Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 23.08.2019, Az.: 6 B 127/19
Aufnahme; Aufnahmekapazität; Dokumentation; Ganztagsschule; Härtefall; Profilklasse; Unterstützungsbedarf, sonderpädagogischer
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 23.08.2019
- Aktenzeichen
- 6 B 127/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 70007
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 59a SchulG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf und die Bewerbung für eine sog. Profilklasse mit z.B. musikalischer Ausrichtung sind keine für die Aufnahme in eine niedersächsische Ganztags- oder Gesamtschule zulässigen Auswahlkriterien.
2. Schülerinnen und Schüler dürfen nur dann wegen eines Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung bei der Aufnahme doppelt gezählt werden, wenn der Bedarf in dem dafür schulrechtlich vorgesehenen Verfahren förmlich festgestellt ist.
3. Zu den Anforderungen an die Dokumentation des Auswahlverfahrens durch die Schule.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die vorläufige Aufnahme in den Sekundarbereich I des Antragsgegners zum Schuljahr 2019/2020.
Sie besuchte bis zum Ende des Schuljahres 2018/2019 die Grundschule C., die in demselben Gebäude untergebracht ist wie die Jahrgänge fünf und sechs des Antragsgegners.
Die Eltern der Antragstellerin meldeten diese beim Antragsgegner für den fünften Jahrgang im Schuljahr 2019/2020 an. Für das Schuljahr sind beim Antragsgegner insgesamt vier fünfte Klassen eingerichtet worden; der Antragsgegner geht von einer Kapazität von 120 Schülerinnen und Schülern, also 30 Kindern je Klasse aus. Insgesamt gingen bei ihm 158 Anmeldungen ein. 53 dieser Anmeldungen betrafen Geschwisterkinder, 48 Anmeldungen bezogen sich auf die beim Antragsgegner eingerichtete sogenannte Bläserklasse.
Die Platzvergabe erfolgte ausweislich der vorgelegten „Dokumentation“ des Antragsgegners, die aus einer stichwortartigen Darstellung des Auswahlverfahrens besteht und eine DIN-A4-Seite umfasst, durch Losverfahren. Vorab vergab der Antragsgegner fünf Plätze für „Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf“. Dazu heißt es in der Dokumentation (Bl. 1 der Beiakte):
„Anzahl der zu vergebenden Plätze: 115 durch 5 Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf (1x 5b, 4x 5d) bei einer Klassenstärke von 30 SuS (Doppelzählung): 5a: 30 / 5b: 29 / 5c: 30 / 5d: 26“.
Ein erster Durchgang des Losverfahrens fand am 13. Mai 2019 statt. Dabei loste der Antragsgegner die Schülerinnen und Schüler der Bläserklasse zu. Die Dokumentation des Antragsgegners führt dazu Folgendes aus:
„Durchführung des Losverfahrens für die Bläserklasse 5b (29 Plätze): Anträge (Anzahl: 48) verdeckt auf den Tisch gemischt und freie Plätze zugelost. Nicht zugeloste Anmeldungen (Anzahl: 16) wurden wieder der noch zu losenden Gesamtheit zugeführt.“
Außerdem nahm der Antragsgegner die nach seiner Darstellung 53 Geschwisterkinder auf, von denen 15 der Bläserklasse zugelost worden seien.
Danach nahm der Antragsgegner Kontakt mit den Erziehungsberechtigten der abgelehnten 16 Bewerberinnen und Bewerber für die Bläserklasse auf. Acht davon entschieden sich für den Besuch der D. und die dort eingerichtete Bläserklasse, die übrigen für einen Verbleib im weiteren Losverfahren des Antragsgegners.
Am 15. Mai 2019 fand ein weiterer Durchgang des Losverfahrens statt, der nach der Darstellung in der Dokumentation des Antragsgegners folgendermaßen ablief:
„Platzvergabe (Datum: 15.5.2019) mit der Durchführung des Losverfahrens für die übrigen freien Plätze (Anzahl: 46): Anträge (Anzahl: 78) verdeckt auf den Tisch gemischt und freie Plätze zugelost.“
Am 15. Mai 2019 versandte der Antragsgegner die schriftlichen Benachrichtigungen an die Erziehungsberechtigten der aufgenommenen und der abgelehnten Schülerinnen und Schüler. In dem Benachrichtigungsschreiben für die abgelehnten Bewerber heißt es nach dem vorliegenden Muster, man habe unter den Anmeldungen losen müssen, da gemäß § 59 a Abs. 1 NSchG lediglich Geschwisterkinder bevorzugt behandelt werden dürften.
Gegen die Ablehnung ihres Aufnahmeantrags hat die Antragstellerin Widerspruch eingelegt, über den bislang noch nicht entschieden ist.
