Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 04.03.2023, Az.: L 7 AS 76/23

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
04.03.2023
Aktenzeichen
L 7 AS 76/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 22257
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Niedersachsen-Bremen- -21.02.2022 - AZ: L 7 AS 96/22

In dem Rechtsstreit
1. B.
2. C.
vertreten durch D.
3. E.
- Kläger und Berufungskläger -
gegen
Jobcenter F.
- Beklagter und Berufungsbeklagter -
hat der 7. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen auf die mündliche Verhandlung vom 14. März 2023 in Celle durch die Vizepräsidentin des Landessozialgerichts G., den Richter am Landessozialgericht Dr. H. und den Richter am Landessozialgericht Dr. I. sowie die ehrenamtliche Richterin J. und den ehrenamtlichen Richter K.
für Recht erkannt:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren L 7 AS 96/22 durch Rücknahme der Berufung gemäß § 156 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erledigt ist.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Streitig ist, ob das von den Klägern am 1. März 2022 eingeleitete und beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen zum Aktenzeichen L 7 AS 96/22 geführte Berufungsverfahren durch Rücknahme der Berufung beendet worden ist.

Der L. geborene Berufungskläger zu 1. bezog für den Zeitraum ab April 2016 bis März 2018 Grundsicherungsleistungen, ab Dezember 2016 mit seiner nach Deutschland eingereisten Ehefrau, der M. geborenen Berufungsklägerin zu 3.

Einen auf den Zeitraum ab April 2018 bezogenen Weiterbewilligungsantrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24. Mai 2018 für den Zeitraum bis zum 30. September 2018 ab mit der Begründung einer nach den vermuteten Einkommensverhältnissen nicht bestehenden Hilfebedürftigkeit bei den ersichtlichen Einkommen des Berufungsklägers zu 1. aus zwei selbstständigen Tätigkeiten als Handwerker bei der Firma N. sowie als Verkäufer im Onlinehandel. Insoweit verwies der Beklagte auf einen den einstweiligen Rechtsschutzantrag der Kläger vom 3. April 2018 ablehnenden und in der Folgezeit rechtskräftig gewordenen Beschluss des Sozialgerichts (SG) Lüneburg vom 17. Mai 2018 zum Aktenzeichen S 31 AS 77/18 ER, nach dem fehlende finanzielle Mittel zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht glaubhaft gemacht worden seien. Es fehlten u.a. glaubhaft gemachte Darlegungen zur Verwendung eines Betrags in Höhe von EUR 2.500,00, zum Verbleib eines Barbetrages im Zusammenhang mit dem Verkauf eines Kfz und eines Motorrades in Höhe von EUR 7.900,00 und zu Bareinzahlungen in Höhe von EUR 3.700,00 bzw. EUR 3.500,00 im Dezember 2017 und Februar 2018.

Parallel lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24. Mai 2018 auch den weiteren Antrag auf Übernahme der Erstlingsausstattung für die nachfolgend am O. geborene Berufungsklägerin zu 2., die Tochter der Berufungskläger zu 1. und 3., ab.

Mit zwei Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 15. Juni 2018 hob der Beklagte schließlich die Leistungsbewilligung für den Berufungskläger zu 1. für den Zeitraum April 2016 bis März 2017 ganz auf unter Festsetzung eines Erstattungsbetrags in Höhe von EUR 9.875,00 sowie die Leistungsbewilligung für die Berufungsklägerin zu 3. für den Zeitraum ab dem 27. Dezember 2016 bis März 2017 unter Festsetzung eines Erstattungsbetrags in Höhe von EUR 2.453,19. Mit den vermuteten und nachgewiesenen Einkommensverhältnissen habe unter Berücksichtigung der vorliegenden Nachweise, u.a. Kontoauszüge, eBay-Kleinanzeigen, Kfz-Zulassungen, Kfz-Verkäufe sowie Einnahmen vom Vermieter, keine Hilfebedürftigkeit vorgelegen. Die Bewilligungsentscheidungen seien wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht aufzuheben gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), weil der Berufungskläger zu 1. seiner Verpflichtung zur Mitteilung aller erheblichen Änderungen in den Verhältnissen zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen sei sowie zum Wegfall des Anspruchs führendes Einkommen erzielt habe.

