Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 23.10.2008, Az.: 2 B 186/08

Kostenentscheidung: Widerspruch; Kostenentscheidung: aufschiebende Wirkung; Rücknahme: Anspruch auf

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
23.10.2008
Aktenzeichen
2 B 186/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 45355
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2008:1023.2B186.08.0A

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Rechtsbehelfen gegen mit einer Sachentscheidung verbundenen Kostenerhebung kommt gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO aufschiebende Wirkung nicht zu.

  2. 2.

    Zum Anspruch auf Rücnahme rechtswidriger Verwaltungsakte

Gründe

1

Der Antrag,

  1. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller und einer nachfolgenden Klage gegen den Kostenbescheid des Antragsgegners vom 6. Februar 2008 anzuordnen,

2

ist statthaft.

3

Mit dem Kostenbescheid vom 6. Februar 2008 setzt der Antragsgegner Kosten in Höhe von 315,09 Euro für einen Bescheid vom selben Tage fest, mit dem er bestandskräftige Bauordnungsverfügungen aus den Jahren 1996, 2002 und 2003 auf die Antragsteller überleitete, nachdem sie das streitbefangene Grundstück vom Adressaten dieser Verfügungen gekauft hatten, und ihnen Zwangsgeld für den Fall der Nichtbefolgung androhte. Dabei erhob der Antragsgegner die Kosten nach der Tarifstelle 11.6 der Baugebührenordnung für eine ordnungsbehördliche Verfügung nach § 89 NBauO. Gegen diese Sachentscheidung legten die Antragsteller ebenso wie gegen die Kostenfestsetzung Widerspruch ein.

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Diesem Widerspruch kommt hinsichtlich der Kostenfestsetzung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO aufschiebende Wirkung nicht zu, denn mit dem Kostenbescheid vom 6. Februar 2008 werden öffentliche Kosten festgesetzt; folglich ist der auf § 80 Abs. 5 VwGO gestützte Antrag der Antragsteller statthaft. Die Kammer folgt mit dieser Rechtsauffassung der mittlerweile wohl herrschenden Meinung, die der Ansicht ist, weder dogmatische Gründe noch der Wortlaut des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO erforderten es, die aufschiebende Wirkung, die der Anfechtung des Sachbescheides zukommt, auf die Kostenentscheidung zu erstrecken. Denn die aufschiebende Wirkung ist eine teilbare Rechtsbehelfsfolge, die begrifflich nicht den gesamten Verwaltungsakt erfassen muss (Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. Rn. 696; a.A. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. § 80 Rn. 62, jeweils mit zahlreichen Nachw. aus der Rspr.). Die Gegenansicht stützt sich zu Unrecht auf § 22 Abs. 1 Hs. 2 VwKostG, nach dem ein Rechtsbehelf, der sich gegen die Sachentscheidung richtet, auch die Kostenentscheidung angreift. Zu Unrecht wird aus dieser Bestimmung der Schluss gezogen, die öffentliche Hand habe ein legitimes Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit einer Kostenforderung nicht, wenn diese von einem Verwaltungsakt abhänge, dessen Vollziehbarkeit durch die aufschiebende Wirkung gehemmt sei (vgl. VG Braunschweig, Beschluss vom 6.1.2005 -6 B 545/04 -, zitiert nach der Entscheidungssammlung des Nds. Oberverwaltungsgerichts). Richtig ist lediglich, dass die Kostenentscheidung in ihrem rechtlichen Bestand von der ihr zugrunde liegenden Sachentscheidung abhängt. Weitere verfahrensrechtliche Schlussfolgerungen hinsichtlich der aufschiebenden Wirkung etwaiger Rechtsbehelfe gegen derartige Entscheidungen sind von § 22 Abs. 1 Hs. 2 VwKostG indes nicht vorgegeben. So ist diese Vorschrift kein Grund, den eindeutigen Wortlaut des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO einschränkend auszulegen. Auch unter dem Gesichtpunkt der effektiven Finanzierung staatlicher Aufgaben, der dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Bescheide, mit denen öffentliche Abgaben und Kosten erhoben werden, zugrunde liegt, ist es nicht zwingend, diese Kostenerhebung in ihrer Vollziehbarkeit ebenso zu behandeln wie die Sachentscheidung. Denn der Verwaltungsaufwand, den die Kostenerhebung ausgleichen soll, ist erbracht worden und muss von der Verwaltung finanziert werden. Die Kammer sieht schließlich hierin auch keinen Widerspruch zum Rechtsschutzsystem des § 80 VwGO, wenn im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine unselbständige Kostenforderung eine gerichtliche Vorabprüfung der ihr materiell zugrunde liegenden Sachentscheidung erfolgen muss, obwohl der gegen die Sachentscheidung eingelegte Rechtsbehelf grundsätzlich aufschiebende Wirkung entfaltet und einer Überprüfung (erst) im Hauptsacheverfahren unterliegt. Dieses eher verfahrenspraktische Argument kann vor der vom Gesetzgeber mit § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO getroffenen Grundsatzentscheidung bei der Erhebung öffentlicher Abgaben und Kosten keinen Bestand haben.

