Sozialgericht Braunschweig
Beschl. v. 19.09.2007, Az.: S 32 SO 176/07 ER
Bestehen eines Anspruchs auf Schulbegleitung für einen schwer mehrfachbehinderten Schüler
Bibliographie
- Gericht
- SG Braunschweig
- Datum
- 19.09.2007
- Aktenzeichen
- S 32 SO 176/07 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 65355
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGBRAUN:2007:0919.S32SO176.07ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 86b Abs. 2 S. 2 SGG
- § 53 SGB XII
- § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII
Tenor:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, ab sofort bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens dem Antragsteller eine fachlich geeignete Unterrichtsbegleitperson für den Schulbesuch an der F. -Schule in G. zu gewähren. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung einer Schulbegleitung / eines Integrationshelfers.
Der 1992 geborene Kläger ist schwer mehrfachbehindert mit spastischer beinbetonter Tetraparese, Kontrakturen, schwerer Dysarthrie und Lernbehinderung. Er ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Von der gesetzlichen Pflegeversicherung bezieht er Leistungen nach Pflegestufe III. Im Schwerbehindertenausweis ist ein Grad der Behinderung von 100 und die Nachteilsausgleiche B, G, aG und H eingetragen. Durch die Landesschulbehörde bzw. die mittlerweile aufgelöste Bezirksregierung Braunschweig wurde bei dem Antragsteller ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt und seine Beschulung durch die F. -Schule, Förderschule mit dem Schwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung, in G. angeordnet. Im Schuljahr 2006/2007 hatte er die Klasse 6 wiederholt. Aktuell besucht er die 7. Klasse dieser Schule, obwohl laut Zeugnis vom 18. Juli 2007 seine schulischen Leistungen aufgrund der vielen Krankheitstage (115 im Schuljahr) nicht bewertet werden konnten. Die Versetzung erfolgte jedoch laut Konferenzbeschluss vom 5. Juli 2007, um ihm die Möglichkeit zu geben, im Klassenverband zu verbleiben.
Am 12. Juli 2007 beantragten seine Eltern für den Antragsteller beim Antragsgegner eine Schulbegleitung zur Unterstützung während des Schulbesuchs ab dem Schuljahr 2007/2008. Leider seien in der Vergangenheit mit einer Beschulung ohne Einzelfallhelfer schlechte Erfahrungen gemacht worden. Eine adäquate Einbeziehung des Antragstellers in den Unterricht bei gleichzeitiger Versorgung in pflegerischer und betreuerischer Hinsicht sei in den letzten Jahren nicht erfolgt. Zwar hätten sich die Eltern jahrelang bei Lehrern und der Schulleitung den Mund fusselig geredet, aber ohne längerfristig erkennbaren Erfolg. Der Antragsteller benötige wegen der schweren körperlichen Defizite permanente Betreuung und Hilfe. Diese könne von der Schule nicht gewährleistet werden. Er brauche Unterstützung z.B. beim Transfer zur Toilette. Diese sei ihm nicht immer gewährt worden. Er sei wiederholt eingekotet und häufig eingenässt von der Schule wieder nach Hause gekommen. Auch hätten seine Eltern den Antragsteller vom Schwimmunterricht abmelden müssen, da nicht gewährleistet sei, dass er im Anschluss an den Schwimmunterricht ordnungsgemäß abgetrocknet und wieder angekleidet werde. Er benötige sehr lange, um Nahrung und Getränke zu sich zu nehmen. Da sich der Antragsteller nur sehr schlecht artikulieren könne, sei deshalb ohne qualifizierte Einzelfallbetreuung noch nicht einmal gewährleistet, dass er im Laufe des Ganztagsschulbesuches (Unterricht bis 15.00 Uhr) ausreichend esse und trinke. In der Vergangenheit seien diesbezüglich schwere Versäumnisse des Schulpersonals zu beklagen gewesen.
Mit dem Antrag vom 12. Juli 2007 teilten die Eltern des Antragstellers mit, der Familienentlastende Dienst des Deutschen Roten Kreuzes, Kreisverband Wolfenbüttel, (mit welchem eine Leistungs- und Prüfungsvereinbarung mit dem Landkreis Wolfenbüttel bestehe) sei grundsätzlich dazu bereit, die Leistungen zu übernehmen. Die Pauschale je Betreuungsstunde betrage 21,70 Euro in der Leistungsklasse III entsprechend dem Hilfebedarf des Antragstellers.
