Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 08.10.2020, Az.: 6 B 187/20

Corona-Pandemie; COVID-19; Homeschooling; Infektionsschutzmaßnahme; Pandemie; Präsenzunterricht; Schulbesuchspflicht

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
08.10.2020
Aktenzeichen
6 B 187/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71821
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, für eine Genehmigung von Homeschooling in der Corona-Pandemie neben dem Nachweis, dass ein in enger häuslicher Gemeinschaft mit dem Schüler oder der Schülerin lebender Angehöriger zu einer Risikogruppe gehört, zu fordern, dass an der betreffenden Schule bereits eine Infektionsschutzmaßnahme seitens des Gesundheitsamtes verhängt wurde.

2. Bei einer Entscheidung über die Gewährung von Homeschooling in der Corona-Pandemie sind die widerstreitenden Interessen an der Einhaltung der grundsätzlich in Form einer Schulbesuchspflicht bestehenden Schulpflicht gem. § 63 Abs. 1 Satz 1 NSchG i. V. m. Art. 4 Abs. 2 NV und dem staatlichen Bildungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG einerseits mit dem staatlichen Schutzauftrag aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sowie der Verpflichtung zum besonderen Schutz der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG andererseits im Wege praktischer Konkordanz in verfassungskonformer Weise zu einem möglichst schonenden Ausgleich zu bringen.

3. Soweit Schülerinnen und Schülern, die einer Risikogruppe angehören, unabhängig vom Bestehen einer Infektionsschutzmaßnahme des Gesundheitsamtes an der betreffenden Schule Homeschooling genehmigt wird, liegt hierin keine rechtlich relevante Ungleichbehandlung i. S. d. Art. 3 Abs. 1 GG.

Gründe

I.

Die Antragsteller begehren, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie von der Teilnahme am Präsenzunterricht zu befreien und am Homeschooling teilnehmen zu lassen.

Die Antragsteller sind Schüler des Antragsgegners, wobei die Antragstellerin zu 1) der Jahrgangsstufe 12 und der Antragsteller zu 2) der Jahrgangsstufe 9 angehört.

Sie besuchen das Schuljahr 2020/2021, welches in Anbetracht der COVID-19-Pandemie derzeit gemäß dem Niedersächsischen Rahmenhygieneplan Corona Schule in der Fassung vom 5. August 2020 (im Folgenden Rahmen-Hygieneplan) in Form eines „Eingeschränkten Regelbetriebs“ durchgeführt werden soll. Der Unterricht erfolgt demnach in Form des Präsenzunterrichts in festgelegten Gruppen. Soweit das Abstandsgebot zwischen Personen unterschiedlicher Gruppen nicht eingehalten werden kann, sind die Personen angehalten, eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen.

Die Antragsteller selbst sind nicht Teil der Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf bei COVID-19. Jedoch baten die Eltern der Antragsteller mit E-Mail vom 26. August 2020 bei dem Antragsgegner um einen weiteren Verbleib der Antragsteller im Homeschooling. Hierbei verwiesen sie darauf, dass im Haushalt der Antragsteller zwei Angehörige von Risikogruppen lebten und bei Bedarf Atteste vorgelegt werden könnten. Das Begehren auf Verbleib im Homeschooling lehnte der Antragsgegner mit E-Mail vom selben Tag unter Verweis auf die Teilnahmepflicht am Präsenzunterricht, soweit nicht die Schüler selbst einer Risikogruppe angehörten, ab. Am 10. September 2020 stellten die Eltern der Antragsteller erneut schriftlich bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Befreiung vom Präsenzunterricht im Härtefall, wobei sie unter Vorlage von Attesten versicherten, dass die Antragsteller in häuslicher Gemeinschaft mit Angehörigen lebten, bei denen gemäß Definition des Robert Koch- Institutes (im Folgenden: RKI) das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufes nach COVID-19-Infektion bestehe. Beigefügt wurde ein Attest des Chefarztes des Krankenhauses M. Dr. med. G. vom 31. August 2020, wonach der Vater der Antragsteller sich in dessen Behandlung befinde und aufgrund seiner Erkrankung zur COVID-19-Risikogruppe gehöre, sowie eine ärztliche Bescheinigung von Dr. med. H. (Fachärztin für Innere Medizin – Pneumologie –) vom 11. Mai 2020, wonach die Mutter der Antragsteller ebenfalls zu der Personengruppe gehöre, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf nach einer Infektion mit dem SARS-CoV-2 haben könnte.

Ebenfalls am 10. September 2020 haben die Antragsteller den vorliegenden Antrag im Eilrechtsschutz gestellt.

