Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 17.09.2013, Az.: 2 B 754/13

Nutzungsuntersagung eines Gebäudes wegen Aufstellung eines Blockheizkraftwerks; Verfahrensfreiheit der erstmaligen Nutzung eines Gebäudes durch Einbringung einer verfahrensfreien Anlage (Blockheizkraftwerk) in ein Gebäude nach § 60 Abs. 1 S. 1 BauO ND

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
17.09.2013
Aktenzeichen
2 B 754/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 47870
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2013:0917.2B754.13.0A

Fundstellen

  • BauR 2014, 315-316
  • FStNds 2014, 190-191

Amtlicher Leitsatz

Nutzungsuntersagung eines Gebäudes wegen Aufstellung eines Blockheizkraftwerks

Die Einbringung einer verfahrensfreien Anlage (hier: Blockheizkraftwerk) in ein Gebäude nach § 60 Abs. 1 Satz 1 NBauO führt nicht zur Verfahrensfreiheit der damit verbundenen erstmaligen Nutzung des Gebäudes oder der damit verbundenen Änderung der Nutzung des Gebäudes.

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Antrag der Antragstellerin,

2

die aufschiebende Wirkung ihres unter dem 01.08.2013 eingelegten Widerspruchs gegen die mit Bescheid des Antragsgegners vom 01.07.2013 verfügte Nutzungsuntersagung wiederherzustellen,

ist unbegründet.

3

Nach § 80 Abs. 5 VwGO stellt das Verwaltungsgericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines eingelegten Widerspruchs wieder her, wenn die im Rahmen einer eigenen Ermessensentscheidung zu treffende Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, einstweilen vom Vollzug eines belastenden Bescheides verschont zu bleiben, gegenüber dem vom Antragsgegner vertretenen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung dieser Verfügung überwiegt. Dies ist in der Regel der Fall, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache Erfolg verspricht. Das ist hier nicht der Fall. Der von der Antragstellerin gegen die vom Antragsgegner verfügte Untersagung der Nutzung des Gebäudes auf dem Grundstück E. 8 in F. als Aufstellungsort für ein Blockheizkraftwerk eingelegte Widerspruch wird bei der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Rechtmäßigkeitsprüfung aller Voraussicht nach erfolglos bleiben.

4

Der Antragsgegner stützt die angefochtene Nutzungsuntersagung zu Recht auf § 79 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 NBauO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde zur Wiederherstellung eines baurechtmäßigen Zustands insbesondere die Benutzung von Anlagen untersagen. Das Gericht folgt dem Antragsgegner in seiner - allein entscheidungstragenden - Einschätzung, dass die von der Antragstellerin beabsichtigte Nutzung deshalb gegen Vorschriften des öffentlichen Baurechts verstößt, weil sie formell illegal ist. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin bedarf das Aufstellen eines Blockheizkraftwerks in dem streitbefangenen Grundstück einer Baugenehmigung. Dieses Aufstellen besteht baurechtlich aus zwei Maßnahmen, dem Errichten des Blockheizkraftwerks und der Nutzung des Gebäudes E. zur Aufstellung dieses Kraftwerks; nur das Errichten des Blockheizkraftwerks ist genehmigungs- bzw. verfahrensfrei.

5

Die Genehmigungsfreiheit der Errichtung des Blockheizkraftwerks folgt aus § 60 Abs. 1 NBauO i.V.m. Nr. 2.4. des Anhangs zu dieser Vorschrift. Es handelt sich nicht um einen Sonderbau im Sinne von § 2 Abs. 5 Satz 2 NBauO i.V.m. § 4 Abs. 1 BImSchG i.V.m. Nr. 1.1 des Anhangs zur 4. BImschV, weil die streitbefangene Anlage mit 750 kW die dort genannte Grenze von 50 MW nicht erreicht. Diese Verfahrensfreiheit erstreckt sich nur auf die technische Einrichtung und nicht das Gebäude, in dem sie untergebracht ist (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. zur im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorgängervorschrift Nr. 2.5. des Anhangs zu § 69 Rn. 26).

