Landgericht Oldenburg
Beschl. v. 10.10.1996, Az.: 8 T 638/96

Erforderlichkeit der in Rechnung gestellten Tätigkeiten zur pflichtgemäßen Wahrnehmung der Aufgabe des Betreuers für einen Vergütungsanspruch; Zugrundelegung der Angaben des Betreuers für Vergütung im Betreuungsrecht; Überprüfung der Abrechnungen durch das Gericht auf offensichtlich nicht berechtigte, missbräuchliche und/oder erkennbar unschlüssige Vergütungsansprüche

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
10.10.1996
Aktenzeichen
8 T 638/96
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1996, 23893
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOLDBG:1996:1010.8T638.96.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Oldenburg - 02.11.1995
AG Oldenburg - 17.01.1995

Fundstellen

  • FamRZ 1997, 947-948 (Volltext mit amtl. LS)
  • JurBüro 1997, 543-544 (Volltext mit amtl. LS)

Tenor:

[...] [D]ie Beschlüsse des Amtsgerichts Oldenburg vom 17. Januar 1995 und 2. November 1995 [werden] auf die Beschwerde des Betreuers geändert und wie folgt neu gefaßt:

Die dem Betreuer aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung wird für den Abrechnungszeitraum vom 11. August bis 12. Oktober 1994 auf noch 7.723,75 DM festgesetzt.

Daneben sind dem Betreuer tatsächliche Auslagen in Höhe von 696,50 DM zu erstatten.

Die dem Betreuer aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung wird für den Abrechnungszeitraum vom 1. Juli bis 30. September 1995 auf 3.177,74 DM festgesetzt.

Zusätzlich sind dem Betreuer tatsächliche Auslagen in Höhe von 237,25 DM zu erstatten.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe

1

Die gemäß §§ 1835 Abs. 4 S. 2,1836 Abs. 2 S. 4 BGB i.V.m. § 15 ZuSEG zulässige Beschwerde ist zum Teil begründet.

2

Die Kammer sieht sich angesichts der außerordentlichen Probleme, die sich mit der Kontrolle der Vergütungsanträge der Berufsbetreuer verbinden, veranlaßt, in Fortführung und Ergänzung der bereits am 22.08.1.995 getroffenen Entscheidung (BtPrax 1995, 226) - 8 T 175/95 - Inhalt und Umfang der vormundschaftsgerichtlichen Prüfung im Sinne einer grundsätzlichen Klärung zu definieren.

3

Unverändert gilt die Feststellung, daß das Gericht berechtigt und verpflichtet ist, jede Abrechnung eines Betreuers kritisch zu prüfen und nachzufragen, wo es an inhaltlicher Nachvollziehbarkeit und Schlüssigkeit fehlt. Ausgangspunkt ist dabei stets die Frage, ob die in Rechnung gestellten Tätigkeiten zur pflichtgemäßen Wahrnehmung der Aufgabe des Betreuers erforderlich waren. Die Antwort darauf hat zu berücksichtigen, daß es grundsätzlich Sache des Betreuers ist zu entscheiden, wie er seine Pflichten erfüllt. Seine Sicht der Dinge ist das vorrangige Kriterium für die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der betreuungsrechtlichen Arbeit (BayObLG, BtPrax 1996, 104). Dies bedeutet, daß das Vormundschaftsgericht an sich zu beurteilen hätte, ob diese oder jene Maßnahme vom Standpunkt des Betreuers aus im Zeitpunkt ihrer Durchführung geboten war oder nicht. Es ist dazu jedoch im Regelfall überhaupt nicht in der Lage.

4

Das Betreuungsgesetz fordert in seiner grundlegenden Intention eine Abkehr von der früher oft praktizierten Schreibtischtätigkeit; vom Betreuer wird statt dessen ein hohes Maß an persönlicher Zuwendung, ein intensiver Kontakt mit dem Betroffenen erwartet. Wie sich seine Arbeit inhaltlich und zeitlich gestaltet und wo die Grenze des Notwendigen überschritten wird, ist vielfach eine objektiv überhaupt nicht überprüfbare Ermessensentscheidung und nicht zuletzt von jenen in der Person des Betroffenen oder seinem sozialen Umfeld liegenden Umständen abhängig, die die Betreuungsbedürftigkeit begründet haben. Dabei steht der Betreuer dem Betroffenen im Zweifelsfalle viel näher als Richter oder Rechtspfleger; er wird sich mit guten Gründen darauf berufen, verläßlicher beurteilen zu können, was die Betreuungstätigkeit erfordert, vermitteln doch Akteninhalt und Anhörung dem Richter und Rechtspfleger insoweit wohl kaum detaillierte Kenntnisse.