5

Da es der Antragsgegner mit Verfügung vom 25. Februar 2008 abgelehnt hat, den Vollzug des Kostenbescheides auszusetzen, ist auch die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 80 Abs. 6 VwGO erfüllt.

6

Der auch sonst zulässige Antrag ist jedoch in der Sache unbegründet.

7

Der rechtliche Maßstab für die Beurteilung der Begründetheit des Antrages ergibt sich bei der Erhebung öffentlicher Abgaben und Kosten aus § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Diese Vorschrift regelt zwar nur die behördliche Aussetzungsentscheidung, bestimmt aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für die gerichtliche Anordnungsentscheidung. Danach soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- und Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Kammer hat ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Kostenbescheides vom 6. Februar 2008 nicht.

8

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Nds. Verwaltungskostengesetzes in der Fassung vom 25. April 2007 (Nds. GVBl S. 173) werden für Amtshandlungen im übertragenen Wirkungskreis der Gebietskörperschaften und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts nach diesem Gesetz Kosten (Gebühren und Auslagen) erhoben, wenn die Beteiligten zu der Amtshandlung Anlass gegeben haben. Die Einzelheiten regelt die auf § 3 Abs. 1 NVwKostG und § 66 Abs. 3 NBauO fußende Baugebührenordnung in der Fassung vom 13. Januar 1998 (Nds. GVBl S. 31), zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung vom 22. April 2005 (Nds. GVBl S. 126) - BauGO -. § 1 Abs. 1 BauGO bestimmt, dass für Amtshandlungen der Bauaufsichtsbehörden Gebühren und Auslagen nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage 1 zu dieser Verordnung erhoben werden. Nach Tz. 11.5. des Verzeichnisses wird für ordnungsbehördliche Maßnahmen nach § 89 NBauO eine Gebühr zwischen 54,00 und 1080,00 Euro erhoben. Die Mitteilung der Überleitung der gegen den Voreigentümer der Antragsteller ergangenen bauaufsichtlichen Verfügungen vom 19. März 1996, 11. November 2002 und 27. März 2003 nach § 89 Abs. 2 Satz 3 NBauO mit dem feststellenden Verwaltungsakt vom 6. Februar 2008 ist eine derartige ordnungsbehördliche Maßnahme nach § 89 NBauO. Gegen die Höhe der Gebühr von 315,09 Euro sind Einwände nicht vorgebracht und für die Kammer auch nicht zu erkennen.

9

Die Erhebung dieser Kosten ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil der Verwaltungsakt für den sie erhoben werden, rechtswidrig wäre. Eine derartige Rechtswidrigkeit der Sachentscheidung würde sich über § 11 NVwKostG nach niedersächsischem Landesrecht auch ohne eine dem § 22 Abs. 1 Hs. 2 VwKostG entsprechende Regelung auf die Kostenentscheidung auswirken. Denn § 11 Abs. 1 NVwKostG bestimmt, dass solche Kosten dem Kostenschuldner zu erlassen sind, die dadurch entstanden sind, dass die Sache unrichtig behandelt wurde. Im Sinne dieser Bestimmungen unrichtig ist jedes Verwaltungshandeln, das von der Rechtsordnung nicht gedeckt ist (vgl. Loeser/Barthel, NVwKostG, § 11 , Rn. 3.1. m.w.N.). Es ergibt sich jedoch, dass die Überleitung und die Androhung von Zwangsgeldern der Rechtsordnung entsprechen.

10

Gemäß § 89 Abs. 2 Satz 3 NBauO gelten bauaufsichliche Anordnungen auch gegenüber den Rechtsnachfolgern. Der Antragsgegner hat die Verbindlichkeit der gegen den Voreigentümer ergangenen, bestandskräftigen Verfügungen mit dem Überleitungsbescheid vom 6. Februar 2008 den Antragstellern gegenüber geltend gemacht. Der dergestalt in Anspruch Genommene kann sich bei gleicher Sach- und Rechtslage grundsätzlich nicht mehr gegen unanfechtbare Anordnungen nach § 89 Abs. 1 NBauO, sondern nur noch gegen seine Inanspruchnahme als Rechtsnachfolger oder gegen die Androhung eines Zwangsmittels wenden (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. § 89 Rn. 94). Einwände gegen die Inanspruchnahme als Rechtsnachfolger oder gegen die Androhung des Zwangsgeldes erheben die Antragsteller nicht. Mit ihren gegen die Rechtmäßigkeit der übergeleiteten Verfügungen vorgebrachten Einwänden dringen sie nicht durch.

