Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 23.01.2001, Az.: 4 A 118/98

Heimkosten; pflegebedürftig; Pflegestufe 0

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
23.01.2001
Aktenzeichen
4 A 118/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 40208
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt die Übernahme zusätzlicher Kosten für seinen Aufenthalt in dem Senioren- und Pflegeheim J. , B. , in dem Zeitraum vom 19. April 1998 bis zum 2. Juli 1998. Der Kläger ist im Jahr 1920 geboren und ist schwerbehindert. Bereits im Jahr 1993 hatte er bei dem Beklagten beantragt, ihm Pflegegeld nach § 68 BSHG in der damals geltenden Fassung zu gewähren. Diesen Antrag hatte der Beklagte abgelehnt. Der Kläger erfülle zwar die medizinischen Voraussetzungen für ein Pflegegeld, bedürfe der Hilfe aber aus anderen Gründen nicht. Vom 1. Dezember 1997 bis zum 18. September 1999 befand sich der Kläger in dem Senioren - und Pflegeheim J. , B. . Unter dem 2. Dezember 1997 erstellte der Medizinische Dienst der Krankenkassen Niedersachsen - MDK - ein Gutachten über die Pflegebedürftigkeit des Klägers. Hiernach bestand zum Zeitpunkt der Begutachtung ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege von 8 Minuten täglich und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 30 Minuten täglich. Eine erhebliche Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI liege nicht vor, weil der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege deutlich unter 45 Minuten liege. Dementsprechend gewährte die AOK dem Kläger keine Leistungen aus der Pflegeversicherung.

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Auf den Antrag des Klägers übernahm der Beklagte mit Bescheid vom 21. April 1998 die von dem Einkommen des Klägers nicht gedeckten Heimkosten ab dem 19. April 1998. Dabei berücksichtigte er von dem Tagespflegesatz in Höhe von 97,25 DM allerdings lediglich die Anteile, die auf Unterkunft und Verpflegung, sowie auf Investitionsfolgekosten entfielen. Die pflegebedingten Kosten in Höhe von täglich 35,64 DM für die Pflegestufe 0 übernahm er nicht. Zur Begründung berief er sich auf das Gutachten des MDK vom 2. Dezember 1998.

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Hiergegen erhob der Kläger am 19. Mai 1998 Widerspruch. Zwar erfülle er nach dem Gutachten des MDK nicht die Voraussetzungen für die Pflegestufe I. Wegen seiner eingeschränkten Gesundheit und seiner Behinderung sei er aber nicht in der Lage, vollständig ohne Hilfe zu leben. Der Beklagte sei im Jahre 1993 selbst davon ausgegangen, dass er, der Kläger, die medizinischen Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 BSHG a.F. erfülle. Sein Zustand habe sich seither nicht verbessert. Der Beklagte müsse auch die von der Einrichtung abgerechneten Kosten der Pflegestufe 0 übernehmen.

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Mit Bescheid vom 2. Juli 1998 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Inhalt der Hilfe bestimme sich nach § 68 Abs. 2 Satz 2 BSHG nach den Regelungen der Pflegeversicherung für die in § 28 Abs. 1 Nrn. 1, 5 - 8 SGB XI aufgeführten Leistungen. Nach § 68 a BSHG sei die Entscheidung der Pflegekasse über das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI auch der Entscheidung im Rahmen der Hilfe zur Pflege zu Grunde zu legen. In zwei Pilotstudien zur Durchführung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen im Pflegebereich sei der durchschnittliche kalendertägliche Pflegeaufwand je Pflegebedürftigen für die Stufe G (Stufe 0) mit einem Pflegebedarf von 21 - 24 Minuten festgestellt. Er, der Beklagte, folge bei der Zuordnung zu den Pflegestufen diesen Studien, so dass bei einem geringeren Pflegebedarf als von 21 Minuten nur die Kosten für Unterkunft, Verpflegung und die Investitionsfolgekosten berücksichtigt würden. Es seien auch keine besonderen Umstände erkennbar, die es rechtfertigten, den Kläger der Pflegestufe G bzw. 0 zuzuordnen. Angesichts des geringen Pflegebedarfs von 8 Minuten täglich sei bereits fraglich, ob ein vollstationärer Heimaufenthalt überhaupt erforderlich sei. Die Übernahme auch der Pflegekosten stellten einen unverhältnismäßigen Mehraufwand im Sinne des § 3 Abs. 2 BSHG dar.