5

Diese Überlegungen zwingen zu der Feststellung, daß die Angaben des Betreuers zugrunde zu legen sind, soweit sie nicht einen offensichtlich eindeutig überzogenen und sachlich völlig ungerechtfertigten Aufwand belegen oder ein mißbräuchliches Verhalten klar zu Tage tritt. Jede andere Handhabung würde nichts anderes bedeuten als eine willkürliche Korrektur, die sich auf die schlichte Behauptung beschränkt, diese oder jene betreuungsrechtliche Tätigkeit sei überflüssig gewesen oder habe in kürzerer Zeit erledigt werden können. Denn ob ein persönliches Gespräch mit dem Betroffenen, ein Termin bei einer Behörde, die Konsultation des behandelnden Arztes oder eine Unterredung mit den Angehörigen notwendig, zweckmäßig oder entbehrlich waren oder etwa durch eine Telefonat hätten ersetzt werden können, ist immer nur aus der konkreten Situation heraus zu sehen und für einen Außenstehenden im Nachhinein letztlich kaum beurteilbar. Dies gilt noch viel mehr, wenn es um die Frage geht, welcher zeitliche Aufwand gerechtfertigt war. Er wird von so vielen Faktoren bestimmt, daß eine Überprüfbarkeit - von evidenten Überziehungen abgesehen - im Regelfall ausscheidet. Krankheit, psychische Verfassung des Betroffenen, sein soziales Umfeld sowie die tatsächliche und/oder rechtliche Schwierigkeit der zu regelnden Angelegenheit können individuell so unterschiedlich sein, daß es unvertretbar ist, auf zeitliche Erfahrungswerte zurückzugreifen, so es sie denn überhaupt gibt. Im gleicher Weise gilt dies für den Schriftverkehr. Auch hier verbietet es sich, gedankliche Arbeit, Formulierung und Niederschrift zeitlich einfach zu pauschalieren.

6

Die Kammer verkennt nicht, daß eine so umschriebene Abrechnungskontrolle zu Mißbräuchen führen könnte. Dies muß jedoch in Kauf genommen werden, weil die bisherige Praxis, zu der das Gesetz sich ausschweigt, zu der unerträglichen Konsequenz geführt hat, daß ungeheuer viel Arbeitszeit in die Überprüfung der Vergütungsanträge investiert wird, das Betreuungsrecht aber ganz andere Schwerpunkte setzen wollte. Da der Gesetzgeber es versäumt hat, den Gerichten insoweit ein praktikables Verfahren an die Hand zu geben, muß zwangsläufig nach leidlich vertretbaren Möglichkeiten gesucht werden, diese Mißstände zu beenden.

7

Die Kammer wird demzufolge künftig Abrechnungen nur noch auf offensichtlich nicht berechtigte, mißbräuchliche und/oder erkennbar unschlüssige Vergütungsansprüche hin überprüfen.

8

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze gilt im vorliegenden Fall für den Abrechnungszeitraum vom 11.08. bis 12.10.1994 folgendes:

  1. 1)

    Aus zutreffenden Gründen hat das Amtsgericht den für den 02. und 04.08.1994 in Rechnung gestellten Aufwand unberücksichtigt gelassen, denn der Beschwerdeführer ist erst am 11.08.1994 bestellt worden. Die gesetzlichen Vorschriften lassen eindeutig erkennen, daß Tätigkeiten, die der Betreuer vor seiner Bestellung entfaltet, vergütungsrechtlich grundsätzlich nicht mit erfaßt werden können, weil eben erst die wirksame Betreuerbestellung den Vergütungsanspruch auslöst.

  2. 2)

    Der mit dem Besuch des Betreuten in der Justizvollzugsanstalt Lingen am 17.09.1994 verbundene Zeitaufwand kann nicht anerkannt werden. Da die Entlassung aus der Haft wenige Tage später anstand, hätte das erste persönliche Gespräch auch am 23.09.1994 stattfinden können. Warum es "psychologisch wichtig" war, dies unbedingt bereits vor der Entlassung durchzuführen, ist nicht nachvollziehbar. Alle Fragen, die der Beschwerdeführer in seinem Schriftsatz vom 27.05.1996 bezogen auf den 17.09.1994 anspricht, hätten zwanglos auch anläßlich der Abholung am 23.09.1994 geklärt werden können. Notwendige ergänzende Informationen hätte der Betreuer unschwer telefonisch abfragen können.

