Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 30.01.2009, Az.: 2 B 252/08
Beherbergung; Bestimmtheit; Nutzungsänderung; Studentenwohnheim; Wohnen; Wohngebiet, reines
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 30.01.2009
- Aktenzeichen
- 2 B 252/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 44119
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2009:0130.2B252.08.0A
Rechtsgrundlagen
- 3 II BauNVO
- 69 IV Nr. 1 NBauO
Gründe
Der Antrag der Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 16. Dezember 2008 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. Dezember 2008 wiederherzustellen,
hat Erfolg.
Die im Rahmen des statthaften Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vom Gericht vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse der Antragstellerin, einstweilen vom Vollzug der von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 9. Dezember 2008 ausgesprochenen Nutzungsuntersagung verschont zu bleiben, und dem von der Antragsgegnerin vertretenen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verbots, geht zu Gunsten der Antragstellerin aus. Denn das mit diesem Bescheid ausgesprochene Verbot, das Gebäude E. ..., Flurstück ... der Flur ... in der Gemarkung D. weiter als Beherbergungsbetrieb zu nutzen, ist bei der in diesem Verfahren gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung rechtswidrig; an dem sofortigen Vollzug eines voraussichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht ein öffentliches Interesse nicht.
Die Antragsgegnerin dürfte die nach § 89 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 NBauO ergangene Nutzungsuntersagung zu Unrecht darauf stützen, dass die Antragstellerin die Immobilie E. ... ohne eine erforderliche Baugenehmigung nutzt und eine solche auch nicht offensichtlich erteilt werden kann (formelle Baurechtswidrigkeit). Denn nach summarischer Einschätzung der Sach- und Rechtslage durch die Kammer liegt eine genehmigungspflichtige Umnutzung des Gebäudes nicht vor. Eine Nutzungsänderung ist gemäß §§ 68 Abs. 1, 2 Abs. 5, 69 Abs. 4 Nr. 1 NBauO dann nicht baugenehmigungspflichtig, wenn das öffentliche Baurecht an die bauliche Anlage in der neuen Nutzung keine anderen oder weitergehenden Anforderungen stellt. Andere oder weitergehende städtebauliche Anforderungen werden bei einem Wechsel von einer Nutzungsart der BauNVO zu einer anderen dort genannten Nutzungsart oder Nutzungsunterart gestellt (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. § 69 Rn. 81). Ein solcher Wechsel ist durch die von der Antragstellerin etwa im Jahre 2001 aufgenommene Nutzung voraussichtlich nicht eingetreten. Nach wie vor handelt es sich um eine Wohnnutzung, die gemäß § 3 Abs. 2 BauNVO in einem reinen Wohngebiet, als welches die Grundstücksumgebung durch Bebauungsplan Nr. 71 "E." vom 23. September 1965 ausgewiesen ist, zulässig ist.
Genehmigt ist das streitbefangene Bauwerk durch Bauschein der Antragsgegnerin vom 17. Dezember 1958 als Studentenwohnheim. Die Kammer geht davon aus, dass eine Nutzungsänderung nicht schon darin zu sehen ist, dass nach Erwerb der Immobilie durch den Geschäftsführer der Antragstellerin nur noch ausnahmsweise und mehr oder weniger zufällig Studenten Mieter des Gebäudes sind. Maßgeblich für die Frage, ob eine genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung eingetreten ist, ist die bauplanungsrechtliche Nutzungsart. Bei der Nutzung als Studentenwohnheim handelt es sich nach heute unstreitiger Ansicht um eine Wohnnutzung. Da dies bei Erlass des Bebauungsplanes 1965 noch nicht bauplanungsrechtliches Allgemeingut war (vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, 11. Aufl., § 3 Rn. 13), wurde die Nutzung als Studentenwohnheim im Bebauungsplan Nr. 71 "E." ausdrücklich für zulässig erklärt.
