Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 26.01.2017, Az.: 6 A 257/16

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
26.01.2017
Aktenzeichen
6 A 257/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53815
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Entscheidet das Bundesamt über den Asylantrag zu Unrecht nach Aktenlage, ohne den Ausländer persönlich anzuhören, steht dies einer Verpflichtungsklage und einer Sachprüfung durch das Verwaltungsgericht nicht entgegen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung als Asylberechtigter, hilfsweise als Flüchtling bzw. als subsidiär schutzberechtigt, hilfsweise die Anerkennung von Abschiebungsverboten.

Der nach eigenen Angaben am C. in Algerien geborene algerische Staatsbürger reiste im Dezember 2015 auf dem Landweg über Österreich in die Bundesrepublik Deutschland ein. Dort beantragte er am 15.12.2015 Asyl.

Mit Schreiben vom 04.02.2016 teilte das Bundesamt dem Kläger mit, dass für den 12.02.2016 seiner Anhörung in Braunschweig vorgesehen sei. Zu diesem Termin erschien der Kläger nicht. Mit Schreiben vom 12.02.2016 gab das Bundesamt daraufhin dem Kläger binnen eines Monats die Möglichkeit, zu seinen Verfolgungsgründen als auch zu den Gründen, die einer Rückkehr nach Algerien entgegenstehen, Stellung zu nehmen.

Mit Bescheid vom 03.03.2016 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie auf Anerkennung als asylberechtigt als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 1 und 2). Auch der Antrag auf subsidiären Schutz wurde abgelehnt (Ziffer 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Andernfalls wurde ihm die Abschiebung nach Algerien angedroht (Ziffer 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6).

Zur Begründung führte das Bundesamt aus, da der Kläger ohne genügende Entschuldigung nicht zum Termin zur persönlichen Anhörung erschienen sei, könne nach Aktenlage über seinen Antrag entschieden werden. Eine asyl- oder flüchtlingsrelevante Verfolgung oder Gefährdung sei nicht vorgetragen.

Gegen diesen Bescheid, der dem Kläger am 13.06.2016 zugestellt wurde, richtet sich die am 22.06.2016 erhobene Klage. Der Kläger behauptet, er habe sich jeden Tag seit seiner Ankunft in Braunschweig in der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge aufgehalten. Er habe auch jeden Tag geschaut, ob Post für ihn angekommen sei. Warum er die Einladung zu persönlichen Anhörung beim Bundesamt nicht erhalten habe, sei für ihn daher nicht erklärbar.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zudem seine Flucht nach Deutschland damit begründet, dass er in Algerien trotz Einberufungsbescheids dem Militärdienst ferngeblieben sei. In Abwesenheit sei er deshalb zu einer Haftstrafe von sieben Jahren verurteilt worden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 03.03.2016 zu verpflichten, festzustellen, dass der Kläger als asylberechtigt anzuerkennen ist, dass für den Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise des subsidiären Schutzstatus vorliegen, hilfsweise Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7, Satz 1 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Die Klage ist als Verpflichtungsklage gerichtet auf positive Entscheidung über den Asylantrag statthaft.

Dies gilt auch dann, wenn man den Vortrag des Klägers als zutreffend unterstellt, dass er ohne sein Verschulden daran gehindert war, am Anhörungstermin teilzunehmen oder nachfolgend seine Verfolgungsgründe auf die Aufforderung des Bundesamtes hin wenigstens schriftlich darzulegen.

1. In der Rechtsprechung ist allerdings umstritten, ob die Verwaltungsgerichte dann, wenn eine Anhörung durch das Bundesamt zu Unrecht unterblieben ist, überhaupt berechtigt sind, die Verwaltung zur Anerkennung des Klägers als Flüchtling zu verurteilen. Vielmehr wird (allein) eine isolierte Anfechtungsklage der Ablehnungsentscheidung für statthaft erachtet.

