Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.02.1991, Az.: 2 A 108/88

Beihilfe; Bestattungskosten; Fehlgeburt; Lebendgeburt; Todesfall

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.02.1991
Aktenzeichen
2 A 108/88
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1991, 13134
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1991:0220.2A108.88.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - 31.05.1988 - AZ: 7 VG A 95/87
nachfolgend
BVerwG - 13.06.1991 - AZ: BVerwG 2 B 68.91

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 7. Kammer - vom 31. Mai 1988 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung einer Beihilfe für Bestattungskosten.

2

Der Kläger ist Oberregierungsrat im Dienste des Landes Niedersachsen. Am 3. März 1978 heiratete der Kläger Frau .... Am 27. Oktober 1986 hatte Frau ... eine Fehlgeburt in der 24. Schwangerschaftswoche. Das Kind war ca. 20 cm lang und wog 200 g. Der Kläger und Frau ... erteilten dem Beerdigungsinstitut ..., ..., den Auftrag, den Fötus in einer vorhandenen Familiengrabstelle der Frau ... in ... zu bestatten. Das Beerdigungsinstitut berechnete hierfür einen Betrag von 1.055,20 DM.

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Die Ehe des Klägers mit Frau ... geb. ... wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - ... vom 13. November 1986, rechtskräftig seit dem 30. Dezember 1986 geschieden. Am 27. April 1987 heiratete der Kläger Frau ....

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Mit Antrag vom 12. Dezember 1986 beantragte der Kläger die Gewährung einer Beihilfe für die Bestattung seines nichtehelichen Kindes .... Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 25. Februar 1987 mit der Begründung ab, Aufwendungen für Bestattungen seien gemäß § 12 Beihilfevorschriften - BhV - nur in Todesfällen beihilfefähig.

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Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und führte aus, ein Todesfall im Sinne der Beihilfevorschriften läge vor. Das Kind ... sei am 27. Oktober 1986 geboren, es sei 20 cm lang gewesen und habe ca. 200 g gewogen. Es sei eine Leibesfrucht in der 24. Woche gewesen, bei der zu diesem Zeitpunkt alle menschlichen Züge bereits voll ausgebildet gewesen seien. Ein Todesfall im Sinne von § 24 Personenstandsgesetz - PStG - habe wohl nicht vorgelegen, weil das Kind nicht 1.000 g oder mehr gewogen habe, das Herz nicht geschlagen habe, die natürliche Lungenatmung nicht eingesetzt habe und weil unbekannt sei, ob die Nabelschnur pulsiert habe (§ 29 PStG). Es habe sich deswegen zwar nicht um einen nach dem Personenstandsgesetz beurkundungspflichtigen Todesfall gehandelt, gleichwohl aber um einen toten menschlichen Körper. Hinsichtlich der Beseitigung solcher Frühgeburten sei die Rechtslage unklar. Es widerspreche der Menschenwürde, eine solche Leibesfrucht durch das Krankenhaus nach den Regeln des Abfallbeseitigungsgesetzes zu beseitigen. Die Friedhofsämter beerdigten tot geborene Kinder regelmäßig und problemlos wie Tote.

6

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Bescheid vom 14. April 1987 zurück. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 BhV seien Aufwendungen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen für Kinder des Beihilfeberechtigten nur beihilfefähig, wenn diese im Ortszuschlag nach dem Bundesbesoldungsgesetz berücksichtigungsfähig seien. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht gegeben.

7

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Das Kind ... habe bei der Geburt ca. 460 g gewogen. Wiege ein Fötus keine 1.000 g und/oder bestehe keine medizinische Rettungsmöglichkeit, werde der Fötus routinemäßig als Sondermüll - und nichtbestattungspflichtige Fehlgeburt - durch das Krankenhaus registriert. Entsprechend dieser Praxis sei der Fötus durch das Städtische Klinikum, Celler Straße, behandelt worden.

8

Auch der voreheliche, nichteheliche Vater sei kindergeldberechtigt, soweit die voreheliche, nichteheliche Mutter dem zustimme. Die Kindesmutter sei schon mit Rücksicht auf das Bestehen einer Lebensgemeinschaft davon ausgegangen, daß der Kindesvater kindergeldberechtigt sein sollte. Wenn das Kind ausgetragen worden wäre, wäre es auch ehelich geboren worden. Die Eheschließung des Klägers mit der Kindesmutter hätte dann nicht erst am 27. April 1987 stattgefunden. Das Kind hätte dann auch im Ortszuschlag berücksichtigt werden können. Daß es tatsächlich nicht im Ortszuschlag des Klägers habe berücksichtigt werden können, habe sich aus seinem Schicksal ergeben.

