Sozialgericht Aurich
Urt. v. 30.05.2017, Az.: S 13 SO 65/15
Bibliographie
- Gericht
- SG Aurich
- Datum
- 30.05.2017
- Aktenzeichen
- S 13 SO 65/15
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 24610
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Fundstelle
- SAR 2017, 122-124
Tenor:
Der Bescheid vom 13.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2015 wird aufgehoben. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Berechtigung des Beklagten zum Erlass einer Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung gegenüber der Klägerin als Erbin und Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes.
Die Klägerin ist am 08.07.1947 geboren und lebte in den Jahren 2012 bis 2014 im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten in G ... Zumindest in dieser Zeit bezogen sie und ihr Ehemann Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches - Sozialhilfe - (SGB XII) vom Beklagten. Ihr Ehemann war etwa seit dem Jahre 2011 an Krebs erkrankt, was am 10.04.2014 zu seinem Tod führte. Die Klägerin wurde Alleinerbin nach ihrem verstorbenen Ehemann. Beide hatten mit Bescheiden vom 11.10.2011, 05.06., 07.08., 07.09.2012, 06.06., 03.07., 31.07., 10.09. und 05.12.2013 Leistungen der Grundsicherung bewilligt erhalten. Diese Bewilligung erfolgte mit diesem Bescheiden insgesamt für die Zeit von November 2011 bis Juni 2014. Alle Leistungsbewilligungen für den Ehemann der Klägerin erfolgten ohne Anrechnung eines Renteneinkommens. Der Ehemann bezog jedoch bereits ab dem 01.04.2012 eine Regelaltersrente, worüber er den Beklagen nicht informierte. Die Rente wurde in Höhe eines monatlichen Auszahlungsbetrages von 227,06 EUR für die Zeit vom 01.04. bis 30.06.2012 gezahlt, in Höhe von 232,02 EUR für die Zeit vom 01.07.2012 bis zum 30.06.2013 sowie in Höhe von 232,60 EUR für die Zeit vom 01.07.2013 bis 30.04.2014 (Bl. 289 ff. der Verwaltungsakten). Diese Rente wurde laufend auf ein Konto gezahlt, dessen Inhaberin die Klägerin war. Anlässlich des Versterbens des Ehemannes teilte die Klägerin ihren eigenen Bezug einer Witwenrente nach ihrem Ehemann mit. Daraufhin ermittelte der Beklagte bezüglich der oben dargestellten Rentenleistung. Im Zuge der Ermittlungen fand am 20.06.2014 eine telefonische Unterrichtung der Klägerin statt und mit Schreiben vom 07.07.2014 hörte der Beklagte sie dann schriftlich zum Rentenbezug ihres Ehemannes und der beabsichtigten Aufhebung an. Hierauf äußerte sich die Klägerin persönlich am 25.07.2014 und gab an, dass ihr die Renten bekannt waren, ihr Ehemann ihr aber gesagt habe, er habe die Rente beim Beklagten angegeben. Hierauf habe sie sich verlassen. Mit einem Schreiben vom 10.03.2015 teilte der für den Ehemann zuständige Rententräger, die Deutsche Rentenversicherung Bund, die genaue Höhe und die Dauer des Bezuges schriftlich dem Beklagten auf dessen Anfrage mit (Bl. 289 ff.). Daraufhin hob der Beklagte mit dem streitigen Bescheid vom 13.03.2015 die Bescheide vom 11.10.2011, 05.06.2012, 06.06.2013 und 05.12.2013 teilweise oder ganz auf. Zugleich forderte er die aufgrund der angegebenen Bescheide geleistete Überzahlung ab April 2012 bis einschließlich April 2014 in Höhe von insgesamt 5.791,42 EUR zurück. Die Aufhebung stützte er darauf, dass der Ehemann der Klägerin den Rentenbezug nicht angegeben habe und aus diesem Grund kein Vertrauensschutz vorliege. Die Bescheide seien bereits bei Erlass insoweit rechtswidrig gewesen.
Mit ihrem Widerspruch vom 27.03.2015 führte die Klägerin an, dass der verstorbene Ehemann die Rente nicht grob fahrlässig nicht mitgeteilt habe, sondern wegen seiner schweren Krebserkrankung sich nicht um die Verhältnisse zum Beklagten habe kümmern können. Sie selbst habe keinerlei Kenntnisse von den Vorgängen im Verhältnis mit dem Beklagten gehabt. Mit dem streitigen Widerspruchsbescheid vom 07.10.2015 wies der Beklagte den Widerspruch diesem Vorbringen zum Trotz zurück.