Würde man dieser Ansicht folgen, wäre das Gericht im vorliegenden Fall gehindert, sofort und ausschließlich über den geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter, als Flüchtling, auf Zuerkennung subsidiären Schutzes sowie hilfsweise auf Feststellung von Abschiebungsverboten zu entscheiden. Vielmehr wäre vorrangig zu klären, ob der Kläger – wie er behauptet – unverschuldet nicht zur Anhörung beim Bundesamt erschienen wäre, § 25 Abs. 4 Satz 5 AsylG. Das Gesetz fordert nämlich für eine Entscheidung nach Aktenlage, dass der Kläger „einer Ladung zur Anhörung ohne genügende Entschuldigung nicht folgt“. Von Amts wegen wäre daher im vorliegenden Fall im Wege der Beweisaufnahme aufzuklären, ob der Kläger – wie er schriftsätzlich behauptet hat – trotz regelmäßiger Kontrolle, ob Post für ihn eingetroffen ist, von dem Anhörungstermin keine Kenntnis hatte. Erst dann, wenn diese Beweisaufnahme ergeben würde, dass der Kläger Gelegenheit hatte, seine Verfolgungsgründe in einer persönlichen Anhörung darzulegen, könnte das Gericht über die materiell-rechtlichen Ansprüche des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter bzw. den entsprechend hilfsweise gestellten Anträgen entscheiden.

So vertritt das Verwaltungsgericht Düsseldorf (VG Düsseldorf, Vergleich vom 28.11.2016 – 6 K 12579/16.A –, Rn. 25, juris) die Auffassung, dass dann, wenn eine Anhörung fehlerhaft unterblieben ist, die Verpflichtungsklage als grundsätzlich rechtsschutzintensivere Klageart ausscheide. Ausnahmsweise könne sich aus dem materiellen Recht ergeben, dass das Verwaltungsgericht die Verwaltung nicht zur Vornahme eines rechtswidrig unterlassenen Verwaltungsakts verpflichten könne. Dies sei der Fall, wenn das materielle Recht der vorherigen Durchführung eines Verwaltungsverfahrens ausnahmsweise eine so wesentliche Bedeutung für den Erlass eines Verwaltungsaktes beimesse, dass es dessen Rechtmäßigkeit zwingend an dessen Absolvierung binde. Auch das Bundesverwaltungsgericht habe eine isolierte Anfechtungsklage für zulässig erachtet, wenn das Bundesamt rechtsirrig ein Asylverfahren wegen Nichtbetreibens eingestellt habe. Ebenso sei in den so genannten „Dublin-Fällen“, in denen das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig erachte, nur diese Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags Gegenstand der gerichtlichen Prüfung. Ferner sei im Falle der Untätigkeitsklage das Bundesamt lediglich zur Entscheidung zu verpflichten, ohne dass das Gericht eine Sachprüfung vornehme. Ein „Durchentscheiden“, d.h. eine Sachprüfung des Asylbegehrens, verstoße auch gegen europäisches Recht. Dem Kläger werde das Recht auf eine persönliche Anhörung gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2013/32/EU genommen. Schließlich treffe das beklagte Bundesamt auch dann, wenn es ohne – erforderliche – Anhörung entscheide, nur der Form nach eine Sachentscheidung. Die eigentlichen Verfolgungsgründe nehme es aber gar nicht zur Kenntnis.

Diese Ansicht vertreten auch andere Verwaltungsgerichte, vgl. hierzu VG Freiburg, Beschluss vom 27.05.2016 - A 4 K 1434/16 -, juris; Beschluss vom 19.04.2016 - A 6 K 947/16 -; VG Aachen, Urteil vom 09.07.1996 - 4 K 5334/94.A -, juris; VG Karlsruhe, Beschluss vom 14.10.2011 - A 9 K 716/11 -, juris; VG Frankfurt, Urteil vom 06.08.2010 - 7 K 1811/10.F.A. -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 25.09.1995 - 8 K 1464/95.A -, juris.

Dieser Ansicht schließt sich der zuständige Einzelrichter nicht an.