9

Es könne nicht von der Zufälligkeit, ob ein Lebenszeichen festgestellt werde, abhängen, ob ein vorzeitig Geborener als beihilfe- und friedhofsrechtlicher Todesfall eingestuft werde. Es bestehe vielmehr eine aus Art. 1 GG herleitbare Verpflichtung, eine vorzeitige menschliche Geburt in adäquater Form beizusetzen. Im übrigen sei der Todesfall beihilferechtlich entsprechend der strafrechtlichen Definition zu § 168 StGB zu bestimmen.

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Der Kläger hat beantragt,

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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Februar 1987 in Form des Widerspruchsbescheides vom 14. April 1987 zu verurteilen, an den Kläger Beihilfe in Höhe von 850,-- DM zu zahlen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

14

Sie hat vorgetragen, es sei eine medizinische Frage, in welchem Zeitpunkt der Tod eintrete. Voraussetzung sei aber stets die Vollendung der Geburt, das Kind müsse also bei der Vollendung der Geburt leben und irgendwelche Lebenszeichen von sich geben. Es habe sich hier lediglich um eine Fehlgeburt, nicht jedoch um einen Todesfall gehandelt.

15

Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch Urteil vom 31. Mai 1988 stattgegeben. Die Beklagte sei nach § 87 Abs. 1, 3 Ziff. 1 NBG iVm § 12 BhV verpflichtet, dem Kläger Beihilfe für den Todesfall seines Kindes ... zu gewähren. Das Tatbestandsmerkmal Kind im Sinne von § 12 BhV sei unabhängig von anderen Normen der Beihilfevorschriften zu definieren. Es sei insbesondere nicht abhängig von § 3 BhV. Der Sohn des Klägers habe das Tatbestandsmerkmal Kind erfüllt. Es sei nicht angängig, die Beihilfe deshalb zu versagen, weil das Kind bei der Bestattung personenstandsrechtlich keinem Bestattungszwang unterlegen habe. Eine andere Auffassung widerspreche dem Wesenskern der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, mit der es nicht zu vereinbaren gewesen wäre, den Beamten darauf zu verweisen, daß es kostengünstiger gewesen wäre, den Leichnam seines Kindes als Krankenhaussondermüll beseitigen zu lassen. Diese Alternative der Nichtbestattung eines Kinderleichnams sei weltanschaulich nicht mehr neutral und berühre Grundrechte des Beamten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Dieser Eingriffe müsse sich der Dienstherr enthalten.

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Gegen dieses ihr am 23. Juni 1988 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11. Juli 1988 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie vorträgt: Beihilfefähig seien nur Aufwendungen der beihilfeberechtigten Person und ihrer berücksichtigungsfähigen Angehörigen, u.a. die im Ortszuschlag berücksichtigungsfähigen Kinder des Beihilfeberechtigten. Vorliegend sei ein Kind nicht geboren worden, so daß die Grundvoraussetzung für die Beihilfefähigkeit von Beerdigungskosten aus Anlaß des Todesfalles eines Kindes nicht gegeben sei. Der Klaganspruch könne auch nicht aus § 87 NBG hergeleitet werden. Die die Fürsorgepflicht konkretisierenden Beihilfevorschriften hätten den Vorrang. Die Fürsorgepflicht werde hier durch den ergänzenden Charakter der Beihilfe nicht in ihrem Wesenskern verletzt.

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Die Beklagte beantragt,

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das angefochtene Urteil abzuändern und nach dem Antrag der Beklagten in der ersten Instanz zu erkennen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

21

Er führt aus: Nach den Kommentaren zum Beihilferecht sei Beihilfe auch bei Tot- und Fehlgeburten zu gewähren. Für die Beihilfeberechtigung genüge in diesen Fällen die Feststellung, daß das Kind bei einer Lebendgeburt im Ortszuschlag berücksichtigungsfähig gewesen wäre.

22

Die Parteien haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

23

Ergänzend wird auf das Vorbringen der Parteien in den von ihnen überreichten Schriftsätzen und Schriftstücken Bezug genommen. Dem Senat lagen die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die Besoldungsakte betreffend den Kläger (Beiakten A und B) vor.

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II.

Die Berufung, über die im Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist zulässig und begründet.