Am 29. Mai 2019 hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie macht im Wesentlichen Folgendes geltend: Sie habe nach dem Schulgesetz die Wahl zwischen verschiedenen Schulen und daher grundsätzlich einen gesetzlichen Anspruch darauf, dass der Antragsgegner sie als Schülerin aufnehme. Das vom Antragsgegner durchgeführte Losverfahren sei nicht in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorschriften durchgeführt worden. Schüler, deren Wohnsitz innerhalb des Schulbezirks liege, seien gegenüber anderen Schülern zu bevorzugen, die außerhalb des Schulbezirks wohnen. Außer Acht gelassen habe der Antragsgegner auch, dass ein repräsentativer Querschnitt der Schülerschaft erreicht werden müsse. Die gesonderte Bläserklasse sei als eigene Gruppe vom allgemeinen Losverfahren ausgenommen worden, wodurch weniger Plätze zur Verfügung gestanden hätten. Dies sei vom Gesetz nicht vorgesehen. Es gebe auch keine Rechtsgrundlage dafür, Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf bei der Vergabe der Klassenplätze zu bevorzugen. Darüber hinaus habe der Antragsgegner nicht berücksichtigt, dass bei ihr, der Antragstellerin, aufgrund einer außergewöhnlichen familiären Belastungssituation ein Härtefall vorliege. Ihr Vater sei chronisch erkrankt und befinde sich seit 2012 in regelmäßiger ärztlicher und psychologischer Behandlung. Er leide an Depressionen sowie Angst- und Panikstörungen. Aufgrund dieser Erkrankung könne ihre Mutter ihn häufig nicht allein lassen. Auch komme es oft vor, dass er plötzlich zum Arzt und die Mutter ihn dabei begleiten müsse. Sie, die Antragstellerin, habe Angst, wenn sie allein zuhause sein müsse. Also sei wichtig, dass sie im Notfall mit ihrer Cousine oder ihren Cousins, die ebenfalls vom Antragsgegner aufgenommen worden seien, nach Hause gehen könne. Sie wohne in unmittelbarer Nähe zum Antragsgegner. Darüber hinaus seien sämtliche Freunde der Antragstellerin, mit denen zusammen sie die Grundschule besucht habe, vom Antragsgegner aufgenommen worden. Sie werde daher – sollte sie eine andere Schule besuchen müssen – ihr bisheriges soziales Umfeld weitgehend verlieren. Außerdem sei der Begründung des Bescheids ein Vermerk über die Durchführung des Losverfahrens nicht beigefügt. Ob das Verfahren den rechtsstaatlichen Grundsätzen entspreche, sei daher nicht nachprüfbar.
Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vor dem Verwaltungsgericht zum Besuch des Sekundarbereichs I zuzulassen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen.
Er tritt den Ausführungen der Antragstellerin entgegen und macht im Übrigen im Wesentlichen Folgendes geltend: Er habe zu Recht nicht von einer „Härtefallregelung“ Gebrauch gemacht, weil dafür eine Rechtsgrundlage fehle. Für einen formell ordnungsgemäßen Bescheid sei es nicht erforderlich, der Begründung einen Vermerk über das Losverfahren beizufügen. Bei den fünf Kindern mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf handele es sich um drei Geschwisterkinder und zwei weitere Kinder, die aufgrund eines Härtefalls vorab aufgenommen worden seien. Bei einem der Kinder, für die ein Härtefall angenommen worden sei, habe die Überprüfung des sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs nicht vor dem Aufnahmeverfahren abgeschlossen werden können. Die Schulleitung sei unter Heranziehung der Einschätzungen der zuständigen Kommunalverwaltung, der Klassen- und Förderschullehrkraft der Grundschule sowie des eigenen Expertenteams der Schule bereits vor dem Aufnahmeverfahren zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich um einen Härtefall mit eindeutigem entwicklungspsychologisch und pädagogisch begründetem Handlungsbedarf aus Gründen des Kindeswohls handele. Bei dem anderen Kind, für das ein Härtefall angenommen worden sei, handele es sich um ein Kind, dessen sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf aufgrund eines Bundeslandwechsels erneut überprüft werden müsse. Der Fall sei als Härtefall eingestuft worden, weil aus Sicht der Schulleitung ein eindeutiger entwicklungspsychologisch und pädagogisch begründeter Handlungsbedarf aus Gründen des Kindeswohls bestehe.
Das Gericht hat den Antragsgegner wiederholt um die nähere Erläuterung des Vergabeverfahrens und der in den Darstellungen angegebenen Zahlen gebeten. Wegen der Ergebnisse wird auf die Schriftsätze des Antragsgegners vom 6. Juni 2019 (Bl. 19 f. der Gerichtsakte), vom 11. Juli 2019 (Bl. 77 der Gerichtsakte) und vom 2. August 2019 (Bl. 84) sowie auf den Vermerk vom 23. August 2019 (Bl. 89 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang des Antragsgegners verwiesen.
II.
Der Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Aufnahme der Antragstellerin in die 5. Jahrgangsstufe (Sekundarbereich I) zu verpflichten, ist zulässig und begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes erlassen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Dazu muss der Antragsteller grundsätzlich glaubhaft machen, dass die gerichtliche Entscheidung eilbedürftig ist (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch besteht (Anordnungsanspruch). Besondere Anforderungen gelten für den Fall, dass die begehrte Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen würde. Da die einstweilige Anordnung grundsätzlich nur zur Regelung eines vorläufigen Zustandes ausgesprochen werden darf, ist sie in diesen Fällen nur möglich, wenn sonst das Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzt würde. So darf die Entscheidung in der Hauptsache ausnahmsweise vorweggenommen werden, wenn ein Hauptsacheverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben würde und wenn es dem Antragsteller darüber hinaus schlechthin unzumutbar wäre, den Abschluss des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (vgl. VG Braunschweig, B. v. 10.03.2006 - 6 B 52/06 -, www.rechtsprechung.niedersachsen.de - im Folgenden: dbnds -; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl., Rn. 190 ff.). Diese Anforderungen sind hier erfüllt.
