Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 18.07.2007, Az.: 1 A 357/06
Wahlprüfungsentscheidung im Rahmen der niedersächsischen Kreistagswahl 2006; Wahlprüfungsentscheidung als feststellender, rechtsgestaltender Verwaltungsakt; Übergang eines Sitzes auf die nächste Ersatzperson des Wahlvorschlags im Fall des Todes eines Bewerbers; ZUlässigkeit einer ne wahlbereichsübergreifenden Bestimmung einer Ersatzpersonen
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 18.07.2007
- Aktenzeichen
- 1 A 357/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 37547
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2007:0718.1A357.06.0A
Rechtsgrundlagen
Fundstelle
- NdsVBl 2008, 24-25
Verfahrensgegenstand
Kommunalrecht
hier: Anfechtung einer Wahlprüfungsentscheidung
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 1. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juli 2007
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Büschen,
den Richter am Verwaltungsgericht Wagner,
die Richterin Dr. Thorn sowie
die ehrenamtliche Richterin E. und
den ehrenamtlichen Richter F.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Wahlprüfungsentscheidung des Beklagten vom 17.11.2006 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Verfahrenskosten; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen eine Wahlprüfungsentscheidung des Beklagten im Rahmen der niedersächsischen Kreistagswahl 2006.
Bei der Kommunalwahl am 10.09.2006 trat der Kläger als Kandidat für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) für den Kreistag im Landkreis Helmstedt an. Das Wahlgebiet war in vier Wahlbereiche aufgeteilt: Wahlbereich I: Helmstedt; Wahlbereich II: Schöningen/Heeseberg/Büddenstedt; Wahlbereich III: Königslutter/Lehre; Wahlbereich IV: Grasleben/Nord-Elm-Velpke. Für diese vier Wahlbereiche reichte die NPD vier verschiedene Wahlvorschläge ein und benannte jeweils einen Kandidaten pro Wahlbereich und zwar den Kläger für den Wahlbereich I, Herrn G. für den Wahlbereich II, Frau H. für den Wahlbereich III, Herrn I. für den Wahlbereich IV.
Der Kreiswahlausschuss stellte am 14.09.2006 das endgültige Wahlergebnis fest. Anschließend wurde das Ergebnis im Amtsblatt für den Landkreis Helmstedt öffentlich bekannt gemacht. Im Wahlbereich I erhielt der Kläger 758 Stimmen als Bewerber, weiterhin erhielt die NPD 448 Stimmen über die Liste. Im Wahlbereich IV erhielt I. 873 Stimmen als Bewerber und 351 Stimmen über die Liste. Die Kandidaten für den Wahlbereich II und III erhielten 218 Stimmen als Bewerber und 391 Stimmen über die Liste bzw. 281 als Bewerber und 444 Stimmen über die Liste.
Das Wahlergebnis aller vier Wahlbereiche ergab für das Wahlgebiet einen Sitz für die NPD, der auf den Bewerber aus dem Wahlbereich IV mit den meisten Stimmen entfiel. Dementsprechend zog I. als Vertreter der NPD in den Kreistag ein. Bei der Bekanntmachung des Wahlergebnisses wurden als Ersatzpersonen im Bereich der Personenwahl in allen Wahlbereichen auch die Bewerber aufgeführt, auf die kein Sitz entfallen war, sodass für die NPD der Kläger, J. und K. als Ersatzpersonen aufgeführt wurden. Am 29.09.2006 legte der Beigeladene gegen die Gültigkeit der Kreistagswahl im Hinblick auf die Feststellungen zu den Ersatzpersonen im Bereich der Personalwahl Widerspruch ein. Der Beklagte entschied daraufhin in seiner konstituierenden Sitzung am 03.11.2006 die Liste der Ersatzpersonen für die Personenwahl als Teil des vom Kreiswahlausschuss festgestellten Wahlergebnisses zu berichtigen. Mit Schreiben vom 17.11.2006 teilte der Beklagte dem Kläger sodann mit, er sei nicht Ersatzperson für den Sitz der NPD im Kreistag und führte zur Begründung aus, nur diejenigen nicht gewählten Bewerberinnen und Bewerber derjenigen Wahlvorschläge, auf die mindestens ein Sitz entfallen sei, könnten Ersatzpersonen für die gewählten Kandidaten anderer Wahlvorschläge sein. Auf den Wahlvorschlag im Wahlbereich I sei aber kein Sitz entfallen.
Zur Begründung seiner dagegen am 07.12.2006 erhobenen Klage trägt der Kläger vor:
Die Wahlprüfungsentscheidung sei rechtswidrig und verletze ihn in seinem Anwartschaftsrecht auf die Ausübung eines Kreistagsmandates, denn ein wahlbereichsübergreifendes Nachrücken nach der Reihenfolge der erhaltenen Stimmen sei auch dann möglich, wenn auf einen anderen Wahlvorschlag der Partei kein Sitz entfallen sei und wenn es keine Ersatzperson auf dem Wahlvorschlag des gewählten Bewerbers gebe. Die Bewerber der Wahlvorschläge für die einzelnen Wahlbereiche würden durch die Bewerber aller Wahlvorschläge im Wahlgebiet ergänzt, denn die Vertreter im Kreistag seien nicht Vertreter ihres Wahlbereichs sondern Vertreter ihres Wahlgebiets. Das ergebe sich auch aus den Vorschriften des Niedersächsischen Kommunalwahlgesetzes, wonach eine einheitliche Wahlversammlung auf Wahlgebietsebene und nicht auf Wahlbereichsebene vorgesehen sei. Daraus folge, dass die Ersatzpersonen aus dem gleichen Wahlgebiet und nicht aus dem gleichen Wahlbereich stammen müssten.