Auch nach Erwerb des Grundstücks durch den Geschäftsführer der Antragstellerin im Juni 2000 wird das Gebäude zu Wohnzwecken genutzt. Der Begriff des Wohnens ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Nds. Oberverwaltungsgerichts durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet. Er meint damit ein Wohnen als Bestandteil der privaten Lebensgestaltung im Sinne eines selbstbestimmt geführten privaten Lebens "in den eigenen vier Wänden", die auf Dauer angelegt ist und keinem anderen Nutzungszweck verschrieben ist, insbesondere keinem Erwerbszweck dient (BVerwG, zuletzt Beschluss vom 17.12.2007 -4 B 54/07 -; OVG Lüneburg, Beschluss vom 18.7.2008 -1 LA 203/07 -, jeweils zitiert nach juris). Dabei ist das Nutzungskonzept und seine grundsätzliche Verwirklichung, nicht das individuelle und mehr oder weniger spontane Verhalten einzelner Bewohner maßgeblich, und das Kriterium der Dauerhaftigkeit ist flexibel zu handhaben (BVerwG, Beschluss vom 25.3.1996 -4 B 302/95 -, NVwZ 1996, 893). Die Abgrenzung zu einer Beherbergung, die in einem reinen Wohngebiet gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO nur ausnahmsweise zulässig ist, nicht aber, wie die Antragsgegnerin offenbar meint, von vornherein ausgeschlossen ist, ist im Einzelfall schwierig. Dies gilt insbesondere für das Merkmal der Dauer, da auch kurzfristige und von vornherein befristete Wohnnutzungen denkbar sind; auch kann die Möglichkeit der Eigengestaltung bei der Inanspruchnahme möblierten Wohnraums zu Wohnzwecken, wie ihn die Antragstellerin anbietet, stark eingeschränkt bzw. hinsichtlich der Ausstattung mit Möbeln sogar ganz untersagt sein (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 14.8.2007 -10 A 1219/06 -, NVwZ-RR 2008, 20 [OVG Nordrhein-Westfalen 14.08.2007 - 10 A 1219/06]). Diese Abgrenzungsproblematik stellt sich auch zivilrechtlich, wenn einerseits Mietrechtsregelungen für Wohnraum existieren, der zum vorübergehenden Gebrauch vermietet wird ( § 549 Abs. 2 Nr. 1 BGB ), und andererseits die gewerbsmäßige Beherbergung von Fremden geregelt ist ( § 701 Abs. 1 BGB ).
Gemessen an diesen Vorgaben hält die Kammer dafür, dass die Antragstellerin das Gebäude E. ... zu Wohnzwecken vermietet.
In dem Gebäude befinden sich nach Angaben der Antragstellerin 40 möblierte Einzel- oder Doppelzimmer jeweils mit Waschmöglichkeit. Eine Küche, ein Aufenthaltsraum und Duschmöglichkeiten finden sich zentral im Gebäude, Toiletten auf den jeweiligen Etagen. Am 2. Oktober 2008 bestanden nach Ermittlungen der Antragsgegnerin 26 langfristige Mietverträge. Hiervon kann deshalb ausgegangen werden, weil die Mieter melderechtlich bei der Antragsgegnerin erfasst waren. Die verbleibenden 14 Zimmer dürften kurzfristig vermietet sein, wobei nach unbestrittenem Vortrag diese Art der Anmietung vor allem von Montagearbeitern und Studenten auf Wohnungssuche gewählt wird. Entsprechend bewirbt die Antragstellerin das Objekt im Internet. In dem von der Antragsgegnerin am 15. September 2008 gefertigten Ausdruck der Homepage der Antragstellerin wirbt diese damit, dass die Zimmer auch kurzfristig für ein paar Tage oder Wochen vermietet werden. Wenn es ausweislich des am 28. Januar 2009 vom Gericht gefertigten Ausdrucks dieser Homepage nunmehr heißt, die Einzel- oder Doppelzimmer des Studentenwohnheims seien einfach und zweckmäßig möbliert, ist damit keine konzeptionelle Änderung der Vermietungsleistungen verbunden. Denn wie sich aus der unverändert gebliebenen Preisangabe ergibt, kommen nach wie vor kurzfristige Vermietungen in Betracht. Allerdings steht zu erwarten, dass die Antragstellerin, hätte sie genügend Interessenten für langfristige Mietverträge, solche auch abschließen würde. Die angebotene kurzfristige Vermietungsmöglichkeit dient, davon geht das Gericht aus, der möglichst umfassenden Auslastung sämtlicher Wohneinheiten und ist nicht das Kerngeschäft der Antragstellerin. Die Ausstattung der Zimmer und das übrige Angebot der Antragstellerin (zur Verfügung stellen von Bettwäsche) ist aber bei jeder Art der Vermietung ebenso dasselbe wie auch die Miete in derselben Höhe berechnet wird. Das Nutzungskonzept der Antragstellerin ist somit in erster Linie auf die (langfristige) Vermietung von Wohnraum, nicht auf Beherbergung gerichtet und schlägt sich so auch in der tatsächlichen Zusammensetzung des Mieterkreises nieder , denn etwa 2/3 der Zimmer sind langfristig zum Wohnen vermietet. Solange die von vornherein nur kurzfristig, d.h. tage- oder wochenweise abgeschlossenen Mietverträge die Vermietungsleistungen der Antragstellerin weder konzeptionell noch tatsächlich zahlenmäßig prägen, vermag die Kammer nicht von einer Beherbergung statt von einem Wohnen auszugehen.
