oder Betätigungsfelder von der Übernahme ausgenommen werden, solange nur der den Schwerpunkt des Unternehmens bildende wesentliche Kern desselben übernommen wird, sodass sich der nach außen für den Rechtsverkehr in Erscheinung tretende Tatbestand als Weiterführung des Unternehmens in seinem wesentlichen Bestand darstellt (BGH a.a.O.; OLGR Köln 2004, 267 = MDR 2004, 1125; OLG Celle, Urt. v. 31. Januar 2001 - AZ.: 2 U 124/00; sämtl. zit. n. Juris; Senatsurt. v. 10. Februar 2004 - AZ.: 16 U 154/03).

12

Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn eine Kapitalgesellschaft durch eine Einzelfirma weitergeführt wird, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat (vgl. auch OLG Düsseldorf, DWW 2005, 26).

13

Nach Maßgabe dieser Kriterien ist nach den vorliegenden Anknüpfungspunkten, wie das Landgericht im Einzelnen überzeugend ausgeführt hat, von einer Unternehmensfortführung auszugehen. Inwiefern das Landgericht insoweit Anlage K 5 (Bl. 13 d.A.) unzutreffend gewürdigt haben soll, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Insbesondere kommt es nicht darauf an, was aus dem Schreiben vom 16. März 2004 in der Tat nicht hervorgeht, wann welche Geschäftsausstattung übertragen worden ist und ob dies, wie die Beklagte behauptet, bereits mehr als ein Jahr vor der Abtretung der Gesellschaftsanteile der GmbH an L. J. in B. gewesen ist. Entscheidend ist vielmehr allein, ob nach Außen, insbesondere für die Geschäftspartner der Beklagten, der Eindruck der Firmenkontinuität entsteht. Dies hat das Landgericht zutreffend bejaht, weil der Firmenname (lediglich Überklebung des GmbH-Zusatzes auf dem alten Firmenschild, vgl. Lichtbilder Hülle Bl. 12 d.A., sowie im übrigen Zusatz des Betätigungsfeldes "Solar"), das Geschäftsfeld, die Mitarbeiter (Beklagte und ihr Ehemann), der Firmensitz (= Wohnsitz; vgl. Lichtbilder Hülle Bl. 12 d.A.) einschließlich Rufnummer sowie die Ausstattung (Firmenfahrzeuge und Büroeinrichtung) nahezu identisch geblieben sind.

14

2.

Ausgehend vom Tatbestand der Firmenfortführung war die Beklagte verpflichtet, in der Sache selbst, also zu Grund und Höhe des Anspruchs vorzutragen, soweit sie die Forderung bestreiten will. Sie kann sich nicht darauf zurückziehen, insoweit keine Informationen und Unterlagen zu besitzen (S. 4, Ziff. 3 der Klageerwiderung; Bl. 38 d.A.).

15

Vor dem unter obiger Ziffer 1. lit. a) aufgezeigten Hintergrund kann auch nicht ernstlich davon ausgegangen werden, dass die Geschäftsunterlagen mit der GmbH nach Berlin gegangen sind. Selbst wenn dies gleichwohl der Fall wäre, müsste die Beklagte, die vor der Geschäftsübergabe neben ihrem Ehemann selbst als alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin für die GmbH tätig war, Kenntnisse von den Geschäftsvorfällen, somit auch von den streitgegenständlichen Warenlieferungen haben. Schließlich sind sämtliche Rechnungen von der Klägerin überreicht worden (Anlagenkonvolut zum Schriftsatz vom 26. Oktober 2004 im hinteren Aktendeckel). Vor diesem Hintergrund ist das Bestreiten der Forderung mit Nichtwissen unzulässig, sodass der Sachvortrag der Klägerin insoweit als zugestanden gilt (§ 138 Abs. 3 u. 4 ZPO).

16

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 und ZPO, [...].

17

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Streitwertbeschluss:

Streitwert: 29.299,43 EUR.

[D]ie Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 3 ZPO.