6

Nicht verfahrensfrei ist jedoch die mit der Einbringung dieser Anlage in das Gebäude E. 5 in F. verbundene Nutzung dieses Gebäudes. Die Antragstellerin kann sich für die Verfahrensfreiheit der Gesamtmaßnahme nicht auf § 60 Abs. 1 Satz 1 NBauO berufen. Danach dürfen die im Anhang genannten baulichen Anlagen nicht nur errichtet, sondern auch in bauliche Anlagen eingefügt werden. Dies bedeutet jedoch nur, dass die verfahrensfreie Anlage auch verfahrensfrei bleibt, wenn sie in ein Gebäude eingefügt wird; für das Gebäude selbst trifft die Vorschrift indes keine Regelung, es sei denn, es besteht - was hier nicht der Fall ist - eine räumlich funktionale Einheit zwischen Gebäude und verfahrensfreier Anlage. Hier erfüllen das Blockheizkraftwerk einerseits und das Gebäude andererseits ihre Zwecke je unabhängig voneinander. Nicht gemeint ist mit der Vorschrift, dass eine mit der Maßnahme verbundene, ansonsten genehmigungsbedürftige Nutzung des Gebäudes gleichsam ebenfalls verfahrensfrei ist. Würde man dies anders sehen, ließen sich ohne Probleme Schwarzbauten durch das Einbringen von verfahrensfreien Anlagen jedenfalls formell legalisieren.

7

Die Antragstellerin kann für sich auch nicht § 60 Abs. 2 Nr. 1 NBauO in Anspruch nehmen. Danach ist verfahrensfrei auch die Änderung der Nutzung einer baulichen Anlage, wenn das öffentliche Baurecht an die neue Nutzung weder andere noch weitergehende Anforderungen stellt oder die Errichtung oder Änderung der baulichen Anlage nach Absatz 1 verfahrensfrei wäre. Es handelt sich bei dem Aufstellen des Blockheizkraftwerks in dem fraglichen Gebäude nicht um eine Nutzungsänderung. Denn die bisher genehmigte Nutzung ist erloschen, sodass von ihr Bestandskraftwirkung nicht ausgeht und sich die Genehmigungsfrage für die Nutzung des Gebäudes völlig neu stellt.

8

Für das streitbefangene Bauwerk liegen zwei Baugenehmigungen aus den Jahren 1925 und 1947 für den Betrieb einer Druckerei vor. Der letzte baurechtliche Nachweis der Nutzung als Druckerei stammt aus dem Jahre 1956. 1961 wurde eine Genehmigung zur teilweisen Nutzung als Möbellager erteilt und auch ausgenutzt. Seit 1981 wurde das Gebäude nach gewerberechtlichen Unterlagen der Stadt F. im Harz bis 2008 als Groß- und Einzelhandel der Schuh-Branche genutzt. In dem Gebäude befand sich eine Schuhhalle bzw. ein Schuhlager. Für diese Nutzung ist eine Baugenehmigung nach Aktenlage nicht vorhanden. Aus der letzten, 1981 erteilten Genehmigung lassen sich heute Rechtsfolgen nicht mehr herleiten. Selbst wenn es für die Einzelhandelsnutzung eine Genehmigung gegeben hätte, könnte von einer Nutzungsänderung fünf Jahre nach Aufgabe dieser Nutzung nicht mehr gesprochen worden. Zwar hält das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht nicht mehr an seiner früheren Rechtsauffassung fest, wonach in Anwendung des Rechtsgedankens aus § 71 Abs. 1 NBauO (Erlöschen der Baugenehmigung 3 Jahre nach Erteilung, wenn mit dem Bau nicht begonnen wurde) nach Ablauf von drei Jahren aus einer alten Nutzung für die Gegenwart Ansprüche nicht mehr abgeleitet werden können (vgl. Beschluss vom 3.1.2011 -1 ME 209/10-, zitiert nach [...]). Ein Bestandsschutz besteht in dieser Weise jedoch nur, wenn die bisherige Nutzung in ihrer genehmigten Bandbreite auf Dauer nicht durch eine - insbesondere funktional andere - Nutzung ersetzt wird (so auch schon: BVerwG, Urt. v. 15.11.1974 -- IV C 32.71 -- BRS 28 Nr. 34 m.w.N.). Die Unterbringung eines Blockheizkraftwerks ist jedoch funktional etwas völlig anderes als Einzelhandel.

