Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 23.03.2005, Az.: L 3 KA 160/03

Rechtmäßigkeit sachlich-rechnerischer Berichtigungen vertragszahnärztlicher Leistungen bzgl. einer Wurzelspitzenresektion durch die kassenzahnärztliche Vereinigung; Ausschlussfrist für die Bekanntgabe eines Berichtigungsbescheids bzgl. einer vertragszahnärztlichen Honorarabrechnung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
23.03.2005
Aktenzeichen
L 3 KA 160/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 36734
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2005:0323.L3KA160.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 19.03.2003 - AZ: S 35 KA 1262/98

Tenor:

Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 19. März 2003 und der Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 1998 werden aufgehoben.

Die Beklagte hat die Kosten des Klägers aus beiden Rechtszügen zu erstatten.

Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit sachlich-rechnerischer Berichtigungen vertragszahnärztlicher Leistungen, die nach der Nummer 54b und c des Gebührentarifs A der Anlage 1 zum Vertrag zwischen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. sowie dem Verband der Arbeiter-Ersatzkassen e.V. (EKV-Z, entsprechend dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen (Bema-Z)) abgerechnet worden sind.

2

Der Kläger ist als Zahnarzt niedergelassen, wobei er bis 30. September 1993 in Einzelpraxis tätig war und seitdem eine Gemeinschaftspraxis mit Dr. Dr. H. führt; er nimmt an der vertragszahnärztlichen Versorgung teil. Im Quartal III/1993 führte er bei 12 Versicherten der Beigeladenen Wurzelspitzenresektionen an Seitenzähnen durch; dabei brachte er die Ziffer 54b bzw. c Bema-Z für jede der behandelten Wurzelspitzen in Ansatz. Die Beklagte legte die entsprechende Abrechnung ihrer Honorarfestsetzung für das Quartal III/1993 zugrunde; den entsprechenden Honorarbescheid gab sie am 21. Dezember 1993 zur Post.

3

Mit Schreiben vom 5. Mai 1994 beantragte die Beigeladene die sachlich-rechnerische Berichtigung der Abrechnung je Wurzelspitze und berief sich hierzu auf eine Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf. Die Beklagte teilte der Beigeladenen unter dem 28. September 1994 mit, eine Berichtigung der Gebührennummer 54a-c könne "derzeit nicht vorgenommen werden". Die Auffassung des SG Düsseldorf könne nicht überzeugen, während eine Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Schleswig-Holstein dafür spreche, den Zahnarzt je resezierter Wurzelspitze zu entschädigen. Derzeit sei in Niedersachsen vor dem SG Hannover ein Rechtsstreit in gleicher Sache anhängig. Die Beigeladene legte hiergegen mit Schreiben vom 17. August 1995 "Widerspruch" ein und wies darauf hin, dass ein entsprechendes Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) anhängig sei. Die Beigeladene sei mit einem Ruhen des Widerspruchsverfahrens bis zur höchstrichterlichen Klärung der streitigen Frage einverstanden und schlage vor, weitere Berichtigungsanträge bis zur rechtskräftigen Entscheidung des BSG zurückzustellen, soweit die Beklagte im Gegenzug auf die Einrede der Verjährung verzichte.

4

Dem Kläger erteilte die Beklagte mit Schreiben vom 30. November 1995 eine "Vorabinformation" als "Sachstandsmitteilung", wonach die Beigeladene die rechnerische, gebührenordnungs- und vertragsmäßige Prüfung der Gebühren-Nummer 54a - c beantragt habe. Eine definitive Bewertung und Auslegung dieser Nummer könne derzeit noch nicht vorgenommen werden, da vor dem SG Hannover ein Rechtsstreit bezüglich der Mehrfachabrechnung der Wurzelspitzenresektionen je Zahn anhängig sei.

5

Mit Bescheid vom 27. Februar 1998 berichtigte die Beklagte achtzehn nach der Ziffer 54b und zwei nach der Ziffer 54c abgerechnete Leistungen und wies insoweit eine Lastschrift in Höhe von 2.894,65 DM aus. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 5. März 1998 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er sich auf die Entscheidung des LSG Schleswig-Holstein berief. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 1998 zurück. Nach dem BSG-Urteil vom 13. Mai 1998 (B 6 KA 34/97 R) sei die Leistung der Gebühren-Nummer 54b auch nur dann einmal je Zahn abrechnungsfähig, wenn der Zahn mehrwurzelig sei. Dem Widerspruchsbescheid war eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht beigefügt. Mit an den Kläger adressiertem "Bescheid zur Vierteljahresabrechnung II/98" vom 28. September 1998 führte die Beklagte eine Honorarkontobelastung in Höhe von 2.894,65 DM durch. Der hiergegen vom Kläger eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 6. November 1998 zurückgewiesen.