Im Klageverfahren legt die Klägerin dar, dass ihr Ehemann sich um sämtliche finanziellen Angelegenheiten bis zum seinem Tode gekümmert habe. Sie habe sich in Anbetracht seiner Erkrankung in den letzten Jahren auch nicht mit ihm über finanzielle Angelegenheiten unterhalten. Auch bezüglich ihres eigenen Kontos, auf das die Rente gezahlt wurde, habe der Ehemann Vollmacht gehabt. Der Ehemann habe wegen seiner schweren Erkrankung keiner groben Fahrlässigkeit in Bezug auf die Nichtangabe des Rentenbezuges unterlegen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 13.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2015 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass jedenfalls in Bezug auf den verbleibenden streitigen Betrag die angegriffenen Bescheide rechtmäßig ergangen seien. Ein Vertrauensschutz käme aufgrund des schwerwiegenden Fehlverhaltens des Ehemannes nicht in Betracht. Im Übrigen könne der Beklagte auch nicht nachvollziehen, dass die Klägerin keinerlei Kenntnisse von den finanziellen Angelegenheiten gehabt habe.
Das Gericht hat am 30.05.2017 eine mündliche Verhandlung in der Angelegenheit durchgeführt. In dieser mündlichen Verhandlung hat der Beklagte ein Teilanerkenntnis dergestalt abgebeben, dass die Höhe der Rückforderung auf den Betrag von 2.092,82 EUR beschränkt werde. Dieses Teilanerkenntnis hat die Klägerin angenommen. Bezüglich des weiteren Inhaltes der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll Bezug genommen.
Weiterer Gegenstand der Entscheidung war der Inhalt der Gerichtsakten sowie der Inhalt der vom Beklagten überreichten Verwaltungsvorgänge.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Bescheid vom 13.03.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2015 ist rechtswidrig ergangen und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Diese Bewertung ergibt sich bereits daraus, dass nach Auffassung der erkennenden Kammer im vorliegenden Verfahren die Eröffnung eines originären neuen Verwaltungsverfahrens in Form der Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung gegenüber dem verstorbenen Ehemann der Klägerin und damit ihr als Erbin als Adressatin nicht rechtmäßig möglich war.
Im vorliegenden Fall betreffen die angegriffenen Bescheide unmittelbar und ausschließlich die Leistungen des Beklagten an den Ehemann der Klägerin und nicht die Leistungen der Klägerin selbst. Die Aufhebung und Rückforderung erfolgt ausschließlich bezüglich der ihm, dem Verstorbenen, gewährten Leistungen. Dies ist in der vorliegenden Konstellation nach dem Versterben gegenüber der Erbin nicht rechtmäßig möglich.
Das im Rahmen der §§ 45 ff. des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches Verwaltungsverfahren (SGB X) auszuübende Ermessen der Behörde bezüglich der Aufhebungsentscheidung ist alleine in Bezug auf den Adressaten der ursprünglichen Leistungen und damit den Verstorbenen zu beziehen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22.11.2001- 5 C 10/00, zitiert nach ). Die Verhältnisse der Erbin sind hierfür unerheblich. Die erkennende Kammer ist dabei entgegen der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes der Auffassung, dass die Ausübung eines Ermessens gegenüber einem Verstorbenen in der hier vorhandenen Konstellation nicht rechtmäßig möglich ist. Im Rahmen des Ermessens hat die Behörde den individuellen Umständen des Adressaten und damit hier eines Verstorbenen Rechnung zu tragen. Ebenso hat die Behörde gemäß § 24 SGB X den Adressaten, einen Verstorbenen, förmlich zur beabsichtigten Entscheidung anzuhören. Eine solche Anhörung ist unmöglich. Eine Anhörung der Erbin in Bezug auf die dem Ermessen zugrunde liegenden Umstände, die aus den Verhältnissen des Verstorbenen resultieren, ist jedenfalls im hier vorliegenden Fall ausgeschlossen. Die Klägerin hat nachvollziehbar dargetan, dass sie selbst nicht umfänglich mit den finanziellen bzw. Behördenangelegenheiten ihres Ehemannes befasst war. Von daher kann sie als Erbin keine adäquaten Aussagen zu den Umständen des Verstorbenen treffen und somit keine umfängliche Ermessensentscheidung der Behörde ermöglichen.
