Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 04.09.2013, Az.: 1 Ws 337/13 (StrVollz)

Anspruch eines Strafgefangenen auf Ausführung zu seinem lebensgefährlich erkrankten Vater

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
04.09.2013
Aktenzeichen
1 Ws 337/13 (StrVollz)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 44138
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2013:0904.1WS337.13STRVOLLZ.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 18.06.2013 - AZ: 17a StVK 163/13

Fundstellen

  • NStZ 2014, 629
  • StraFo 2013, 482-483
  • ZfStrVo 2014, 66

Amtlicher Leitsatz

Zum Anspruch eines Strafgefangenen auf Ausführung zu seinem lebensgefährlich erkrankten Vater.

In der Strafvollzugssache
des A. E.,
geb. am xxxxxx 1963 in in M. (Tschetschenien),
zurzeit in der JVA C.,
- Antragstellers -
gegen die Justizvollzugsanstalt C.,
vertreten durch den Anstaltsleiter
- Antragsgegnerin -
wegen Ausführung aus wichtigem Grund
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg mit Sitz in Celle vom 18. Juni 2013 nach Beteiligung des Zentralen juristischen Dienstes für den niedersächsischen Justizvollzug durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht xxxxxx und den Richter am Oberlandesgericht xxxxxx am 4. September 2013
beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss vom 18. Juni 2013 sowie die Entscheidungen der Antragsgegnerin vom 13. März 2013 und vom 15. April 2013 werden aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, über den Antrag des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.

Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens und jene des Rechtsbeschwerdeverfahrens fallen der Landeskasse zur Last.

Der Streitwert wird auf bis zu 500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller verbüßt derzeit wegen Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe. 15 Jahre wird er im Juni 2024 verbüßt haben. Weil sein Vater schwer erkrankt und dessen Lebenserwartung nicht sicher abzusehen war, gestattete die Antragsgegnerin dem Antragsteller im September 2012 aus wichtigem Grund eine Ausführung, die beanstandungsfrei verlief. Einen erneuten Antrag auf eine entsprechende Ausführung hat die Antragsgegnerin abgelehnt und hierzu ausgeführt, seit der Ausführung im September 2012 habe sich der Zustand des Vaters nicht verschlechtert, weshalb ein wichtiger Grund im Sinne von § 14 NJVollzG nicht vorliege. Kontakt zum Vater könne der Antragsteller auch durch Briefe oder telefonisch pflegen. Zudem stehe eine Entlassung aus dem Strafvollzug voraussichtlich nicht vor Juni 2024 an, so dass der Vater dann bereits verstorben sein dürfte; von daher sei die Bedeutung einer Ausführung vor dem Hintergrund der Resozialisierung zu relativieren. Den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer zurückgewiesen. Zwar sei die Annahme eines wichtigen Grundes gerichtlich voll überprüfbar, die Entscheidung der Antragsgegnerin sei aber frei von Ermessensfehlern getroffen worden. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner Rechtsbeschwerde und trägt hierzu vor, die Entscheidung der Antragsgegnerin sei ermessensfehlerhaft. Das Abstellen auf den voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt sei menschenverachtend, überdies habe die Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren in unzulässiger Weise Gründe für ihre Entscheidung nachgeschoben.

II.

Das auch im Übrigen zulässig erhobene Rechtsmittel ist nach Maßgabe von § 116 Abs. 1 StVollzG jedenfalls zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zulässig. Es gilt, der Wiederholung der nachfolgend aufgezeigten Rechtsfehler entgegen zu wirken.

III.

Der Rechtsbeschwerde konnte in der Sache ein zumindest vorläufiger Erfolg nicht versagt bleiben. Die angefochtene Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist nicht frei von Rechtsfehlern.

1. Der angefochtenen Entscheidung lässt sich bereits nicht entnehmen, von welchem Prüfungsmaßstab die Kammer ausgeht. Zwar weist die Kammer zunächst zutreffend darauf hin, dass der Begriff des wichtigen Anlasses im Sinne von §§ 14 NJVollzG, 35 StVollzG der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, und dass kein Rechtsanspruch auf Gewährung, sondern lediglich auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung besteht, die das Gericht nur eingeschränkt überprüfen könne (vgl. auch Callies/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 11. Aufl., § 35 Rn. 1 m.w.N.). Die Kammer will nachfolgend aber das Vorliegen eines wichtigen Anlasses offenbar mit der Erwägung verneinen, die Entscheidung der Antragsgegnerin lasse Ermessensfehler nicht erkennen. Hierbei werden die Aspekte voller gerichtlicher Nachprüfbarkeit einerseits und eingeschränkter Prüfungskompetenz andererseits aber nicht hinreichend getrennt. Denn während die volle gerichtliche Nachprüfbarkeit sich lediglich auf die Tatbestandseite (Vorliegen eines wichtigen Anlasses) bezieht, betrifft die eingeschränkte Prüfungskompetenz auf Ermessensfehler lediglich die Rechtsfolgenseite. Dies kommt in der angefochtenen Entscheidung nicht hinreichend zum Ausdruck.