Der Antrag ist auf die Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet. Eine die Anforderungen an den Erlass einer einstweiligen Anordnung erhöhende Vorwegnahme der Hauptsache liegt schon dann vor, wenn die begehrte Entscheidung des Gerichts dem Antragsteller für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens die Rechtsposition vermitteln würde, die er in der Hauptsache anstrebt (vgl. Nds. OVG, B. v. 23.11.1999 - 13 M 3944/99 -, NVwZ-RR 2001, 241; VG Braunschweig, B. v. 15.01.2008 - 6 B 130/07 -; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, a. a. O., Rn. 180 m. w. N.). Dies ist hier der Fall, weil die Antragstellerin die Aufnahme und − bis auf Weiteres − die Beschulung in der 5. Jahrgangsstufe des Antragsgegners erreichen will.
Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass ein Hauptsacheverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben würde. Nach den vorliegenden Unterlagen steht ihr ein Anspruch auf Aufnahme in die 5. Jahrgangsstufe des Antragsgegners zu.
Nach § 59 Abs. 1 Satz 1 NSchG haben die Erziehungsberechtigten der Schülerinnen und Schüler im Rahmen der Regelungen des Bildungsweges die Wahl zwischen den Schulformen und Bildungsgängen, die zur Verfügung stehen. Damit trägt der niedersächsische Gesetzgeber den in der Verfassung gewährleisteten Rechten Rechnung, nämlich dem Erziehungsrecht der Eltern (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Nds. Verfassung - NV -) und dem Recht auf Bildung (Art. 4 Abs. 1 NV, s. auch § 54 Abs. 1 und 7 NSchG). Die Eltern haben danach grundsätzlich das Recht, die Schulform für den Schulbesuch ihres Kindes frei zu wählen. Aus diesem grundsätzlichen Anspruch auf Zulassung zu einer bestimmten Schulform ergibt sich aber noch kein Recht auf Zugang zu einer ganz bestimmten Schule. Dem Wunsch der Eltern und der Schülerinnen und Schüler, eine bestimmte Schule zu besuchen, kann schon wegen der begrenzten Aufnahmekapazität der einzelnen Schulen nicht in jedem Fall Rechnung getragen werden. Daher reduziert sich das Recht auf gleichberechtigten Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen auf einen Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung (ständige Rspr., s. z. B. Nds. OVG, B. v. 19.12.2007 - 2 ME 601/07 -,juris Rn. 9; VG Braunschweig, B. v. 04.08.2010 - 6 B 120/10 -; Rux, Schulrecht, 6. Aufl., Rn. 772 m.w.N.). Für Ganztagsschulen wie den Antragsgegner, für Gesamtschulen und für berufsbildende Schulen (mit Ausnahme der Berufsschulen) ist das Recht auf Zugang weiter durch die Regelungen in § 59 a NSchG eingeschränkt.
Aus dem grundsätzlichen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung über den Antrag zum Besuch einer bestimmten Schule kann sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles auch ein Rechtsanspruch auf Aufnahme in diese Schule ergeben, der sich für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens mit einer einstweiligen Anordnung des Verwaltungsgerichts zur vorläufigen Aufnahme sichern lässt. Das ist der Fall, wenn die Schule die Aufnahme ermessensfehlerhaft abgelehnt hat und ihr kein Ermessensspielraum mehr verbleibt, weil jede andere Entscheidung als die Aufnahme der Schülerin oder des Schülers rechtswidrig wäre (vgl. VGH Baden-Württemberg, B. v. 24.11.1995 - 9 S 3100/95 -, juris Rn. 3).
Nach der im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung der Sachlage leidet das vom Antragsgegner durchgeführte Auswahlverfahren an erheblichen Rechtsfehlern (1.). Daraus ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Aufnahmekapazität des Antragsgegners noch nicht erschöpft ist (2.). Die Antragstellerin kann ihre vorläufige Aufnahme in die fünfte Jahrgangsstufe des Antragsgegners verlangen (3.).
1. Nach den vorliegenden Unterlagen ist die Auswahlentscheidung des Antragsgegners ermessensfehlerhaft, weil das Auswahlverfahren in mehreren Punkten nicht mit den rechtlichen Vorgaben vereinbar ist.
Nach § 59 a Abs. 1 Satz 1 NSchG kann die Aufnahme in Ganztags- und Gesamtschulen beschränkt werden, soweit die Zahl der Anmeldungen die Aufnahmekapazität überschreitet. Die Vorschrift verpflichtet die Schule für den Fall des Bewerberüberhangs zur Beschränkung der Aufnahme, einen Ermessensspielraum räumt sie der Schule insoweit nicht ein (Littmann in: Brockmann/Littmann/Schippmann, NSchG, Stand Februar 2019, § 59 a Erl. 2.2). Übersteigt die Zahl der Anmeldungen die Zahl der verfügbaren Plätze, so werden die Plätze gemäß Absatz 1 Satz 2 der Regelung durch Los vergeben. Das Losverfahren kann nach den in § 59 a Abs. 1 Satz 3 NSchG aufgeführten Kriterien abgewandelt werden (sog. differenziertes Losverfahren): Die Schulen dürfen vorsehen, dass Schülerinnen und Schüler, die nicht ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Schulbezirk haben, die Schulplätze erhalten, die die Schule nicht an Schülerinnen und Schüler aus dem Schulbezirk vergeben hat (Nr. 1), die Schulen dürfen Regelungen treffen, die den gemeinsamen Besuch von Geschwisterkindern ermöglichen (Nr. 2), und Gesamtschulen dürfen differenzieren, um einen repräsentativen Leistungsquerschnitt zu erreichen (Nr. 3). Das vom Antragsgegner durchgeführte Losverfahren ist zu einem erheblichen Teil nicht mit diesen gesetzlichen oder anderen rechtlichen Vorgaben vereinbar.
a) Der Antragsgegner durfte das Losverfahren nicht dahin abwandeln, dass die von ihm als Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf angesehenen Bewerberinnen und Bewerber vorab in die Schule aufgenommen werden und dazu nicht mehr auf das Losverfahren angewiesen sind.