  3. 3)

    Nicht erkennbar ist, aus welchen Gründen das am 23.09.1994 mit weiteren Mietparteien des Hauses geführte Gespräch 4 1/2 Stunden in Anspruch nehmen mußte. Selbst unter Berücksichtigung der Ausführungen des Betreuers im Schriftsatz vom 27.05.1996 fehlt eine plausible Erklärung, zumal bereits am 24.08.1994 eine 3 1/2-stündige Unterredung in Ansatz gebracht worden ist, die ebenfalls der Erörterung der Rechte und Pflichten der Mietparteien galt. Die Kürzung auf eine Stunde ist deshalb nicht zu beanstanden.

9

Im übrigen begegnet der Vergütungsantrag keinen durchgreifenden Bedenken.

10

Der Beschwerdeführer hat insgesamt 141 Stunden und 35 Minuten in Ansatz gebracht. Diese Summe ist aus den vorstehend dargestellten Gründen um 17 Stunden und 15 Minuten zu kürzen. Es verbleiben 124 Stunden und 20 Minuten, die mit einem Stundensatz von 75,- DM zu vergüten sind. Die vom Amtsgericht zu Recht vorgenommene Kürzung des ursprünglich beantragten Satzes von 125,- DM je Stunde wird mit der Beschwerde nicht mehr angegriffen. Aus der Staatskasse ist danach zuzüglich Mehrwertsteuer eine Vergütung von 10.723,75 DM zu zahlen, abzüglich der bereits am 05.12.1994 angewiesenen Abschlagszahlung von 3.000,- DM.

11

Bezüglich des Auslagenersatzes entfallen die Reisen am 04.08. und 17.09.1994 mit insgesamt 251 km. Es verbleiben 1269,5 km, die mit je 0,40 DM zu ersetzen sind. Die Gesamtsumme beträgt danach 507,80 DM. Die Auffassung des Betreuers, es seien 0,52 DM zu erstatten, findet im Gesetz keine Stütze. Nach den §§ 1835 Abs. 4,1908 i Abs. 1 BGB sind die Vorschriften des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen heranzuziehen. Nach § 9 Abs. 3 ZuSEG erhalten Zeugen eine Kilometerpauschale von 0,40 DM. Für die Anerkennung der Kilometerpauschale, die Sachverständigen zusteht, ist kein Raum, denn § 1835 Abs. 4 BGB verweist ausdrücklich auf die Entschädigungsvorschriften, die für Zeugen gelten.

12

Zu den Auslagen hinzuzurechnen sind die Porto- und Telefonkosten, die das Amtsgericht zutreffend mit 188,70 DM ermittelt hat.

13

Für den Abrechnungszeitraum vom 01.07. bis 30.09.1995 ist folgendes anzumerken:

14

Die Kammer schließt sich der Auffassung an, daß der Zeitaufwand für die Erstellung der Vergütungsabrechnung nicht berücksichtigt werden kann. Es handelt sich hierbei nämlich unzweifelhaft nicht um eine Tätigkeit, die der zugewiesene Aufgabenkreis erforderlich macht, sondern um interne Büroarbeiten, die mit der Vergütung abgegolten werden (so auch LG Koblenz, FamRZ 1995, 1019 [LG Koblenz 28.06.1994 - 2 T 428/94]).

15

Demgegenüber ist die pauschale Kürzung des Zeitaufwandes für die Korrespondenz aus den eingangs dargelegten Gründen nicht zu rechtfertigen.

16

Von den in Rechnung gestellten 40 Stunden und 15 Minuten verbleiben somit 37 Stunden und 45 Minuten, die mit 75,- DM zu vergüten sind. Daraus ergibt sich eine Gesamtsumme von 2.763,25 DM. Die gesetzliche Mehrwertsteuer ist hinzuzurechnen.

17

Die erstattungspflichtigen Auslagen sind mit 237,25 DM zutreffend ermittelt worden.

18

Die Kostenentscheidung folgt aus § 16 ZuSEG bzw. § 13 a FGG.

Rolfes
Meyer
Brauer