Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 05.03.2020, Az.: 7 A 6541/18

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
05.03.2020
Aktenzeichen
7 A 6541/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 71570
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung von Rundfunkgebühren und -beiträgen für vergangene Zeiträume.

Der Kläger wurde aufgrund einer von ihm vorgenommenen Anmeldung im September 2002 unter der Teilnehmernummer C. als Rundfunkteilnehmer mit einem Radio und einem Fernsehgerät geführt. Nachdem er zum 2. Mai 2006 innerhalb Hannovers umgezogen war, konnte die Beklagte ihn postalisch nicht mehr erreichen. Das Teilnehmerkonto wurde damit zu Juli 2007 intern in einen inaktiven Zustand überführt. Im Rahmen des Einmaldatenabgleichs des RBStV erlangte der Beklage am 15. Juli 2014 durch eine Mitteilung des zuständigen Einwohnermeldeamtes Kenntnis von der Adresse „D.“ in E.. Seit diesem Zeitpunkt führt der Beklagte den Kläger unter der Teilnehmernummer F.. Das Informationsschreiben des Beklagten über diesen Vorgang vom 15. Juni 2014 kam mit dem Vermerk „unbekannt verzogen“ zurück. Erst am 28. August 2018 erhielt der Beklagte durch das zuständige Einwohnermeldeamt von der derzeit aktuellen Anschrift des Klägers Kenntnis.

Mit Festsetzungsbescheid vom 3. September 2018 setzte der Beklagte Rundfunkgebühren in Höhe von 56,20 Euro für den Zeitraum Juli bis September 2006 unter der Teilnehmernummer C. fest. Hiergegen legte der Kläger am 18. September 2018 Widerspruch ein, den er insbesondere damit begründete, dass der Bescheid nicht die Wohnung bezeichne, für die Rundfunkbeiträge gefordert werden. Die Ansprüche seien verjährt. Zudem haben im Jahr 2006 keine Rundfunkbeiträge, sondern Rundfunkgebühren erhoben werden dürfen. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2018 zurück.

Der Kläger hat am 15. Oktober 2018 rechtzeitig Klage erhoben (Az. 7 A 6541/18), zu deren Begründung er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren vertieft und ergänzend ausführen lässt, der Anspruch des Beklagten sei jedenfalls verwirkt. Der Beklagte hätte jederzeit beim Einwohnermeldeamt die aktuelle Anschrift des Klägers in Erfahrung bringen können. Zudem möge der Beklagte zunächst belegen, dass der Kläger überhaupt ein Rundfunkgerät vorgehalten habe.

Nachdem der Kläger den Beklagten über die Beitragszahlung seiner Ehefrau für die gemeinsame Ehewohnung in Kenntnis gesetzt hat, meldete der Beklagte das Beitragskonto F. - ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - zum 1. Januar 2015 ab.

Mit Festsetzungsbescheid vom 4. Juni 2019 setzte der Beklagte Rundfunkgebühren in Höhe von 1.589,18 Euro für den Zeitraum von August 2007 bis Dezember 2014 unter der Teilnehmernummer F. fest. Hiergegen legte der Kläger am 5. Juli 2019 Widerspruch ein, zur Begründung verwies er auf sein bisheriges Vorbringen und ergänzte, dass der Kläger seit 2013 mit seiner Ehefrau zusammenlebe, die die Beiträge für die gemeinsame Wohnung entrichte. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 2019 zurück.

Der Kläger hat am 15. Oktober 2019 rechtzeitig Klage erhoben (Az. 7 A 3619/19), zu deren Begründung er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren vertieft.

Die Verfahren 7 A 6541/ 18 und 7 A 3619/19 wurden in der mündlichen Verhandlung gemäß § 93 VwGO zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Das im Rubrum genannte Aktenzeichen führt.

Der Kläger beantragt nunmehr,

den Bescheid des Beklagten vom 03.09.2018 in Form des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2018,

sowie den Bescheid vom 04.06.2019 in Form des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2019 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte tritt der Klage mit dem Einwand entgegen, die Einrede der Verjährung sei treuwidrig, weil der Kläger den Grund für die verzögerte Geltendmachung der streitigen Rundfunkgebühren und -beiträge selbst gesetzt habe, indem er es unterlassen habe, seine neue Anschrift dem Beklagten rechtzeitig mitzuteilen. Auch sei seitens des Klägers das Ende des Bereithaltens eines Rundfunkgerätes nicht angezeigt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

Die streitgegenständlichen Bescheide vom 03.09.2018 in Form des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2018, sowie vom 04.06.2019 in Form des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2019 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen subjektiven Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

I.