Es sei unverständlich, warum für Schülerinnen und Schüler einer Risikogruppe die Möglichkeit bestehe, nach Vorlage eines Attestes im Homeschooling beschult zu werden, dies aber bei Schülern mit einem Familien- oder Haushaltsangehörigen aus einer Risikogruppe nicht möglich sei. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass Schulen Orte seien, an welchen ein erhöhtes Ansteckungsrisiko mit COVID-19 bestehe. Dies folge bereits daraus, dass in Ziffer 9 des Rahmen-Hygieneplans ausdrücklich vorgesehen sei, dass das Abstandsgebot zugunsten des Kohortenprinzips aufgehoben werde. Zudem gelte das Gebot zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes gemäß Ziff. 6.4 des Rahmen-Hygieneplans nur außerhalb von Unterrichts-und Arbeitsräumen. Innerhalb einer Kohorte könne somit ein Infektionsrisiko nicht ausgeschlossen werden. Zudem werde insbesondere in Bezug auf den 12. Jahrgang bei dem Antragsgegner das Kohortenprinzip aufgrund des Kurssystems außer Kraft gesetzt. In Jahrgangsstufe 12 würden ca. 120 Kinder im Kurssystem unterrichtet. Aufgrund dieses Kurssystems komme es zu einer ständig anderen Zusammensetzung der Lehrveranstaltungen. Auch in der Jahrgangsstufe 9 würden wiederum die Fächer Religion, Werte und Normen, Politik und Erdkunde nicht im festen Klassenverband unterrichtet, sodass es in diesen Kursen ebenfalls zu abweichenden personellen Zusammensetzungen der Lehrveranstaltungen kommen könne. Weiterhin sei zu bezweifeln, dass das Abstandsgebot als auch das Kohortenprinzip durchgängig eingehalten werde, was insbesondere für den mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegenden Schulweg gelte. Zudem bestehe für Schulleiter auch nicht die Möglichkeit, einen Coronatest zu verlangen, sondern diese seien darauf angewiesen, dass die Eltern ihrer Schüler ihnen die Wahrheit hinsichtlich eines Coronatests sagten. Dass erkrankte Schüler bis zur Bestätigung ihrer Erkrankung weiter zur Schule gehen, sei ebenfalls nicht zu vermeiden. Zudem sei es zu mehreren Infektionsausbrüchen in Niedersachsen gekommen, in denen die Zusammenarbeit von Schulen und Gesundheitsämtern nicht reibungslos verlaufen sei, was zu einer verspäteten Quarantäneanordnung geführt habe. Ein erhöhtes Ansteckungsrisiko führe unmittelbar zu einem erhöhten Ansteckungsrisiko im häuslichen Umfeld der Schülerinnen und Schüler. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gelte auch für die Familien- oder Haushaltsangehörigen aus einer Risikogruppe. Der Staat habe hier in einem erhöhten Maße Sorge dafür zu tragen, die Ansteckungsgefahr weitestgehend zu verringern. Insofern sei auch die Möglichkeit zum Homeschooling für Schüler mit Angehörigen einer Risikogruppe für den Fall, dass vom Gesundheitsamt in der entsprechenden Schule für einen bestimmten Zeitraum eine Infektionsschutzmaßnahme an der Schule verhängt worden sei (Verwaltungsvorschrift des Niedersächsischen Kultusministeriums zur Befreiung vom Präsenzunterricht bei vulnerablen Angehörigen vom 03.09.2020), mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar. Der Schutz von Familienmitgliedern ihrer Schülerinnen und Schüler bedeute für den Antragsgegner überdies keinen erkennbaren Mehraufwand im Vergleich zum Schutz von Schülerinnen und Schülern einer Risikogruppe durch Homeschooling. Hingegen seien die Konsequenzen für die Familie der Antragsteller sowohl bei einer Ansteckung als auch zu deren Vermeidung gravierend. Die Verpflichtung zum Präsenzunterricht hätte zwingend eine dauerhafte räumliche Trennung zwischen Eltern und Kindern zur Folge. Dies wäre nur durch Auszug von Familienmitgliedern aus der Familienwohnung dauerhaft zu gewährleisten. Da keine Aussicht dafür bestehe, dass sich die Pandemiesituation kurzfristig verbessern könnte, würden die Antragsteller und ihre gesamte Familie in ihrem Recht aus Art. 6 Abs. 1 GG beeinträchtigt, nämlich die Intaktheit ihrer Familie zerstört bzw. zumindest massiv gefährdet.

Ergänzend verwies der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller auf seinen Vortrag in einem zu einem vergleichbaren Sachverhalt geführten Beschwerdeverfahren vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht (2 ME 388/20). Es sei bei Erlass der Befreiungsregelung für Risikopatienten auch im Kultusministerium davon ausgegangen worden, dass die konkrete Möglichkeit der Entwicklung von Infektionsgeschehen an Schulen bestehe und aus diesem Grunde Schüler und Lehrer, welche einer Risikogruppe angehören, präventiv zu schützen seien. In Bezug auf Schüler mit Angehörigen aus einer Risikogruppe werde hingegen der staatlichen Verpflichtung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durch die derzeitigen Regelungen nicht in ausreichender Weise nachgekommen. Auch werde dem Grundrecht auf „Schutz der Familie“ aus Art. 6 GG nicht ausreichend genüge getan. Die Familien würden vor die Wahl gestellt, entweder den betreffenden Angehörigen in einer nicht zumutbaren Weise einem Infektionsrisiko auszusetzen oder aber zum Schutze der vulnerablen Angehörigen einzelne Familienmitglieder voneinander zu isolieren.

