Sozialgericht Aurich
v. 26.06.2017, Az.: S 55 AS 798/16

Bibliographie

Gericht
SG Aurich
Datum
26.06.2017
Aktenzeichen
S 55 AS 798/16
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2017, 24611
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Bescheid vom 08.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2016 wird insoweit abgeändert, als dass der Beklagte nicht mehr als 1.186,- EUR vom Kläger als Erstattung fordern kann. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Erstattungsforderung des Beklagten für die Monate Juni und Juli 2016. In der Sache besteht Streit um die Frage, ob der Beklagte vom Kläger für diesen Zeitraum auch Beiträge zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung zurückfordern kann.

Der Kläger ist am D ...1987 geboren und stand jedenfalls bis zum Monat Mai 2016 im laufenden Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) beim Beklagten. Diese Leistungen waren mit Bescheiden vom 16.12.2015 und 10.06.2016 für die Monate Februar 2016 bis Juli 2016 in Höhe von 593,- EUR bewilligt worden (nur mit Bescheid vom 16.12.2015). Mit dem streitigen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 08.08.2016 hob der Beklagte die Bewilligungsentscheidungen für die Zeit vom 01.06.2016 bis 31.07.2016 ganz auf und forderte eine Erstattung von 1.396,38 EUR. Die Entscheidung stützte er darauf, dass der Kläger ab dem 01.06.2016 Einkommen aus nicht selbständiger Erwerbstätigkeit bei dem Arbeitgeber E. erzielte in Höhe von 1.670,94 EUR brutto und 1.202,63 EUR netto. Dieses Einkomme decke den Bedarf in den Monaten Juni und Juli 2016 in voller Höhe. Bestandteil der Erstattungsforderungen waren Beiträge zur Krankenversicherung von monatlich 83,78 EUR + 6,58 EUR sowie Beträge zur Pflegeversicherung in Höhe von 14,83 EUR monatlich.

Vor Erlass des angegriffenen Bescheides hörte der Beklagte mit Schreiben vom 28.07.2016 nach § 24 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) schriftlich zur beabsichtigten Aufhebung an. Hierauf äußerte der Kläger, dass er die Erstattungsforderung in Raten begleichen wolle. Mit seinem Widerspruch berief sich der Kläger darauf, dass die im Erstattungszeitraum vom Jobcenter geleisteten Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung nicht von ihm zurückgefordert werden könnten, sondern das Jobcenter sich unmittelbar an die Krankenkasse, die F., wenden müsse. Mit streitigem Widerspruchsbescheid vom 20.10.2016 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und berief sich insbesondere bezüglich der Frage der Erstattung der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung auf die Regelung des § 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II i.V.m. § 335 Abs. 1 Stz 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches - Arbeitsförderung - (SGB III). Im Klageverfahren ist der Kläger weiter der Ansicht, dass eine Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung von ihm nicht gefordert werden könne, der Beklagte sich an die Krankenkasse halten müsse, an diese seien die Beiträge gezahlt worden.

Der Kläger beantragt schriftlich sinngemäß,

den Bescheid vom 08.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2016 insoweit abzuändern, als dass Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zur Erstattung gefordert werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist darauf, dass seit dem 01.01.2016 nach Neufassung des § 40 Abs. 2 Nr. 5 2. Halbsatz (SGB II) kein Beitragserstattungsanspruch gegen die Krankenkasse bestehe. Dies habe die Krankenkasse mit Schreiben vom 12.01.2017 auch bestätigt.

Gegenstand der Entscheidungsfindung waren die Gerichtsakten sowie die vom Beklagten überreichten Verwaltungsvorgänge.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfange begründet. Der angegriffene Bescheid vom 08.08.2016 ist auch in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2016 rechtswidrig ergangen und verletzt den Kläger insoweit auch in seinen Rechten, als dass eine Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung von ihm gefordert wird.

Nachdem die Beteiligten zum Erlass eines Gerichtsbescheides ohne mündliche Verhandlung gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört wurden, war eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung möglich. Die Sache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf und der Sachverhalt ist geklärt.

Ausweislich des Vorbringens der Beteiligten besteht im hiesigen Gerichtsverfahren alleine Streit darüber, ob der Beklagte im Rahmen einer Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung in der Konstellation des Klägers die Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung rechtmäßig fordern kann.

Auch für diese auf den Teil der Erstattungsforderung beschränkte Klage sind die Voraussetzungen allgemeiner Art bezüglich der Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung zu prüfen. Das Gericht hat insoweit festgestellt, dass die formellen Voraussetzungen an den Erlass einer Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung gewahrt sind, insbesondere hat mit Schreiben vom 26.07.2016 eine schriftliche Anhörung gemäß § 24 SGB X stattgefunden. Ebenso sind die Anforderungen an die Bestimmtheit im Sinne des § 33 SGB X gewahrt. Hierbei erkennt das Gericht, dass die im Ausgangsbescheid vom 08.08.2016 verfügte Aufhebung eines Bescheides vom 10.06.2016 betreffs des aufgeführten Zeitraumes nach den vorliegenden Akten ins Leere geht. Dieser Bescheid vom 10.06.2016 regelt (Bl. 104 ff der Akten) die Leistungsbewilligung für die Zeit von August 2016 bis Januar 2017. Hieraus folgt aber keine weitergehende Rechtsverletzung des Klägers.