Nachbarinteressen werden durch diese Auslegung nicht berührt. Der Zu- und Abgangsverkehr ebenso wie die aus dem Gebäude dringenden Lärmemissionen, die die Nachbarn am ehesten beeinträchtigen könnten, sind nicht unterschiedlich je danach, ob die Zimmer kurzfristig an einen wechselnden Personenkreis oder langfristig an ein und dieselbe Person vermietet sind. Sollten einzelne Mieter die gebotene Ruhe nicht einhalten, wäre dies kein bauplanungsrechtliches, sondern allenfalls ein zivilrechtliches Problem.
Die mit dem Widerspruch angegriffene Nutzungsuntersagung der Antragsgegnerin stellt sich aus einem weiteren Grund als voraussichtlich rechtswidrig dar. Denn sie ist inhaltlich nicht im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG hinreichend bestimmt. Es ist bei objektiver Betrachtung für die Antragstellerin nicht erkennbar, was die untersagte weitere Nutzung als Beherbergungsbetrieb beinhaltet; ein solches Verbot ließe sich auch nicht vollstrecken. Der Begriff des "Beherbergungsbetriebes" ist ein Rechtsbegriff. Ihn gibt es als zivilrechtlichen Begriff in § 701 BGB, als Begriff des Gaststätten- und als Begriff des Baurechts. In jeder dieser Bedeutungen ist er unterschiedlich auszulegen (BVerwG, Urteil vom 29.4.1992 -4 C 43/89 -, BVerwGE 90, 140). Schon von daher fehlt der Verfügung der Antragstellerin die hinreichende Deutlichkeit. Diese Deutlichkeit ergibt sich auch nicht, wenn man den Begriff allein in seiner baurechtlichen Ausprägung verstehen wollte. Denn seine Abgrenzung zum Begriff des "Wohnens" ist, wie dargelegt, sehr schwierig und nur unter Zuhilfenahme verschiedener Beweisanzeichen möglich. Ohne diese Beweisanzeichen zu benennen, insbesondere zu bezeichnen, was denn unter kurzfristigen Vermietungsleistungen, die nach Ansicht der Antragsgegnerin maßgeblich für den Beherbergungsbegriff sein sollen, zu verstehen ist, kann sich der Adressat eines solchen Verwaltungsakts nicht verlässlich darauf einstellen, was ihm weiter erlaubt und was ihm nunmehr untersagt sein soll.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Streitwertbeschluss:
Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer folgt dem Streitwertkatalog der Fachsenate des Nds. OVG (Nds. VBl. 2002, 192 Tz. 11b), nach dem bei einem Nutzungsverbot der Jahresnutzwert maßgeblich ist. Dabei geht die Kammer davon aus, dass bis zu 14 Zimmer streitbefangen sein können. Bei einem Übernachtungspreis von 7.- Euro ergibt sich ein Jahreswert von 35 770,00 Euro (7x14x365). Im Hinblick auf die Vorläufigkeit der hier begehrten Regelung ist dieser Wert zu halbieren.