Der Antragsgegner holte ein amtsärztliches Gutachten des Arztes Kraft vom 20. August 2007 und eine Stellungnahme der F. -Schulevom 2. August 2007 ein.
Der Amtsarzt kam zu dem Ergebnis, aus ärztlicher Sicht sei aufgrund der Schwere der Beeinträchtigungen eine Unterstützung durch einen Schulbegleiter/Stützkraft notwendig. Es müsse auf jeden Fall eine qualifizierte Fachkraft sein, die sich mit der Behinderung auskenne und den Antragsteller während des Schulunterrichts entsprechend qualifiziert versorgen könne. Eine ungelernte Integrationskraft, wie z.B. ein Zivildienstleistender, sei in diesem Fall nicht ausreichend. Aufgrund der schweren körperlichen Beeinträchtigungen sei der Antragsteller auf Hilfe von Fremden angewiesen. Nach dem Zeitaufwand der Pflege sei er in Leistungsklasse III einzustufen.
In der Stellungnahme der F. -Schule - H., FKR, - (welche das offensichtlich falsche Datum 5. Dezember 2006 trägt, richtigerweise muss das Datum nach dem 1. August 2007 liegen, da an diesem Tag erst die Anfrage des Antragsgegners erfolgte), heißt es: " I. bedarf einer umfassenden Pflege und pädagogischer Unterstützung während des Unterrichts und der Pausen. Dies umfasst die Zeit zwischen 8.00 Uhr und 15.00 Uhr; vor und nach der Kernunterrichtszeit ist ein Zeitrahmen von 15 Minuten einzurechnen, in dem die Schüler vom Bus abgeholt werden bzw. sich auf den Unterricht vorbereiten (auch Toilettengänge). Aufgrund der Schwere seiner Beeinträchtigung und der umfassenden dauerhaften Unterstützungsbedarfe ist die Übernahme eines Schulhelfers nötig. J. -Schule kann die notwendige dauerhafte Unterstützung für I. nicht stellen, da eine entsprechend hochgradige individuelle Versorgung der Klasse mit pädagogischem Personal nicht möglich ist. Das Anforderungs- und Unterstützungsprofil von I. hat sich im vergangenen Schuljahr deutlich verändert, da zunehmend die Anforderungen im Bereich der Lehrgänge eine Diskrepanz zwischen der Leistungsfähigkeit Adrians und seiner Möglichkeit der Leistungserbringungen offenbaren. Die einzelnen Notwendigkeiten für die Förderung von Adrian ergeben sich aus dem beigefügten Bericht der Klassenlehrkraft. Im Falle von K. sind für uns die Bedingungen für den Einsatz einer Eingliederungshilfe im Sinne eines pädagogisch-pflegerischen Schulbegleiters klar gegeben. Sein Förder- und Hilfebedarf entspricht deutlich den von uns als Schule definierten Anforderungen, die eine Einzelfallhilfe rechtfertigen."
In diesem Sinne gab auch der Klassenlehrer des Schuljahres 2006/2007, L., eine Stellungnahme vom 2. August 2007 ab.
Mit Bescheid vom 5. September 2007 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Übernahme der Kosten einer Schulbegleitung ab. Gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) sei im Rahmen der Hilfe zur angemessenen Schulbildung (Eingliederungshilfe) der Einsatz einer Stützkraft wohl grundsätzlich möglich. Dies setze jedoch nach § 2 SGB XII voraus, dass der Hilfebedarf nicht von anderen, hierzu vorrangig Verpflichteten abzudecken sei. Die F. -Schule sei aber aufgrund ihres Förderschwerpunktes speziell auf die Beschulung körperbehinderter Schüler aus- bzw. eingerichtet. Sie sei damit umfassend auch für die Beschulung des Antragstellers verantwortlich. Zum Aufgabenkreis des Betreuungspersonals an einer Förderschule gehöre u.a. die pflegerische Betreuung der Schüler während des Unterrichts, die Hilfe bei der Beförderung innerhalb der Schulanlage, Hilfe beim An- und Ablegen der Kleidung, Hilfe bei der Aufnahme von Speisen und Getränken sowie sonstige Betreuungsaufgaben. Dies entspreche im Wesentlichen dem Hilfebedarf des Antragstellers und sei daher auch nach einem entsprechendem Erlass des Niedersächsischen Kultusministeriums vom 1. Februar 2005 durch das Personal der Förderschule zu leisten. Der parallele bzw. ergänzende Einsatz von Mitteln der Sozialhilfe sei unter diesen Umständen nach § 2 SGB XII leider nicht möglich.