In materieller Hinsicht kann der Beklagte im Grundsatz die Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung auf die Regelungen der § 40 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 3 und 4 SGB X sowie § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III und § 50 Abs. 1 SGB X stützen. Die Einkommenserzielung bzw. der Antritt der Erwerbstätigkeit stellt in Bezug auf den Dauerverwaltungsakt der Bewilligung vom 16.12.2015 eine Veränderung der Tatsachengrundlage dar. Ein Vertrauensschutz ist bereits deswegen nicht zu gewähren, weil er gesetzlich bei nachträglicher Einkommenserzielung ausgeschlossen ist, § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X. Die Erstattungsforderung des Beklagten kann in Anbetracht der wirksamen Aufhebung der Bewilligungsentscheidung auf die Regelung des § 50 Abs. 1 SGB X im Grundsatz gestützt werden.

Jedoch besteht kein Beitragserstattungsanspruch betreffs der Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung, die der Beklagte an die Krankenkasse geleistet hat. Auch die neue seit dem 01.01.2016 geltende gesetzliche Lage in § 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II i.V.m. § 335 Abs. 1 Satz 2 SGB III bedingt keinen Beitragserstattungsanspruch im konkreten Fall des Klägers.

Diese Bewertung ergibt sich nach Erkenntnis des Gerichts bereits aufgrund des Wortlautes des § 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II am Ende. Hier ist ausgeführt: "In den Fällen des § 335 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch". Diese Regelung ist so auszulegen, dass entgegen der Regelung des § 335 Abs. 1 Satz 2 SGB III, der für das Arbeitsförderungsrecht originär Geltung beansprucht, im Bereich des SGB II kein Beitragserstattungsanspruch gegen den Gesundheitsfond und damit auch die Krankenkasse bestehen soll. Zugleich soll aufgrund dieser gesetzlichen Regelung jedoch auch gegen den Leistungsempfänger kein Erstattungsanspruch bestehen. Die gesetzliche Regelung bedeutet, dass § 335 Abs. 1 Satz 2 SGB III weiterhin Geltung beanspruchen soll. Diese Auslegung der gesetzlichen Regelung in § 40 SGB II hält das Gericht für alleine nachvollziehbar bereits aufgrund der Tatsache, dass bei Ausschluss eines Erstattungsanspruchs alleine im Verhältnis zum Gesundheitsfond eine diesbezügliche ausdrückliche Formulierung bei Gesetzesänderung zum 01.01.2016 nahe gelegen hätte. Der Wortlaut bedingt hingegen keinen Ausschluss bezüglich alleine des Gesundheitsfonds, sondern umfasst alle Erstattungen. Hierbei ist zu beachten, dass § 335 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 SGB III neben einer Ersatzpflicht für den Gesundheitsfond die ausdrückliche Regelung formuliert: "Die Bezieherin oder der Bezieher wird insoweit von der Ersatzpflicht nach Satz 1 befreit". Diese Regelung ist im Bereich des SGB II nicht mit Änderung des § 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II betroffen, sondern gilt weiter. So wird im Bereich des SGB II ausdrücklich auf den "Fall des § 335 Abs. 1 Satz 2 SGB III" Bezug genommen und damit alleine dieser Umstand inkludiert. Zu guter Letzt ist im Wege der historischen Auslegung festzustellen, dass in der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 18/1307, S. 53 oben) kein Hinweis zu finden ist, dass die Regelung nicht anwendbar sein sollte. Der Gesetzgeber hat beabsichtigt, die gesetzgeberische Zielsetzung der Privilegierung des Gesundheitsfonds dadurch zu erreichen, dass Leistungsempfänger nicht belastet werden, sondern der Leistungsträger und damit die Allgemeinheit/der Steuerzahler.

Vor diesem Hintergrund der gesetzlichen Regelung bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob es einer ungeschriebenen Tatbestandsvoraussetzung bedarf, dass der Ersatzanspruch bei pflichtgemäßem Handeln eines Leistungsempfängers ausgeschlossen werde (so vielleicht Bundessozialgericht - BSG - , Urteil vom 21.11.2002 - B 11 AL 79/01 - zitiert nach ). Das Gericht erkennt nur, dass in Anbetracht der Behördenunkundigkeit und eingerichteten Betreuung des Klägers der Nachweis einer groben Fahrlässigkeit, die das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal ausfüllen würde, evtl. schwierig wäre. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass der Kläger in seinem Schreiben vom 09.03.2017 nachvollziehbar schildert, dass die Arbeitsvermittlung des Jobcenters und damit des Beklagten in die Anstellung des Klägers vollständig involviert war und diese sogar fördert.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger ist mit seinem ausdrücklichen Begehren bezüglich der Nichterstattung der Leistungen für die Kranken- und Pflegeversicherung in vollem Umfange obsiegt.

Vor dem Hintergrund der obigen Kostenentscheidung bedurfte es inhaltlich keiner Entscheidung mehr mit dem Prozesskostenhilfeersuchen des Klägers.