Für ein solches Auswahlkriterium gibt es keine Rechtsgrundlage. Die in § 59 a Abs. 1 Satz 3 NSchG vorgesehenen Differenzierungskriterien sind schon nach dem klaren Wortlaut der Regelung abschließend (ebenso im Ergebnis Littmann, a.a.O., Erl. 4.1). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der grundgesetzlichen Regelung, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG). Danach können sich Schülerinnen und Schüler mit einem Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung, die von ihrem Recht auf inklusive Beschulung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 NSchG Gebrauch machen, auch im Auswahlverfahren nach § 59 a NSchG auf ein Verbot der Benachteiligung gegenüber anderen Bewerberinnen und Bewerbern (Diskriminierungsverbot) berufen. Allerdings berechtigt die Regelung die Gesamt- und Ganztagsschulen nicht dazu, diese Schülergruppe zum Nachteil der Schülerinnen und Schüler ohne sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf, die nach Art. 4 Abs. 1 der Niedersächsischen Verfassung und § 59 Abs. 1 NSchG ebenfalls das Recht auf Bildung haben, zu bevorzugen (ebenso im Ergebnis Littmann, a.a.O.).
Die Kammer verkennt nicht, dass die Aufnahme von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf unter Integrationsgesichtspunkten wünschenswert und für die aufnehmende Schule mit Erschwernissen verbunden ist. Dieser Umstand muss bei der Auswahl der Schülerinnen und Schüler durch eine Ganztags- oder Gesamtschule im Falle eines Bewerberüberhangs aber ohne Einfluss bleiben, weil es dafür an einer Rechtsgrundlage fehlt (s. auch Nds. OVG, B. v. 19.12.2007 - 2 ME 601/07 -, juris Rn. 31). Eine Ausnahme ist zwar denkbar für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf, die der aufnehmenden Schule von der Landesschulbehörde gemäß § 59 Abs. 5 Satz 1 NSchG zugewiesen worden sind (dazu Littmann, a.a.O., Erl. 4.1 S. 10). Dass ein solcher Fall hier vorliegt, ist aber weder vorgetragen noch aus den der Kammer zur Verfügung stehenden Unterlagen ersichtlich.
b) Nach den vorliegenden Unterlagen ist der Antragsgegner auch nicht berechtigt gewesen, alle fünf von ihm als Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf angesehenen Bewerberinnen und Bewerber bei der Berechnung der vergebenen Schulplätze doppelt zu zählen. Dafür gibt es nach gegenwärtigem Sachstand keine rechtliche Grundlage.
Zwar sieht der Erlass über Klassenbildung und Lehrkräftestundenzuweisung an den allgemein bildenden Schulen (RdErl. des MK v. 21.03.2019 - SVBl. S. 165 -) in Nr. 5.1 Satz 2 vor, dass die den allgemein bildenden Schulen mit Ausnahme der Förderschulen zugewiesenen Schülerinnen und Schüler mit festgestelltem Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung doppelt zu zählen sind. Voraussetzung für eine Doppelzählung, die zum kapazitätsmindernden Wegfall eines weiteren Schulplatzes führt, ist nach dem klaren Wortlaut der Regelung aber, dass der sonderpädagogische Unterstützungsbedarf festgestellt ist. Erforderlich ist eine förmliche Feststellung nach den dafür geltenden schulrechtlichen Bestimmungen. Die Feststellung eines Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung wird nach dem Gesetz von der Landesschulbehörde getroffen (Art. 1 § 4 der Verordnung zum Bedarf an sonderpädagogischer Förderung vom 22.01.2013 - Nds. GVBl. S 23 -, im Folgenden: VO); ihr geht ein bestimmtes Verfahren voraus, das von der Schulleitung einzuleiten ist und in dem ein Fördergutachten unter Beteiligung einer Förderschullehrkraft zu erstellen sowie eine Förderkommission einzusetzen ist, die eine Empfehlung für die Entscheidung der Landesschulbehörde zu erarbeiten oder – bei nicht einstimmiger Empfehlung – der Landesschulbehörde die unterschiedlichen Auffassungen mitzuteilen hat (vgl. Art. 1 § 2 Abs. 1 Satz 1, § 3 Absätze 1, 2 und 4 VO sowie die Ergänzenden Bestimmungen zur Verordnung zur Feststellung eines Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung, RdErl. des MK v. 31.01.2013 - SVBl. S. 67 -).