Die Antragsteller beantragen,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die von der Verpflichtung zur Teilnahme am Präsenzunterricht zu befreien und sie am Homeschooling teilnehmen zu lassen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Über den Befreiungsantrag der Antragsteller habe der Antragsgegner noch nicht entschieden, da er von der Landesschulbehörde habe beraten werden müssen. Erst am 10. September 2020 sei ein Antrag anhand des gebräuchlichen Antragsformulars eingereicht worden, nachdem man am 26. August 2020 zunächst von der Schule beraten worden sei. Der Antrag sei in der Sache unbegründet. Die Antragsteller seien als Schüler und Schülerinnen schulpflichtig nach § 63 Abs. 1 Satz 1 des Nds. Schulgesetzes (im Folgenden NSchG). Eine Befreiung hiervon sei nur in begründeten Ausnahmefällen möglich. Zu Zeiten der Corona-Pandemie sei die Schulbesuchspflicht weiter durch die Bestimmungen der Vorschriften der „Niedersächsischen Verordnung zur Neuordnung der Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2“ (Nds. Corona-Verordnung) vom 10. Juli 2020 und dort insbesondere durch § 17 Abs. 1 Nds. Corona-Verordnung ausgestaltet, wonach der eingeschränkte Regelbetrieb mit der Folge gelte, dass grundsätzlich wieder die Teilnahme am Präsenzunterricht in der Schule die Regel sei. Der § 17 Abs. 1 Nds. Corona-Verordnung verweise weiter auf den Rahmen-Hygieneplan. Die im Rahmen-Hygieneplan genannte Ausnahmevorschrift sei – auch unter Berücksichtigung der aktuellen Verwaltungsvorschrift des Niedersächsischen Kultusministeriums zur Befreiung vom Präsenzunterricht bei vulnerablen Angehörigen vom 03. September 2020 nicht einschlägig, da hier neben der Zugehörigkeit eines Angehörigen im gemeinsamen Haushalt zu einer Risikogruppe weitere Voraussetzung für eine Befreiung von der Präsenzpflicht sei, dass das Gesundheitsamt für einen bestimmten Zeitraum eine Infektionsschutzmaßnahme an dieser Schule verhängt habe, was vorliegend nicht der Fall sei. Insofern könne nicht jede abstrakte Gefährdung den Ausschluss vom Präsenzunterricht rechtfertigen, sondern dies solle nur dann möglich sein, wenn eine Gefährdung hinreichend konkret ist. Hierdurch sei das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG in Einklang gebracht worden mit dem Recht auf Bildung aus Art. 4 Abs. 2 Niedersächsische Verfassung sowie dem staatlichen Bildungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang verwiesen.

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg. Der zulässige Antrag ist unbegründet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes erlassen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Dazu müssen die Antragsteller grundsätzlich glaubhaft machen, dass die gerichtliche Entscheidung eilbedürftig ist (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch besteht (Anordnungsanspruch). Besondere Anforderungen gelten für den Fall, dass die begehrte Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen würde. Da die einstweilige Anordnung grundsätzlich nur zur Regelung eines vorläufigen Zustandes ausgesprochen werden darf, ist sie in diesen Fällen nur möglich, wenn sonst das Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzt würde. So darf die Entscheidung in der Hauptsache ausnahmsweise vorweggenommen werden, wenn ein Hauptsacheverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben würde und wenn es dem Antragsteller darüber hinaus schlechthin unzumutbar wäre, den Abschluss des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (vgl. z. B. VG Braunschweig, B. v. 03.08.2010 - 6 B 126/10 -, juris Rn. 2; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 190 ff.). Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt.

Der Eilantrag ist auf die Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet. Eine die Anforderungen an den Erlass einer einstweiligen Anordnung erhöhende Vorwegnahme der Hauptsache liegt schon dann vor, wenn die begehrte Entscheidung des Gerichts dem Antragsteller für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens die Rechtsposition vermitteln würde, die er in der Hauptsache anstrebt (vgl. Nds. OVG, B. v. 23.11.1999 - 13 M 3944/99 -, NVwZ-RR 2001, 241; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, a. a. O., Rn. 179 ff.). Dies ist hier der Fall. Die Antragsteller wollen mit ihrem Antrag die vorläufige Befreiung von der Teilnahme am Präsenzunterricht sowie die Teilnahme am Homeschooling erreichen, also bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Rechtsposition einnehmen, die sie im Hauptsacheverfahren anstreben.

Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch allerdings nicht glaubhaft gemacht. Nach den vorliegenden Unterlagen und dem Vorbringen der Beteiligten wird das Hauptsacheverfahren nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben. Den Antragstellern steht nach gegenwärtigem Sachstand kein Anspruch auf Befreiung von der Teilnahme am Präsenzunterricht sowie auf Teilnahme am Homeschooling zu.

Ein Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus den Regelungen des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG). Gemäß Art. 4 Abs. 2 Satz 1 Niedersächsische Verfassung – NV – und §§ 63 ff. NSchG besteht eine allgemeine Schulpflicht. Diese umfasst grundsätzlich die Pflicht zur Teilnahme am Präsenzunterricht (vgl. Nds. OVG, B. v. 30.04.2020 - 13 MN 131/20 -, juris Rn. 27), was auch bereits im Wortlaut des § 63 Abs. 1 NSchG („zum Schulbesuch verpflichtet“) angelegt ist.

Von dieser Präsenzpflicht sieht § 69 Abs. 1 NSchG eine Ausnahme vor, wonach Schülern, die infolge einer längerfristigen Erkrankung die Schule nicht besuchen können, Unterricht zu Hause oder im Krankenhaus in angemessenem Umfang erteilt werden soll. Dieser Ausnahmetatbestand liegt ersichtlich nicht vor. Die Antragsteller sind – unstreitig – nicht erkrankt. Ebenso ist hier § 70 NSchG nicht einschlägig, der besondere Voraussetzungen für ein Ruhen bzw. das Ende der Schulpflicht regelt.

