Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 01.03.2017, Az.: L 13 AS 123/14

Begehren höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts; Prüfpflicht des Sozialleistungsträgers; Anrechnung von Betreuungsgeld und Unterhalt bei der Neuberechnung der Leistungsansprüche; Objektive Möglichkeit der prospektiven Schätzung der Einkommenssituation; Erlass eines endgültigen statt eines vorläufigen Bescheides; Kausalzusammenhang zwischen der Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Verwaltungsakts und dem Nichterbringen der an sich zustehenden Sozialleistung; Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Rechtmäßigkeit eines Überprüfungsantrags nach § 44 SGB X aufgrund vorläufiger Leistungsgewährung bei unregelmäßigen Einkommen und endgültiger Festsetzung nach Feststellung des tatsächlich zugeflossenen Einkommens

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
01.03.2017
Aktenzeichen
L 13 AS 123/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 14115
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2017:0301.L13AS123.14.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BSG - 07.12.2017 - AZ: B 14 AS 8/17 R

Redaktioneller Leitsatz

1. Zu den formellen Erfordernissen eines Antrags nach § 44 SGB X, welcher überhaupt erst eine Prüfpflicht des Leistungsträgers auslöst, gehört nach der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des BSG, dass entweder ein oder mehrere zu überprüfende Verwaltungsakte konkret benannt werden oder aber jedenfalls bei objektiver Betrachtung aus dem Vorbringen des Antragstellers der zu überprüfende Verwaltungsakt ohne Weiteres zu ermitteln ist.

2. Der Erlass eines endgültigen Bescheides ist kein taugliches Instrumentarium in Fällen, in denen objektiv nur die Möglichkeit der prospektiven Schätzung insbesondere der Einkommenssituation besteht; der Erlass eines endgültigen statt eines vorläufigen Bescheides stellt sich dann als rechtswidrig dar.

3. Der Rücknahmeanspruch nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X setzt mit dem Tatbestandsmerkmal "und soweit deshalb" voraus, dass der rechtswidrige Verwaltungsakt dazu geführt hat, dass Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

4. Es muss ein Kausalzusammenhang zwischen der Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Verwaltungsakts und dem Nichterbringen der an sich zustehenden Sozialleistung bestehen.

5. Dem Leistungsberechtigten sollen (nur) diejenigen Leistungen zukommen, die ihm nach materiellem Recht zugestanden hätten.

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 28. März 2014 dahingehend geändert, dass hinsichtlich der Monate Juni, August und November 2008 die Klage vollumfänglich abgewiesen wird sowie hinsichtlich der Monate Februar, April und Juli 2009 bei der Neuberechnung der Leistungsansprüche auch Betreuungsgeld in Höhe von 440,14 EUR und Unterhalt in Höhe von 265 EUR anzurechnen sind und die Klage im Übrigen abgewiesen wird. Die weitergehende Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat den Klägern 1/4 der notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger begehren im Überprüfungsverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für einzelne Monate des Zeitraums von Juni 2008 bis September 2009.