Die gegen die Ablehnung der Leistungsbewilligung sowie der Erstlingsausstattung gerichteten Widersprüche wies der Beklagte mit zu den Geschäftszeichen W 389/18 und W 403/18 erlassenen Widerspruchsbescheiden vom 7. bzw. 8. August 2018 zurück sowie die Widersprüche gegen die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide mit zu den Geschäftszeichen W 462/18 bzw. W 460/18 erlassenen Widerspruchsbescheiden vom 9. August 2018. Aufgrund der ermittelten erheblichen Zuflüsse aus Verkäufen und Bareinzahlungen im Februar und März 2018 sei für den 1. April 2018 von einem verfügbaren und verwertbaren sowie für einen Zeitraum von mindestens 8 Monaten bedarfsdeckenden Vermögen in Höhe von wenigstens EUR 23.300,00 auszugehen. Zudem habe der Berufungskläger zu 1. eine nicht mitgeteilte Erwerbstätigkeit bei der Firma P. aufgenommen. Eine Hilfebedürftigkeit liege für die Zeit ab 1. April 2018 bis mindestens 30. September 2018 nicht vor, weshalb auch keine Erstlingsausstattung beansprucht werden könne. Für den von der Leistungsaufhebung betroffenen Zeitraum sei aus den Ermittlungen durchgehendes und die Hilfebedürftigkeit ausschließendes Einkommen aus Verkäufen über eBay-Kleinanzeigen, Kfz-Verkäufen und durch Zahlungen des Vermieters, der Firma Q., zu entnehmen. Auf eine detaillierte Einkommensermittlung für die einzelnen Monate werde aufgrund der vom Bundessozialgericht (BSG) in derartigen Fällen angenommenen Umkehr der Beweislast verzichtet, weil die Kläger an der ihnen möglichen Sachverhaltsaufklärung nicht bzw. nicht rechtzeitig mitgewirkt hätten.

Gegen die Widerspruchsbescheide vom 7., 8. und 9. August 2018 haben die Kläger am 24. August 2018 eine beim SG zum Aktenzeichen S 24 AS 707/18 geführte Klage erhoben, die nach zahlreichen Erinnerungen und Fristverlängerungsantragen sowie nach einer gerichtlichen Betreibensaufforderung vom 3. Januar 2019 mit Schriftsatz des damaligen Prozessbevollmächtigten vom 17. Mai 2019 dahin begründet wurde, dass nach Auffassung der Kläger der Nachweis fehlender Einkünfte geführt worden sei.

Parallel stellten die Kläger am 5. November 2018 erneut einen Leistungsantrag nach dem SGB II, den der Beklagte mit Bescheid vom 19. Dezember 2018 und Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2019 ablehnte. Aus den eingereichten Kontoauszügen und den weiteren Ermittlungen gingen laufende Gutschriften aus eBay-Kleinanzeigen sowie laufende Anzeigen zu zwei Profilen hervor, wobei es sich entgegen den Angaben der Kläger zu 1. nicht nur um Gegenstände aus dem Hausstand handele, sondern u.a. auch um Neuware in Originalverpackung und um Sammlerstücke sowie um verschiedene PKW. Insgesamt sei davon auszugehen, dass mit dem An- und Verkauf von Gegenständen über eBay-Kleinanzeigen sowie von Autos eine selbständige Tätigkeit ausgeübt werde und eine Hilfebedürftigkeit ab November 2018 nicht bestehe.

Hiergegen hat der damalige Prozessbevollmächtigte des Berufungsklägers zu 1. am 15. Februar 2019 nur für diesen eine beim SG zum Aktenzeichen S 24 AS 134/19 geführte Klage erhoben, die mit nachfolgend am 4. März 2019 eingegangenem Schriftsatz auf die Berufungskläger zu 2. und 3. erweitert wurde. Es seien lediglich privat Gegenstände aus dem Hausstand veräußert worden ohne gewerblichen Hintergrund.