Eine darüberhinausgehende Befreiung vom Präsenzunterricht ist im Niedersächsischen Schulgesetz nicht weiter geregelt.

Ergänzt werden die Regelungen des Niedersächsischen Schulgesetzes jedoch durch Verwaltungsvorschriften des Kultusministeriums, welche ihrem Charakter als Durchführungsbestimmungen entsprechend in Gestalt generell geltender Erlasse oder Rundverfügungen bzw. Bekanntmachungen herausgegeben und häufig als „Ergänzende Bestimmungen“ bezeichnet werden (vgl. Littmann in: Brockmann/Littmann/Schippmann, NSchG Kommentar, Stand September 2020, § 60 Erl. 2). Sie sind keine Rechtsnormen, sondern sollen eine einheitliche Auslegung und gleichmäßige Anwendung der gesetzlichen Regelungen durch die Schulbehörden und die Schulen gewährleisten.

Soweit sich die Verwaltung auf der Grundlage der „Ergänzenden Bestimmungen zum Rechtsverhältnis zur Schule und zur Schulpflicht“ (RdErl. d. MK v. 01.12.2016, SVBl. S. 705, VORIS 22410, im Folgenden: Ergänzende Bestimmungen zu § 63 NSchG) auf eine bestimmte Verwaltungspraxis hinsichtlich weitergehender Befreiungen von der Schulpflicht angeeignet hat, besteht im vorliegenden Fall jedoch auch kein Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. den Grundsätzen der Selbstbindung der Verwaltung. Nach Art. 3 Abs. 1 GG kann zwar dem Einzelnen ein Anspruch gegen die Behörde auf Vornahme einer bestimmten Maßnahme zustehen, wenn sie in der Vergangenheit und oder der Gegenwart einen vergleichbaren Sachverhalt einheitlich in dieser Weise bewertet und geregelt hat. Auch nach der derzeit ständigen Verwaltungspraxis hinsichtlich vulnerabler Angehöriger stünde den Antragstellern aber kein Anspruch auf Befreiung vom Präsenzunterricht zu.

Eine Befreiung vom Unterricht ist gem. Nr. 3.2 der Ergänzenden Bestimmungen zu § 63 NSchG nur in besonders begründeten Ausnahmefällen und nur auf rechtzeitigen schriftlichen Antrag zulässig (vgl. Brockmann in: Brockmann/Littmann/Schippmann, NSchG Kommentar, Stand September 2020, § 63 Erl. 3.2.1). Hierüber entscheidet die Schulleitung bzw. bei Befreiungen über einen Zeitraum von 3 Monaten hinaus die Landesschulbehörde. Der Antragsgegner hat hierzu zunächst den Rahmen-Hygieneplan herangezogen, welcher die diesbezügliche Verwaltungspraxis im Rahmen des Corona-Geschehens näher ausgestaltet. Nach Nr. 24.1 des Rahmen-Hygieneplans nehmen im – derzeit vollzogenen – „Eingeschränkten Regelbetrieb“ (Szenario A) auch Schülerinnen und Schüler einer (in Kap. 24 des Rahmen-Hygieneplans näher beschriebenen) Risikogruppe bzw. mit im selben Haushalt lebenden Angehörigen einer Risikogruppe wieder regelmäßig am Unterricht in der Schule teil. Für Schülerinnen und Schüler einer Risikogruppe ist gem. Nr. 24.1 des Rahmen-Hygieneplans allerdings nach Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung die ausschließliche Teilnahme am Lernen zu Hause möglich. Befreiungsmöglichkeiten für Schüler mit vulnerablen Angehörigen sind im Rahmen-Hygieneplan nicht weiter geregelt. Aber auch für solche kommt nach derzeitiger Verwaltungspraxis eine Befreiung vom Unterricht in Betracht. Gemäß einer Handlungsanweisung des Niedersächsischen Kultusministeriums zur Befreiung vom Präsenzunterricht bei vulnerablen Angehörigen vom 3. September 2020 wird ein besonders begründeter Einzelfall in diesen Fällen angenommen, wenn (1.) glaubhaft gemacht worden ist (z.B. durch Vorlage eines Attestes), dass die Angehörige oder der Angehörige zu einer Risikogruppe gehört, (2.) die Schülerin oder der Schüler mit der oder dem Angehörigen in einem räumlich nicht trennbaren Lebensbereich dauerhaft wohnt und sich enge Kontakte zwischen der Schülerin oder dem Schüler einerseits und der oder dem Angehörigen andererseits trotz Einhaltung aller Hygieneregeln nicht vermeiden lassen, wobei davon ausgegangen wird, dass dies bei Alleinerziehenden, Erziehungsberechtigten und Geschwisterkindern vorrangig, bei Großeltern etc. nachrangig der Fall ist und (3.) vom Gesundheitsamt für einen bestimmten Zeitraum eine Infektionsschutzmaßnahme an der Schule verhängt wurde. Die zuletzt genannte Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Die Antragsteller gehören selbst keiner Risikogruppe an. Hinsichtlich der Befreiung wegen der Vorerkrankung der Eltern fehlt es ausweislich des Schriftsatzes des Antragsgegners vom 11. September 2020 am Vorliegen eines Infektionsfalles an der Schule. Infektionsschutzmaßnahmen seitens des Gesundheitsamtes waren und sind zum aktuellen Zeitpunkt – wie auch eine erneute Nachfrage des Gerichts beim Antragsgegner am 8. Oktober 2020 ergab - nicht erforderlich gewesen.