Über den dagegen am 11. September 2007 eingelegten Widerspruch hat der Antragsgegner bisher noch nicht entschieden.
Am 12. September 2007 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Braunschweig den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Seit Beginn des Schuljahres 2007/2008 habe dem Antragsteller eine Integrationskraft für den Schulbesuch zur Verfügung gestanden. Der Familienentlastende Dienst des Deutschen Roten Kreuzes Wolfenbüttel habe auch ohne konkrete Kostenzusage den Integrationshelfer Herrn M. eingesetzt. Wegen der immer noch ungeklärten Kostenfrage stehe dieser jedoch ab dem 17. September 2007 nicht mehr zur Verfügung. Es bestehe deshalb die Gefahr, dass der Antragsteller nicht mehr am Schulbesuch teilnehmen könne. Ein Integrationshelfer sei aber unbedingt notwendig. Der Antragsteller legt dazu eine Stellungnahme der N., Schulleitung der F. -Schule, vom 17. September 2007 vor. In dieser heißt es, die F. -Schule habe derzeit eine gute Personalversorgung und ein Einzelfallhelfer sei für den persönlichen Hilfebedarf des Antragstellers notwendig. Der Antragsteller legt zudem eine Stellungnahme des jetzigen Klassenlehrers O. zur Arbeit des Einzelfallhelfers Herrn M. vor. Dort heißt es: Die Klasse besteht aus zwölf unterschiedlich behinderten Schülern und Schülerinnen, von denen außer I. auch andere einen erheblichen Hilfebedarf haben (ein weiteres Rollstuhlkind, ein Schüler mit starkem Anfallsleiden und Schüler mit verschiedenen schweren Körper- und Lernbehinderungen). Es ist daher auch bei einer Besetzung aus einer Lehrkraft und einer pädagogischen Mitarbeiterin nur schwer möglich, den Bedürfnissen P. ohne Einsatz eines Einzelfallhelfers gerecht zu werden. Herr M. hat die beschriebene Aufgabe sorgfältig und sensibel mit viel persönlichem Engagement durchgeführt. Er hat einen sehr guten Kontakt zu I. aufgebaut. Seit der Arbeitsaufnahme von Herrn M. besucht I. die Schule mit viel mehr Freude. Er ist viel aufnahmebereiter geworden und kann sich mehr am Klassengeschehen beteiligen."
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten einer Unterrichtsbegleitung für den Schulbesuch an der F. -Schule in G. zu übernehmen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er sieht keine Eilbedürftigkeit und meint, der geltend gemachte Anspruch bestehe nicht. Der Antragsteller besuche bereits eine Sonderschule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung. Diese Schule sei nach II.4. RdErl. d. NdsMK v. 01.02.2005 - 32 - 81027 VORIS 22410 - speziell auf die Beschulung von SchülerInnen mit diesem Förderschwerpunkt ausgerichtet und müsse damit auch über die dafür notwendige personelle Ausstattung verfügen. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller auch ohne Schulbegleitung die Sonderschule weiterhin besuchen könne. Dies habe er ja bis zum Ende des letzten Schuljahres auch gekonnt. Auch habe der Antragsteller bisher in keiner Weise dargelegt, sich in der speziell für seine Behinderungen ausgelegten Sonderschule um eine Verbesserung seiner behaupteten unzureichenden Versorgung zu bemühen. Wenn der Antragsteller den Umfang seiner Betreuung durch die F. -Schule als nicht ausreichend erachte, so seien diesbezügliche Wünsche unter Berufung auf den genannten Runderlass gegenüber der Schulveraltung bzw. ggf. der zuständigen Aufsichtsbehörde geltend zu machen. Ggf. müsste dieser Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht, welches für Rechtsstreite gegen die Schulverwaltung zuständig sei, verwiesen werden.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der näheren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten des Antragstellers sowie auf die Gerichtsakten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren, verwiesen.
II
Der form- und fristgerecht erhobene Antrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, auch schon vor Erlass eines Widerspruchsbescheides und vor Klageerhebung in der Hauptsache (Absatz 3).
Der Antrag ist auch begründet.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d.h. die Eilbedürftigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und ein Anordnungsanspruch (d.h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweg genommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG -) ist von diesem Grundsatz aber eine Abweichung dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht und damit schwere und unzumutbare, später nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - mit weiteren Nachweisen).
Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auf die Folgenabwägung kommt es insbesondere dann an, wenn es um überragende Rechtsgüter wie die Wahrung der Würde des Menschen und Leben und Gesundheit geht (BVerfG a.a.O. und BVerfG 1 BvR 165/01, Beschluss vom 04. Juli 2001 und Beschluss vom 22. November 2002, 1 BvR 1586/02 sowie vom 14. Mai 1996, 2 BvR 1516/93, BVerfGE 94, 166, 216 und Beschluss vom 19. Oktober 1977, 2 BvR 42/76, BVerfGE 46, 166 ff). Die Folgenabwägung, die auch eine Interessensabwägung ist, ist dabei abhängig vom Ergebnis der summarischen Prüfung des Hauptsacheanspruchs. Wenn der Erfolg der Klage in der Hauptsache wahrscheinlich ist, können die Anforderungen an den Anordnungsgrund für eine einstweilige Anordnung geringer sein als wenn der Ausgang völlig offen oder sogar eher unwahrscheinlich ist. Immer sind dabei jedoch die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzubeziehen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (BVerfG vom 12. Mai 2005, a.a.O.). Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern.
Unter Beachtung dieser Grundsätze ergibt sich folgendes:
Bei summarischer Prüfung ist derzeit offen, ob der Antragsgegner oder die Beigeladene als Schulträger für den geltend gemachten Hauptsacheanspruch zuständig ist.
Es besteht jedoch kaum begründeter Zweifel daran, dass dem Antragsteller ein Anspruch auf Bereitstellung eines fachlich qualifizierten Integrationshelfers während des Schulbesuchs an der F. -Schule in G. zusteht. Die Notwendigkeit einer solchen Hilfe wird nicht nur von den Eltern des Antragstellers behauptet, sondern von allen maßgeblichen Stellen bestätigt. Auf die bereits erwähnten Stellungnahmen sowohl des Amtsarztes als auch der Schulleitung und der Klassenlehrer kann diesbezüglich verwiesen werden. Auch der Erfolg der Maßnahme ist gewährleistet, wie sich aus der Stellungnahme des derzeitigen Klassenlehrers und dem Vortrag der Eltern des Antragstellers bezüglich des zweiwöchigen Einsatzes des Herrn M. vom Familienentlastenden Dienst des Deutschen Roten Kreuzes ergibt.
Der Anspruch kann dem Grunde nach auch vom Antragsgegner erfüllt werden. Er folgt aus §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 der Eingliederungshilfeverordnung. Danach sind Leistungen der Eingliederungshilfe auch Hilfen zu einer allgemeinen Schulbildung. Vor allem im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht umfassen diese Hilfen auch Maßnahmen zu Gunsten behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, den Behinderten den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Antragsteller unterliegt noch der allgemeinen Schulpflicht und gehört unstreitig aufgrund seiner Behinderungen zum leistungsberechtigten Personenkreis nach § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII. Ein Integrations- bzw. Einzelfallhelfer stellt, dies ist ebenfalls unstreitig, eine Maßnahme im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 2 Eingliederungshilfeverordnung dar, die erforderlich und geeignet ist, dem Antragsteller eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht erreichbare Bildung zu ermöglichen.
Ob der Antragsgegner letztverpflichteter Leistungsträger ist, braucht hier nicht entschieden zu werden, denn der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII steht dem hier geltend gemachten Eingliederungsanspruch nicht entgegen, selbst wenn es Aufgabe der Schulbehörde bzw. des Schulträgers sein sollte, das für die sonderpädagogische Förderung von schulpflichtigen Kindern erforderliche fachlich qualifizierte Person sowie das für die damit zusammenhängenden Hilfestellungen im Unterricht erforderliche zusätzliche Personal zu stellen bzw. die Kosten hierfür zu tragen (wofür gerade bei einer Förderschule viel spricht).
