Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 12.10.2007, Az.: S 19 AS 737/05
Kostenlos gewährte Verpflegung während der stationären Unterbringung (Reha-Aufenthalt) als anspruchsmindernd zu berücksichtigendes Einkommen; Kostenlose Verpflegung als Einnahme in Geldeswert i.S.d. § 11 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II)
Bibliographie
- Gericht
- SG Braunschweig
- Datum
- 12.10.2007
- Aktenzeichen
- S 19 AS 737/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 65354
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGBRAUN:2007:1012.S19AS737.05.0A
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II
- § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB II
- § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG II-Verordnung
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 12. August 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. Oktober 2005 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 14. September 2005 bis einschließlich 12. Oktober 2005 weitere 60,29 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte erstattet dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zur Hälfte. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die dem Kläger kostenlos gewährte Verpflegung während einer stationären Unterbringung im Rahmen einer Reha-Maßnahme anspruchsmindernd zu berücksichtigen ist.
Der am 14. August 1970 geborene Kläger bezog durch die Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - (SGB II). Er befand sich in der Zeit vom 14. September 2005 bis einschließlich 12. Oktober 2005 zu einer stationären Reha-Maßnahme in Soltau. Mit Änderungsbescheid vom 12. August 2005 bewilligte die Beklagte für September 2005 Leistungen in Höhe von 544,49 EUR, wobei sie für 17 Tage des stationären Aufenthaltes 68,57 EUR als Einkommend anspruchsmindernd anrechnete. Für Oktober 2005 gewährte sie 564,66 EUR und berücksichtigte Einkommen in Höhe von 48,30 EUR für 12 Tage des stationären Aufenthalts. Für November 2005 bewilligte sie 613,06 EUR. Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06. Oktober 2005 zurückgewiesen. Der Kläger hat am 14. Oktober 2005 Klage erhoben.
Der Kläger beantragt,
- 1.
den Bescheid der Beklagten vom 12. August 2005 in Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 06. Oktober 2005 abzuändern,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 14. September 2005 bis einschließlich 12. Oktober 2005 weitere 116,87 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der den Kläger betreffende Verwaltungsvorgang der Beklagten lag der Kammer vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Akten sowie die Sitzungsniederschrift vom 12. Oktober 2007 ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfange begründet, im Übrigen unbegründet.
Der Änderungsbescheid der Beklagten vom 12. August 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. Oktober 2005 ist teilweise rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte hat die kostenlos gewährte Verpflegung des Klägers während der stationären Unterbringung zu Recht als Einkommen anspruchsmindernd berücksichtigt. Rechtsfehlerhaft hingegen hat sie von dem Einkommen in den Monaten September und Oktober 2005 keine Versicherungspauschale in Höhe von monatlich 30,- EUR abgezogen. Ausgehend von einem Regelsatzanteil in Höhe von 38,41% für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren ist die in Ansatz gebrachte relative Kürzung des Regelsatzes in Höhe von 35% nicht zu beanstanden. Dies entspräche einem monatlichen Betrag in Höhe von 120,75 EUR (35% von 345,00 EUR) bzw. einem täglichen Anteil in Höhe von 4,02 EUR (120,75 EUR: 30). Im September 2005 befand sich der Kläger 17 Tage in stationärer Behandlung, so dass ein Kürzungsbetrag in Höhe von 68,34 EUR (17 x 4,02 EUR) abzüglich der Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR, mithin 38,34 EUR, anzurechnen sind. Im Oktober 2005 befand sich der Kläger 12 Tage in der stationären Reha-Maßnahme, was einem anzurechnenden Betrag von 18,24 EUR (12 x 4,02 = 48,24 EUR abzüglich 30,00 EUR) entspricht. Insgesamt anrechenbar sind somit 56,58 EUR (38,34 EUR zuzüglich 18,24 EUR). Da die Beklagte insgesamt 116,87 EUR anrechnete, besteht ein Anspruch des Klägers auf Nachzahlung in Höhe von 60,79 EUR (116,87 EUR abzüglich 56,58 EUR).
Die kostenlose Verpflegung, die der Kläger während des stationären Reha-Aufenthaltes in Soltau erhalten hat, ist Einkommen im Sinne des § 11 SGB II. Als Einkommen sind gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II Einnahmen in Geld oder Geldeswert zu berücksichtigen. Die in § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II genannten Ausnahmen, bei denen Einnahmen nicht zu berücksichtigen sind, liegen nicht vor. Die kostenlose Verpflegung ist als Einnahme in Geldeswert im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzusehen. Unter diese Regelung fallen auch Naturalleistungen, wie die freie Verpflegung während eines solchen stationären Aufenthaltes. Einnahmen in Geldeswert sind nämlich auch solche Einnahmen, die einen in Geld ausdrückbaren Wert besitzen. Dabei muss es sich um einen Marktwert handeln, weshalb kleinere Gefälligkeiten, die von Bekannten oder Verwandten gewährt werden, keinen Geldwert in diesem Sinne haben. Außerdem muss die Sachleistung geeignet sein, die Hilfebedürftigkeit zumindest teilweise zu beseitigen. All diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Es bestand insbesondere eine bedarfsbezogene Verwendbarkeit dieser Lebensmittel, denn die an den Kläger erbrachten Verpflegungsmittel deckten seinen Verpflegungsbedarf und konnten zu diesem Zweck eingesetzt werden. Dem steht eine Kostenersparnis des Klägers gegenüber, der seine Verpflegung während des stationären Aufenthaltes nicht selbst aus der Regelleistung bestreiten musste (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 29.01.2007, Az.: L 13 AS 14/06 ER). Eine abweichende Festlegung des Regelbedarfssatzes für den Zeitraum des stationären Aufenthaltes hingegen ist im SGB II nicht vorgesehen und rechtlich unmöglich.
Von dem zu berücksichtigenden Sacheinkommen ist jeweils monatlich die Versicherungspauschale gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG II-Verordnung abzusetzen (vgl. Sozialgericht Hamburg , Urteil vom 20. August 2007, Az.: S 56 AS 1948/06 unter Bezugnahme auf Landessozialgericht Bayern , Urteil vom 19.06.2007, Az.: L 11 AS 4/07).
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 193 Abs. 1 Satz 1, § 183 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und berücksichtigt den jeweiligen Erfolgsanteil in angemessener Weise.
Die Berufung ist zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil von der Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen , Urteil vom 23. August 2007, Az.: L 8 SO 70/06, abweicht und auf dieser Abweichung beruht, § 144 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 143 SGG.