Von den Klägern parallel am 4. Januar 2019 und am 25. Februar 2019 erneut gestellte und beim SG zu den Aktenzeichen S 19 AS 2/19 ER und S 19 AS 48/19 ER geführte Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz blieben erfolglos bei ablehnenden Beschlüssen des SG vom 14. Januar 2019 bzw. vom 18. März 2019 (mit nachfolgendem ablehnenden Beschwerdebeschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 23. Mai 2019 zum Aktenzeichen L 9 AS 201/19 B ER). Der Berufungskläger zu 1. habe die Verkäufe über eBay-Kleinanzeigen zur Sicherstellung des Lebensunterhalts selbst angegeben. Nach den eingereichten Übersichten sei es bis in den Monat März 2019 hinein zu Verkäufen mit Gutschriften gekommen ohne ersichtliche Bedarfslücke. Trotz ausdrücklicher Nachfrage seien zudem weder der aktuelle Nutzername für das eBay-Kleinanzeigenkonto offengelegt noch Fragen nach sonstigen Einkünften beantwortet worden, weshalb die Verkaufsaktivitäten die Annahme einer auf Gewinnerzielung ausgerichteten Tätigkeit rechtfertigten, die sich auch nicht auf den Verkauf bereits vorhandener Vermögensgegenstände beschränke. Anzahl und Art der Verkaufsangebote entsprächen nicht dem typischen Verkauf von Hausratsgegenständen.

Nach Anhörung gemäß § 105 SGG unter Hinweis auf die ablehnenden Eilverfahrensbeschlüsse hat das SG die zu den Aktenzeichen S 24 AS 707/18 und S 24 AS 134/19 geführten Klageverfahren mit zwei Gerichtsbescheiden vom 21. Februar 2022 abgewiesen. Die Ablehnungsbescheide vom 24. Mai 2018 seien hinsichtlich der beantragten Leistungen ab April 2018 sowie hinsichtlich der begehrten Erstlingsausstattung rechtmäßig. Es bestehe mangels von den Klägern nachgewiesener Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II gemäß § 7 Abs. 1 SGB II kein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen. Die Kläger hätten nicht nachgewiesen, dass sie ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft sicherstellen konnten. Auch die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 15. Juni 2018 seien aufgrund der Unerweislichkeit einer Hilfebedürftigkeit rechtmäßig. Wie auch der Beklagte gehe das SG von einer Beweislast der Kläger aus. Durch die vorliegend bestehenden Indizien ergebe sich die begründete Annahme höherer Einnahmen der Kläger und daraus folgende erhebliche Zweifel an der Hilfebedürftigkeit. Aufgrund der nicht hinreichenden Mitwirkung der Kläger zur Aufklärung der Einnahmesituation im Hinblick etwa auf die eBay-Verkäufe lasse sich die tatsächliche Einkommenssituation der Kläger nicht darstellen, sodass vorliegend von der fehlenden Hilfebedürftigkeit auszugehen sei. Weder dem Beklagten noch dem Gericht seien weitere Ermittlungen möglich. Auch der auf den Zeitraum ab November 2018 bezogene Ablehnungsbescheid vom 19. Dezember 2018 sei rechtmäßig, weil es auch insoweit am Nachweis der Hilfebedürftigkeit fehle. Es werde auf die Ausführungen in den Beschlüssen vom 14. Januar 2019 zum Aktenzeichen 19 AS 2/19 ER sowie vom 18. März 2019 zum Aktenzeichen 19 AS 48/19 ER und auf die Ausführungen im Beschwerdebeschluss vom 23. Mai 2019 zum Aktenzeichen L 9 AS 201/19 B ER verwiesen. Auch im Klageverfahren hätten die Kläger zu Veräußerungen und erzielten Einnahmen nicht detailliert vorgetragen.

Gegen die am 25. Februar 2022 zugestellten Gerichtsbescheide richteten sich die mit Schreiben vom 25. Februar 2022, eingegangen am 1. März 2022, eingelegten und beim LSG Niedersachsen-Bremen zu den Aktenzeichen L 7 AS 96/22 (Ausgangsverfahren S 24 AS 134/19) und L 7 AS 97/22 (Ausgangsverfahren S 24 AS 707/18) geführten Berufungen der Kläger. Im fast dreijährigen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sei mit der im September 2021 erfolgten Einstellung festgestellt worden, dass es zu keinem Zeitpunkt eine selbständige Tätigkeit mit daraus erzielten Einnahmen gegeben habe. Die verkauften Artikel hätten sich, wie z.B. der Ehering und Hausrat, teilweise seit mehr als 20 Jahren im Besitz befunden. Ein Gewerbe sei beim zuständigen Finanzamt nicht angemeldet worden. Die Zahlung der Grundsicherungsleistungen sei rechtmäßig gewesen. Rückzahlungen seien daher nicht gerechtfertigt. Auch sonstige selbständige Tätigkeiten, z.B. für die Hausverwaltung R., seien nicht ausgeübt worden.