Die 1971 geborene, alleinstehende Klägerin zu 1) und ihr 2005 geborener Sohn (Kläger zu 2) standen bei dem Beklagten als Bedarfsgemeinschaft im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II. Sie bewohnten in dem streitbefangenen Zeitraum eine (über eine Gaszentralheizung beheizte) Mietwohnung in Delmenhorst, für die eine Bruttokaltmiete in Höhe von 365 EUR nebst Heizkosten von 70 EUR (ab 1. Januar 2009: 85 EUR) anfielen. Als Einkommen bezog die Klägerin zu 1) Kindergeld (154 EUR bzw. ab 1. Januar 2009 164 EUR) und der Kläger zu 2) ab Dezember 2008 Wohngeld (110 EUR bzw. ab 1. Januar 2009 144 EUR). Die Klägerin zu 1) hatte ferner Anspruch auf Betreuungsgeld vom Vater ihres Kindes, des Klägers zu 2), in Höhe von 441,14 EUR sowie der Kläger zu 2) Anspruch auf Unterhalt (267,00 EUR bzw. ab 1. Januar 2009 265 EUR). Die Zahlungen des Kindsvaters erfolgten allerdings in unregelmäßigen Abständen - teilweise am Monatsanfang und teilweise bereits am Ende des Vormonats - bzw. ab Juli 2009 auch in reduzierter Höhe. Gleichwohl legte der Beklagte bei seinen (bestandskräftig gewordenen) Bewilligungen für die jeweiligen Leistungsmonate, die allesamt ohne Vorläufigkeitsvorbehalt erfolgten, zunächst Zahlungen des Kindsvaters in Höhe von 441,14 EUR (Betreuungsgeld) und 267 EUR (Unterhalt), insgesamt also 708,14 EUR, als Einkommen zugrunde (Juni 2008: Bewilligungsbescheid vom 22. April 2008; Juli bis September 2008: Änderungsbescheid vom 28. Mai 2008; Oktober bis Dezember 2008: Bewilligungsbescheid vom 22. August 2008; Januar bis März 2009: Änderungsbescheid vom 17. Februar 2009; April bis Juni 2009: Bewilligungsbescheid vom 18. Februar 2009). Im Juli 2009 rechnete er sodann nur noch Unterhaltszahlungen in Höhe von 267 EUR an, im August 2009 53 EUR (Änderungsbescheid vom 12. August 2009) und im September 2009 265 EUR (Änderungsbescheid vom 19. August 2009). Tatsächlich sind die Zahlungen des Kindsvaters (Betreuungsgeld und Unterhalt) für den streitbefangenen Zeitraum wie folgt auf dem Girokonto der Klägerin zu 1) eingegangen:

Juni 2008: 0 EUR (zuvor am 30. Mai 2008: 708,14 EUR) Juli 2008: 708,14 EUR (1. Juli 2008) 708,14 EUR (30. Juli 2008) August 2008 0 EUR September 2008 708,14 EUR (1. September 2008) 708,14 EUR (30. September 2008) Oktober 2008 708,14 EUR (30. Oktober 2008) November 2008 0 EUR Dezember 2008 708,14 EUR (2. Dezember 2008) 708,14 EUR (30. Dezember 2008) Januar 2009 703,14 EUR (30. Januar 2009) Februar 2009 0 EUR März 2009 705,14 EUR (3. März 2009) 705,14 EUR (31. März 2009) April 2009 0 EUR Mai 2009 705,14 EUR (4. Mai 2009) Juni 2009 705,14 EUR (2. Juni 2009) 705,14 EUR (30. Juni 2009) Juli 2009 53,00 EUR (30. Juli 2009) August 2009 0 EUR September 2009 53,00 EUR (1. September 2009) 53,00 EUR (30. September 2009)

Mit einem am 4. Februar 2010 eingegangenen anwaltlichen Schreiben wandten sich die Kläger an den Beklagten und beantragten die Überprüfung "sämtlicher Bescheide den Zeitraum 01.04.2008 bis 30.09.2009 betreffend" nach § 44 SGB X. Zur Begründung ließen sie vortragen, dass sie eine Erhöhung der gewährten Leistungen unter jedem tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkt begehrten, namentlich eine Erhöhung der Regelleistung bzw. des Sozialgeldes sowie der Leistungen für Unterkunft und Heizung, letztere unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Abzug der Warmwasserpauschale. Ferner sei bei der Leistungsberechnung auf den Bedarf der Klägerin zu 1) übersteigendes Kindergeld in unzutreffender Höhe angerechnet worden. Der Beklagte teilte den Klägern daraufhin mit, dass über den Antrag nach § 44 SGB X nicht abschließend entschieden werden könne, da nicht zweifelsfrei festgestellt werden könne, ob die Unterhaltszahlungen im Zeitraum vom 1. April 2008 bis 30. September 2009 "korrekt nach Zufluss" angerechnet worden seien. Es werde daher um Übersendung der Kontoauszüge für diesen Zeitraum gebeten. Nach deren Vorlage erteilte der Beklagte einen Änderungsbescheid vom 9. Juli 2010, mit dem er unter Korrektur der Warmwasserpauschalen für den Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2008 höhere Leistungen bewilligte. Im Übrigen lehnte er den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom selben Tag ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2010 zurück. Zur Begründung führte er unter Beifügung von Berechnungsübersichten aus, dass im gesamten Überprüfungszeitraum bei der Klägerin zu 1) Kindergeld in Höhe von insgesamt 691,20 EUR angerechnet worden sei, tatsächlich aber 730,71 EUR hätten angerechnet werden müssen, so dass die Klägerin zu 1) durch die unzutreffende Berechnung nicht beschwert sei.