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Der Kläger hat am 23. Juli 1998 Klage erhoben, zu deren Begründung er im Wesentlichen die bisherigen Ausführungen wiederholt. Der von dem MDK festgestellte Pflegeaufwand sei unzureichend. Er benötige auch Hilfe beim Anziehen und beim Zubereiten der Mahlzeiten. Da eine Haushaltshilfe nicht zur Verfügung gestanden habe, sei eine Heimaufnahme unumgänglich gewesen. Der Heimaufenthalt sei zwingend mit der Inanspruchnahme von Pflegeleistungen verbunden gewesen. Auch lasse die pauschale Entgeltvereinbarung es nicht zu, innerhalb einer Pflegestufe nach dem Zeitaufwand für die zu gewährende Hilfe zu differenzieren. Er sei zumindest teilweise auf Pflegeleistungen angewiesen und die Abrechnung dieser Leistungen erfolge immer pauschal. Deshalb sei er gezwungen gewesen, den Heimpflegevertrag zu akzeptieren.

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Der Kläger beantragt (sinngemäß),

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den Beklagen zu verpflichten, die durch sein Einkommen nicht gedeckten Kosten seines Heimaufenthaltes in dem Alten - und Pflegeheim J.  in voller Höhe zu übernehmen und den Bescheid des Beklagten vom 21. April 1998 und seinen Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 1998 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er wiederholt zunächst die Gründe des Widerspruchsbescheides. Ergänzend führt er aus:

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Es sei gerechtfertigt, bei festgestelltem Pflegeaufwand unterhalb der Pflegestufe I hinsichtlich der Kostenübernahme zu differenzieren. Wegen des geringeren Pflegeaufwandes entstünden den Einrichtungsträgern auch geringere Kosten. Es sei angesichts des geringen Pflegeaufwandes bei dem Kläger überhaupt fraglich, ob nicht ambulante Hilfen ausreichend gewesen wären.

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Seit August 1999 lebt der Kläger in einem anderen Alten - und Pflegeheim, weil der J. , B. , den Heimvertrag wegen der erheblichen Zahlungsrückstände gekündigt hatte. Anlässlich des Heimwechsels wurde der Kläger durch den MDK erneut begutachtet. Seither geht auch der Beklagte davon aus, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen der sog. Pflegestufe 0 vorliegen und übernimmt auch den auf die Pflege entfallenden Kostenanteil.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze und auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen. Es hat auch der Vorgang der Samtgemeinde Bevensen und die Gerichtsakte zum Verfahren 4 A 87/98 vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat in dem maßgeblichen Zeitraum vom 19. April 1998 bis zum 2. Juli 1998 nach §§ 3, 68 Abs. 1 Satz 2 BSHG Anspruch auf Übernahme der Heimkosten in Höhe des gesamten Tagespflegesatzes von 97,25 DM. Der Kläger war zwar unstreitig nicht im Sinne des § 68 Abs. 1 Satz 1 BSHG in erheblichem oder höherem Maße pflegebedürftig. Nach § 68 Abs. 1 Satz 2 BSHG ist Hilfe zur Pflege jedoch u.a. auch Kranken und Behinderten zu gewähren, die einen geringeren Hilfebedarf als nach Satz 1 haben. Diese Voraussetzungen lagen bei dem Kläger vor. Entgegen der Auffassung des Beklagten rechtfertigt dabei das Gutachten des MDK vom 2. Dezember 1997 allein nicht den Schluss, dass eine sog. einfache Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 68 Abs. 1 Satz 2 BSHG (Pflegestufe 0) nicht gegeben war. Dies folgt auch nicht aus § 68 a BSHG, wonach die Entscheidung der Pflegekasse über das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI auch der Entscheidung im Rahmen der Hilfe zur Pflege zugrunde zu legen ist, soweit sie auf Tatsachen beruht, die bei beiden Entscheidungen zu berücksichtigen sind. Das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI wird durch die drei Pflegestufen des § 15 SGB XI bestimmt. Auf diese kommt es hier nicht an; denn der Kläger macht selbst nicht geltend, dass er zum damaligen Zeitpunkt zumindest erheblich pflegebedürftig (Pflegestufe I) war. Die Feststellungen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen zu den jeweils in Minuten bestimmten Hilfebedarf bezogen auf die einzelnen Leistungskomplexe entfalten hingegen keine rechtliche Bindungswirkung und machen eigene Feststellungen des Sozialhilfeträgers zur Erforderlichkeit der Hilfe nicht entbehrlich (BVerwG, Urt. v. 15.6.2000 - 5 C 34.99 - NJW-RR 2000, 3512).