Das Gericht erkennt auch, dass in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) anerkannt zu sein scheint, dass der Erlass eines Verwaltungsaktes gegenüber einem Verstorbenen grundsätzlich möglich ist (Urteil vom 13.12.2005 - B 2 U 16/05 R - zitiert nach ). Die angegebene Entscheidung des BSG ist jedoch nicht bezüglich einer Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung gemäß §§ 44 ff. SGB X ergangen, welche im Ermessen der Behörde steht. Vielmehr handelt es sich um eine Entscheidung auf dem Gebiet des Rechtes der gesetzlichen Unfallversicherung in Bezug auf die Geltendmachung von Beitragsforderungen. Diese ist gemäß der gesetzlichen Regelung des § 665 Satz 2 Reichsversicherungsordnung, welche der Entscheidung des BSG zugrunde gelegt wurde, ausdrücklich gesetzlich ermöglicht. Es liegt also eine gesetzlich anders geregelte Fallgestaltung vor. Das BSG erkennt dabei jedoch (a.a.O.) auch, dass die für die Kriegsopfer- und Soldatenversorgung zuständigen Senate des BSG übereinstimmend entschieden haben, dass die Versorgungsverwaltung Bezüge, die der Versorgungsempfänger zu seinen Lebzeiten zu Unrecht erhalten hatte, von den Erben durch Verwaltungsakt zurückfordern kann (BSG a.a.O. Rn.15 nach ). Dies könnte der hier zu entscheidenden Konstellation wertungsmäßig entsprechen. Die vom Bundessozialgericht in Bezug genommenen Urteile im Rahmen der Kriegsopfer- und Soldatenversorgung betreffen jedoch zunächst nicht die Konstellation der Regelungen des § 44 ff. SGB X mit den erforderlichen Ermessensausübungen. Vielmehr hat das BSG entschieden, dass der Rechtsübergang aus Anlass eines Erbfalles die Rechtsnatur eines schon vorher entstandenen öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruches nicht ändert (Urteil vom 28.04.1966 - 8 RV 119/65 - zitiert nach ). Diese Konstellation liegt hier jedoch nicht vor. Der Rückforderungsanspruch gegenüber der Klägerin wird erst durch eine Verwaltungsentscheidung nach dem Tode des Verstorbenen und eigentlichen Adressaten begründet. Vor dem Versterben war nicht einmal ein Verwaltungsverfahren begonnen worden, vielmehr erhielt der Beklagte erst nach dem Tode des Leistungsempfängers Kenntnis von den der Aufhebung zugrunde gelegten Tatsachen. Auch die weiter zitierte Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 05.07.1966 zum Az.: 9 RV 664/65 kann nicht der Bewertung der Kammer entgegengehalten werden. Hier ist festgestellt, dass im Rahmen der Versorgungsverwaltung zu Unrecht gewährte Bezüge nach dem Tod von den Erben durch Verwaltungsakt zurückgefordert werden können. Jedoch betrifft auch diese Entscheidung keine Konstellation einer erforderlichen Ermessenausübung. Vielmehr lag dieser Entscheidung bereits festgestellt zugrunde, dass Leistungen zu Unrecht gezahlt waren und zurückzuerstatten waren, es bedurfte keiner Ermessensausübung mehr. Die sachlichrechtlichen Voraussetzungen für einen Rückforderungsanspruch waren bereits unabhängig von den persönlichen Umständen des Betroffenen geschaffen. Die Rückerstattungsforderungen waren dabei auch der Höhe nach nicht streitig, vielmehr hat das BSG entschieden, dass in dieser Konstellation ein Leistungsträger die Handlungsform eines Verwaltungsaktes nutzen kann. Auch die weitere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes (Urteil vom 11.03.1971 - II C 36.68 - zitiert nach ) ist auf den hier zu bewertenden Fall nicht anwendbar. Auch im Rahmen dieser Entscheidung stand aus gesetzlichen Gründen das Bestehen des Rückforderungsanspruches bereits fest, ein Ermessen war nicht auszuüben, und streitig war nur die Frage der Geltendmachung durch Verwaltungsakt. Im vorliegenden Fall hingegen stand und steht eine Rückforderung- bzw. Aufhebungsentscheidung der Behörde nicht zwingend fest, sondern bedurfte der Ausübung eines Entschließungsermessens und auch eines Auswahlermessens bezüglich der Art und Weise und der Höhe der Aufhebung und Rückforderung. Diese im Rahmen des § 45 SGB X in Verbindung mit Leistungen nach dem SGB XII zwingende Ermessensentscheidung ist nach Auffassung der Kammer nach dem Versterben des Ehemannes der Klägerin nicht mehr rechtmäßig möglich.
Da bereits die Aufhebungsentscheidung sich als rechtmäßig darstellt und damit zwingend die Erstattungsentscheidung des Beklagten gemäß § 50 SGB X rechtswidrig ist, bedurfte es keiner weiteren Erwägungen der Kammer bezüglich evtl. zu gewährendem Vertrauensschutz für den verstorbenen Ehemann der Klägerin oder zu der Frage, ob der angegriffene Bescheid sich als hinreichend bestimmt im Sinne des § 33 SGB X darstellt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die Klägerin ist mit ihrem Begehren in vollem Umfange obsiegt.