Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 23.01.2001, Az.: 4 A 169/98

Einkommen; Kindergeld; Kopfteile

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
23.01.2001
Aktenzeichen
4 A 169/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 40212
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die Klägerinnen wenden sich mit ihrer Klage gegen die Höhe des auf ihren sozialhilferechtlichen Bedarf als Einkommen angerechneten Kindergeldes.

2

Die 1987 und 1989 geborenen Klägerinnen leben zusammen mit ihrer Mutter , deren Lebensgefährten sowie den am 2. Juli 1998 geborenen Halbschwestern und in einem gemeinsamen Haushalt. Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen nur die Klägerinnen. Bei der Festsetzung der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt durch die Samtgemeinde R. wurde als Einkommen für beide Klägerinnen zunächst Kindergeld in Höhe von jeweils 220,-- DM berücksichtigt.

3

Nach der Geburt der Zwillinge S. und N. setzte die Samtgemeinde R. die monatliche Hilfe zum Lebensunterhalt mit Bescheid vom 27. Juli 1998 neu auf 202,79 DM fest, wobei sie als Einkommen der Klägerinnen Kindergeld in Höhe von insgesamt 545,-- DM berücksichtigte. Zur Begründung gab sie an, dass die Mutter der Klägerinnen aufgrund der Geburt der Zwillinge ab dem 1. Juli 1998 einen Anspruch auf Kindergeld in Höhe von insgesamt 1.090,-- DM habe. Dieser Anspruch sei gemäß § 76 BSHG gleichmäßig auf alle vier Kinder zu verteilen.

4

Mit Schreiben vom 12. August 1998 legten die Klägerinnen gegen den Bescheid vom Bescheid vom 27. Juli 1998 Widerspruch ein, soweit bei dem zu berücksichtigenden Einkommen ein Kindergeldbetrag in Höhe von 545,-- DM angerechnet worden war. Da es sich bei den Klägerinnen um die beiden ersten Kinder von I.  handele, belaufe sich der Kindergeldanspruch für jedes Kind auf 220,-- DM und damit insgesamt auf 440,-- DM. Es handele sich hinsichtlich eines jeden Kindes um einen Individualanspruch, der seine Grundlage in der Zuordnung eines jeden Kindes zum Inhaber des Anspruchs auf Kindergeld finde. Im übrigen würde eine Verkürzung der Kindergeldansprüche für das 3. und 4. Kind zugunsten der Klägerinnen gleichzeitig zu einer Erhöhung der Unterhaltsverpflichtung des Kindsvaters gegenüber den beiden weiteren Kindern führen. Die Minderung der Sozialhilfe zu Lasten eines Dritten, hier des Herrn R. der für die Klägerinnen nicht unterhaltspflichtig sei, könne nicht richtig sein.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 9. September 1998 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerinnen zurück.

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Die Klägerinnen haben am 12. Oktober 1998 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgen.

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Die Klägerinnen beantragen,

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den Beklagten zu verpflichten, ihnen ab dem 1. August 1998 über die bewilligte laufende Hilfe zum Lebensunterhalt hinaus jeweils weitere 52,50 DM monatlich zu gewähren und den Bescheid der Samtgemeinde R. vom 27. Juli 1998 - soweit er entgegensteht - sowie den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 9. September 1998 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

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Die Kammer hat den Antrag der Klägerinnen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 26. September 2000 abgelehnt. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 9. November 2000 dagegen die Beschwerde zugelassen und den Klägerinnen unter Änderung des Beschlusses der Kammer Prozesskostenhilfe bewilligt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

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Der Beklagte hat zu Recht mit dem Bescheid der Samtgemeinde R. vom 27. Juli 1998 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 9. September 1998 das von der Mutter der Klägerinnen, I. für die aus deren ersten Ehe stammenden Klägerinnen und deren Halbgeschwister bezogene Kindergeld in Höhe von insgesamt 1.090,-- DM gleichmäßig auf die vier Kinder verteilt und je ein Viertel des Kindergeldes auf den sozialhilferechtlichen Bedarf der Klägerinnen als Einkommen angerechnet.