Nach den vorliegenden Unterlagen ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass dieses Verfahren für alle fünf Bewerberinnen und Bewerber durchgeführt worden und jeweils ein Feststellungsbescheid der Landesschulbehörde ergangen ist. Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 2. August 2019 im gerichtlichen Verfahren ausdrücklich ausgeführt, dass jedenfalls bei einem der betroffenen Kinder die Überprüfung des sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs nicht habe „abgeschlossen“ werden können, wobei offengeblieben ist, inwieweit das in der Verordnung vorgesehene Verfahren überhaupt eingeleitet und gegebenenfalls bereits durchgeführt worden ist. Zumindest fehlt die Entscheidung der für die Feststellung allein zuständigen Landesschulbehörde. Für ein weiteres Kind, so der Antragsgegner in dem zitierten Schriftsatz, müsse der Unterstützungsbedarf aufgrund eines Bundeslandwechsels erneut überprüft werden. Insoweit ist zumindest unklar geblieben, ob eine gültige förmliche Feststellung sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs in dem anderen Bundesland erfolgt ist. Auch für die anderen der insgesamt fünf Kinder, die der Antragsgegner nach seiner Dokumentation des Aufnahmeverfahrens (Bl. 1 der Beiakte) als Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf aufgenommen hat, hat der Antragsgegner nicht vorgetragen, dass der Unterstützungsbedarf den gesetzlichen Regelungen entsprechend festgestellt worden ist. Die Kammer hat dem Antragsgegner Gelegenheit gegeben, dazu nähere Informationen vorzulegen; dies ist jedoch bis zur Entscheidung der Kammer nicht geschehen.
Soweit die Kammer der Regelung in Nr. 5.1 Satz 2 des Erlasses vom 31. März 2019 entnimmt, dass die Doppelzählung die förmliche Feststellung sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs verlangt, steht dem auch nicht entgegen, dass es sich um eine Verwaltungsvorschrift handelt. Verwaltungsvorschiften haben keine unmittelbare Außenwirkung für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger, sondern wirken grundsätzlich nur verwaltungsintern. Außenwirkung kommt ihnen aber jedenfalls dann zu, wenn sie eine ständige Verwaltungspraxis zum Ausdruck bringen, mit der sich die Behörde für künftige Fälle selbst gebunden hat und deren Nichtbeachtung daher zur Verletzung des Grundrechts auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) führt (vgl. VG Braunschweig, U. v. 30.01.2013 - 6 A 195/11 - m.w.N.). Für den Inhalt der Verwaltungsvorschrift kommt es daher – anders als bei einer Rechtsnorm – nicht maßgeblich auf den Wortlaut und die Auslegung durch das Gericht an, sondern darauf, wie die Regelung tatsächlich in ständiger Praxis angewandt wird (vgl. VG Braunschweig, a.a.O., m.w.N.). Die Kammer hat gegenwärtig jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich eine den Wortlaut der Regelung nicht berücksichtigende Verwaltungspraxis gebildet hat. Wenn dies der Fall wäre, würden die Schulen im Übrigen die gesetzlichen Regelungen über das Verfahren und die Zuständigkeiten für die Feststellung sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs unterlaufen. Diese Praxis wäre also nicht mit der einschlägigen Verordnung vereinbar und würde schon deswegen bei Anwendung durch die Schulen im Aufnahmeverfahren die Rechte derjenigen Bewerberinnen und Bewerber verletzen, die wegen der angenommenen Kapazitätsminderung abgewiesen und damit benachteiligt werden.
c) Der Antragsgegner ist auch nicht berechtigt gewesen, Schülerinnen und Schüler wegen eines angenommenen Härtefalls aufzunehmen.
Es ist schon fraglich, ob der Antragsgegner überhaupt Härtefälle im Rahmen des Losverfahrens berücksichtigen durfte. Denn die Bestimmungen in § 59 a Abs. 1 Satz 3 NSchG sehen eine solche Abwandlung des Losverfahrens für Gesamt- und Ganztagsschulen nicht vor. Dagegen hat der Gesetzgeber in § 59 a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 NSchG für die Aufnahme in berufsbildende Schule ausdrücklich eine Härteregelung normiert. Behinderungs- und krankheitsbedingten Einschränkungen trägt das Schulgesetz in den Regelungen über die Schülerbeförderung Rechnung, die maßgeblich an die Zumutbarkeit des Schulweges anknüpfen (vgl. § 114 NSchG). Dementsprechend ist von anderen Gerichten bereits wiederholt entschieden worden, dass es rechtlich nicht zu beanstanden sei, wenn die Schule im Losverfahren nach § 59 a Abs. 1 NSchG Härtegründe nicht berücksichtigt (vgl. z.B. VG Hannover, B. v. 15.08.2006 - 6 B 4352/06 -, SchuR 2008, 7; VG Oldenburg, B. v. 01.07.2010 - 5 B 1499/10 -, dbnds; ebenso im Ergebnis Littmann, a.a.O, Erl. 4.1; Nolte in: Galas/Krömer/Nolte/Ulrich, NSchG, 10. Aufl., § 59 a Rn. 2 unter d m.w.N.). Andererseits könnte in Einzelfällen die Berücksichtigung von Härtefällen verfassungsrechtlich geboten sein, wenn sich nur hierdurch eine Grundrechtsverletzung – insbesondere ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz – abwenden ließe. Das könnte etwa der Fall sein, wenn eine Behinderung oder Erkrankung des Kindes ausschließlich die Beschulung an der ausgewählten Schule zulässt, weil eine anderweitige Beschulung z. B. wegen drohender erheblicher Schäden an Leib oder Leben, die durch zumutbare und mögliche Maßnahmen im Schulbetrieb nicht abgewendet werden können, unzumutbar ist. Im Hinblick darauf wird in der Rechtsprechung zum Teil die Berücksichtigung „eng umgrenzter“ Härtefälle verlangt (vgl. Sächs. OVG, B. v. 08.12.2008 - 2 B 316/08 -, juris Rn. 13; s. auch Rux, a.a.O., Rn. 816 m.w.N.). Ob sich dieses Ergebnis noch ohne die Vorlage beim Verfassungsgericht im Wege der Auslegung des § 59 a NSchG oder einer verfassungskonformen Rechtsfortbildung erreichen ließe, ist zweifelhaft. Die Kammer hat bislang offenlassen können, ob die Schulen bei ihren Entscheidungen nach § 59 a Abs. 1 NSchG Härtefälle in dem dargelegten engen Sinne zu berücksichtigen haben (vgl. VG Braunschweig, B. v. 04.08.2010 - 6 B 120/10 -). Auch für das vorliegende Eilverfahren ist diese Frage nicht entscheidungserheblich. Nach den vorliegenden Unterlagen ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass den als „Härtefälle“ angesehenen Schülerinnen und Schülern der Besuch eines anderen Gymnasiums unter gesundheitlichen oder anderen Aspekten unzumutbar wäre und ihr Fall daher als „eng umgrenzter“ Härtefall zu qualifizieren ist.