25

Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

26

Der Kläger kann keine Beihilfe nach § 12 BhV verlangen.

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Nach § 12 BhV wird Beihilfe in Todesfällen gewährt. Hier lag kein Todesfall, sondern eine Fehlgeburt der damaligen Lebensgefährtin, der jetzigen Ehefrau, des Klägers vor. Topka-Möhle § 12 BhV Anm. 1 führen dementsprechend aus, ein Todesfall setze eine Lebendgeburt voraus. Nach dem Personenstandsrecht sei zwar ein Todesfall auch bei einer Totgeburt anzunehmen oder dann, wenn das Kind in der Geburt versterbe. Wenn das Kind jedoch keine Lebensmerkmale gezeigt und bei der Geburt weniger als 1.000 g gewogen habe, handele es sich um eine Fehlgeburt. In diesem Falle liege ein Todesfall im Sinne des Beihilferechts nicht vor. Entsprechend differenziert Mildenberger zu § 11 Abs. 2-4 BhV zwischen Lebendgeburten, Totgeburten und Fehlgeburten und behandelt als Besonderheit von Todesfällen zu § 12 Anm. 2 Abs. 2 BhV lediglich die Beihilfefähigkeit von Totgeburten, wobei er als (weitere) Voraussetzung die Berücksichtigungsfähigkeit im Ortszuschlag anführt (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 BhV). Diese Auslegung entspricht auch dem normalen Sprachgebrauch, der durchaus zwischen Totgeburten einerseits und Fehlgeburten andererseits unterscheidet, wobei die Totgeburt sich auf die Geburt einer an sich lebensfähigen, im Einzelfall aber toten Leibesfrucht bezieht und die Fehlgeburt auf die Beendigung der Schwangerschaft der Mutter, hier durch einen vorzeitigen Abgang der Leibesfrucht, ohne daß die Leibesfrucht als bereits lebensfähiges Wesen angesehen wird. Der Senat teilt diese angeführte Auffassung, daß bei einer Fehlgeburt noch nicht von einem Todesfall gesprochen werden kann, wenngleich die Entwicklung des nasciturus jäh abgebrochen wird.

28

§ 12 Abs. 1 BhV ist nicht erweiternd dahin auszulegen, daß unter Todesfällen auch Fehlgeburten zu verstehen sind.

29

Es bedarf daher keines weiteren Eingehens auf die Frage, ob die Leibesfrucht im Falle ihrer Geburt im Ortszuschlag berücksichtigungsfähig gewesen wäre. Immerhin hat der Kläger erst unter dem 10. April 1987 Kindergeld für das am 10. Januar 1980 geborene Kind Jan Karl Bruno Weiß beantragt.

30

Der Kläger kann einen Beihilfeanspruch nicht aus § 87 Abs. 1 NBG, aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn herleiten. Der Dienstherr hat die ihm obliegende Fürsorgepflicht durch die Beihilfevorschriften konkretisiert, dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsraum zu, der im vorliegenden Fall nicht verletzt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 30. 6. 1983 - Behindertenrecht 1984, 18 -). Die Fürsorgepflicht erstreckt sich auf den Beamten, seinen Ehegatten und die im Ortszuschlag nach dem BBesG berücksichtigungsfähigen Kinder. Es erscheint nicht geboten, die Fürsorgepflicht auf die Lebensgefährten eines Beamten zu erweitern, wenn dieser noch in einer Ehe lebt, die noch nicht geschieden ist und die deswegen den Schutz und damit den Vorrang des Art. 6 GG genießt. Ebensowenig erstreckt sich die Fürsorgepflicht des Dienstherrn auf die Leibesfrucht der Lebensgefährtin eines anderweitig verheirateten Beamten, sofern nicht die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 BhV vorliegen.

31

Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, daß sich aus dem Schutz der Menschenwürde des Art. 1 GG ergebe, daß er dem Fötus ein angemessenes Begräbnis habe gewähren müssen und daß der Dienstherr ihm wegen dieser Aufwendungen eine Beihilfe von 850,-- DM erstatten müsse. Als Oberregierungsrat erhält der Kläger eine Besoldung, die ihm die angemessene Bestattung des Fötus, die insgesamt 1.130,20 DM erfordert hatte, ohne eine wesentliche Einschränkung seines amtsangemessenen Lebensunterhalts ermöglicht hätte.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO.

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Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO, § 193 NBG).

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Zeller

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Dr. Große

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Dehnbostel