Die Kläger haben am 4. November 2010 Klage erhoben und zu deren Begründung im Einzelnen dargelegt, dass der Beklagte in einigen Monaten des streitbefangenen Überprüfungszeitraums sowohl bei der Klägerin zu 1) als auch bei dem Kläger zu 2) Einkommen angerechnet habe, welches nie erzielt worden sei.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass das Vorbringen der Kläger "nicht den Anforderungen des § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast" genüge und der Überprüfungsantrag daher ohne jede weitere Sachprüfung abzulehnen gewesen sei. Im Übrigen könnten nicht einzelne Monate zur Überprüfung gestellt werden, sondern es müsse der gesamte Zeitraum in den Blick genommen und daraufhin überprüft werden, ob Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden seien.

Mit Urteil vom 28. März 2014 hat das SG der Klage im vollem Umfang stattgegeben und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 9. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2010 verurteilt, die Bescheide vom 22. April 2008, 28. Mai 2008, 17. Februar 2009, 18. Februar 2009, 12. August 2009, 1. September 2009, 9. Juli 2010 sowie "sämtliche weitere den streitgegenständlichen Zeitraum Juni 2008 bis September 2009 betreffenden Bescheide" zurückzunehmen und den Klägern zu 1) und 2) weitere Leistungen nach dem SGB II unter Anrechnung von Einkommen für Juni, August und November 2008 von 154 EUR Kindergeld monatlich sowie für die Monate Februar und April 2009 unter Anrechnung von 164 EUR Kindergeld zuzüglich 144 EUR Wohngeld monatlich, dem Kläger zu 2) weitere Leistungen nach dem SGB II unter Anrechnung von Einkommen für Juli 2009 von 164 EUR Kindergeld zuzüglich 144 EUR Wohngeld und 53 EUR Unterhalt, den Klägern zu 1) und 2) weitere Leistungen für den Monat August 2009 unter Anrechnung von Einkommen von 164 EUR Kindergeld zuzüglich 144 EUR Wohngeld und den Klägern zu 1) und 2) weitere Leistungen für den Monat September 2009 unter Anrechnung von 164 EUR Kindergeld zuzüglich 144 EUR Wohngeld und 106 EUR Unterhalt zu zahlen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass der Beklagte aufgrund des Überprüfungsantrags verpflichtet gewesen sei, eine umfassende Sachprüfung hinsichtlich der Einkommensanrechnung vorzunehmen. In dem Überprüfungsantrag sei ausdrücklich die Frage der Kindergeldanrechnung angesprochen worden. Da diese indes lediglich ein Berechnungselement sei, habe zugleich auch die Anrechnung des weiteren Einkommens aus Unterhalt und Wohngeld überprüft werden müssen. Hiervon sei auch der Beklagte selbst ausgegangen, wenn er die Kläger ausdrücklich aufgefordert habe, zwecks Überprüfung der Anrechnung des Unterhalts die Kontoauszüge vorzulegen. In der Sache sei festzustellen, dass der Beklagte bei der Berechnung der Leistungen für einzelne Monate das Zuflussprinzip nicht beachtet habe, welches besage, dass Einkommen im Monat des Zuflusses bedarfsmindernd anzurechnen sei. Die Gegenüberstellung des von dem Beklagten im streitbefangenen Zeitraum angerechneten Einkommens und des tatsächlich zugeflossenen Einkommens ergebe, dass der Beklagte in den Monaten Juni, August und November 2008 sowie Februar, April, Juli, August und September 2009 zu hohes Einkommen angerechnet habe. Für diese Monate habe der Beklagte dementsprechend eine Neuberechnung vorzunehmen und die sich ergebenden Leistungen an die Kläger auszuzahlen. Eine Rückforderung der in den übrigen Monaten überzahlten Leistungen komme jedoch aufgrund der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X nicht in Betracht.