2. Aber auch soweit die Kammer das Vorliegen eines wichtigen Anlasses verneint, hält dies im Rahmen voller gerichtlicher Nachprüfbarkeit einer Nachprüfung durch den Senat nicht stand. Insofern steht vielmehr zu besorgen, dass die Antragsgegnerin - und nachfolgend die Strafvollstreckungskammer - den Begriff des wichtigen Anlasses im Sinne von §§ 14 NJVollzG, 35 StVollzG verkannt hat. Das Gesetz selbst nennt als wichtigen Anlass eine lebensgefährliche Erkrankung eines Angehörigen. Eine solche liegt in der Person des Vaters des Antragstellers offenkundig vor - was Anlass bot, dem Antragsteller im September 2012 aus wichtigem Anlass eine entsprechende Ausführung zu bewilligen. Das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung kann nunmehr aber nicht mit der Erwägung verneint werden, der Zustand des Vaters habe sich seit der letzten Ausführung nicht wesentlich verändert - zumal ausweislich des vom Antragsteller vorgelegten Attests die Lebenserwartung nach wie vor stark eingeschränkt ist. Das Attest teilt hierzu mit, ein plötzliches Ableben sei bei auch nur geringer Verschlechterung einer Komponente der Multimorbidität zu erwarten. Ein lebensbedrohlicher Zustand liegt also weiterhin dem Grunde nach vor. Alles Weitere ist keine Frage des wichtigen Anlasses, sondern kann erst und nur auf Rechtsfolgenseite im Rahmen der vorzunehmenden Ermessensentscheidung Berücksichtigung finden.

3. Aber auch im Hinblick auf die eingeschränkte Überprüfung des der Antragsgegnerin zustehenden Ermessens ist die angefochtene Entscheidung ebenfalls nicht fehlerfrei. Insofern hat der Antragsteller zunächst zutreffend darauf hingewiesen, dass diese Prüfung auf Umstände gestützt wird, die die Antragsgegnerin erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens und somit in unzulässiger Weise nachgeschoben hat (vgl. hierzu nur Callies/Müller-Dietz, § 115 Rn. 8). Ein solches unzulässiges Nachschieben von Gründen liegt in der Regel vor, wenn die zum Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung gemachten Umstände in der mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung angefochtenen Entscheidung der Antragsgegnerin keine Stütze finden. Die Entscheidung der Antragsgegnerin stellt weder auf den Verlauf und die Umstände der ersten Ausführung und den familiären Kontext, noch auf die Personalbelange der Antragsgegnerin ab. Neu in diesem Sinne ist ebenfalls die Erwägung, der Antragsteller werde voraussichtlich erst im Jahre 2024 entlassen werden, und somit zu einem Zeitpunkt, zu dem sein Vater bereits verstorben sein werde. Hierbei mag dahinstehen, ob sich dies auf den Aspekt der Resozialisierung auswirken kann. Für die indessen ebenfalls zu berücksichtigende Frage der persönlichen Bedeutung der Ausführung zu seinem schwer kranken Vater ist dieser Aspekt indessen völlig ohne Belang, und daher offenkundig nicht geeignet, die Ermessensentscheidung zu tragen.

4. Der Senat hat neben der angefochtenen Entscheidung der Strafvoll-streckungskammer auch jene der Antragsgegnerin aufgehoben, weil die Kammer unter Beachtung der dargelegten Rechtsauffassung des Senats nicht anders würde entscheiden können, als ihrerseits die Antragsgegnerin zu neuer Entscheidung zu verpflichten.

5. Der Senat verkennt nicht, dass die vom Antragsteller beantragte Ausführung nur unter erheblichem personellen Aufwand möglich ist - was im Rahmen der vorzunehmenden Entscheidung auch Berücksichtigung finden kann (Senat vom 9.2.2012 [1 Ws 12/12]). Allein dies kann aber nicht dazu führen, dem Antragsteller eine Ausführung zu versagen.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 4 StVollzG i. V. m. § 467 Abs. 1 StPO entsprechend.

V.

Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 52 Abs. 1, 60, 65 GKG.