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Die Mutter der Klägerinnen bezog im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides für die zuerst geborenen Klägerinnen je 220,-- DM und für die danach geborenen Zwillinge 300,-- DM und 350,-- DM Kindergeld. Dies führt aber nicht dazu, dass bei den Klägerinnen nur ein Betrag von je 220,-- DM und damit von insgesamt 440,-- DM als Einkommen hätte berücksichtigt werden können. Die wesentliche Zweckbestimmung des Kindergeldes liegt darin, die in der Person des Kindes entstehenden Kosten des Lebensunterhaltes mindestens teilweise zu decken und zur Entlastung von den Kosten des Lebensunterhaltes beizutragen. Dementsprechend sind Anspruchsberechtigte auch nicht die Kinder, sondern die Eltern (bzw. der bezugsberechtigte Elternteil), denen das Kindergeld in der sich aus der Anzahl der Kinder ergebenden Höhe ausgezahlt wird. Die mit der Zahlung des Kindergeldes beabsichtigte Senkung der Lasten der gesamten Familie mit Kindern kann sinnvoll nur dann erreicht werden, wenn das Kindergeld gleichmäßig, d.h. nach "Kopfteilen", auf die Kinder verteilt wird (vgl. LPK-BSHG, 5. Auflage, § 77 Rdnr. 40 m.w.N.; Nds. OVG, Urt. vom 7.3.2000 - 4 L 3272/99 -, NDV-RD 2000, 56 [OVG Niedersachsen 06.12.1999 - 12 O 4455/99]). Im vorliegenden Fall ist daher davon auszugehen, dass das Kindergeld, das die nicht sozialhilfebedürftige Mutter der Klägerinnen bezogen hat, gleichmäßig auf alle vier Kinder aufgeteilt worden ist. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass bei der Berechnung der den Klägerinnen zustehenden Hilfe zum Lebensunterhalt Kindergeld in Höhe von insgesamt 545,-- DM als Einkommen angerechnet worden ist.

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Dass es sich bei den Klägerinnen und den Zwillingen S. und N. um Halbgeschwister handelt, führt zu keiner anderen Beurteilung. Zwar ist der Lebensgefährte der Mutter der Klägerinnen, Herr R.  als Vater der Zwillinge für diese - anders als für die Klägerinnen - unterhaltspflichtig. In welcher Höhe das Kindergeld als Einkommen der Klägerinnen angerechnet wird, wirkt sich jedoch nicht auf seine Unterhaltspflicht gegenüber den Zwillingen aus. Die Höhe der Unterhaltsverpflichtung ergibt sich vielmehr aus den Bestimmungen des BGB und der dort vorgesehenen Anrechnung des Kindergeldes.

18

Bei Berechtigung mehrerer Personen wird das Kindergeld nicht anteilig, sondern nur an einen von ihnen gezahlt. Der unterhaltsrechtliche Ausgleich zwischen den Eltern erfolgt nach § 1612 b BGB. Bezüglich der Zwillinge S. und N. steht beiden Elternteilen, d.h. der Mutter der Klägerinnen  und deren Lebensgefährten Kindergeld zu, das, wie auch das auf die Klägerinnen entfallende Kindergeld, an Frau I. ausgezahlt wird. Gem. § 1612 b Abs. 1 BGB ist das auf das Kind entfallende Kindergeld zur Hälfte anzurechnen, wenn an den barunterhaltspflichtigen Elternteil Kindergeld nicht ausgezahlt wird, weil ein anderer berechtigt ist. Das Kind muss sich daher auf seinen Unterhaltsanspruch gegenüber dem barunterhaltspflichtigen Elternteil die Hälfte des Kindergeldes anrechnen lassen. Insofern könnte von dem auf die Zwillinge entfallenden Kindergeld in Höhe von 300,-- DM und 350,-- DM ohnehin nur jeweils die Hälfte auf die Unterhaltsverpflichtung ihres Vaters  angerechnet werden. Im übrigen ist nach § 1612 b Abs. 4 BGB, sofern das Kindergeld wegen Berücksichtigung eines nicht gemeinschaftlichen Kindes erhöht ist, es im Umfang der Erhöhung nicht anzurechnen. Demnach bleibt der Zählkindvorteil, der sich aus der Berücksichtigung nicht gemeinschaftlicher Kinder, d.h. hier der Klägerinnen, ergibt, von vornherein unbeachtlich, so dass der die Unterhaltsverpflichtung gegenüber den Zwillingen mindernde Kindergeldanteil lediglich jeweils 110,-- DM beträgt. Wenn aber der Vater der Zwillinge zur Minderung seiner Unterhaltsverpflichtung nur beanspruchen kann, dass darauf ein Anteil des Kindergeldes in Höhe von jeweils 110,--DM (insgesamt 220,-- DM) angerechnet wird, dann hat die Verteilung des Kindergeldes nach Kopfteilen und damit die Anrechnung der Hälfte des Kindergeldes in Höhe von 545,-- DM als Einkommen der Klägerinnen keinen Einfluss auf die Höhe seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber den Zwillingen. Insofern ist es auch bei der vorliegenden Konstellation nicht geboten, bei der Verteilung des Kindergeldes von dem Kopfteilsprinzip abzuweichen.

19

Eine andere Beurteilung in Bezug auf die Unterhaltspflicht des Herrn von R.  ergibt sich auch nicht auf der Grundlage von § 76 EStG, der bestimmt, in welcher Höhe der Anspruch auf Kindergeld wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche eines Kindes, das bei der Festsetzung des Kindergeldes berücksichtigt wird, gepfändet werden kann. Denn § 76 EStG betrifft nur die hier nicht vorliegende Konstellation, dass der Unterhaltspflichtige gleichzeitig auch Kindergeld bezieht. Im übrigen geht auch § 76 EStG von einer gleichmäßigen Verteilung des Kindergeldes aus.

20

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.