Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 15.02.2005, Az.: L 4 KR 44/01
Kostenerstattung für das Präparat Recancostat comp.; Anspruch auf zur Verfügung Stellen von Leistungen durch die Krankenkasse; Erforderlichkeit einer arzneimittelrechtlichen Zulassung für das Präparat Recancostat comp. als Fertigarzneitmittel; Normsetzungsbefugnis des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (heute: des Gemeinsamen Bundesausschusses); Beanspruchung der Kosten für eine neue Untersuchungsmethode und Behandlungsmethode durch einen gesetzlich Versicherten
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 15.02.2005
- Aktenzeichen
- L 4 KR 44/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 13919
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2005:0215.L4KR44.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Osnabrück - AZ: S 3 KR 97/97
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs. 3 SGB V
- § 2 Abs. 1 S. 1 SGB V
- § 12 SGB V
- § 21 Abs. 1 S. 1 AMG
- § 4 Abs. 1 AMG
Fundstellen
- GesR 2005, 284-285
- MedR 2005, 411
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Im Streit ist die Kostenerstattung für das Präparat Recancostat comp. in Höhe von 7.754,93 DM (3.965,03. EUR).
Die am 16. April 1993 geborene und am 27. März 2000 verstorbene Klägerin E. befand sich Anfang 1996 in stationärer Behandlung in der Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde - Pädiatrische Hämatologie/Onkologie - der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Dort wurde die Diagnose Neuroblastom Stadium IV gestellt. Die ambulant behandelnde Ärztin Dr F. verordnete unter dem 2. Februar 1996 erstmals "Recancostat comp. 2 X 100 kps". Im Folgenden verordnete auch der Facharzt für Innere Medizin Dr G. Recancostat comp.
Unter Vorlage des Entlassungsberichtes sowie der Verordnungen des Facharztes für Innere Medizin Dr G. und der Ärztin Dr F. beantragten die Eltern der Klägerin im Februar 1996 die Kostenübernahme für das Medikament Recancostat comp. U.a. legten sie die Produktbeschreibung für Recancostat comp. vor. Die Versicherte wurde nach Angaben der Eltern in therapiefreien Intervallen der Chemotherapie mit Recancostat comp. behandelt. Nach der vorgelegten Produktinformation beinhalte das Arzneimittel reduziertes Glutathion, Anthocyane und L-Cystein. Dabei sei die Kombination von reduziertem Glutathion mit Anthocyanen in einem bestimmten Verhältnis, wie es in Recancostat comp. in einzigartiger Weise vorliege, von Bedeutung. Die Wirkstoffkombination sei mit dem Europa-Patent Nr. 0545972 geschützt und gelte ausschließlich für das Original-Präparat Reconcostat comp.
Die Beklagte schaltete den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) ein. Dr H. vom MDKN führte unter dem 8. März 1996 aus, dass keine wissenschaftlichen Veröffentlichungen vorlägen, die einen therapeutischen Erfolg des Präparats dokumentierten. Die Chemotherapieserie habe gerade erst begonnen, sodass die schulmedizinischen Behandlungsmethoden noch nicht erfolglos bzw. ausgeschöpft seien. Die Verordnung sei sozialmedizinisch nicht begründet. Die Eltern der Versicherten reichten ein weiteres Rezept der Ärztin Dr F. sowie deren Attest vom 14. November 1996 zu den Akten. Darin führte Dr F. u.a. aus, dass, dass das reduzierte Glutathion (Recancostat) nach ihrer ärztlichen Erfahrung auf den Verlauf des Krebsgeschehens einen positiven Einfluss habe.
Die Beklagte holte daraufhin ein weiteres Gutachten des MDKN (Arzt für Innere Medizin I.) vom 5. Februar 1997 ein. Dieser führte darin wie folgt aus:
" ... Recancostat besteht nach Angaben des Herstellers aus reduziertem Glutathion (G-SH), Cystein und Anthocyanen. Irgendwelche konkreteren Angaben liegen nicht vor. Man änderte dann aus juristischen Gründen die Zusammensetzung durch weglassen des Anthocyane (Blütenfarbstoff). Das Arzneimittel wurde daraufhin mehrfach umbenannt und in wechselnden Zusammensetzungen als "Recancostat comp", "Recancostat comp N" oder "Recancostat N-APO" vertrieben ...