Ein über diese Verwaltungspraxis hinausgehender Anspruch der Antragsteller auf Homeschooling lässt sich auch nicht aus den Grundrechten direkt herleiten. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Schutzanspruch der Eltern der Antragsteller keine andere Entscheidung als die Befreiung von der Präsenzpflicht zuließe.

Eine Verletzung der staatlichen Verpflichtung zum Schutze des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist hier nicht zu erkennen.

Zwar ist das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe, sondern umfasst auch die Pflicht des Staates, sich schützend und fördernd vor das Leben des Einzelnen zu stellen und es vor Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit zu schützen. Doch kommt dem Gesetzgeber auch dann, wenn er dem Grunde nach verpflichtet ist, Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen, ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Was konkret zu tun ist, um Grundrechtsschutz zu gewährleisten, hängt von vielen Faktoren ab, im Besonderen von der Eigenart des Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter (vgl. BVerfG, B. v. 26.02.2020 - 2 BvR 2347/15 - Rn. 224 m.w.N.). Dabei hat er auch anderen grundrechtlich geschützten Freiheiten Rechnung zu tragen, kann die gesellschaftliche Akzeptanz der angeordneten Maßnahmen berücksichtigen und ein behutsames oder auch wechselndes Vorgehen im Sinne langfristig wirksamen Lebens- und Gesundheitsschutzes für angezeigt halten. Die Verletzung einer Schutzpflicht liegt demnach nur vor, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben (vgl. BVerfG, B. v. 12.05.2020 - 1 BvR 1027/20 - juris Rn. 6f. m.w.N.). Die Verfassung gebietet dabei keinen vollkommenen Schutz vor jeglicher Gesundheitsgefahr. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt dies im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie umso mehr, als ein „gewisses Infektionsrisiko mit dem neuartigen Corona-Virus derzeit für die Gesamtbevölkerung zum allgemeinen Lebensrisiko gehört“ (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.05.2020 - 2 BvR 483/20 - juris Rn. 8; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. September 2020 – 1 S 2831/20 –, juris Rn. 10).

Es kann zunächst nicht die Rede davon sein, dass der Antragsgegner überhaupt keine Schutzvorkehrungen getroffen hätte, was im Übrigen auch die Antragsteller nicht in Abrede stellen.

Nach § 17 Abs. 1 der Nds. Corona-VO findet der Unterricht an allen Schulen in festgelegten Gruppen statt, die in ihrer Personenzusammensetzung möglichst unverändert bleiben. So soll gewährleistet werden, dass eine etwaige Infektionskette nachvollzogen werden kann. Zwischen Personen, die nicht derselben Gruppe angehören, ist das Abstandgebot einzuhalten. Zudem hat jede Person außerhalb von Unterrichts- und Arbeitsräumen eine Mund-Nase-Bedeckung in von der Schule besonders gekennzeichneten Bereichen zu tragen. Außerdem ist an allen Schulen der Niedersächsische Rahmen-Hygieneplan Corona Schule vom 5. August 2020 zu beachten (§ 17 Abs. 5 Nds. Corona-VO). Neben dem Modell des „Eingeschränkten Regelbetriebs“ (Szenario A) sind auch bereits Modelle vorgesehen, die bei regional deutlich erhöhten Infektionszahlen eingreifen, bis hin zur Schulschließung im Szenario C. Danach richtet sich auch der Antragsgegner.

Soweit die Antragsteller in diesem Zusammenhang vortragen, das Kohortenprinzip werde beim Antragsgegner wegen des dort herrschenden Kurssystems außer Kraft gesetzt, trifft dies nicht zu. Zwar sollen laut Nr. 9 des Rahmen-Hygieneplans die Kohorten möglichst klein gehalten werden (im Idealfall bilde eine Klasse/Lerngruppe eine Kohorte). Grundsätzlich kann eine Kohorte jedoch maximal einen ganzen Schuljahrgang umfassen. Dass somit jahrgangsintern in unterschiedlichen Kursen unterrichtet wird, begegnet (auch vor dem Hintergrund, dass sich für Schüler der gymnasialen Oberstufe die Kurszusammenstellung regelmäßig individuell gestaltet) keinen rechtlichen Bedenken. Es geht bei der Durchführung des Kohortensystems auch nicht vornehmlich darum, mit möglichst wenigen Personen in Kontakt zu treten. Entscheidend am Kohortensystem ist, die Lerngruppen so konstant wie möglich zu halten und die Zusammensetzung zu dokumentieren. Durch die Definition von Gruppen in fester überschaubarer Zusammensetzung (Kohorten) lassen sich im Infektionsfall nämlich die Kontakte und Infektionswege wirksam nachverfolgen. Dass dies nicht auch in einem klassenübergreifenden Kurssystem möglich ist, haben die Antragsteller weder dargetan noch ist dies ersichtlich.