Der Beklagte verwies in beiden Berufungsverfahren auf die als zutreffend beurteilten Ausführungen in den erstinstanzlichen Gerichtsbescheiden. Die Berufungen seien unbegründet.

Im Berufungsverfahren L 7 AS 96/22 hat der Senat mit Hinweisverfügung vom 28. Juni 2022 u.a. auf die lediglich ohne Rückzahlungsforderungen streitgegenständliche Leistungsbewilligung für den Zeitraum ab November 2018 hingewiesen sowie auf die für die Klägerinnen zu 2. und 3. erst am 4. März 2019 und daher nach Ablauf der Klagefrist eingereichte Klagerweiterung und auf die für den Fall der Berufungsfortführung erforderliche Klarstellung des begehrten Leistungszeitraums mit Erklärung und ggf. Belegung unter Vorlage vollständiger Kontoauszugskopien, aus welchen genauen finanziellen Mitteln in diesem Zeitraum der Lebensunterhalt bestritten wurde.

Eine Reaktion der Kläger ist hierauf in der Folgezeit auch auf Erinnerungen vom 22. August 2022 und vom 16. September 2022, per Postzustellungsurkunde zugestellt am 21. September 2022, nicht erfolgt.

Mit Schreiben vom 25. Oktober 2022, per Postzustellungsurkunde zugestellt am 27. Oktober 2022, sind die Kläger unter Hinweis auf § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG und die nicht verlängerbare Betreibensfrist von drei Monaten nach Zustellung zum Betreiben des Berufungsverfahrens aufgefordert worden durch vollständige Erledigung der konkreten gerichtlichen Hinweisverfügungen, einschließlich der Einreichung der für die Beurteilung der konkreten finanziellen Situation der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum erforderlichen Unterlagen und Informationen.

Auch auf diese Betreibensaufforderung ist eine Reaktion der Kläger nicht erfolgt.

Mit Beschluss vom 30. Januar 2023 hat der Senat festgestellt, dass die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 21. Februar 2022 zum Aktenzeichen S 24 AS 134/19 gemäß § 156 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als zurückgenommen gilt, weil die Kläger das Berufungsverfahren auf die am 27. Oktober 2022 per Postzustellungsurkunde zugestellte gerichtliche Betreibensaufforderung vom 25. Oktober 2022 innerhalb von drei Monaten nicht durch Einreichung der mit gerichtlichen Hinweisverfügungen konkret angeforderten Unterlagen und Informationen sowie mit Klarstellung des konkreten Berufungsbegehrens betrieben haben.

Mit am 6. Februar 2023 eingegangenem Schreiben vom 2. Februar 2023 tragen die Kläger vor, auf das Schreiben vom 25. Oktober 2022 umgehend reagiert und um eine persönliche Anhörung zu den offenen Punkten gebeten zu haben. Hierüber habe das Gericht nicht entschieden. Sie hätten sich umfangreich eingelassen.

Die Kläger sind mit gerichtlichem Schreiben vom 7. Februar 2023 unter Mitteilung des neu vergebenen Aktenzeichens L 7 AS 76/23 auf die Auslegung ihres Schreibens vom 2. Februar 2023 als Antrag auf Fortführung des Berufungsverfahrens hingewiesen worden sowie darauf, dass die vorgetragene Reaktion auf die Betreibensaufforderung vom 25. Oktober 2022 weder eingegangen noch nach Inhalt oder Datum substantiiert noch dem Schreiben vom 2. Februar 2023 beigefügt war. Die Kläger sind mit am 17. Februar 2023 per Postzustellungsurkunde zugestellten Terminsmitteilungen zur mündlichen Verhandlung am 14. März 2023 geladen worden.

Nach einem von der zuständigen Geschäftsstelle gefertigten Gesprächsvermerk hat der Berufungskläger zu 1. dort am Morgen des 14. März 2023 telefonisch angegeben, dass ein Erscheinen zur Sitzung nicht möglich sei. Der Sohn sei erkrankt und der Kinderarzt sei 40 Kilometer entfernt, sodass ein PKW für die Fahrt nach Celle nicht zur Verfügung stehe. Trotz des nicht angeordneten persönlichen Erscheinens wolle er vor dem Gericht gehört werden und bitte um Terminverlegung.