Gegen das ihm am 11. April 2014 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 28. April 2014 Berufung eingelegt. Er macht geltend, dass das SG nicht ausreichend berücksichtigt habe, dass der zugrunde liegende Antrag nach § 44 SGB X sich in einem Überprüfungsauftrag hinsichtlich der Höhe des Warmwasserabzugs und der Anrechnung des Kindergeldes erschöpft habe. Eine umfassende Überprüfung der Rechtmäßigkeit der erteilten Bescheide sei aufgrund dieses Antrags nicht vorzunehmen gewesen, so dass nach Korrektur der Wasserwasserpauschalen der Überprüfungsantrag zu Recht abgelehnt worden sei. Das SG sei gehindert gewesen, das Überprüfungsregime auf die fehlerhafte Anrechnung des Unterhalts auszuweiten. Im Übrigen wäre er - der Beklagte - unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gar nicht verpflichtet gewesen, überhaupt eine Sachprüfung vorzunehmen, da in dem Überprüfungsantrag die zu überprüfenden Bescheide nicht genannt worden seien.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 28. März 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Oldenburg vom 28. März 2014 ist teilweise begründet.

Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, soweit das SG dem Überprüfungsbegehren der Kläger für die Monate Juni, August und November 2008 stattgegeben und den Beklagten dem Grunde nach verurteilt hat, den Klägern unter teilweiser Rücknahme der bestandskräftigen Bescheide für diese Monate höhere Leistungen ohne Anrechnung von Zahlungen des Kindsvaters als Einkommen zu gewähren. Insoweit erweist sich der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 9. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2010 als rechtmäßig. Hinsichtlich der Leistungsmonate Februar, April und Juli 2009, für die das SG der Klage ebenfalls stattgegeben hat, ist die Berufung überwiegend begründet, während sie hinsichtlich der Monate August und September 2009 erfolglos bleibt.