Der Kläger beantragt,
die Wahlprüfungsentscheidung des Beklagten vom 17.11.2006 abzuändern und festzustellen, dass er Ersatzperson für die NPD im Wahlbereich I (Helmstedt) für die Kreistagswahlperiode vom 01.11.2006 bis zum 31.10.2011 ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er erwidert, das Wahlgebiet Helmstedt sei bei 42 zu vergebenden Kreistagssitzen zwingend in mehrere Wahlbereiche aufzuteilen gewesen. Aus dem Regelungszusammenhang des Gesetzes ergebe sich, dass nur derjenige Ersatzperson sein könne, auf dessen Wahlvorschlag mindestens ein Sitz entfallen sei, dies gelte auch für den Fall, dass Mandate wahlvorschlagsübergreifend nachbesetzt würden. Für die NPD, die nur einen Sitz errungen habe, habe dies zur Folge, dass die Feststellung der Bewerber aus den anderen Wahlbereichen als Ersatzpersonen rechtswidrig gewesen sei.
Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
Er bezieht sich auf sein schriftsätzliches Vorbringen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der in seinen wesentlichen Teilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Die ursprüngliche Feststellung des Wahlergebnisses in Bezug auf die Ersatzpersonen war rechtmäßig. Der Kläger ist Ersatzperson für den gewählten Kandidaten der NPD im Kreistag.
Die Wahlprüfungsentscheidung des Beklagten ist ein feststellender, rechtsgestaltender Verwaltungsakt, der mit der Anfechtungsklage angegriffen werden kann (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.06.2005 - 4 L 125/05 -). Die Aufhebung der angegriffenen Wahlprüfungsentscheidung erfolgt einheitlich, sodass die ursprüngliche Feststellung des Wahlergebnisses in Bezug auf alle Ersatzpersonen wieder auflebt. Zwar hat der Kläger die Wahlprüfungsentscheidung nur in Bezug auf die Feststellung seiner Ersatzpersoneigenschaft angefochten. Das Wahlprüfungsverfahren ist aber ein objektives Verfahren und dient nicht der Geltendmachung subjektiver Rechte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.01.1989 - 7 B 202/88 -). Deshalb geht das Gericht mit der umfassenden Aufhebung der Wahlprüfungsentscheidung nicht über das Klagebegehren gemäß § 88 VwGO hinaus.
Nach § 44 Abs. 1 Niedersächsisches Kommunalwahlgesetz (NKWG) geht im Falle des Todes des Bewerbers, oder wenn dieser die Wahl ablehnt oder seinen Sitz verliert, der Sitz nach Maßgabe des § 38 Abs. 2 oder 3 NKWG auf die nächste Ersatzperson des Wahlvorschlags über, von dem der Ausgeschiedene gewählt worden ist. Im vorliegenden Fall war der Kandidat I. der einzige Kandidat der NPD auf dem Wahlvorschlag für den Wahlbereich IV Grasleben/Nord-Elm/Velpke, so dass keine Ersatzpersonen des- selben Wahlvorschlags zur Verfügung stehen. Gemäß § 44 Abs. 5 Satz 1 NKWG gilt im Falle der Listenwahl in einem Wahlgebiet mit mehreren Wahlbereichen § 37 Abs. 5 NKWG entsprechend, wenn keine Ersatzperson gemäß § 38 Abs. 3 NKWG vorhanden ist. Das Gleiche gilt gemäß § 44 Abs. 5 Satz 1 2. Halbsatz NKWG für den Sitzübergang nach § 44 Abs. 4 NKWG im Bereich der Personalwahl, wenn eine Ersatzperson nach § 38 Abs. 3 NKWG nicht vorhanden ist. § 37 Abs. 5 NKWG bestimmt für den Fall, dass mehr Sitze für einen Wahlvorschlag entfallen, als Bewerber auf ihm vorhanden sind, dass die übrigen Sitze an diejenigen Bewerber auf den Wahlvorschlägen dieser Partei oder Wählergruppe in den anderen Wahlbereichen fallen, die dort keinen Sitz erhalten haben. Hiernach ist der Kläger als Bewerber bei der NPD im Wahlgebiet Helmstedt (mit den zweitmeisten Stimmen) Ersatzperson für den gewählten Kandidaten I..