Unter Bezugnahme auf diesen Telefonvermerk ist vor der Eröffnung der mündlichen Verhandlung unter Verweis auf die Möglichkeit der Terminswahrnehmung mit öffentlichen Verkehrsmitteln eine vom Senat beabsichtigte Verhandlung und Entscheidung zum Protokoll der mündlichen Verhandlung erklärt worden.

Der Vertreter des Beklagten beantragt,

festzustellen, dass das Verfahren durch fiktive Berufungsrücknahme erledigt ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1. Einer Entscheidung steht zunächst nicht entgegen, dass die Kläger zur mündlichen Verhandlung am 14. März 2023 nicht erschienen sind. Die Kläger sind unter Einhaltung der zweiwöchigen Ladungsfrist gemäß § 110 Abs. 1 SGG durch ausweislich der in der Gerichtsakte befindlichen Postzustellungsurkunden am 17. Februar 2023 zugegangene Terminsmitteilungen rechtzeitig geladen worden, verbunden mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass auch in ihrer Abwesenheit Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann.

Der Senat sieht sich auch nicht deshalb zur Wahrung des rechtlichen Gehörs der Kläger an einer Entscheidung gehindert, weil der Berufungskläger zu 1. am Tag der mündlichen Verhandlung telefonisch um Terminverlegung gebeten hat. Eine Verlegung des Termins ist vor Eröffnung der mündlichen Verhandlung abgelehnt worden. Die Aufhebung eines bestimmten Termins zur mündlichen Verhandlung ist zudem nur aus erheblichen Gründen möglich (Keller/Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 110 Rn 4b), die vorliegend weder ersichtlich noch glaubhaft gemacht sind. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in Celle ist ausweislich der ersichtlichen Fahrpläne der Deutschen Bundesbahn vom Wohnort der Kläger aus mit öffentlichen Verkehrsmitteln in einem Zeitfenster von nur etwas über 2 Stunden erreichbar, weshalb weder nachvollziehbar vorgetragen noch aus den Umständen ersichtlich ist, warum die Nutzung eines PKW zur Wahrnehmung des Termins zur mündlichen Verhandlung zwingend erforderlich gewesen sein sollte. Es kann daher dahinstehen, dass auch weder die etwaige Erkrankung des Sohnes glaubhaft gemacht worden ist noch ein etwaig erforderlicher Arztbesuch noch eine insoweit zurückzulegende Entfernung von 40 Kilometern. Dahinstehen kann insoweit auch, dass mangels einer mitgeteilten Telefon- oder ggf. Telefaxnummer am Tag der mündlichen Verhandlung auch weder die Anforderung etwaiger ergänzender Informationen oder Unterlagen möglich gewesen ist noch die Mitteilung der abgelehnten Terminverlegung vor Beginn der mündlichen Verhandlung.

2. Dem nach einem deklaratorischen Beschluss über die Rücknahme der Berufung wegen nicht fristgemäßen Betreibens gemäß § 156 Abs. 2 SGG zulässigen Antrag auf Fortführung des Berufungsverfahrens L 7 AS 96/22 wegen Bestreitens der Voraussetzungen der Fiktion der Berufungsrücknahme (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 156 Rn 6) kann nicht entsprochen werden, weil dieses Verfahren gemäß § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG als zurückgenommen gilt.

Bei der fiktiven Berufungsrücknahme handelt es sich um eine an den objektivierbaren Umstand der Untätigkeit eines Klägers anknüpfende gesetzliche Regelung für Fälle, in denen der Kläger oder die Klägerin ungeachtet einer Aufforderung des Gerichts nicht fristgemäß die vom Gericht als geboten angesehene Mitwirkungshandlung erbringt oder hinreichend substantiiert darlegt, warum er oder sie die geforderte Handlung nicht vornehmen kann (vgl. BT-Drucks 16/7716 S 1 f, 12 ff), und in denen nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles vor und nach Erlass der Aufforderung zum Betreiben des Verfahrens sowie des Verhaltens des Klägers die Annahme gerechtfertigt ist, dass ein Kläger das Interesse an dem Rechtsstreit und damit das Rechtsschutzinteresse an einer gerichtlichen Entscheidung verloren hat (vgl. Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Beschluss vom 17. September 2012 - 1 BvR 2254/11 -, BVerfGK 20, 43-52; Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 4. April 2017 - B 4 AS 2/16 R -, SozR 4-1500 § 102 Nr. 3 und Beschluss vom 19. Oktober 2016 - B 14 AS 105/16 B -, SozR 4-1500 § 156 Nr. 1; Bundesverwaltungsgericht <BVerwG>, Beschluss vom 7. Juli 2005 - 10 BN 1/05 -; Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 14. Januar 2016 - L 3 AS 976/14 -, Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl. <Stand: 3. Februar 2023>, § 156 SGG Rn 54 ff. und § 102 SGG Rn 69).