Entsprechend den Vorgaben des Niedersächsischen Rahmen-Hygieneplans hat zudem auch der Antragsgegner besondere Hygieneregelungen für den Schulbesuch aufgestellt (vgl. den vom Antragsgegner im Verfahren vorgelegten „Hygieneplan I. Szenario A (eingeschränkter Regelbetrieb)“). Hierzu gehören zum Beispiel die Anmeldung von Personen, die nicht Schüler oder Lehrer des Antragsgegners sind im Sekretariat, die grundsätzliche Anwendung eines Mund-Nase-Schutzes auf dem gesamten Schulgelände außerhalb des Unterrichts (mit Ausnahme der Essensaufnahme) sowie das „Prinzip der offenen Türen“ zur Reduzierung des Risikos eines Berührens häufig genutzter Flächen wie Türklinken. Zudem werden Vorgaben dazu gemacht, dass nach dem Husten oder Niesen, der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, vor dem Essen, unmittelbar nach Betreten des Unterrichtsraumes, vor und nach dem Schulsport, im Zuge der gemeinsamen Benutzung von Gegenständen beim Experimentieren sowie nach dem Toilettengang die Hände für 20 bis 30 Sekunden mit Wasser und Seife gründlich gewaschen werden müssen. Ebenso werden die Schüler auf die Bedeutung des Tragens eines Mund-Nase-Schutzes auch an öffentlichen Haltestellen hingewiesen.

Diese Maßnahmen wurden getroffen, um das Risiko der Ansteckung für Schülerinnen und Schüler – und damit auch ihrer Angehörigen - auf ein zumutbares Maß zu reduzieren. Im Rahmen der hier allein gebotenen summarischen Prüfung erscheinen die getroffenen Regelungen und Maßnahmen nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich. Sie entsprechen den bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Ausbreitung des Virus.

Auch der nach den Sommermonaten nunmehr wieder festgestellte Anstieg der Infektionszahlen führt nach Ansicht der Kammer (derzeit noch) nicht zu einer anderen Einschätzung der Geeignetheit der getroffenen Maßnahmen. Soweit die Antragsteller wachsende Fallzahlen im Bereich der Landeshauptstadt, dortige Schulschließungen sowie Probleme in der Zusammenarbeit zwischen Schulen und Gesundheitsämtern mit der Folge verspäteter Quarantäneanordnungen anführen, sind diese Umstände bereits regional nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Das Infektionsgeschehen im Bereich der Stadt A-Stadt unterscheidet sich deutlich von demjenigen in der Region B-Stadt. Laut dem COVID-19 Dashboard des Robert-Koch-Institutes (Stand: 08.10.2020) hat es in A-Stadt seit Beginn der Pandemie 204,9 Coronafälle bezogen auf 100.000 Einwohner gegeben. In den letzten 7 Tagen sei es zu 11,6 neuen Ansteckungsfällen pro 100.000 Einwohner gekommen. In der Region B-Stadt ist es hingegen zu 396,3 Fällen pro 100.000 Einwohner gekommen und zu 20,0 neuen Ansteckungsfällen pro 100.000 Einwohner in den letzten 7 Tagen. Im Übrigen liegen der Kammer derzeit keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Anstieg der Fallzahlen maßgeblich auf Ansteckungen in Schulen bzw. durch unzureichende Hygienekonzepte in Schulen zurückzuführen ist. Das Robert-Koch-Institut nennt vielmehr diverse Infektionsherde und führt hierzu in seiner „Zusammenfassung der aktuellen Lage“ (Stand: 07.10.2020) aus:

„Es treten weiterhin bundesweit zahlreiche COVID-19-bedingte Ausbrüche in verschiedenen Settings auf. Fallhäufungen werden insbesondere beobachtet im Zusammenhang mit Feiern im Familien- und Freundeskreis sowie u.a. in Alten- und Pflegeheimen, Krankenhäusern, Einrichtungen für Asylbewerber und Geflüchtete, Gemeinschaftseinrichtungen, verschiedenen beruflichen Settings und im Rahmen religiöser Veranstaltungen sowie in Verbindung mit Reisen bzw. Reiserückkehrern, wobei der Anteil der Fälle mit Exposition im Ausland auf unter 10% gesunken ist.“

Weiterhin ist dem Lagebericht auch zu entnehmen, dass die kumulative Inzidenz der letzten 7 Tage deutschlandweit bei 18,6 Fällen pro 100.000 Einwohner lag und sich damit die Fallzahlen der Stadt A-Stadt noch in einem vergleichsweise niedrigen Bereich bewegen.