6

Mit Schriftsatz vom 7. Dezember 1998 - am selben Tag bei dem SG Hannover eingegangen - haben der Kläger und Dr. Dr. I. Klage wegen "Honorarabrechnung II/1998" mit dem Antrag erhoben, "den Bescheid der Beklagten vom 15. 07.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.11.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Klägern den einbehaltenen Betrag in Höhe von 2.894,65 DM für die Leistungen nach Gebühren-Nummer 54b auszuzahlen". Im Verlauf des Klageverfahrens (mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2002) ist die Klage von Dr. Dr. I. zurückgenommen und der Klageantrag (ausschließlich) auf den Bescheid vom 27. Februar 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 1998 bezogen worden. Zur Klagebegründung hat der Kläger mitgeteilt, die Fehlerhaftigkeit der Berichtgung selbst werde aufgrund des zwischenzeitlich ergangenen BSG-Beschlusses vom 15. Mai 2002 nicht mehr gerügt. Die Honorarberichtigung sei jedoch verfristet, weil der Honorarbescheid für das Quartal III/1993 noch im Jahr 1993 ergangen sei, während der Honorarberichtigungsbescheid vom 27. Februar 1998 datiere und damit nach Abschluss der vierjährigen Ausschlussfrist ergangen sei. Die Vorabinformation vom 30. November 1995 habe keine die Ausschlussfrist unterbrechende Wirkung. Außerdem hat er geltend gemacht, dass sich infolge der sachlich-rechnerischen Berichtigung die für 1993 vorgenommene Degressionskürzung vermindern müsse.

7

Die Beklagte hat im Klageverfahren u.a. die Auffassung vertreten, es sei eine Unterbrechung der Verjährung eingetreten, weil sie das Verwaltungsverfahren im Hinblick auf das Musterverfahren vor dem BSG ausgesetzt und dies dem Kläger durch Schreiben vom 30. November 1995 mitgeteilt habe.

8

Mit Urteil vom 19. März 2003 hat das SG die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Klage vom 7. Dezember 1998 sei bezogen auf den Bescheid vom 27. Februar 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 1998 nicht innerhalb der einmonatigen Klagefrist erhoben worden.

9

Gegen das ihm am 26. März 2003 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 24. April 2003 Berufung eingelegt, die am selben Tag bei dem LSG Niedersachsen-Bremen eingegangen ist. Entgegen der Auffassung des SG sei die Klage fristgerecht erhoben worden, weil der Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 1998 keine Rechtsmittelbelehrung enthalten habe und deshalb die Jahresfrist gemäß § 66 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gelte. Diese Frist sei durch die Klageschrift vom 7. Dezember 1998 gewahrt worden, weil hierin von Anfang an ersichtlich gewesen sei, dass er die Überprüfung der angeblichen Überzahlung in Höhe von 2.894,65 DM im II. Quartal 1998 betreffend die rechnerische Berichtigung für das III. Quartal 1993 begehre. In der Sache beruft er sich weiterhin auf den Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist. Diese sei nicht durch die Mitteilung der Beklagten vom 30. November 1995 unterbrochen worden, weil es hierzu eines förmlichen Verfahrens bedurft hätte, wie es das BSG in einem Prüfbescheid oder der förmlichen Zustellung eines Beiladungsbeschlusses gesehen habe.

10

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 19. März 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 1998 aufzuheben.

11

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

12

Die Klage sei unzulässig, weil der Kläger den Bescheid vom 27. Februar 1998 nicht in der Klageschrift, sondern erst mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2002 angefochten habe. Im Übrigen hält die Beklagte die Klage auch für unbegründet und verweist insoweit auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Zumindest sei die Berufung auf die vierjährige Ausschlussfrist rechtsmissbräuchlich, denn sie habe den Kläger bereits mit Schreiben vom 30. November 1995 darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Mehrfachabrechnung der Wurzelspitzenresektionen je Zahn bereits Rechtsstreitigkeiten anhängig seien, von deren Ausgang die Entscheidung über den Berichtigungsantrag der Beigeladenen abhänge. Angesichts der Tatsache, dass gerichtliche Verfahren häufig erst nach mehreren Jahren rechtskräftig entschieden werden, habe der Kläger damit rechnen müssen, dass die Beklagte möglicherweise die Vierjahresfrist nicht einhalten könne. Sich angesichts dessen auf den Eintritt der Ausschlussfrist zu berufen, bedeute das Ausnutzen einer ihm allein formal zustehenden Rechtsposition.