Auf der Grundlage dieser Voraussetzungen gilt das Berufungsverfahren L 7 AS 96/22 als zurückgenommen, weil die Kläger das Berufungsverfahren auf die am 27. Oktober 2022 per Postzustellungsurkunde zugestellte gerichtliche Betreibensaufforderung vom 25. Oktober 2022 innerhalb von drei Monaten nicht durch Einreichung der mit gerichtlichen Hinweisverfügungen konkret angeforderten Unterlagen und Informationen sowie mit Klarstellung des konkreten Berufungsbegehrens betrieben haben.

Die Voraussetzungen für eine wirksame Betreibensaufforderung (vgl. Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl. <Stand: 3. Februar 2023>, § 156 SGG Rn 54 ff. m.w.N.) lagen zum Erlasszeitpunkt am 25. Oktober 2022 vor, weil sich für den Senat unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände im zu beurteilenden Einzelfall die berechtigte Annahme ergeben hat, dass die Kläger ein Interesse an dem Berufungsverfahren zu keinem Zeitpunkt gehabt bzw. jedenfalls zwischenzeitlich verloren haben, weil die Kläger auf die konkreten gerichtlichen Hinweise zum alleinigen Berufungsgegenstand und zu den insoweit für eine Entscheidung zwingend erforderlichen Unterlagen und Informationen zu den finanziellen Verhältnissen auch auf Erinnerung nicht reagiert haben.

Die vom zuständigen Berichterstatter unterzeichnete sowie den Klägern wirksam gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG zugestellte Betreibensaufforderung vom 25. Oktober 2022 beinhaltete zudem konkret und klar ihren Anlass sowie die konkret zur Beseitigung der Zweifel am Fortbestand des Rechtsschutzinteresses erforderlichen Schritte und Handlungsaufforderungen und unmissverständliche Hinweise auf die insoweit in Gang gesetzte Frist und auf die Rechtsfolge der fingierten Klagerücknahme im Falle des Nichtbetreibens (vgl. BSG, Urteil vom 4. April 2017 - B 4 AS 2/16 R -, SozR 4-1500 § 102 Nr. 3; Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl. <Stand: 3. Februar 2023>, § 156 SGG Rn 68 ff.).

Auf die den Klägern zugestellte Betreibensaufforderung ist innerhalb der gesetzlichen Betreibensfrist von drei Monaten ab Zustellung tatsächlich keinerlei Reaktion ersichtlich. Soweit die Kläger pauschal eine Reaktion auf die Betreibensaufforderung vom 25. Oktober 2022 vortragen, ist eine solche weder eingegangen noch nach Inhalt, Form oder Datum substantiiert noch von den Klägern nachgereicht worden.

Bei der Frist des § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG handelt es sich um eine Ausschlussfrist, weshalb eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand außer in von den Klägern weder vorgetragenen noch aus den Umständen ersichtlichen Ausnahmefällen höherer Gewalt, also bei Naturereignissen und anderen unabwendbaren Zufällen, nicht in Betracht kommt (vgl. Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl. <Stand: 3. Februar 2023>, § 156 SGG Rn 83).

Mit dem zum 28. Januar 2023, einem Mittwoch, eingetretenen Ablauf der dreimonatigen Betreibensfrist ab Zustellung am 27. Oktober 2022 gilt die am 1. März 2022 von den Klägern eingelegte Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 21. Februar 2022 daher gemäß § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG als zurückgenommen.

Die fingierte Zurücknahme bewirkt gemäß § 156 Abs. 3 Satz 1 SGG den Verlust des Rechtsmittels und beendet die Rechtshängigkeit ex nunc, weshalb der erstinstanzliche Gerichtsbescheid rechtskräftig wird (vgl. Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl. <Stand: 3. Februar 2023>, § 156 SGG Rn 88 ff.).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

3. Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision ist aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 SGG).