Es liegen schon keine einheitlichen Angaben des Antragsgegners darüber vor, in welchem Umfang er bei der Aufnahme in den fünften Jahrgang eine Härtefallregelung angewandt hat. In der Dokumentation über das Auswahlverfahren sind Härtefälle noch nicht erwähnt. Im Schriftsatz des Antragsgegners vom 6. Juni 2019 heißt es, er habe „auch zu Recht nicht von einer Härtefallregelung Gebrauch gemacht, weil eine solche im Rahmen der Aufnahme nach § 59 a NSchG nicht vorgesehen ist.“ Im Schriftsatz vom 11. Juli 2019 dagegen spricht der Antragsgegner erstmals davon, dass es sich bei den aufgenommenen fünf Kindern mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf um drei Geschwisterkinder handele und um „zwei weitere Kinder, die aufgrund eines Härtefalls vorab aufgenommen“ worden seien. Auf Nachfrage der Kammer hat er die angenommenen Härtefälle im Schriftsatz vom 2. August 2019 erläutert. Die Angaben beschränken sich im Wesentlichen auf die Mitteilung, aus Sicht der Schulleitung bestehe ein „eindeutig entwicklungspsychologisch und pädagogisch begründeter Handlungsbedarf“. Damit hat der Antragsgegner jedenfalls nicht hinreichend substanziiert dargelegt, dass ein eng begrenzter Härtefall in dem oben erläuterten Sinne gegeben ist. Seine Angaben lassen nicht erkennen, dass eine Behinderung, Erkrankung oder sonstige gravierende Beeinträchtigung der Kinder ausschließlich die Beschulung beim Antragsgegner zulässt.
d) Der Antragsgegner hat im Rahmen des Losverfahrens zunächst die Plätze für die sogenannte Bläserklasse unter den Schülerinnen und Schülern verteilt, die sich für diese Klasse angemeldet hatten. Er hat diese Bewerberinnen und Bewerber damit bei der Zuweisung der Schulplätze bevorzugt behandelt, indem er für die Schülergruppe eine bestimmte Anzahl von Plätzen (die der Bläserklasse) ausschließlich vorgesehen und den nicht auf diesem Wege aufgenommenen Schülerinnen und Schülern der Gruppe nach Aufrechterhaltung ihrer Bewerbung erneut die Möglichkeit gegeben hat, einen Platz (in einer anderen Klasse) zugelost zu bekommen. Dies ist mit dem geltenden Recht nicht vereinbar.
Wird ein Gymnasium als Ganztagsschule geführt, ist die Auswahl der Schülerinnen und Schüler bei einem Bewerberüberhang zwingend nach den Regelungen des § 59 a Abs. 1 NSchG durchzuführen. Diese sehen bestimmte musikalische Interessen oder Begabungen ebenso wenig als Auswahlkriterien vor wie die Bewerbung für eine eingerichtete „Profilklasse“ mit einer besonderen – z. B. musikalischen, sportlichen, naturwissenschaftlichen oder sprachlichen – Ausrichtung (ebenso Littmann, a.a.O., Erl. 4.1; Nolte, a.a.O., Rn. 2 unter d). Durch solche Kriterien reduziert sich im Übrigen auch die Aufnahmekapazität der aufnehmenden Ganztagsschule nicht (s. Littmann, a.a.O., Erl. 3.2 S. 8 und dazu auch unten, 2.).
e) Die Versendung der Entscheidungen nach Durchführung des Auswahlverfahrens entsprach nicht den Vorgaben des Grundgesetzes.