Rechtsgrundlage für den von den Klägern geltend gemachten Anspruch auf (Teil-)Rücknahme der bestandskräftigen Bewilligungsbescheide des Beklagten für den Zeitraum von Juni 2008 bis September 2009 ist § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II i. V. m. § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X. Die zuletzt genannte Vorschrift trifft folgende Regelung: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Diese Voraussetzungen sind hier teilweise erfüllt. Entgegen der Auffassung des Beklagten liegt den angefochtenen Bescheiden ein Überprüfungsantrag, welcher eine inhaltliche Prüfverpflichtung der Behörde auslöste, zugrunde. Zu den formellen Erfordernissen eines Antrags nach § 44 SGB X, welcher überhaupt erst eine Prüfpflicht des Leistungsträgers auslöst, gehört nach der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des BSG, dass entweder ein oder mehrere zu überprüfende Verwaltungsakte konkret benannt werden oder aber jedenfalls bei objektiver Betrachtung aus dem Vorbringen des Antragstellers der zu überprüfende Verwaltungsakt ohne Weiteres zu ermitteln ist (vgl. Urteile vom 13. Februar 2014 - B 4 AS 22/13 R - Rn. 15 und vom 28. Oktober 2014 - B 14 AS 39/13 R - Rn. 15). Diesen Anforderungen genügte der Überprüfungsantrag der Kläger vom 4. Februar 2010 noch. Zwar wurde pauschal die Überprüfung "sämtlicher Bescheide den Zeitraum 01.04.2008 bis 30.09.2009 betreffend" beantragt, im Folgenden aber konkret die Frage des Abzugs der Warmwasserpauschale im Hinblick auf die einschlägige BSG-Rechtsprechung angesprochen und zudem wörtlich Folgendes ausgeführt: "Darüber hinaus ist ersichtlich, dass Sie bei der Antragstellerin zu teilweise ein sonstiges Einkommen aus Kindergeld anrechnen, obwohl dieses Kindergeld tatsächlich nicht das übersteigende Kindergeld darstellt. Sie haben insofern die Ansprüche der Antragstellerin zu 1) zu korrigieren ( )." Damit zeigten die Kläger hinreichend konkrete Prüfungspunkte hinsichtlich der für den zur Überprüfung gestellten Leistungszeitraum erteilten Bescheide auf. Hiervon ging auch der Beklagte selbst aus, denn ausweislich seines an die Kläger gerichteten Schreibens vom 16. März 2010 und der nachfolgend durchgeführten Berechnungen nahm er deren Überprüfungsantrag zum Anlass, die korrekte Anrechnung der Unterhaltszahlungen zu überprüfen. Aus dem Umstand, dass der Beklagte - anders als in den vom BSG entschiedenen Fällen - damit tatsächlich eine inhaltliche Prüfung vorgenommen hat, folgt zugleich, dass er im Klageverfahren ohnehin nicht mehr damit gehört werden kann, dass er zu einer derartigen inhaltlichen Prüfung eigentlich gar nicht verpflichtet gewesen wäre. Denn hätte ein den formellen Erfordernissen genügender Antrag nicht vorgelegen, wäre die Prüfung des Beklagten nicht auf Antrag, sondern von Amts wegen erfolgt. Wird aufgrund einer solchen inhaltlichen Prüfung von Amts wegen ein Bescheid erteilt, unterliegt dieser in vollem Umfang der gerichtlichen Überprüfung.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X liegen insoweit vor, als der Beklagte das Recht unrichtig angewandt hat. Der Erlass eines endgültigen Bescheides ist kein taugliches Instrumentarium in Fällen, in denen - wie hier - objektiv nur die Möglichkeit der prospektiven Schätzung insbesondere der Einkommenssituation besteht. Der Erlass eines endgültigen statt eines vorläufigen Bescheides stellt sich dann als rechtswidrig dar (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2012 - B 14 AS 6/12 R - Rn. 18). Vorliegend stand bei Erlass der zur Überprüfung gestellten Bewilligungsbescheide nicht fest, in welchen Monaten im Bewilligungszeitraum tatsächlich Zahlungen des Kindsvaters zufließen würden. Die Klägerin hatte mit ihrem am 27. Februar 2008 eingegangenen Neuantrag auf Leistungen nach dem SGB II Kontoauszüge für die Monate November 2007 bis März 2008 vorgelegt. Diesen Kontoauszügen war zu entnehmen, dass der Kindsvaters zwar monatliche Zahlungen in Höhe von 708,14 EUR erbrachte, diese indes nicht zu festen Termin auf dem Konto der Klägerin zu 1) eingingen, sondern teilweise am Monatsende - so am 30. November 2007 und 30. Januar 2008 - und teilweise erst am Monatsanfang - so am 2. Januar 2008 und am 3. März 2008 - mit der Folge, dass es teilweise zu Doppelzahlungen gekommen war (Januar 2008) und teilweise (Dezember 2007 und Februar 2008) überhaupt keine Zahlungen zu verzeichnen waren. Angesichts dieser im Hinblick auf das Zuflussprinzip (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 21. Juni 2011 - B 4 AS 21/10 R - Rn. 29 m. w. N.) leistungsrelevanten Zahlungsweise war der Anwendungsbereich des § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 a SGB II (seit 1. Januar 2011 § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II) i. V. m. § 328 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) eröffnet, d. h. über das Leistungsbegehren der Kläger hätte nur vorläufig entschieden werden dürfen. Auch die im fraglichen Zeitraum erteilten Änderungsbescheide stellen sich, soweit sie sich auf die Vergangenheit beziehen, als rechtswidrig dar, da es - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - für die Anrechnung der Zahlungen des Kindsvaters auf deren Zufluss ankam und nicht darauf, in welcher Höhe dieser nach den vorgelegten Unterlagen zur Zahlung verpflichtet war.