13

Die Beigeladene hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15

Die Berufung ist zulässig und begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

16

Die Klage ist zulässig. Wie sich aus dem erstinstanzlichen Schriftsatz des Klägers vom 4. Oktober 2002 und dessen Antrag in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 19. März 2003 ergibt, richtet sie sich (nunmehr) allein gegen den Bescheid vom 27. Februar 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 1998, in dem die Beklagte Leistungen nach der Gebühren-Ziffer 54b und c Bema-Z berichtigt hatte, die vom Kläger im Rahmen seiner früheren Einzelpraxis in achtzehn bzw. zwei Fällen in Ansatz gebracht worden waren. Da das Klageziel in der Sache darauf gerichtet ist, die den Kläger belastenden Berichtigungsbescheide ersatzlos aufzuheben, ist die Klage als isolierte Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG statthaft.

17

Entgegen der Auffassung des SG hat der Kläger auch die Klagefrist eingehalten. Grundsätzlich ist die Klage zwar binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids (§ 87 Abs. 1 und 2 SGG) zu erheben. Dies gilt jedoch nicht, wenn dem Widerspruchsbescheid nicht die in § 66 Abs. 1 SGG vorgesehene Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt worden ist, wie dies im Hinblick auf den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 15. Juli 1998 der Fall gewesen ist. In diesem Fall kann die Klage gemäß § 66 Abs. 2 SGG noch innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids erhoben werden, so dass die Klagefrist hier frühestens am 16. Juli 1999 abgelaufen wäre. Der Kläger hat jedoch bereits mit Schriftsatz vom 7. Dezember 1998 Klage erhoben, die am selben Tag beim SG Hannover eingegangen ist und sich (zumindest auch) ausdrücklich gegen den (Widerspruchs-)Bescheid vom 15. Juli 1998 gerichtet hat. Bereits aus dem dort angekündigten Antrag ergab sich, dass sich der Kläger gegen die Nichtvergütung der berichtigten Leistungen im Wert von 2.894,65 DM und damit (auch) gegen die entsprechenden sachlich-rechnerischen Berichtigungen gewandt hat, die in den Bescheiden vom 27. Februar bzw. 15. Juli 1998 vorgenommen worden sind. Dass der Bescheid vom 27. Februar 1998 nicht ausdrücklich genannt und der Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 1998 nur als "Bescheid" bezeichnet worden ist, ist in diesem Zusammenhang unschädlich, weil das Gericht gemäß § 123 SGG über die erhobenen Ansprüche zu entscheiden hat, ohne an den Wortlaut der Anträge gebunden zu sein.

18

Das SG hat aufgrund seiner abweichenden Auffassung die Klage abgewiesen, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. In diesem Fall könnte der Senat die angefochtene Entscheidung gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG aufheben und die Sache an das SG zurückverweisen. Dies ergibt sich auch aus § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG, weil das SG-Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet; denn zur Frage einer möglichen Verfristung der Klage hatte es den Beteiligten kein rechtliches Gehör gewährt (§ 62 SGG) und damit im Ergebnis ein unzulässiges Überraschungsurteil gefällt. Im Hinblick darauf, dass das gesamte Verfahren (einschließlich des Verwaltungsverfahrens) bereits seit mehr als zehn Jahren andauert (beginnend mit dem Antrag der Beigeladenen vom 5. Mai 1994), hat der Senat von einer Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht jedoch abgesehen und entscheidet in der Sache.

19

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 27. Februar 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 1998 ist rechtswidrig.

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Rechtsgrundlage der dort getroffenen Entscheidung ist § 12 Abs. 1 EKV-Z, der auf der Grundlage des § 82 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) abgeschlossen worden ist. Satz 1 dieser Regelung sieht vor, dass die Kassen-zahnärztliche Vereinigung (KZV) die Abrechnungen der Vertragszahnärzte rechnerisch und gebührenordnungsmäßig überprüft und sie richtigstellt. Danach übersendet die KZV die Abrechnungen an die Vertragskassen (Satz 2). Die Vertragskassen können innerhalb von zwei Monaten nach Eingang der Abrechnung Prüfungsanträge bei der KZV stellen (Satz 3).

21

Die Zweimonatsfrist hat die Beigeladene mit ihrem Antrag vom 5. Mai 1994 u.U. zwar nicht gewahrt. Für die Befugnis der Beklagten, die Abrechnungen der Vertragszahnärzte zu prüfen und ggf. zu berichtigen, ist dies jedoch unerheblich; denn die Frist ist allenfalls für das Verhältnis zwischen KZV und Vertragskassen von Bedeutung (Senatsurteil vom 12. Februar 2003 - L 3 KA 90/01; ebenso BSG SozR 4-2500 § 87 Nr. 5).