Der Antragsgegner hat die schriftlichen Benachrichtigungen über die Aufnahme und die Ablehnung von Schülerinnen und Schülern gleichzeitig versandt. Hierdurch ist bei den Erziehungsberechtigten der aufgenommenen Kinder jedenfalls ein schutzwürdiges Vertrauen hervorgerufen worden, aus dem sie einen Aufnahmeanspruch gegen den Antragsgegner herleiten konnten. Wenn die Aufnahmekapazität der Schule durch die in dieser Weise rechtsverbindliche Aufnahme von Schülerinnen und Schülern erschöpft ist, besteht die Gefahr, dass sich Rechtsfehler im Auswahlverfahren nicht mehr gerichtlich korrigieren lassen (s. dazu auch unten, 2.). Dies würde das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) verletzen. Dem haben die Schulen Rechnung zu tragen, indem sie zunächst die abgelehnten Bewerberinnen und Bewerber informieren und bis zur Versendung der Bescheide an die aufgenommenen Schülerinnen und Schüler einen angemessenen Zeitraum abwarten, für den in der Regel eine Frist von einer Woche ausreichen dürfte (vgl. zu allem: VG Hannover, U. v. 20.01.2009 - 6 A 4432/08 -, dbnds Rn. 24 f.; Littmann, a.a.O., Erl. 8). Hieran hat sich der Antragsgegner nicht gehalten. Dass sich seine Vorgehensweise nicht zum Nachteil der Antragstellerin ausgewirkt hat, liegt daran, dass die Aufnahmeentscheidungen des Antragsgegners seine Aufnahmekapazität wegen der von ihm rechtsfehlerhaft vorgenommenen Doppelzählungen nicht erschöpft haben (dazu unten, 2.).
f) Mit ihren weiteren Einwände gegen die Auswahlentscheidung des Antragsgegners hat die Antragstellerin keinen Erfolg.
Soweit ihr Prozessbevollmächtigter geltend macht, der Antragsgegner hätte bei der Auswahl differenzieren müssen, um einen repräsentativen Leistungsquerschnitt zu erreichen, übersieht er, dass dieses Differenzierungskriterium nach § 59 a Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 NSchG nur für Gesamtschulen gilt.
Dass der Antragsgegner bei der Auswahlentscheidung nicht danach differenziert hat, ob die Schülerin oder der Schüler im „Schulbezirk“ wohnt, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zu Recht weist der Antragsgegner darauf hin, dass § 59 a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 NSchG die Schule nicht zur Anwendung dieses Auswahlkriteriums verpflichtet, sondern die Entscheidung, ob sie das Kriterium anwendet, in ihrem pflichtgemäßen Ermessen steht. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner diese Entscheidung fehlerhaft getroffen hat.
Soweit sich die Antragstellerin selbst auf Härtegründe berufen hat, ist zunächst festzustellen, dass jedenfalls fraglich ist, ob solche Gründe bei der Auswahlentscheidung nach § 59 a Abs. 1 NSchG überhaupt berücksichtigt werden dürfen (dazu bereits oben, unter c). Die Antragstellerin hat aber auch nicht glaubhaft gemacht, dass in ihrem Fall eng umgrenzte Härtegründe in dem oben dargelegten Sinn vorliegen. Ihrem Vortrag lässt sich nicht entnehmen, dass eine Behinderung, Erkrankung oder sonstige gravierende Beeinträchtigung, die bei ihr selbst vorliegt, ausschließlich die Beschulung an der ausgewählten Schule zulässt. Insbesondere hat sie fachärztliche Atteste, die ihr solche Beeinträchtigungen bescheinigen, nicht vorgelegt.
g) Ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass die vorliegende „Dokumentation“ des Antragsgegners über den Ablauf des Auswahlverfahrens für sich gesehen nicht nachvollziehbar ist. So wird z. B. eine Reihe von Zahlen, die bei der Berechnung verwendet werden – wie die Zahl der nach Besetzung der Bläserklasse, der Aufnahme der Geschwisterkinder und der Kinder mit „sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf“ noch zu vergebenden Plätze – nicht hinreichend erläutert, andere Angaben sind nach den jetzt vorliegenden Informationen zumindest missverständlich. Erforderlich ist eine Dokumentation, der auch die Erziehungsberechtigten der nicht aufgenommenen Schülerinnen und Schüler entnehmen können, welche Differenzierungskriterien die Schule angewandt hat, und wie sich die Zahlen ergeben, die die Schule bei der Auswahlentscheidung zugrunde legt; die Dokumentation muss erkennen lassen, wie die Schule bei der Vergabe der Plätze im Einzelnen vorgegangen ist, und jeden Berechnungsschritt nachvollziehbar unter Angabe aller dafür notwendigen Informationen darlegen (s. auch Nolte, a.a.O., Rn. 2 S. 419). Diesen Anforderungen genügt die „Dokumentation“ des Antragsgegners nicht.
Erhebliche rechtliche Bedenken bestehen auch, soweit die „Absage“-Schreiben des Antragsgegners an die Erziehungsberechtigten der nicht aufgenommenen Schülerinnen und Schüler ausweislich des vorgelegten Musters den Hinweis enthalten, „gemäß § 59 a NSchG (dürften) lediglich Geschwisterkinder bevorzugt behandelt werden“. Dies erweckt den unzutreffenden Eindruck, dass der Antragsgegner das Losverfahren ohne weitere Differenzierungen durchgeführt hat.
Die Kammer lässt offen, inwieweit auch die aufgezeigten Defizite der Auswahl-Dokumentation und der Begründung der Ablehnungsbescheide zur Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung führen können und ob sie insbesondere im weiteren Verlauf des Verfahrens geheilt worden sind (vgl. auch § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG i.V.m. § 2 Abs. 3 Nr. 3 Nds. VwVfG sowie Nolte, a.a.O.). Darauf kommt es für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren nicht an.
2. Nach den vorliegenden Unterlagen bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Aufnahmekapazität des Antragsgegners nicht erschöpft ist.