Vielmehr ist das Gericht auch im Fall einer rechtswidrig unterbliebenen Anhörung verpflichtet, über den behaupteten materiell-rechtlichen Anspruch selbst zu entscheiden, also in der Sache „durchzuentscheiden.“

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – insbesondere auch zu Asylverfahren – ist zwar grundsätzlich von einem Vorrang der Verpflichtungsklage auszugehen mit der Folge, dass Rechtsschutz gegen die Ablehnung eines begünstigenden Verwaltungsaktes grundsätzlich (nur) durch eine Verpflichtungsklage ("Versagungsgegenklage") zu erstreiten ist, welche die Aufhebung des Versagungsbescheids umfasst, soweit er entgegensteht. Die Rechtsprechung erkennt aber an, dass allein die Aufhebung des Versagungsbescheids ausnahmsweise ein zulässiges - gegenüber der Verpflichtungsklage für den Kläger vorteilhafteres - Rechtsschutzziel sein kann, wenn eine mit diesem Bescheid verbundene Beschwer nur so oder besser abgewendet werden kann. In derartigen Fällen besteht ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis für eine (isolierte) Anfechtungsklage. Dazu zählt etwa die isolierte Anfechtung der Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis, wenn die beklagte Ausländerbehörde zwischenzeitlich nicht mehr zuständig ist, und die isolierte Anfechtung der Einstellung eines Asylverfahrens durch das Bundesamt wegen angeblichen Nichtbetreibens des Verfahrens (BVerwG, Urteil vom 21.11.2006 – 1 C 10/06 –, BVerwGE 127, 161-177, Rn. 16 m.w.N.)

Im Grundsatz gilt danach auch im Fall einer unterbliebenen Anhörung, dass nur die Verpflichtungsklage statthaft ist. In dem auf die Prüfung individueller Verfolgungsbehauptungen angelegten Asylverfahren ist die persönliche Anhörung dabei von maßgeblicher Bedeutung und daher - bis auf wenige gesetzlich vorgegebene Ausnahmen - in der Regel unverzichtbar. Die Ermittlung und Klärung der entscheidungserheblichen Tatsachen kann jedoch auch im Gerichtsverfahren nachgeholt werden. Zwar räumt § 113 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit Abs. 5 dem Gericht die Möglichkeit ein, ohne in der Sache selbst zu entscheiden den angefochtenen Bescheid aufzuheben, wenn es eine weitere Sachaufklärung durch die zuständige Behörde für sachdienlich ansieht. Es ist hierzu jedoch nicht verpflichtet, kann den Sachverhalt vielmehr auch von Amts wegen erforschen und durchentscheiden. Diese Möglichkeit ist dem Gericht lediglich dann nicht eingeräumt, wenn der Behörde bezüglich der angefochtenen Entscheidung ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist. Ein derartiger Ausnahmefall liegt jedoch nicht vor; denn bei der Entscheidung über einen Asylantrag handelt es sich um einen Akt gebundener Verwaltung (so OVG Lüneburg, Beschluss vom 05.11.1996 – 11 L 6022/96 –, Rn. 2, juris).

3. Eine Entscheidung des Bundesamtes kann vielmehr nur dann isoliert mit der Anfechtungsklage angegriffen werden, ohne zugleich eine Sachprüfung des Asylantrags zu erstreben, wenn bereits das Verwaltungsverfahrensrecht vorsieht, dass das Bundesamt seinerseits keine Sachentscheidung treffen musste (so auch OVG Münster, Beschl. v. 21.04.1997, 23 A 2412/96.A, juris). So hat das Bundesverwaltungsgericht jüngst eine Anfechtungsklage gegen die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Folge- und Zweitanträgen für zulässig erachtet. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass bereits der Gesetzgeber dem Bundesamt mit der Entscheidung über die Zulässigkeit eines Zweitantrags nicht nur eine Entscheidungsform eröffnet, sondern eine mehrstufige Prüfung vorgegeben. Es liege nahe, mit einer derartigen Stufung auch spezialgesetzliche, prozessuale Konsequenzen zu verbinden und den Streitgegenstand einer Klage nach einer Unzulässigkeitsentscheidung auf die vom Bundesamt bis dahin nur geprüfte Zulässigkeit des Asylantrags beschränkt zu sehen (BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 – 1 C 4/16 –, Rn. 19, juris). Dem schließt sich auch der Einzelrichter an. Das Bundesverwaltungsgericht betont zutreffend wie es letztlich auch die Gegenseite für sich in Anspruch nimmt, dass sich der Umfang des gerichtlichen Prüfprogramms danach bestimmt, welches Prüfprogramm der Behörde durch das Gesetz vorgegeben wird. Hat das Bundesamt keine Sachentscheidung, sondern nur eine verfahrensrechtliche Entscheidung (Einstellung des Asylverfahrens, Ablehnung eines Zweitantrags als unzulässig) getroffen, überprüft auch das Verwaltungsgericht lediglich diese Entscheidung.