Das Mittel Recancostat (früher ohne "comp" oder "comp N") wird seit Jahren in Deutschland mit irreführender Werbung vermarktet. Der Vertrieb als Fertigarzneimittel wurde 1990 vom Landgericht Stuttgart durch eine einstweilige Verfügung untersagt. Daraufhin wurde das Arzneimittel als Apothekenrezeptur deklariert und vertrieben. Im Jahre 1991 hat das Regierungspräsidium Darmstadt der Herstellerfirma T. die irreführende Werbung und auch das Inverkehrbringen des Arzneimittels untersagt. Diese Entscheidung ist vom Verwaltungsgericht Frankfurt im gleichen Jahr bestätigt worden. Nach Mitteilung des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 08.08.94 ist es auch weiterhin untersagt, Recancostat in Verkehr zu bringen.
Das Mittel ist in einem Kanton der Schweiz "bei Mangel an reduziertem Glutathion und L-Cystein" verkehrsfähig durch Registrierung. Es besteht keine Zulassung, das Mittel ist auch in der Schweiz nicht verordnungsfähig. Ein statistisch relevanter Wirksamkeitsnachweis existiert nicht. Es sind lediglich einige experimentelle Daten aus Tierversuchen bekannt. Beim Menschen sind erniedrigte G-SH-Spiegel bei Tumorerkrankungen gefunden worden. Eine klin. Prüfung wird bis dato nicht durchgeführt (Auskunft RP Darmstadt vom 3.12.96). Eine Negativbeurteilung der Schweizerischen Krebsliga liegt vor ..."
Mit Bescheid vom 12. Februar 1997 lehnte die Beklagte die Kostenerstattung für das Präparat Recancostat comp. ab. Hiergegen legte der Vater der Klägerin Widerspruch ein und übersandte die Erläuterungen zu den in Recancostat comp. enthaltenen arzneilichen Stoffen und ihre Wirkweise von der Firma S. in Frankfurt am Main. In der Verwaltungsakte befindet sich u.a. weiterhin die Information des Landesverbandes Hessen der BKK vom 9. April 1996. Darin wird darauf hingewiesen, dass die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und die Deutsche Krebsgesellschaft e.V. im DABl. 1996, 93/9 C-406) vor der Verordnung von Recancostat comp. warnen würden. Das Präparat werde auf Anfrage von Ärzten von einer Apotheke hergestellt und vertrieben. Bereits 1991 sei ein ähnliches Substanzgemisch (Recancostat Grad) vom Verwaltungsgericht in Frankfurt/Main als nicht verkehrsfähig bezeichnet und ein Rückruf bereits ausgelieferter Ware angeordnet worden.
Die Beklagte übersandte den Eltern der Klägerin unter dem 9. April 1997 ein Anhörungsschreiben nach § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Sie wies darauf hin, dass eine Kostenerstattung nicht möglich sei. Nachdem der Widerspruch nicht zurückgenommen wurde, holte die Beklagte das Gutachten der Ärztin Dr J. (MDKN) vom 23. Juni 1997 ein. Dr J. bestätigte in ihrem Gutachten vom 5. Februar 1997 die Ausführungen des Internisten I ... Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies daraufhin den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 14. August 1997).
Hiergegen hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben. Mit Gerichtsbescheid vom 30. Januar 2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung nur ein Anspruch auf Kostenerstattung für die nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) zugelassenen Medikamente bestehe. Im Übrigen bestimme § 2 Abs. 1 Satz 3 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V), dass die Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen hätten. Das gelte für alle Krankheitsfälle, so auch bei schweren und oft nicht heilbaren Erkrankungen wie Krebs. Das Präparat Recancostat comp. entspreche nach herrschender wissenschaftlicher Ansicht nicht dem medizinischen Standard.
Gegen den am 5. Februar 2001 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Eltern der Klägerin Berufung eingelegt (Eingang beim Landessozialgericht -LSG- Niedersachsen am 26. Februar 2001). Sie beziehen sich auf ihren Vortrag in der ersten Instanz.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 30. Januar 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 1997 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für das Medikament Recan-costat comp. in Höhe von 7.754,93 DM (3.965,03 EUR) zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 30. Januar 2001 sowie der angefochtene Bescheid der Beklagten sind zutreffend. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für das Arzneimittel Recancostat comp.
Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist, nachdem die Leistung bereits in Anspruch genommen und bezahlt wurde, § 13 Abs. 3 SGB V in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S 266). Diese Vorschrift lautet: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (1. Alternative) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt (2. Alternative) und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Der Senat vermag einen Notfall i.S. der 1. Alternative des § 13 Abs. 3 SGB V nicht zu erkennen.
Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen der 2. Alternative des § 13 Abs. 3 SGB V vor.