9

Selbst wenn man zugunsten der Antragstellerin von einer Nutzungsänderung im Sinne von § 60 Abs. 2 Nr. 1 NBauO ausgehen wollte, bliebe der Antrag erfolglos. Denn auch dann bedürfte die Antragstellerin einer Baugenehmigung für diese Nutzungsänderung, weil die Nutzung zur Unterbringung eines Blockheizkraftwerkes gegenüber einer Druckerei oder einem Einzelhandel andere und weitergehende Anforderungen an das öffentliche Baurecht stellt. Insbesondere bauordnungsrechtlich werden an die neue Nutzung als Aufstellort für ein Blockheizkraftwerk andere Anforderungen gestellt. Aus. § 10 Abs. 3 DVO-NBauO ergeben sich für das Aufstellen eine Blockheizkraftwerkes andere Deckenhöhen als an die Nutzung als Druckerei bzw. Schuhhalle oder Lager. Auch die Feuerverordnung des Landes Niedersachsen (FeuVO Nds.) stellt in § 10 i.V.m. §§ 3, 4 besondere Anforderungen an Räume, in denen sich Blockheizkraftwerke befinden. Auch bauplanungsrechtlich sind möglicherweise andere Anforderungen vorhanden. Dies abschließend zu entscheiden, fehlt dem Gericht allerdings die Kenntnis des Gebietscharakters des Aufstellungsortes der Anlage. In Anbetracht der unterschiedlichen bauordnungsrechtlichen Anforderungen, ist eine weitergehende Sachverhaltsaufklärung hierzu entbehrlich.

10

Der Nutzungsuntersagung heften nach Ansicht des Gerichts auch keine Ermessensfehler an. Insbesondere hat der Antragsgegner den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Die Nutzungsuntersagung ist geeignet, den baurechtswidrigen Zustand in Form der formellen Baurechtswidrigkeit zu beseitigen. Auch ist die Nutzungsuntersagung erforderlich, da ein milderes Mittel nicht ersichtlich ist. Die bloße Aufforderung zur Vorlage von prüffähigen Bauvorlagen reicht nicht aus, um die von dem Schwarzbau ausgehende Gefahr zu beseitigen, zumal die Antragstellerin die Vorlage von Bauvorlagen nach wie vor ablehnt.

11

Die Nutzungsuntersagung ist auch angemessen, d.h. verhältnismäßig im engeren Sinne.

12

Soweit die Antragstellerin der Ansicht ist, dass eine nicht abschließend festgestellte materielle Illegalität der baulichen Anlage, wenn schon nicht auf Tatbestandsebene, dann zumindest im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen sei, wenn eine Nutzungsuntersagung ähnliche irreparable Folgen zu verursachen drohe wie eine Beseitigungsanordnung, folgt das Gericht dieser Rechtsauffassung nicht. Zum einen ist dies bei jeglicher, eine gewerbliche Nutzung betreffende Nutzungsuntersagung der Fall. Zum anderen hat die Antragstellerin diese Situation durch Beharren auf einem unrichtigen Rechtsstandpunkt zur Verfahrensfreiheit ihrer Baumaßnahmen selbst geschaffen. Schließlich ist es der Antragstellerin zuzuschreiben, dass die materielle Baurechtmäßigkeit nicht geprüft werden kann, denn hierzu fehlen prüffähige Bauvorlagen. Es besteht daher kein Anlass, von der in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung abzuweichen, dass bei formeller Illegalität einer baulichen Anlage in aller Regel die Nutzungsuntersagung die ermessensgerechte Bauordnungsmaßnahme ist.

13

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO.

14

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.