So ist auch den vom VG Düsseldorf angeführten Fällen, in denen die isolierte Anfechtungsklage als zulässig erachtet wurde, jeweils gemein, dass eine Sachentscheidung durch die Behörde nicht getroffen worden war bzw. nach dem Verfahrensrecht auch nicht getroffen werden musste. Im Falle der Einstellung des Asylverfahrens gemäß § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG ergibt sich dies bereits daraus, dass das Bundesamt aufgrund der gesetzlichen Fiktion des § 33 Abs. 1 AsylG den Asylantrag als zurückgenommen erachtet, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. In den so genannten Dublin-Fällen findet eine Sachprüfung nicht statt, weil das Bundesamt die Auffassung vertritt, die Bundesrepublik Deutschland sei für die Durchführung eines Asylverfahrens nicht zuständig. Im Fall einer Untätigkeitsklage ergibt sich aus der Natur der Sache, dass eine behördliche Sachentscheidung nicht vorliegt.

Genau in diesem Punkt unterscheidet sich der vorliegende Fall allerdings von den zitierten Fällen. Im vorliegenden Fall hat das Bundesamt eine Sachentscheidung gemäß § 25 Abs. 4 Satz 5 AsylG getroffen, jedoch auf einer eingeschränkten Entscheidungsgrundlage, nämlich nach Aktenlage, da es zu einer Anhörung nicht gekommen ist.

4. Der Gegenansicht ist allerdings zuzugeben, dass die Möglichkeiten des Klägers, sein Asylbegehren durchzusetzen, geschmälert werden, wenn er – zu Unrecht – vom Bundesamt nicht persönlich angehört wurde. Die besondere Bedeutung des Verfahrens vor dem Bundesamt als Tatsacheninstanz, die mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattet ist, betont auch das Bundesverwaltungsgericht. Es stellt die Verpflichtung der Behörde zur persönlichen Anhörung als auch zur umfassenden Sachaufklärung sowie der Erhebung der erforderlichen Beweise von Amts wegen ohne die einmonatige Präklusionsfrist, wie sie für das Gerichtsverfahren in § 74 Abs. 2 AsylVfG in Verbindung mit § 87 b Abs. 3 VwGO vorgesehen ist, heraus (BVerwG, Urteil vom 07.03.1995 – 9 C 264/94 –, Rn. 16, juris).

Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht damit begründet, dass der Kläger im Falle einer zu Unrecht erfolgten Einstellung des Verfahrens (ohne Sachentscheidung) diese Entscheidung isoliert anfechten könne (darauf verweist auch OVG Münster, Beschl. v. 21.04.1997 – 23 A 2412/96.A –, juris). Der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich indes nicht entnehmen, dass stets dann, wenn eine Sachentscheidung getroffen und ein Asylverfahren vor dem Bundesamt prinzipiell durchgeführt wurde, dabei aber fehlerhaft eine der genannten Verfahrensgarantien verletzt wurde, dies unabdingbar zur Aufhebung der ablehnenden Sachentscheidung führe.

Das Gericht muss allerdings seinerseits im Rahmen der im gerichtlichen Verfahren nachgeholten Anhörung die auch europarechtlich zwingend zu beachtenden Verfahrensgarantien gemäß Art. 15 der Richtlinie 2013/32/EU gewähren. Dazu zählt etwa die Rücksichtnahme auf einen berechtigten Wunsch des Klägers oder der Klägerin, von einer Person des gleichen Geschlechts befragt zu werden (Art. 15 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2013/32/EU). Derartigen besonderen Anforderungen kann aber mit Mitteln der Verfahrensgestaltung ausreichend Rechnung getragen werden (vgl. dazu OVG Münster, Beschl. v. 11.02.1997, 25 A 4144/96.A, juris). Diese Anforderungen zwingen somit ebenfalls nicht dazu, durch Aufhebung des ablehnenden Bescheids eine Anhörung durch die besonders geschulten Mitarbeiter des Bundesamtes zu erwirken.