Bei der Prüfung des weiteren Tatbestandsmerkmals der nicht erbrachten Sozialleistungen ist eine differenzierte Betrachtung nach Zeitabschnitten erforderlich. Der Rücknahmeanspruch nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X setzt mit dem Tatbestandsmerkmal "und soweit deshalb" voraus, dass der rechtswidrige Verwaltungsakt dazu geführt hat, dass Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Es muss ein Kausalzusammenhang zwischen der Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Verwaltungsakts und dem Nichterbringen der an sich zustehenden Sozialleistung bestehen. Dem Leistungsberechtigten sollen (nur) diejenigen Leistungen zukommen, die ihm nach materiellem Recht zugestanden hätten (sog. Restitutionsgedanke, vgl. BSG, Urteil vom 1. Juni 2010 - B 4 AS 78/09 R - Rn. 18 m. w. N.). Das Gebot, der materiellen Gerechtigkeit zum Erfolg zu verhelfen, bedeutet - wie das BSG bereits entschieden hat -, dass im Zugunstenverfahren einem Leistungsberechtigten (nur) diejenige Leistung zu gewähren ist, die ihm nach materiellem Recht bei von Anfang an zutreffender Rechtsanwendung zugestanden hätte. Dem materiellen Recht widersprechende Besserstellungen schließt § 44 SGB X demgegenüber aus. Die Einräumung einer ihm materiell nicht zustehenden Rechtsposition über § 44 SGB X kann ein Betroffener deshalb nicht verlangen (vgl. zum Vorstehenden: BSG, Urteile vom 22. März 1989 - 7 RAr 122/87 - Rn. 23 f. und vom 28. Mai 1997 - 14/10 RKg 25/95 - Rn. 20).

Nach diesen Grundsätzen sind den Klägern für den Zeitraum von Juni bis Dezember 2008 im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X keine weiteren Leistungen zu gewähren. Bei zutreffender Rechtsanwendung wären - wie erfolgt - monatliche Zahlungen des Kindsvaters in Höhe von 708,14 EUR als Einkommen zu berücksichtigen gewesen, allerdings wären die Leistungsbewilligungen angesichts der unregelmäßigen Zahlungsweise des Kindsvaters mit einem Vorläufigkeitsvorbehalt zu versehen gewesen. Zahlungen in der genannten Höhe haben die Kläger tatsächlich für jeden Monat erhalten, allerdings teilweise am Monatsanfang und teilweise bereits am 30. des Vormonats. Bei der endgültigen Festsetzung wären diese Zahlungen in Anwendung des § 2 Abs. 2 S. 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) a. F. in den Monaten ihres tatsächlichen Zuflusses anzurechnen gewesen, ohne dass sich hieraus ein Nachzahlungsanspruch der Kläger ergeben hätte. Denn im Rahmen des § 328 Abs. 3 SGB III sind die im Bewilligungsabschnitt insgesamt erbrachten vorläufigen Leistungen den endgültig zustehenden Leistungen gegenüberzustellen. Hierauf ist das Verbot der Saldierung, d. h. der Verrechnung von Nachzahlungsansprüchen mit überzahlten Leistungen über den jeweiligen Monat hinaus, nicht anwendbar (vgl. Schaumberg in: PK § 328 SGB III Rn. 127 m. w. N.). Die in Verfahren des Primärrechtsschutzes ergangene Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 5. September 2007 - B 11b AS 15/06 R), wonach innerhalb eines Bewilligungszeitraums für Leistungen nach dem SGB II Überzahlungen für einzelne Monate nicht mit zu geringen Leistungen für andere Monate saldiert werden können, ist daher auf die vorliegende Fallgestaltung nicht übertragbar (a. A.: SG Osnabrück, Urteil vom 25. März 2015 - S 24 AS 1022/12 - Rn. 45).

Die vom SG vertretene Rechtsauffassung würde demgegenüber dazu führen, dass den Klägern für die von Ihnen zur Überprüfung gestellten einzelnen Leistungsmonate, in denen keine Zahlungen des Kindsvaters zugeflossen sind, nachträglich Leistungen ohne Anrechnung dieses Einkommens zu erbringen wären, obwohl ihnen stets zu Monatsanfang die jeweiligen Zahlungen als bereite Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zur Verfügung standen und damit eine Bedarfsunterdeckung zu keinem Zeitpunkt eingetreten ist. In Ermangelung einer Korrekturmöglichkeit für die übrigen Leistungsmonate mit Doppelzahlungen erhielten die Kläger damit im Zeitraum von Juni bis Dezember 2008 höhere Leistungen, als ihnen bei zutreffender Rechtsanwendung seitens des Beklagten zugestanden hatten. Dieses Ergebnis lässt sich nicht mit Sinn und Zweck des auf Herstellung materieller Gerechtigkeit abzielenden § 44 SGB X vereinbaren und würde zudem Manipulationsmöglichkeiten dergestalt eröffnen, dass Leistungsberechtigte derartige Bewilligungsbescheide bestandskräftig werden lassen und nach Ablauf des jeweiligen Bewilligungszeitraum gezielt diejenigen Leistungsmonate, in denen ihnen - aufgrund Zahlungseingangs bereits am Ende des Vormonats - kein Einkommen zugeflossen worden ist, zur Überprüfung nach § 44 SGB X stellen.