11

Von dem Grundsatz, dass derartige Einwände gegen unanfechtbare Ordnungsverfügungen ausgeschlossen sind, ist eine Ausnahme dann zu machen, wenn ein Anspruch auf Rücknahme der Verfügungen nach §§ 51 Abs. 5 i.V.m. 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG besteht. Denn dann dürfte der Antragsgegner nicht nach § 89 Abs. 2 Satz 3 NBauO gegen die Antragsteller vorgehen. Auf einen derartigen Anspruch berufen sich die Antragsteller zu Unrecht. § 48 VwVfG stellt die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte in das Ermessen der Behörde. Mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit besteht nach der von der Kammer geteilten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes, wenn dessen Aufrechterhaltung "schlechthin unerträglich" wäre. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Behörde in gleichen oder ähnlichen Fällen Verwaltungsakte zurückgenommen hat, wenn die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als ein Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben erscheint, wenn das einschlägige Fachrecht eine Entscheidung im Sinne der Rücknahme vorgibt oder wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist ( BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 -6 C 32/06 -, NVwZ 2007, 709 [BVerwG 17.01.2007 - BVerwG 6 C 32.06]). Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn an dem Verstoß der streitigen Maßnahme gegen formelles oder materielles Recht vernünftiger Weise kein Zweifel besteht und sich deshalb die Rechtswidrigkeit aufdrängt (BVerwG, a.a.O.). Dies ist hier ersichtlich nicht der Fall. Die von den Antragstellern inmitten gestellte Frage, ob das von ihnen erworbene Gebäude ein Denkmal im Sinne von § 3 Abs. 2 NDSchG ist, wovon die auf sie übergeleiteten Ordnungsverfügungen ausgehen, ist nicht offensichtlich und ohne Zweifel dahin zu beantworten, dass es sich nicht um ein Denkmal handelt. Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein Gebäude ein Denkmal ist, ist dessen geschichtliche, künstlerische, wissenschaftliche oder städtebauliche Bedeutung. Diese Bedeutung ist anhand des Urteils eines sachverständigen Betrachters zu ermitteln ( OVG Lüneburg, Urteil vom 3.5.2006 -1 LB 16/05 -, zitiert nach der Internetentscheidungssammlung des Gerichts). Folglich handelt es sich um einen komplexen, von zahlreichen Einflussfaktoren abhängigen Wertungsvorgang, der ein eindeutiges Urteil, wie die Kammer aus zahlreichen denkmalschutzrechtlichen Klageverfahren weiß, nur in Ausnahmefällen zulässt. Jedenfalls bei dem von den Antragstellern bewohnten Haus kann nicht ohne jeden Zweifel davon ausgegangen werden, dass es sich dabei nicht um ein Denkmal handelt.

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Soweit sich die Antragsteller für ihr Begehren auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs berufen, verhilft dies dem Antrag nicht zum Erfolg. Die vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen für die Durchbrechung der Bestandskraft von Verwaltungsakten (vgl. zuletzt Urteil vom 12.2.2008 -C 2/06-, NVwZ 2008, 870 [EuGH 12.02.2008 - C 2/06]) sind hier aus zwei Gründen nicht einschlägig. Zum einen deshalb, weil dem hier streitigen Sachverhalt (Erhebung von Kosten für einen Überleitungsbescheid nach § 89 NBauO) jeglicher Europarechtsbezug fehlt, so dass Europarecht nicht zur Anwendung gelangen kann. Zum anderen deshalb, weil selbst unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung ein anderes Ergebnis als das vom Bundesverwaltungsgericht zu § 48 VwVfG gefundene nicht zu erzielen wäre. Eine Erweiterung des Anspruchs auf Rücknahme bestandskräftiger Verwaltungsakte gibt es durch die Rechtsprechung des EuGH nur für die Fälle, in denen dieser Verwaltungsakt gegen Europarecht verstößt und ein nationales Gericht seiner Vorlagepflicht nach Art. 234 EG nicht nachgekommen ist. Darum geht es hier nicht.

13

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Die Entscheidung über den Streitwert stützt sich auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer orientiert sich an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327 , Tz. 1.5), wonach in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der Streitwert bei auf bezifferte Geldleistungen gerichteten Verwaltungsakten mit 1/4 des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzusetzen ist.