Die Ärztin Dr F. hat am 2. Februar 1996 ein Rezept über Recancostat comp. ausgestellt. Wann die Klägerin dieses Rezept eingelöst hat oder ob sie schon vor der Antragstellung bei der Beklagten mit Recancostat comp. behandelt worden ist, lässt sich nicht mehr feststellen. Daher ist offen, wann der Klägerin erstmals entsprechende Kosten entstanden sind. Zu Gunsten der Klägerin unterstellt der Senat, dass der Beschaffungsweg eingehalten wurde.
Gleichwohl sind die Voraussetzungen der 1. Alternative des § 13 Abs. 3 SGB V nicht erfüllt. Denn die Beklagte hat die Kostenerstattung für Recancostat comp. nicht zu Unrecht abgelehnt.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V stellen die Krankenkassen den Versicherten die im 3. Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes des § 12 SGB V zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V). § 12 Abs. 1 SGB V bestimmt, das die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.
Diese Voraussetzungen liegen im Bezug auf das Präparat Recancostat comp. nicht vor. Für das Präparat Recancostat comp. ist nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG in der hier anzuwendenden Fassung vom 19. Oktober 1994 (BGBl I S 3018) eine arzneimittelrechtliche Zulassung erforderlich. Denn nach § 21 Abs. 1 AMG darf ein Fertigarzneimittel nur in den Verkehr gebracht werden, wenn es zugelassen ist. Das Präparat Recancostat comp. ist ein Fertigarzneimittel im Sinne von § 21 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 AMG. Es ist aber nicht nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG zugelassen.
Fertigarzneimittel sind nach § 4 Abs. 1 AMG Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden. Die Herstellung "im Voraus" bedeutet, dass das Arzneimittel für eine Vielzahl von Verbrauchern hergestellt wird. Im Gegensatz zu den sog. Rezepturarzneimitteln beruht ein Fertigarzneimittel nicht auf einer individuellen Rezeptur. Es wird also nicht speziell für einen Einzelfall, sondern serienmäßig hergestellt (vgl. Rehmann, Arzneimittelgesetz, 2003, § 4 Rn. 1).
Bereits das LSG Rheinland-Pfalz hat in seinem Urteil vom 3. Februar 2000 (Az.: L 5 KR 12/99, nicht veröffentlicht) zu dem Vorgänger-Präparat Recancostat comp. N-APO folgenden Ablauf der Beschaffung des Präparats festgestellt, der auch auf das Nachfolge-Präparat Recancostat comp. zutrifft, wie sich aus den vorliegenden Unterlagen ergibt. Regelmäßig halten Apotheken das Präparat nicht vor. Bei Verordnung bestellt daher die vom Versicherten aufgesuchte Apotheke das Präparat bei der Herstellungsapotheke. Bei der Herstellungsapotheke besteht ebenfalls keine Vorratshaltung. Vielmehr werden die Recancostat comp. Kapseln bei entsprechender Anforderung erst von der Herstellungsapotheke gefertigt. Dennoch handelt es sich bei Recancostat comp. nicht um ein Rezepturarzneimittel. Denn die Herstellerapotheke stellt die Kapseln nicht auf Grund einer individuellen Rezeptur für einen konkreten Patienten her. Die Herstellung erfolgt vielmehr serienmäßig ohne Rücksicht auf eine individuelle patienten- oder krankheitsbezogene Zusammensetzung des fertigen Medikaments auf der Verordnung des behandelnden Arztes. So ist im vorliegenden Fall beispielsweise nicht einmal erkennbar, dass die Zusammensetzung des Präparats speziell auf die pädiatrischen Bedürfnisse der damals erst 6 Jahre alten Klägerin zugeschnitten war. Als nicht zugelassenes - und damit nicht verkehrsfähiges - Fertigarzneimittel unterfällt das Präparat Recancostat comp. nicht der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen. § 21 Abs. 1 AMG untersagt das Inverkehrbringen eines zulassungspflichtigen Arzneimittels solange, bis eine positive Zulassungsentscheidung vorliegt. Da Recancostat comp. nicht zugelassen ist, darf es nicht in Verkehr gebracht werden. Demgemäß hat das Landgericht Stuttgart den Vertrieb des Vorgänger-Präparats im Jahre 1990 durch eine einstweilige Verfügung verboten. Das Regierungspräsidium Darmstadt hat im Jahre 1991 untersagt, das Vorgänger-Präparat in den Verkehr zu bringen. Diese Entscheidung ist vom Verwaltungsgericht Frankfurt bestätigt worden.