Diesem Ergebnis steht § 38 Abs. 1 NKWG nicht entgegen. Danach sind die nicht gewählten Bewerber des Wahlvorschlags einer Partei, auf den mindestens ein Sitz entfallen ist, Ersatzpersonen dieses Wahlvorschlags. Auf den Wahlvorschlag des Klägers, auf dem er der einzige Kandidat war, ist kein Sitz entfallen, sodass er keine Ersatzperson im Sinne des § 38 Abs. 1 NKWG ist. An dem zuvor gefundenen Ergebnis ändert das aber nichts. Der Wortlaut des § 44 Abs. 5 NKWG verweist ausdrücklich (nur) auf die Absätze 2 und 3 des § 38 NKWG. Dass auch die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 NKWG bei der wahlbereichsübergreifenden Bestimmung von Ersatzpersonen erfüllt sein müssen, lässt sich aus der Bezugnahme auf die anderen Absätze der Vorschrift nicht schließen. Dies folgt auch nicht zwingend aus dem Regelungszusammenhang des Gesetzes, da § 44 Abs. 5 NKWG gerade eine Regelung für einen bestimmten Ausnahmefall trifft. § 38 NKWG stellt nur auf Wahlvorschläge ab, auf die mindestens ein Sitz entfallen ist und bezieht den in § 44 Abs. 5 Satz 1 NKWG geregelten Fall nicht ein (vgl. Schiefel, Niedersächsisches Kommunalwahlrecht 2. Aufl. 1991, § 44 NKWG Nr. 4.1; Kegler/Steinmetz, das Kommunalwahlrecht in Niedersachsen, 2. Aufl. 2006, Seite 97). § 38 Abs. 1 NKWG enthält somit nicht - wie vom Beklagten angenommen - eine Legaldefinition des Begriffs "Ersatzperson", sondern bestimmt allgemein, dass die anderen Bewerber eines Wahlvorschlags, auf den ein Sitz entfallen ist, Ersatzpersonen des gewählten Kandidaten sind. In Bezug auf die wahlbereichsübergreifende Sitznachfolge nach § 44 Abs. 5 i.V.m. § 37 Abs. 5 NKWG trifft § 38 Abs. 1 NKWG mithin keine Regelung.
Das Gericht folgt nicht der vom Beklagten und dem Kommentar von Thiele/Schiefel, (Niedersächsiches Kommunalwahlrecht 3. Aufl. 2006, § 44 NKWG Nr. 4.1 und 4.2) vertretenden Auffassung, es sei für eine Sitznachfolge nach § 44 Abs. 5 S. 1 i.V.m. § 37 Abs. 5 NKWG erforderlich, dass der "Nachrücker" die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 NKWG erfülle. Vielmehr stützt § 44 Abs. 5 Satz 2 NKWG, wonach ein Sitz bis zum Ablauf der Wahlperiode nur dann unbesetzt bleibt, wenn für die Partei oder Wählergruppe im gesamten Wahlgebiet keine Ersatzperson mehr vorhanden ist, das hier gefundene Ergebnis.
Schließlich ergibt sich auch aus der amtlichen Begründung zur Änderung des Kommunalwahlrechts (Niedersächsischer Landtag - 13. Wahlperiode, Drucksache 13/780), dass eine wahlbereichsübergreifende Bestimmung der Ersatzpersonen zulässig ist. Die mit der Personenwahl verbundene Listenwahl sollte die Möglichkeiten von neuen Bewerbern und Seiteneinsteigern, vor allem auch von jüngeren Bewerbern und Frauen, verbessern, in die Räte bzw. Kreistage gewählt zu werden. Zweck der Neuregelungen war insbesondere, die Chancen noch unbekannter Kandidaten zu verbessern. Dies muss auch für kleinere Parteien oder Wählervereinigungen gelten. Diese Gruppierungen haben aus personellen Gründen häufig nicht die Möglichkeit, für jeden Wahlbereich in einem Wahlgebiet Wahlvorschläge mit mehreren Kandidaten aufzustellen, sodass sie im Falle des Ausschlusses des wahlbereichsübergreifenden Sitzübergangs gegenüber größeren Parteien deutlich benachteiligt wären. Die von Ihnen errungenen Sitze müssten dann im Falle des Todes oder des Ausscheidens des Sitzinhabers aus anderen Gründen stets unbesetzt bleiben, wenn auf dem erfolgreichen Wahlvorschlag kein weiterer Kandidat vorhanden ist. Dies bedeutete auch ein Verstoß gegen die Gleichheit der Wahl. Stimmen für die kleineren Parteien hätten einen geringeren Erfolgswert, wenn die mit diesen Stimmen erreichten Sitze nicht nachbesetzt werden könnten und somit verloren gingen.
Die kostenrechtlichen Nebenentscheidungen beruhen auf einer Anwendung der Regelung in den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3, 167 VwGO und 708 Nr. 11 ZPO.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, denn er hat keinen Antrag gestellt und damit das Risiko eigener Kostenpflicht nach § 154 Abs. 3 VwGO nicht übernommen.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500 EUR festgesetzt.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 1 GKG (vgl. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NvWZ 2004 1327 ff., Nr. 22.1.3).
Wagner
Dr. Thorn-Christoph