Im Zeitraum von Januar bis Juli 2009 stellen sich die Verhältnisse ähnlich dar. Auch in diesem Zeitraum haben die Kläger die von dem Beklagten angerechneten Zahlungen des Kindsvaters grundsätzlich erhalten, wenn auch teilweise bereits am 30./31. des jeweiligen Vormonats (zuletzt am 30. Juni 2009 für den Monat Juli 2009). Allerdings sind die Zahlungen für die Zeit ab Januar 2009 auf 705,14 EUR monatlich reduziert worden (wovon nach den aktenkundigen Unterlagen 265 EUR auf den titulierten Unterhalt entfielen), während der Beklagte weiterhin 708,14 EUR angerechnete. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Überlegungen besteht danach für die Monate Februar 2009, April 2009 und Juli 2009, für die das SG der Klage stattgegeben hat, kein Anspruch auf Nachzahlung von Leistungen im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X ohne Anrechnung von Zahlungen des Kindsvaters. Vielmehr sind die bestandskräftig gewordenen Bescheide lediglich insoweit zu korrigieren, als Zahlungen in Höhe von 705,14 EUR (nicht: 708,14 EUR) anzurechnen sind. Im Übrigen wird der Beklagte bei der erforderlichen Neuberechnung auf der Bedarfsseite zu berücksichtigen haben, dass auch im Zeitraum ab Januar 2009 noch der sog. Warmwasserabzug zu korrigieren ist. Die Warmwasserpauschalen für die Klägerin zu 1) und den Kläger zu 2) belaufen sich - wie sich auch aus den aktenkundigen Bearbeitungsbögen des Beklagten ergibt - auf 6,33 EUR und 3,80 EUR bzw. (ab dem 1. Juli 2009) 6,47 EUR und 3,88 EUR, so dass ausgehend von einer Bruttokaltmiete von 365 EUR und einem Heizkostenabschlag von 85 EUR (insgesamt 450 EUR) ein Unterkunftskostenbedarf von 439,87 EUR (450 - 6,33 - 3,80) bzw. 439,65 EUR (450 - 6,47 - 3,88) anzuerkennen ist. Der Beklagte hat in seinen Bescheide lediglich Unterkunftskosten von 439,39 EUR zugrunde gelegt.

Für die Monate August und September 2009 erweist sich das Urteil des SG als zutreffend, weil in diesem Monat tatsächlich keine Zahlungen des Kindsvaters (August 2009) bzw. nur Zahlungen in Höhe von 106 EUR (September 2009) auf dem Konto der Klägerin zu 1) eingegangen sind.

Die Kläger gehörten in den Monaten Februar, April, Juli, August und September 2009, für die sich Nachzahlungsansprüche ergeben, zum leistungsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II, die Klägerin zu 1) als erwerbsfähige Hilfebedürftige i. S. des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II mit Anspruch auf Arbeitslosengeld II gemäß § 19 SGB II, der minderjährige Kläger zu 2) als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Abs. 3 Nr. 4 SGB II) mit Anspruch auf Sozialgeld gemäß § 20 SGB II.

Die - hier gemäß § 77 Abs. 13 SGB II noch anwendbare - Vier-Jahres-Frist des § 44 Abs. 4 SGB X für die Nachzahlung von Sozialleistungen ist offensichtlich gewahrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Kläger mit ihrem auf acht Leistungsmonate bezogenen Überprüfungsbegehren im Ergebnis nur für zwei Monate (August und September 2009) erfolgreich gewesen sind und dieses für die übrigen Monate erfolglos (Juni, August und November 2008) bzw. weit überwiegend erfolglos (Februar 2009, April 2009 und Juli 2009) geblieben ist.

Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).