22

Im Grundsatz bestand auch Anlass zur Durchführung der streitbefangenen Berichtigungen. Nach der Rechtsprechung des BSG ist die Gebühren-Ziffer 54b im Gebührentarif A der Anlage 1 zum EKV-Z bei der Wurzelspitzenresektion an einem Seitenzahn auch dann nur einmal abrechenbar, wenn mehrere Wurzelspitzen reseziert werden. Dies hat das BSG in ständiger Rechtsprechung (SozR 3-5555 § 10 Nr. 1; Beschluss vom 15. Mai 2002 - B 6 KA 82/01 B) entschieden und wird in der Sache auch vom Kläger nicht mehr in Frage gestellt. Der erkennende Senat hat sich in seiner Entscheidung vom 12. Februar 2003 (a.a.O.) der genannten BSG-Rechtsprechung angeschlossen und diese auch auf die Gebühren-Nummer c erstreckt, weil diese keinen gegenüber den Alternativen a und b eigenständigen Leistungstatbestand enthält, sondern lediglich für den Fall eine abgesenkte Punktzahl vorsieht, dass neben einem Front- oder Seitenzahn ein weiterer benachbarter Zahn in derselben Kieferhälfte und in derselben Sitzung reseziert wird.

23

Den von der Beklagten vorgenommenen sachlich-rechnerischen Berichtigungen steht jedoch entgegen, dass der entsprechende Bescheid erst nach Ablauf der hierfür geltenden vierjährigen Ausschlussfrist erlassen worden ist. Die Beachtung einer solchen Frist hat das BSG erstmals in seinem Urteil vom 16. Juni 1993 (SozR 3-2500 § 106 Nr. 19) im Hinblick auf das rechtsstaatliche Gebot der Rechtssicherheit (Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG)) für die Durchführung der vertrags(zahn)ärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung für erforderlich gehalten, wobei es sich auf den in § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) vorgesehenen Zeitraum der Verjährung von Ansprüchen gestützt hat. In späteren BSG-Entscheidungen ist dies auch auf das Verfahren der sachlich-rechnerischen Berichtigung ausgedehnt worden (SozR 3-5535 Nr. 119 Nr. 1; SozR 3-2500 § 82 Nr. 3); der erkennende Senat schließt sich dieser ständigen Rechtsprechung an (vgl. bereits Urteil vom 25. Juni 2003 - L 3 KA 248/02).

24

Demnach ist erforderlich, dass dem Kläger vor dem Ablauf von vier Jahren nach Ergehen der Honorarabrechnung für das hier streitbefangene Quartal III/1993 der diesbezügliche Berichtigungsbescheid bekannt gegeben worden ist. Geht man für den Beginn der Frist vom Wirksamwerden des Honorarbescheids aus, der nach Angaben der Beklagten am 21. Dezember 1993 zur Post gegeben worden war, ist gemäß §§ 37 Abs. 2 Satz 1, 39 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) der 24. Dezember 1993 maßgeblich; legt man - auch insoweit in entsprechender Anwendung des § 45 Abs. 1 SGB I - das Ende des entsprechenden Kalenderjahres zugrunde (so Bayerisches LSG, Urteil vom 6. August 2003 - L 3 KA 516/01; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 28. April 2004 - L 11 KA 150/03), ist der 31. Dezember 1993 entscheidend. Der hier angefochtene Berichtigungsbescheid ist aber erst nach Ablauf des Jahres 1997 erlassen worden, nämlich am 27. Februar 1998, so dass dieser die Ausschlussfrist in keinem Fall gewahrt hat.

25

Die Frist ist auch nicht durch die vorangegangenen Schreiben der Beklagten vom 28. September 1994 (an die Beigeladene) bzw. vom 30. November 1995 (an den Kläger) gewahrt worden. Das BSG hat zwar entschieden, dass auch ein dem Vertrags(zahn)arzt bekanntgegebener Bescheid, der die Berichtigung ursprünglich abgelehnt hatte, später aber wieder aufgehoben worden ist, zur Wahrung der Frist ausreicht (SozR 3-2500 § 106 Nr. 39). Wie sich aus den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten ergibt, war die Mitteilung vom 28. September 1994, die von der Beigeladenen beantragte Berichtigung könne derzeit nicht vorgenommen werden, dem Kläger nicht bekannt gemacht worden, so dass unentschieden bleiben kann, ob hierin überhaupt ein Verwaltungsakt nach § 31 SGB X gesehen werden könnte. Die stattdessen an den Kläger gerichtete "Vorabinformation" vom 30. November 1995 ist kein Verwaltungsakt, weil die Beklagte ihm damit ausdrücklich nur die Sachstandsmitteilung erteilt hat, dass die definitive Bewertung und Auslegung der Gebühren-Nummer 54a-c zur Zeit nicht vorgenommen werden könne.