Es wird auch nicht verkannt, dass mit dem Leben und der körperlichen Unversehrtheit überragend wichtige Rechtsgüter in Rede stehen und das Infektionsrisiko der Eltern der Antragsteller durch die Teilnahme der Antragsteller am Präsenzunterricht ohne Mindestabstand und ohne Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung im Unterricht erhöht ist. Ebenso kann nicht überwacht werden, ob die Schüler auch innerhalb von Schulbussen bzw. sonst auf ihrem Schulweg einen Mund-Nase-Schutz tragen und ob sämtliche Eltern ihren Mitteilungspflichten gegenüber dem Antragsgegner vollumfänglich nachkommen. Insofern würde die vollständige soziale Isolation der gesamten Bevölkerung wohl den besten Schutz gegen eine Infektion bieten. Doch kann nur durch die unter bestimmten Bedingungen zugelassene soziale Interaktion auch anderen grundrechtlich geschützten Freiheiten Rechnung getragen werden (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 12.5.2020 - 1 BvR 1027/20 -, juris Rn. 7). Insofern hat der Antragsgegner bei den zur Eindämmung der Pandemie zu treffenden Maßnahmen stets deren Verhältnismäßigkeit auch im Hinblick auf kollidierende Grundrechte und Staatsschutzziele zu prüfen. Er hat mit seiner Entscheidung gleichzeitig dem Bildungsauftrag des Staates aus Art. 7 Abs. 1 GG und dem Bildungsanspruch jedes einzelnen Kindes hinreichend Rechnung zu tragen. Ein Kernstück dessen ist die Schulbesuchspflicht. Nur sie gewährleistet ausreichende Bildungsgerechtigkeit und eine umfassende Abdeckung der Lehrpläne, denen über die reine Wissensvermittlung hinaus auch der soziale sowie kommunikative Umgang mit Lehrern und Mitschülern immanent ist. Sofern die Verwaltungspraxis über die Risikoeigenschaft hinaus eine Infektionsschutzmaßnahme an der Schule erfordert, differenziert sie damit in zulässiger Weise weiter zwischen einer (bloß) abstrakten, allgemeinen Gefährdungslage sowie der konkreten Gefahr einer Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 im Falle einer bereits nachgewiesenen Neuinfektion seitens des zuständigen Gesundheitsamtes (VG Hannover, B. v. 10.09.2020 - 6 B 4530/20 -). Eine derart ausdifferenzierte Regelung bringt die widerstreitenden Interessen zwischen der grundsätzlich in Form einer Schulbesuchspflicht bestehenden Schulpflicht gem. § 63 Abs. 1 Satz 1 NSchG i. V. m. Art. 4 Abs. 2 NV und dem staatlichen Schutzauftrag aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG sowie - wie im vorliegenden Fall vulnerabler Angehöriger darüber hinaus zudem – der Verpflichtung zum besonderen Schutz der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG im Wege praktischer Konkordanz in verfassungskonformer Weise zu einem möglichst schonenden Ausgleich (vgl. hierzu auch VG Hannover, B. v. 10.09.2020, - 6 B 4530/20 -; VG Lüneburg, B. v. 14.09.2020, - 4 B 49/20 - beides veröffentlicht in der Nds. Rechtsprechungsdatenbank).

Hierbei ist sich die Kammer bewusst, dass das sich ständig verändernde Infektionsgeschehen auch stets neue und ggf. angepasste Beurteilungen der getroffenen Infektionsschutzmaßnahmen erforderlich machen wird. Jedoch ändert dies nichts an der Auffassung, dass auf Basis der derzeitigen Infektionslage gegen die getroffenen Maßnahmen keine Bedenken bestehen.

Soweit die Antragsteller eine Verletzung der staatlichen Fürsorgepflicht für Ehe und Familie vor dem Hintergrund einer „erzwungenen“ Trennung der Familienmitglieder geltend machen, erwächst aus Sicht der Kammer auch hieraus kein Anspruch auf Homeschooling. Die Kammer hält – wie bereits ausgeführt – die Maßnahmen, welche zur Eindämmung der Infektionsgefahr getroffen wurden, derzeit für ausreichend. Es liegt insofern nicht mehr im verpflichtenden Verantwortungsbereich des Antragsgegners, den Antragstellern und ihren Eltern ein absolut risikofreies Zusammenleben im gemeinsamen Haushalt zu ermöglichen. Hierbei sollte auch beachtet werden, dass es einzelnen Familienmitgliedern (neben einer völligen Separierung voneinander) möglich und zumutbar ist, durch verstärkte Hygienemaßnahmen wie Abstandsregeln, Lüften sowie häufiges Händewaschen und Desinfizieren Ansteckungsrisiken auch innerhalb einer Familie zu verringern. Erscheint den Antragstellern und deren Eltern ein Zusammenleben trotz der vom Antragsgegner getroffenen Maßnahmen zu risikoreich, müssen diese eine etwaige Separierung voneinander als selbst gewählte gesteigerte Vorsichtsmaßnahme hinnehmen. Auch der Schutz von Ehe von Familie (Art. 6 GG) steht insofern – wie oben zitiert – nicht für sich, sondern ist mit den weiteren vom Antragsgegner zu berücksichtigenden Grundrechten – wie dem im Bildungsauftrag aus Art. 7 GG verhafteten Bildungsanspruch – wie geschehen in Ausgleich zu bringen.

Weiterhin erscheint es hier auch nicht willkürlich und mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, eine Unterscheidung zwischen Schülern einer bestimmten Risikogruppe und vulnerablen Angehörigen zu treffen.Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dem Gesetzgeber ist damit nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (vgl. z.B. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 20.04.2011 - 1 BvR 1811/08 -, juris Rn. 6). Soweit bei vulnerablen Angehörigen im Gegensatz zu vulnerablen Schülern zusätzlich zum Nachweis der Vulnerabilität hinzukommen muss, dass an der Schule bereits eine Infektionsschutzmaßnahme seitens des Gesundheitsamtes stattgefunden hat, erscheint diese Differenzierung vor dem Hintergrund der oben zitierten Rechtsprechung weder willkürlich noch sachfremd.