Ein von der Rechtsordnung verbotenes Verhalten jedoch kann keine Leistungspflicht der Krankenkasse begründen. Insoweit geht die Beklagte zu Recht von einer negativen Vorgreiflichkeit der Arzneimittelzulassung in dem Sinne aus, dass die fehlende Zulassung die Verordnungsfähigkeit stets ausschließt. Mit der arzneimittelrechtlichen Zulassung verfügen die Krankenkassen über ein eindeutiges Kriterium bei der Entscheidung über die Verordnungsfähigkeit von pharmazeutischen Produkten. Dieses Kriterium ist zuverlässig, weil die Zulassungsentscheidung nach § 21 ff AMG auf der Grundlage aufwändiger Unterlagen und behördlicher Fachkompetenz ergeht (vgl Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 23. Juli 1998, Az: B 1 KR 19/96 R (Jomol) in SozR 3-2500 § 31 Nr. 5).
Entgegen der Ansicht der Klägerin wären die Kosten für das Präparat Recan-costat comp. aber auch dann nicht von der Beklagten zu tragen, wenn das Präparat entsprechend dem klägerischen Vorbringen kein Fertigarzneimittel wäre, sondern ein für den jeweiligen Behandlungsfall nach ärztlicher Verordnung hergestelltes und damit nach dem AMG zulassungsfreies Rezepturarzneimittel. In diesem Falle wäre die Behandlung mit dem Präparat Recancostat comp. als neue Behandlungsmethode einzustufen. Sie entspricht nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nach § 2 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 12 Abs. 1 SGB V.
Zwar folgt der erkennende Senat nicht der Rechtsprechung des BSG zur Normsetzungsbefugnis des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (heute: des Gemeinsamen Bundesausschusses) gegenüber den Versicherten. Nach der Rechtsprechung des BSG kann ein gesetzlich Versicherter die Kosten für eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode nur beanspruchen, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen diese Methode ausdrücklich anerkannt hat. Der erkennende Senat hält diese höchstrichterliche Rechtsprechung nicht für überzeugend. Er verweist insoweit auf seine ständige Rechtsprechung und auf das bei dem Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren (Az.: 1 BvR 347/98; zur Spruchpraxis des erkennenden Senats vgl. u.a. Urteil vom 23. Februar 2000 in NZS 2001, 32 ff). Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kommt es nicht entscheidend auf die Anerkennung einer neuen Methode durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen an. Maßgebend ist vielmehr, ob die Methode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Das ist bei dem Präparat Recancostat comp. nicht der Fall.
In den Jahren 1996 und 1997, also dem Zeitraum der Behandlung der Klägerin mit Recancostat comp., entsprach es nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, ein Neuroblastom Stadium IV mit dem Arzneimittel Recancostat comp. zu behandeln. Das ergibt sich für den erkennenden Senat aus dem überzeugenden Gutachten des Facharztes für Innere Medizin I. (MDKN) vom 5. Februar 1997. Seine Ansicht wird bestätigt durch das Gutachten Dr J. vom 23. Juni 1997 (MDKN). Beide Gutachter stimmen darin überein, dass eine therapeutische Wirksamkeit zur Behandlung von Krebserkrankungen mit Recancostat comp. nie belegt werden konnte. Die in der Schweiz beantragte Zulassung als Krebsmittel ist von den dortigen Behörden wegen mangelnder Wirksamkeit abgelehnt worden. Dr J. betont in ihrem Gutachten vom 23. Juni 1997, dass für Re-cancostat comp. keine zuverlässigen wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen vorliegen, aus denen sich ein Erfolg der Behandlung in einer für die sichere Be-urteilung ausreichenden Zeit von Behandlungsfällen aus wissenschaftlich ein-wandfrei geführten Statistiken ableiten lässt. Es existieren keine Ergebnisse zur Wirksamkeit von Recancostat comp. bei Krebserkrankungen. Vielmehr warnen sowohl die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft als auch die Deutsche Krebsgesellschaft e.V. vor der Verordnung von Recancostat comp. (DÄBl. 1996, 93,9 S C-406). So hat auch im vorliegenden Fall der die Klägerin behandelnde Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde - Pädiatrische Hämatologie/Onkologie - Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Prof. Dr. J., ausdrücklich betont, dass die Eltern der Klägerin die Recancostat-Kapseln in eigener Verantwortung verabreicht haben. Er hat - so sein Schreiben an die Beklagte vom 16. August 1996 - die Eltern ausdrücklich darauf hingewiesen, dass über die Substanzkombination des Präparats keine Daten vorliegen - weder über die Wirksamkeit noch über Nebenwirkungen. Trotzdem haben sich die Eltern der Klägerin - so Prof. Dr. J. - nicht veranlasst gesehen, die Therapie mit Recancostat comp. zu beenden.
Recancostat comp. ist weder als Fertigarzneimittel noch als Rezepturarzneimittel von der Beklagten zu gewähren. Somit scheidet auch eine Kostenerstattung für das Präparat aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).