Der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe setzt - insbesondere bei Ansprüchen, die eine sofortige Entscheidung erfordern, - voraus, dass ein solcher Anspruch rechtzeitig durchgesetzt werden kann und die anderweitige Hilfe tatsächlich bereitsteht. Das ist aber nicht der Fall. Die F. -Schule hat klar zu erkennen gegeben, (sowohl dem Antragsteller als auch dem Gericht) dass sie sich nicht in der Lage sieht, mit dem vorhandenen Personal den Antragsteller ordnungsgemäß zu beschulen. Der Schulträger wird die personalwirtschaftlichen Konsequenzen aus diesem Eingeständnis zu ziehen haben. Unabhängig davon kann es dem Antragsteller aber nicht abverlangt werden, eine solche Personalaufstockung in einem weiteren Rechtsstreit geltend zu machen. Es entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der ständigen Rechtsprechung dieser Kammer, dass der betroffene Bürger auf dem Gebiet des Sozialhilferechts und des Sozialrechts allgemein (wozu auch Ansprüche gehören, deren Klärung nicht der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen ist) nicht gezwungen werden kann, den Streit über die Zuständigkeit zwischen den Behörden auf sein Risiko und seine Kosten zu klären. Der Zuständigkeitsstreit ist vielmehr von den beteiligten Behörden auszutragen. Bei der Beurteilung, ob der Hilfesuchende sich in einem seinen Sozialhilfeanspruch ausschließendem Sinne selbst helfen kann, - wozu je nach den Umständen des Einzelfalls auch die Beschreitung des Rechtswegs gehören kann - kommt es nicht entscheiden darauf an, ob der Hilfesuchende einen Rechtsanspruch gegen einen Dritten hat, sondern darauf, ob er die benötigte Hilfe auch tatsächlich erhalten oder den Anspruch gegen den Dritten rechtzeitig (!) realisieren kann.
Ein Anordnungsgrund besteht. Die erforderliche Folgen- bzw. Interessenabwägung geht zu Gunsten des Antragstellers aus. Es ist darauf abzustellen, welche Folgen sich ergeben, falls der Antrag abgewiesen wird und der Antragsteller in der Hauptsache obsiegt bzw. welche Folgen sich aus dem ungeklärten Fall (Obsiegen im ER-Verfahren und Unterliegen im Hauptsacheverfahren) ergeben.
Im ersten Fall müsste der Antragsteller bis zur Entscheidung der Hauptsache ohne den Integrationshelfer auskommen, denn er hätte nicht die Möglichkeit, die Kosten vorzustrecken. Dies ist wegen der finanziellen Situation der Eltern des Antragstellers auch zwischen den Beteiligten unstreitig. Es bestünde dann die ganz konkrete - von Schulleitung und Klassenlehrer beschriebene - Gefahr, dass der Antragsteller dem Unterricht nicht folgen kann. Dies mag für den Zeitraum weniger Tage hinnehmbar zu sein. Da jedoch wegen der personellen Ausstattung der Sozialgerichtsbarkeit mit einer Entscheidung in der Hauptsache bei streitiger Entscheidung erst in ca. drei Jahren zu rechnen ist, liegt auf der Hand, dass damit das Grundrecht des Antragstellers auf Schulbildung ganz massiv beschnitten würde. Dies ließe sich auch nicht mehr mit einer positiven Entscheidung in der Hauptsache rückgängig machen.
Dieser massiven Grundrechtsbeeinträchtigung des Antragstellers steht gegenüber das finanzielle Risiko des Antragsgegners, die Kosten der Maßnahme endgültig tragen zu müssen, sei es weil ein Rückgriff auf den Antragsteller wegen Vermögenslosigkeit nicht möglich sein wird oder weil ein Erstattungs- oder sonstiger Anspruch gegen einen anderen öffentlich-rechtlichen Träger nicht realisiert werden kann. Beide Risiken sind minimiert. Da der Anspruch des Antragstellers dem Grunde nach mit großer Wahrscheinlichkeit gegen einen öffentlich-rechtlichen Träger besteht, kommt ein Rückgriff beim Antragsteller ohnehin kaum in Frage. Die Problematik der Durchsetzung des Erstattungsanspruchs hängt im Wesentlichen davon ab, welcher Leistungsträger sich als letztzuständig erweist und im Übrigen vom Geschick des Antragsgegners, die entsprechenden Formalien für die Durchsetzung eines Erstattungsanspruchs einzuhalten. Insgesamt handelt es sich volkswirtschaftlich um ein Nullsummenspiel. Für die Gesamtheit der Steuerzahler, deren Interessen der Antragsgegner vertritt - eigene Interessen des Antragsgegners kann es hier gar nicht geben - wäre eine solche Folge zweifellos eher hinnehmbar als die mögliche Grundrechtsverletzung des Antragstellers.
Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 193 Sozialgerichtsgesetz.