Für den Zeitraum bis Dezember 2012 gilt:

Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV) hat jeder Rundfunkteilnehmer vorbehaltlich der Regelungen der §§ 5 und 6 RGebStV für jedes von ihm zum Empfang bereitgehaltene Rundfunkempfangsgerät eine Grundgebühr und für das Bereithalten jedes Fernsehgeräts jeweils zusätzlich eine Fernsehgebühr zu entrichten. Die Rundfunkgebührenpflicht beginnt mit dem ersten Tag des Monats, in dem ein Rundfunkempfangsgerät zum Empfang bereitgehalten wird (§ 4 Abs. 1 RGebStV). Sie endet mit Ablauf des Monats, in dem das Bereithalten eines Rundfunkempfangsgeräts endet, jedoch nicht vor Ablauf des Monats, in dem dies der Landesrundfunkanstalt angezeigt worden ist (§ 4 Abs. 2 RGebStV). Beginn und Ende des Bereithaltens eines Rundfunkempfangsgeräts zum Empfang sind unverzüglich der Landesrundfunkanstalt anzuzeigen, in deren Anstaltsbereich der Rundfunkteilnehmer wohnt (§ 3 Abs. 1 RGebStV). Bei der Abmeldung hat der Rundfunkteilnehmer nach § 3 Abs. 2 Nr. 9 RGebStV auch den Grund für diese mitzuteilen. Eine diesen Anforderungen genügende - für die Beendigung der Rundfunkgebührenpflicht konstitutive - Abmeldeanzeige des Klägers liegt bezogen auf den streitbefangenen Gebührenzeitraum nicht vor, so dass die Rundfunkgebührenforderung des Beklagten dem Grunde nach besteht.

Die Höhe der Gebühren ist auch zutreffend berechnet.

II.

Für den Zeitraum ab dem 01. Januar 2013 gilt:

Gemäß § 2 Abs. 1 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages vom 15./21.12.2010 (Nds. GVBl. 2011, S. 186, 187) - RBStV - hat seit 1. Januar 2013 (Art. 7 Abs. 2 Satz 1 des 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrages [Nds. GVBl. 2011, S. 186, 193]) im privaten Bereich der Inhaber für jede Wohnung einen Rundfunkbeitrag zu entrichten. Inhaber einer Wohnung ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RBStV jede volljährige Person, die die Wohnung selbst bewohnt. Als Inhaber wird jede Person vermutet, die (Satz 2 Nr. 1) dort nach Melderecht gemeldet oder (Satz 2 Nr. 2) im Mietvertrag für die Wohnung als Mieter genannt ist. Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 RBStV haften mehrere Beitragsschuldner als Gesamtschuldner entsprechend § 44 der Abgabenordnung - AO -. Die Höhe des Rundfunkbeitrags beträgt gemäß § 8 des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrages (Nds. GVBl. 1991, S. 311, 336) in der Fassung ebenfalls des 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrages (Nds. GVBl. 2011, S. 186, 192, 193) - RFinStV - für den streitgegenständlichen Zeitraum monatlich 17,98 €. Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 RBStV ist der Rundfunkbeitrag monatlich geschuldet. Gemäß Satz 2 der Vorschrift ist er in der Mitte eines Dreimonatszeitraums für jeweils drei Monate zu leisten. Diese Regelung galt bezogen auf Rundfunkgebühren auch bereits zuvor bis 31. Dezember 2012 gemäß § 4 Abs. 3 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages alter Fassung - RGebStV -.

Der Kläger war in den jeweiligen Wohnungen nach Melderecht gemeldet und daher Inhaber und deshalb seit Januar 2013 verpflichtet, den Rundfunkbeitrag zu leisten.

Diese Beitragspflicht besteht gemäß § 8 Abs. 2 RBStV bis zur Abmeldung. Eine rückwirkende Abmeldung ist ausgeschlossen. Da der Beklagte erst 2018 durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers Kenntnis von den Beitragszahlungen der Ehefrau erlangt hat, bestand die Beitragspflicht des Klägers fort.

Die Festsetzung der Rundfunkbeiträge für den Zeitraum Januar 2013 bis Dezember 2014 ist ebenfalls rechnerisch richtig.

III.

Auch die Festsetzung eines Säumniszuschlages in Höhe von 5,11 € ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 2 Satz 1 RBStV in Verbindung mit § 11 Abs. 1 der Satzung des Beklagten über das Verfahren zur Leistung der Rundfunkbeiträge vom 19.10.2012 (Nds. MBl. S. 1104) - Satzung -. Säumniszuschläge können mit jedem Bescheid einmal festgesetzt werden und werden vier Wochen nach Fälligkeit der Rundfunkbeiträge selbst fällig. Diese Frist ist hier eingehalten. Gemäß § 10 Abs. 5 Satz 1 RBStV werden (nur) rückständige Rundfunkbeiträge festgesetzt. Wann der Beitragspflichtige in Rückstand gerät, ist - wie oben dargestellt - in § 7 Abs. 3 RBStV geregelt. Danach ist der Rundfunkbeitrag monatlich geschuldet und in der Mitte eines Dreimonatszeitraums für jeweils drei Monate zu leisten. Diese Regelung galt bezogen auf Rundfunkgebühren auch bereits zuvor bis 31. Dezember 2012 gemäß § 4 Abs. 3 RGebStV. Die festgesetzten Säumniszuschläge unterschreiten den Mindestsäumniszuschlag nach § 11 Abs. 1 der Satzung n.F. von 8,00 € je Bescheid noch.