26

Anhaltspunkte dafür, dass der Ablauf der Ausschlussfrist unterbrochen worden ist, liegen nicht vor. Das BSG geht insoweit von der Anwendbarkeit der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) über die Unterbrechung der Verjährung aus und wendet insbesondere § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB (bis 31. Dezember 2001: § 209 Abs. 1 BGB) entsprechend an, wenn die antragstellende Krankenkasse Untätigkeitsklage auf Erteilung einer Prüfentscheidung erhoben hat; in diesem Fall tritt die Unterbrechung mit Zustellung des Beschlusses über die notwendige Beiladung des Vertags(zahn)arztes ein (SozR 3-2500 § 106 Nr. 30). Die Beigeladene hat eine derartige Klage jedoch nicht erhoben.

27

Schließlich beruft sich der Kläger auch nicht rechtsmissbräuchlich auf den Ablauf der Ausschlussfrist. Ein derartiges rechtsmissbräuchliches Verhalten kann etwa vorliegen, wenn der Vertrags(zahn)arzt selbst auf die Verhinderung oder Verschleppung des Prüfverfahrens hingewirkt hat (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 19) oder wenn er (wissentlich) Falschabrechnungen vorgenommen hat (BSG, Urteil vom 10. Mai 1995 - 6/14a Rka 3/93). Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor.

28

Der Senat hat eine missbräuchliche Geltendmachung der Ausschlussfrist auch erwogen, weil dem Kläger insoweit ein schutzwürdiges Eigeninteresse fehlen könnte (vgl. hierzu: Heinrichs in Palandt, BGB, 64. Aufl., § 242 Rdnr. 50), da er spätestens seit der "Vorabinformation" vom 30. November 1995 mit der Möglichkeit einer nachträglichen sachlich-rechnerischen Berichtigung rechnen musste. Die bloße Kenntniserlangung einer solchen Möglichkeit vor Ablauf der Ausschlussfrist schließt deren Eingreifen jedoch nicht aus. Denn ihr Zweck besteht nicht nur darin, den "ahnungslosen" Vertrags(zahn)arzt davor zu schützen, sich nach mehr als vier Jahren einer überraschenden Honorarberichtigung ausgesetzt zu sehen. Vielmehr soll mit der Ausschlussfrist der Gefahr eines "ewigen Prüfungsverfahrens" begegnet werden (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 19). Diese besteht aber auch dann, wenn der Vertrags(zahn)arzt durch formlose Mitteilungen der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung oder durch Dritte Kenntnis über ein laufendes Prüfverfahren erhalten hat und dieses über viele Jahre nicht abgeschlossen wird. Zu Recht hat der Kläger im Berufungsverfahren deshalb darauf hingewiesen, dass das BSG eine zwischenzeitliche Kenntnisgabe des Prüfungs- bzw. Berichtigungsverfahrens nur dann als schädlich ansieht, wenn diese in einem "förmlichen Verfahren" (nämlich - wie dargelegt - durch Bescheid oder etwa durch Beiladung im Rahmen einer Untätigkeitsklage der Krankenkasse) erfolgt (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 39). Dem liegt die auch in § 204 BGB zum Ausdruck kommende Erwägung zu Grunde, dass es aus Gründen der Rechtssicherheit erforderlich ist, den Ablauf der Ausschlussfrist nur durch solche Verfahrensakte zu hindern, deren Zugangszeitpunkt auf der Grundlage gesetzlicher Vorschriften (vgl. etwa § 37 Abs. 2 SGB X, § 63 Abs. 2 SGG) eindeutig festgestellt werden kann. Ein derartiger an den Kläger gerichteter Formalakt liegt jedoch nicht vor. Dabei kann vorliegend die Frage offenbleiben, ob hierzu etwa auch schon die Mitteilung eines Beschlusses der Prüfstelle gehören könnte, das Verfahren bis zur Entscheidung eines gerichtlichen Musterverfahrens förmlich auszusetzen oder ruhen zu lassen. Denn das Schreiben der Beklagten vom 30. November 1995 enthielt - entgegen der von der Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren geäußerten Auffassung - keine Mitteilung einer derartigen Entscheidung.

29

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG (in der bis zum 01. Januar 2002 geltenden Fassung).

30

Gründe, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.