5. Entgegen der Ansicht etwa des VG Düsseldorf steht auch europäisches Recht einem „Durchentscheiden“ des Gerichts, also einer Sachprüfung bei unterbliebener Anhörung, nicht im Wege. Zwar trifft es zu, dass die Asylbehörde gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2013/32/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (im Folgenden: Richtlinie 2013/32/EU) eine Entscheidung nicht treffen darf, bevor sie dem Antragsteller Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu seinem Antrag gegeben hat. Damit ist aber nicht gesagt, welche Folgen es für das nachfolgende gerichtliche Verfahren hat, wenn eine solche Anhörung verfahrensfehlerhaft unterblieben ist. Insbesondere besagt die Richtlinie nicht, dass die nachfolgende Sachentscheidung der Behörde ohne Weiteres aufzuheben ist und das Gericht nicht selbst in der Sache entscheiden darf. Vielmehr ergibt sich aus weiteren Bestimmungen der Richtlinie, dass die persönliche Anhörung durch das Bundesamt keine unabdingbare Sachentscheidungsvoraussetzung ist.

Gemäß Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU muss die Asylbehörde, also gemäß Art. 2 Buchst. f der Richtlinie eine Verwaltungsstelle, die für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zuständig und befugt ist, erstinstanzliche Entscheidungen über diese Anträge zu erlassen, dem Antragsteller Gelegenheit zur persönlichen Anhörung geben. Gemäß Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU hindert aber die Tatsache, dass keine persönliche Anhörung nach Art. 14 der Richtlinie stattgefunden hat, die Asylbehörde nicht daran, über den Antrag auf internationalen Schutz zu entscheiden. Beide Bestimmungen lassen sich nur in Einklang bringen, wenn man Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU entnimmt, dass eine Entscheidung der Behörde ohne eigentlich vorgesehene Anhörung nicht allein deshalb aufgehoben werden soll.

Gemäß Art. 46 der Richtlinie 2013/32/EU stellen die Mitgliedsstaaten sicher, dass die Antragsteller ein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht haben. Absatz 3 des gleichen Artikels bestimmt:

„Zur Einhaltung des Absatzes 1 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der wirksame Rechtsbehelf eine umfassende Ex-nunc-Prüfung vorsieht, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt und bei der gegebenenfalls das Bedürfnis nach internationalem Schutz gemäß der Richtlinie 2011/95/EU zumindest in Rechtsbehelfsverfahren vor einem erstinstanzlichen Gericht beurteilt wird.“

Die Forderung, „zumindest im Rechtsbehelfsverfahren“ sicherzustellen, dass eine umfassende Prüfung des Anspruchs auf internationalen Schutz erfolgt, und dass diese Prüfung sich auch auf die relevanten Tatsachen erstreckt, zeigt, dass auch nach der europäischen Richtlinie eine gerichtliche Tatsachenprüfung, dann, wenn diese zuvor fehlerhaft unterblieben ist, ausreichend ist. Hätte der Richtliniengeber die vorgerichtliche Anhörung als unabdingbar angesehen, hätte er nämlich an dieser Stelle zum Ausdruck bringen müssen, dass eine gerichtliche Prüfung keinesfalls eine vorherige Anhörung ersetzen kann.

Ob daher die Beklagte im vorliegenden Fall ohne persönliche Anhörung entscheiden durfte, ist somit irrelevant. Die Rechtswidrigkeit der Ablehnung spielt im Rahmen der Entscheidung über die Verpflichtungsklage grundsätzlich keine Rolle (Schoch/Schneider/Bier/Gerhardt VwGO § 113 Rn. 67-71, beck-online). Einer Aufklärung im Wege der Amtsermittlung bedarf es nicht.