IV.

Die Einrede der Verjährung greift nicht durch. Entgegen der Auffassung des Klägers sind die Beitragsforderungen nicht verjährt.

Nach der ab dem 1. April 2005 geltenden Fassung des § 4 Abs. 4 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages - RGebStV-, der nach der Übergangsvorschrift des § 14 Abs. 11 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages - RBStV - hier für den Zeitraum bis Dezember 2012 anwendbar ist, richtet sich die Verjährung der Rundfunkgebührenschulden nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB - über die regelmäßige Verjährung. Gleiches gilt gemäß § 7 Abs. 4 RBStV für die Zeit ab Januar 2013. Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt nach § 195 BGB drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste. Zur Kenntnis von der Person zählt die Kenntnis von dessen Anschrift (BGH, Urteil vom 23. September 2008 - IX ZR 395/07 -, juris).

Gemessen daran sind die mit den streitbefangenen Festsetzungsbescheiden vom 3. September 2018 und vom 4. Juni 2019 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 27. September 2018 und vom 22. Juli 2019 geltend gemachte Rundfunkgebührenforderung für den Zeitraum Juli bis September 2006 sowie für den Zeitraum August 2007 bis Dezember 2014 in Höhe von insgesamt 1.645,38 € zum Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide nicht verjährt gewesen. Zwar hat der Beklagte nach den Ausführungen in seinen Widerspruchsbescheiden im Jahr 2014 über das Einwohnermeldeamt Kenntnis von der Anschrift „G., 30655 E.“ erlangt (vgl. auch Bl. 64 BA 002). Die daraufhin an den Kläger gerichteten Schreiben erhielt er jedoch mit dem Vermerk „unbekannt verzogen“ zurück (vgl. auch Bl. 71 f. BA 002). Gelangen Postsendungen an den Rundfunkteilnehmer unter seiner ordnungsbehördlich gemeldeten Scheinanschrift mit dem Vermerk „unbekannt verzogen“ zurück und ist er deshalb „postalisch nicht zu identifizieren“, setzt der Lauf der Verjährungsfrist erst bei Kenntnis seiner wahren Anschrift ein (VG Hannover, Urteil vom 9. Januar 2012 - 7 A 820/11 -, juris Rn. 26-35). Kenntnis von der wahren Anschrift des Klägers erlangte der Beklagte ausweislich Bl. 77 der BA002 erst zum 28. August 2018. Bedenken dagegen bestehen nicht und konnten von dem Kläger auch nicht substantiiert vorgetragen werden.

Der Beklagte musste auch nicht ohne grobe Fahrlässigkeit Kenntnis von der Wohnadresse erlangen. Grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der Unkenntnis der aktuellen Anschrift setzt nach dem oben Ausgeführten grundsätzlich auch im gegebenen Zusammenhang voraus, dass der Gläubiger die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 2 A 507/12 -, juris, m.w.N.). Allerdings ist der Begriff der groben Fahrlässigkeit, öffentlich-rechtlich überformt und im Gesamtsystem des Rundfunkgebührenstaatsvertrags - also nicht nach rein zivilrechtlichen Maßstäben - zu sehen. Das gilt gerade auch für die Frage der Kenntnis bzw. der Kenntniserlangung von Anschriftenänderungen des Gebührenschuldners. § 3 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 RGebStV sowie § 8 Abs. 1 Satz 1 2.HS RBStV erstrecken die Anzeigepflicht des Rundfunkteilnehmers auch auf die Mitteilung des Wohnungswechsels. Diese oblag damit originär dem Rundfunkteilnehmer und war/ist nicht Teil einer Amtsermittlungspflicht der Rundfunkanstalt aus § 24 Abs. 1 VwVfG, von der die genannten Normen die Rundfunkanstalten gerade - aus dem sachlichen Grund der Praktikabilität in der Massenverwaltung - entlasten wollte. Der Kläger hat nicht vorgetragen, den Beklagten über seine Wohnungswechsel unterrichtet zu haben. Entsprechendes ergibt sich auch nicht aus dem Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs. Der Beklagte war aufgrund dieser Pflichtverletzung außerstande, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gebührenpflicht zu überprüfen und die Gebühren vor Ablauf der von dem Kläger angenommenen Verjährungsfrist (31. Dezember 2017) festzusetzen.

VI.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.