Nach § 59 a Abs. 5 NSchG ist die Aufnahmekapazität einer Schule überschritten, wenn nach Ausschöpfung der verfügbaren Mittel unter den personellen, sächlichen und fachspezifischen Gegebenheiten die Erfüllung des Bildungsauftrags der Schule nicht mehr gesichert ist. Auf dieser Grundlage bestimmt sich die Aufnahmekapazität der Schule nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts maßgeblich nach dem Runderlass des Niedersächsischen Kultusministeriums über Klassenbildung und Lehrkräftestundenzuweisung an den allgemein bildenden Schulen (a.a.O.) sowie der vom Schulträger festgelegten „Zügigkeit“, also der Anzahl der Klassen, die nach der Entscheidung des Schulträgers für einen Schuljahrgang einzurichten sind (vgl. Nds. OVG, B. v. 18.12.2008 - 2 ME 569/08 -, juris Rn. 12 und 20; s. auch Littmann, a.a.O., Erl. 3.2). Der Erlass sieht in Nr. 3.1 für Gymnasien bis zum 10. Schuljahrgang eine Höchstzahl von 30 Schülerinnen bzw. Schülern je Klasse vor. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts ist die Aufnahmekapazität nur dann ausnahmsweise nicht nach den in dem zitierten Erlass bestimmten Schülerhöchstzahlen zu bemessen, wenn die Schule selbst von diesen Richtwerten abgegangen ist, indem sie in einzelne Klassen mehr Schüler als geboten aufnimmt (vgl. Nds. OVG, B. v. 18.12.2008, a.a.O., Rn. 14; B. v. 19.12.2007 - 2 ME 601/07 -, juris Rn. 31). Ein solcher Sachverhalt liegt hier nicht vor. Da der Schulträger für den fünften Schuljahrgang beim Antragsgegner die Vierzügigkeit angeordnet hat, ist der Antragsgegner grundsätzlich zutreffend von einer Aufnahmekapazität von 120 Schülerinnen und Schülern ausgegangen.
Diese Aufnahmekapazität hat er jedoch rechtsfehlerhaft reduziert, indem er alle als Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf aufgenommene Schülerinnen und Schüler doppelt gezählt hat. Dies ist nur zulässig, wenn die Feststellung in dem dafür vorgesehenen Verfahren durch die Landesschulbehörde erfolgt ist. Diese Voraussetzung ist jedenfalls nicht bei allen fünf Kindern erfüllt (s. oben). Für jedes der Kinder, die der Antragsgegner bei der Auswahlentscheidung unzutreffend doppelt gezählt hat, wird damit ein Schulplatz frei, der nach den vorliegenden Unterlagen auch noch nicht anderweitig besetzt ist.
Ob der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts auch insoweit zu folgen ist, als das Gericht einen durch einstweilige Anordnung sicherbaren (vorläufigen) Aufnahmeanspruch generell bei erschöpfter Aufnahmekapazität unabhängig von Fehlern der Schule im Auswahlverfahren verneint, oder ob vielmehr auch unter Berücksichtigung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG zu verlangen ist, dass die Schulen bei Fehlern im Auswahlverfahren Schülerinnen und Schüler auch über ihre Kapazitäten hinaus bis zur äußersten Grenze ihrer Funktionsfähigkeit aufzunehmen haben, kann die Kammer für das vorliegende Verfahren offenlassen (vgl. einerseits Nds. OVG, B. v. 18.12.2008, a.a.O., Rn. 28; andererseits z. B. OVG Rheinland-Pfalz, B. v. 19.04.2000 - 2 B 10642/00 -, NVwZ-RR 2000, 680, 681; Sächs. OVG, B. v. 08.12.2008 - 2 B 316/08 -, juris Rn. 17; VG Frankfurt, B. v. 30.07.2019 - 7 L 2182/19.F -, juris Rn. 9 ff.; Rux, a.a.O., Rn. 821; zum Streitstand s. auch BVerfG, B. v. 12.03.2019 - 1 BvR 2721/16 -, juris Rn. 32 - jew. m.w.N. -). Denn die Aufnahmekapazität der Schule ist hier nicht vollständig erschöpft.
3. Der Antragstellerin steht auch ein Anspruch auf vorläufige Aufnahme zu und nicht lediglich auf Neuentscheidung bzw. Durchführung eines weiteren Losverfahrens. Die Ermessensentscheidung des Antragsgegners über den Aufnahmeantrag der Antragstellerin ist aus den dargelegten Gründen ermessensfehlerhaft. Nach den vorliegenden Unterlagen ist hinreichend wahrscheinlich, dass sich ihr Ermessen auf Null reduziert hat, weil die Aufnahme der Antragstellerin die einzig ermessenfehlerfreie Entscheidung ist.
Nach gegenwärtigem Sachstand ist nicht ersichtlich, dass andere abgelehnte Bewerberinnen und Bewerber um die Plätze im fünften Jahrgang des Antragsgegners gegen die Entscheidungen vorgegangen sind; jedenfalls sind weitere Verfahren auch nicht bei der Kammer anhängig. Da demnach jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Anzahl der Bewerberinnen und Bewerber, die aktuell noch an ihrem Aufnahmeantrag festhalten, die Zahl der nicht vergebenen Plätze übersteigt, war der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin einen Platz zuzuweisen.
Dieser Anspruch war durch einstweilige Anordnung zu sichern. Auch im Hinblick auf den dafür erforderlichen Anordnungsgrund – die besondere Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung – bestehen hier nach den besonderen Umständen des Falles unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Unterricht für das neue Schuljahr inzwischen bereits begonnen hat, keine Bedenken; Einwände dagegen hat auch der Antragsgegner nicht erhoben.