II.

Die somit statthafte Verpflichtungsklage ist aber unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling, als asylberechtigt, auf Zuerkennung subsidiären Schutzes sowie auf Feststellung von Abschiebungshindernissen.

Die Ablehnung der Feststellung, dass dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß den §§ 3 bis 3e AsylG. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1, 2 Buchst. a AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist somit insbesondere die Verfolgung aus einem der aufgezählten Gründe (Verfolgungsgründe). Diese sind gesetzlich näher definiert, § 3b AsylG.

Derartige Verfolgungsgründe hat der Kläger gar nicht dargelegt. Die Einberufung zum Militärdienst ist keine Verfolgung in diesem Sinne. Die Einziehung wird nicht diskriminierend angewandt, sondern trifft alle männlichen Algerier in gleicher Weise. Dass die schlichte Einberufung zum Wehrdienst in Friedenszeiten keiner Verfolgung gleich kommt, ergibt sich bereits aus der Regelung des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Danach kann als Verfolgung im flüchtlingsrelevanten Sinne die Strafverfolgung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt angesehen werden, wenn der Militärdienst Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit umfassen würde. Umgekehrt bedeutet dies, dass die Einbeziehung in Friedenszeiten nicht als Verfolgung angesehen werden muss.

Eine etwaige Bestrafung des Klägers bei Rückkehr würde überdies allein an seiner Entziehung vom Militärdienst anknüpfen. Diese würde für sich genommen auch nicht als politische Meinungsäußerung verstanden, so dass die Bestrafung mittelbar der Verfolgung aus politischen Gründen gleichzustellen wäre.

Das Gericht hält die Sachdarstellung des Klägers, dass er in Abwesenheit allein deshalb zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden ist, zudem für unglaubwürdig. Aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18.01.2016 ergibt sich, dass die Wehrdienstentziehung nach dem Militärstrafgesetzbuch mit Freiheitsstrafe bis maximal fünf Jahren bestraft wird (S. 18). Warum gegen den Kläger eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren verhängt worden ist, vermochte der Kläger nicht schlüssig zu erklären. Darauf angesprochen erwiderte er zudem, dass die Strafe zunächst niedriger gewesen sei, sich jedoch im Laufe der Zeit erhöht habe, da er keinen Widerspruch gegen das Urteil eingelegt habe. Allein dieses Vorbringen ist schon völlig unplausibel. Es steht auch im Widerspruch dazu, dass der Kläger von einem Nachbarn erfahren haben will, dass die gegen ihn verhängte Strafe (von Anfang an) sieben Jahre betragen habe. Der Einzelrichter ist davon überzeugt, dass der Kläger bewusst wahrheitswidrig eine möglichst drastische Darstellung einer Strafverfolgung im Heimatland gewählt hat, um zumindest diese Strafverfolgung als unverhältnismäßig und damit als asylrelevant darzustellen.

Auch der weitere Vortrag des Klägers schwankte. War sein Bruder zunächst erschossen worden, lebte er auf Nachfrage noch, war jedoch querschnittsgelähmt und erblindet. Auf weitere Nachfrage korrigierte der Kläger dies dahingehend, nicht sein Bruder sei erblindet, sondern seine Mutter. Auch unter Berücksichtigung eines vom Kläger selbst bekundeten niedrigen Bildungsstandes sind derartige Korrekturen nicht alleine mit sprachlichem Unvermögen oder Übersetzungsschwierigkeiten zu erklären. Sie stellen vielmehr auch dann, wenn sie sich auf nicht unmittelbar entscheidungsrelevante Sachverhalte beziehen, die Glaubwürdigkeit des Vortrags des Klägers insgesamt in Frage.

Die vom Kläger geltend gemachte Bedrohung durch Terroristen, der er auch im Militärdienst ausgesetzt ist, ist für sich genommen nicht wegzudiskutieren. Aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes ergibt sich, dass die Sicherheitslage angespannt ist und es in zum Teil nur geringer Entfernung von der Hauptstadt Algier zu Anschlägen und Schusswechseln mit Terroristen gekommen ist, die der Terrororganisation „Al Qaida“ zuzurechnen sind.