Soweit die Antragsteller anführen, dass das Kultusministerium aufgrund der für vulnerable Schüler im Rahmen-Hygieneplan eröffneten Befreiungsmöglichkeit vom Präsenzunterricht von einem bereits konkreten Ansteckungsrisiko ausgegangen sein müsse, was impliziere, dass auch die vulnerablen Angehörigen bei einem derartigen Risiko weitestgehend und ebenso geschützt werden müssen, ist dem nicht zu folgen. Unabhängig von der Einordnung eines Risikos als abstrakt bzw. bereits konkret erscheint es jedenfalls sachgerecht, abhängig vom Risikograd der Ansteckung unterschiedlich weitreichende Schutzvorkehrungen zu treffen. Selbst bei einem noch abstrakten Ansteckungsrisiko kann das Treffen von Vorkehrungen zum Schutze der Bevölkerung sinnvoll und notwendig sein. Dies ist durch die umfangreichen Regelungen des Rahmen-Hygieneplanes, welcher von den Schulen zu beachten ist, geschehen. Die Möglichkeit zum Homeschooling für vulnerable Schüler stellt hierbei nur eine von vielen unterschiedlichen Maßnahmen dar, um Ansteckungen gerade von körperlich geschwächten Personen (auch bereits im Rahmen eines noch nicht konkreten Ansteckungsfalles) zu vermeiden.

Soweit hinsichtlich vulnerabler Angehöriger zum Eingreifen der Ausnahmeregelung ein konkretes Infektionsgeschehen gefordert wird, erscheint diese Unterscheidung gerechtfertigt. Zwar dürfte – wie von den Antragstellern vorgetragen – das Risiko einer Infektion vulnerabler Angehöriger dadurch steigen, dass deren Kinder am Präsenzunterricht teilnehmen. Jedoch wurde von den Antragstellern nicht glaubhaft gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich, dass das Risiko für vulnerable Angehörige durch den Schulbesuch ihrer Kinder ebenso hoch ist wie für die Kinder selbst, eine Differenzierung hier mithin willkürlich wäre. Der Gefahrengrad einer Infektion liegt hier auf einer anderen Ebene als bei vulnerablen Schülern, die sich selbst unmittelbar dem Schulbetrieb aussetzen.

Es bestehen gegenwärtig keine Anhaltspunkte dafür, dass es bei einer Ansteckung von Schülerinnen und Schülern einer Schule in jedem Falle (also jedenfalls annähernd zu 100 %) auch zu einer Ansteckung der im selben Haushalt lebenden Angehörigen kommt, das Ansteckungsrisiko für beide Gruppen somit gleich hoch ist. Studienergebnisse legen (unbenommen ihrer Vorläufigkeit und diversen darin enthaltenen Unsicherheiten) eher etwas anderes nahe. So scheint es diverse Studien zu geben, welche sich mit der sogenannten sekundären Befallsrate, englisch „secondary attack rate" (abgekürzt SAR) befassen. Ein Artikel der Spiegel-Online-Ausgabe zu diesem Thema vom 7. Mai 2020 („Studie zum Coronavirus : Risikofaktor Familie“, https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/studie-zum-coronavirus-risikofaktor-familie-a-c9838e3b-f00a-4cbe-859e-f3c7c6903c15) verweist auf diverse Studienergebnisse. Bereits frühere Studien aus China hätten gezeigt, dass das neue Coronavirus nicht zwingend alle Mitglieder eines Haushalts trifft, wenn es einmal eingeschleppt wurde. Auch nach den Daten der Studie zum Corona-Ausbruch im nordrhein-westfälischen Ort Gangelt stecke man sich zwar mit größerer Wahrscheinlichkeit an als der Durchschnitt (durchschnittlich 16 %). Dabei sei das Risiko mit wachsender Haushaltsgröße allerdings immer weniger stark angestiegen. In einem 2-Personen-Haushalt habe die Ansteckungsrate bei 44 %, in einem 3-Personen-Haushalt noch bei 36 % und in einem 4-Personen-Haushalt bei 18 % gelegen. Ergebnisse, die in eine ähnliche Richtung deuten, sind einem Artikel vom 31. Juli 2020 zu einer vorläufigen Meta-Studie der Johns-Hopkins-Universität („Household transmission of SARS-CoV-2: a systematic review and meta-analysis of secondary attack rate“, https://ncrc.jhsph.edu/research/household-transmission-of-sars-cov-2-a-systematic-review-and-meta-analysis-of-secondary-attack-rate/) zu entnehmen, in welcher 40 vorangegangene Studien ausgewertet worden sind. Die Kammer ist sich bewusst, dass sich aus den vorliegenden Studien nur vorläufige Erkenntnisse ergeben und vieles noch ungeklärt ist. Allerdings gibt es wissenschaftlich basierte, deutliche Hinweise darauf, dass vulnerable Schüler und vulnerable Angehörige im Zusammenhang mit dem Schulbesuch einem unterschiedlichen Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind. Gegenteiliges haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Darlegungen zu dieser Frage sind nicht erfolgt.

Letztlich liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass im vorliegenden Einzelfall eine Abweichung von der derzeitigen Verwaltungspraxis geboten wäre. Weder dem Verwaltungsvorgang noch dem Vorbringen der Antragsteller sind Angaben zu den spezifischen Erkrankungen der Eltern der Antragsteller zu entnehmen, welche eine andere Gewichtung der auszugleichenden grundrechtlichen Aspekte nahelegen würden.