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Für die Beurteilung der Frage, ob eine einfache Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 68 Abs. 1 Satz 2 BSHG vorliegt, kommt es nicht auf einen zeitlichen Mindestpflegeaufwand an. Maßgebend ist vielmehr, ob bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles der Hilfesuchende ohne die Pflegeleistung in seiner menschenwürdigen Existenz bedroht wäre, wobei es genügt, wenn er nur für einzelne Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens der Hilfe bedarf (Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl. § 68, Rn. 21, Lachwitz in Fichtner, BSHG, 1. Aufl. München 1999, § 68 Rn. 24 ff; Mergler/Zink, BSHG, § 68 Rn. 48.3). Dabei setzt Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 68 Abs. 1 Satz 2 BSHG zwar nicht voraus, dass der pflegerische Aufwand gegenüber dem hauswirtschaftlichen Aufwand überwiegt (a.A. Krahmer in LPK - BSHG, § 68 Rn. 6). Von einem leistungsrelevanten Grad der Pflegebedürftigkeit kann aber nur ausgegangen werden, wenn die hauswirtschaftliche Versorgung nicht einseitig dominiert. Können Tätigkeiten, die ausschließlich im Rahmen der Haushaltsführung anfallen, nicht allein bewältigt werden, begründet dies noch keine Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 68 Abs. 1 Satz 2 BSHG. Sind alte Menschen nicht in der Lage, den Haushalt allein zu führen oder sich zu versorgen, ist zwar u.U. die Unterbringung in einem Altenheim geboten, diese erfolgt dann aber im Rahmen von § 11 Abs. 3 BSHG. Anspruch auf Hilfe zur Pflege und zur Übernahme entsprechender Pflegekosten besteht in diesen Fällen  nicht (vgl. auch Schellhorn, a.a.O, Rn. 21, Fichtner, a.a.O Rn. 26, Mergler/Zink a.a.O Rn. 48.3.).

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Hier rechtfertigen die vorliegenden ärztlichen Befunde und Gutachten den Schluss, dass die Unterbringung des Klägers in einem Heim nicht allein Folge seiner altersbedingten Unfähigkeit war, den Haushalt zu versorgen. Vielmehr bedurfte er wegen seiner Behinderung und als Folge seiner Erkrankungen der Pflege. Der Kläger ist schwerbehindert. Er litt zum hier maßgebenden Zeitpunkt unstreitig unter Diabetes und Poliomyelitis mit Deformierung und Lähmung des linken Beines sowie an Gonarthrose. Er hatte weiter im Jahr 1994 einen Schlaganfall erlitten. Nach dem Gutachten des MDK vom 2. Dezember 1997 führten diese Befunde zu schweren funktionellen Einschränkungen sowie zu schweren Einschränkungen des zentralen Nervensystems und der Psyche. Nach den Ausführungen in der ärztlichen Stellungnahme des Gesundheitsamtes des Beklagten vom 29. März 1993 benötigte der Kläger bereits zum damaligen Zeitpunkt Hilfe beim Baden und bei der Haushaltsführung sowie Begleitung. Nach Einschätzung des Amtsarztes erfüllte der Kläger aufgrund seiner körperlichen Beeinträchtigungen die Voraussetzungen für ein Pflegegeld nach § 69 Abs. 2 Satz 1 BSHHG (a.F.).Das heißt, der Kläger war infolge seiner Behinderung so hilflos, dass er nicht ohne Wartung und Pflege bleiben konnte (§ 68 Abs. 1 BSHG a.F.). Auch der Beklagte war zum damaligen Zeitpunkt von einer Pflegebedürftigkeit des Klägers ausgegangen und hatte es aus anderen Gründen abgelehnt, ein Pflegegeld zu gewähren.

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Einem Anspruch des Klägers stehen auch § 3 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BSHG nicht entgegen. Danach soll Wünschen des Hilfeempfängers, die Hilfe in einer Anstalt einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung zu erhalten, u.a. nur dann entsprochen werden, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalls erforderlich ist, weil andere Hilfen nicht möglich sind oder nicht ausreichen (§ 3 Abs. 2 Satz 2 BSHG). Der Träger der Sozialhilfe braucht Wünschen nicht zu entsprechen, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre (§ 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG). Der Beklagte kann den Kläger jedoch nicht darauf verweisen, dass für ihn ambulante Hilfen ausreichend gewesen wären. Denn er hat ihm in seinem Bescheid vom 21. März 1998 im Rahmen des ihm nach § 3 BSHG eröffneten Ermessens Hilfe für die stationäre Unterbringung gewährt, ohne den Kläger auf andere Hilfsmöglichkeiten, etwa durch eine Hauswirtschaftshilfe oder einen ambulanten Pflegedienst zu verweisen. Als Folge war er auch verpflichtet, die entstehenden Heimkosten einschließlich der für die Pflege erhobenen Anteile in voller Höhe zu übernehmen, weil nur so eine bedarfsgerechte Hilfe sichergestellt werden konnte. Der Kläger benötigte unstreitig auch persönliche Pflege und musste deswegen Pflegeleistungen des Heimes in Anspruch nehmen. Da diese im Rahmen des geltenden Entgeltsystems pauschal in Rechnung gestellt wurden, der Kläger also keine Möglichkeit hatte, wegen seiner im Vergleich zu Anderen geringeren Pflegebedürftigkeit ein geringeres Entgelt zu erbringen, ist kein Raum für eine entsprechende Differenzierung durch den Beklagten.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.