Es kann indes dahinstehen, ob die Bedrohung durch Terroristen überhaupt einen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3b AsylG darzustellen vermag. Das wäre wohl nur dann der Fall, wenn man annähme, dass aus der – maßgeblichen (dazu § 3b Abs. 2 AsylG) – Sicht der auf algerischem Staatsgebiet operierenden Terroristen (als nichtstaatliche Verfolger im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG) sämtlichen Angehörigen des algerischen Militärs unterstellt würde, den algerischen Staat und die vergleichsweise freiheitliche Ordnung innerhalb Algeriens aus einer politischen Überzeugung heraus zu verteidigen.

Jedenfalls liegt die weitere Voraussetzung nicht vor, dass das Herkunftsland des Klägers Algerien nicht in der Lage wäre, dem Kläger Schutz gegen derartige Übergriffe zu bieten. Gemäß § 3d Abs. 2 Satz 1 AsylG muss der Schutz vor Verfolgung wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Gemäß Satz 2 der gleichen Norm ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat. Nicht gefordert ist indes, dass der Staat jeden terroristischen Gewaltakt zu verhindern in der Lage ist. Der Wortlaut des § 3d Abs. 2 Satz 2 AsylG spricht vielmehr dafür, dass der Staat Bemühungen unternehmen muss, die geeignet sind, terroristische Angriffe zu verhindern.

Gemessen daran bietet der algerische Staat einen ausreichenden Schutz. Gerade durch den Militärdienst sollen terroristische Übergriffe auf Sicherheitskräfte oder sonstige Zivilisten in Algerien verhindert werden. Der Staat ist also willens und angesichts der realen Situation in Algerien auch weitgehend in der Lage, Schutz vor Terroristen zu bieten. Dass vor terroristischen Angriffen kein hundertprozentiger Schutz gewährleistet werden kann, ist offensichtlich, begründet aber von Gesetzes wegen nicht die Flüchtlingseigenschaft.

Angesichts des somit unschlüssigen bzw. unglaubwürdigen Vortrags des Klägers kann auch dahin stehen, ob die Voraussetzungen dafür vorlägen, den Vortrag gemäß § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO i.V.m. § 74 Abs. 2 Satz 1, 2 AsylG zurückzuweisen, da der Kläger diesen Vortrag nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von einem Monat nach Zustellung der Entscheidung des Bundesamtes gehalten hat.

Aus den gleichen Gründen hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Anerkennung als asylberechtigt, Art. 16 Abs. 1 GG i.V.m. § 32 Abs. 2 Satz 1 AsylG.

Der Kläger hat auch nicht dargelegt, dass ihm in Algerien ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG droht. Danach gilt als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Weder aus dem Vortrag des Klägers noch von Amts wegen ergibt sich, dass dem Kläger in Algerien ein derartiger Schaden droht. Die abstrakte Bedrohung durch islamistische Terrorangriffe begründet weder einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt, noch ist sie ernsthaft und individuell gerade für den Kläger.

Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb zu beanstanden, weil der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Gemäß § 30 Abs. 1 AsylG ist ein Asylantrag offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen. Gemäß § 30 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist ein Antrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn in wesentlichen Punkten das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist oder offenkundig den Tatsachen nicht entspricht. Beides ist – wie ausgeführt – der Fall. Es kann daher auch dahin stehen, ob der Asylantrag auch deshalb offensichtlich unbegründet ist, weil der Kläger seine Mitwirkungspflichten verletzt hat (§ 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG), worauf die Beklagte die Ablehnung gestützt hat.

Es liegen auch keine Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes vor.

Die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig gemäß § 34 Abs. 1 Asylgesetz in Verbindung mit § 59 Aufenthaltsgesetz ergangen.

Das gesetzliche Einreise-und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz ist gemäß § 11 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz von Amts wegen zu befristen. Die Bemessung der Frist steht im Ermessen der Beklagten. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte von dieser Ermächtigung fehlerhaft Gebrauch gemacht hat, liegen bei dem Kläger, der im Bundesgebiet über keinerlei Bindungen verfügt, nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.