Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 16.03.2005, Az.: L 4 KR 17/02
Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kostenübernahme für Behandlungen nach der Methode Dr. Kozijavkin wegen Multipler Sklerose
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 16.03.2005
- Aktenzeichen
- L 4 KR 17/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 12639
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2005:0316.L4KR17.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 20.12.2001 - AZ: S 2 KR 960/00
Rechtsgrundlagen
- § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V
- § 18 SGB V
Fundstelle
- GesR 2005, 284
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Kostenübernahme für Behandlungen nach der Methode Dr. Kozijavkin wegen Multipler Sklerose.
Der im März 1965 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten. Er leidet an Multipler Sklerose. Mit Schreiben vom 9. Oktober 1998 beantragte er bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Behandlung bei Dr. Kozijavkin vom 20. Juli bis 3. August 1998. Er machte für Flug, Unterkunft, Verpflegung und Behandlung einen Gesamtbetrag von 9.339,00 DM geltend. Mit Bescheid vom 16. Oktober 1998 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Am 13. August 1999 stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Kostenübernahme in Gesamthöhe von 9.585,00 DM für eine Behandlung bei Dr. Kozijavkin vom 22. Juni bis 6. Juli 1999, den die Beklagte mit Bescheid vom 30. August 1999 ablehnte. Auch hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Schließlich lehnte die Beklagte auch den Kostenübernahmeantrag des Klägers vom 14. August 2000 in Gesamthöhe von 9.516,20 DM für die Behandlung bei Dr. Kozijavkin vom 30. Mai bis 13. Juni 2000 ab (Bescheid vom 23. August 2000). Den Widerspruch dagegen wies die Beklagte zusammen mit den beiden zuvor erhobenen Widersprüchen mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2000 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 12. Dezember 2000 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Das SG hat die drei Rechtsstreitigkeiten zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem führenden Aktenzeichen: S 2 KR 960/00 verbunden. Es hat die Klagen sodann durch Gerichtsbescheid vom 20. Dezember 2001 abgewiesen: Ein Anspruch des Klägers auf Kostenübernahme nach § 18 Abs. 1 und 2 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) bestehe nicht. Verfahren zur Behandlung von Multipler Sklerose, die dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprächen, gäbe es auch im Inland. Das ergebe sich aus dem von der Beklagten eingeholten Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen. Im Übrigen entspreche die Methode nach Dr. Kozijavkin nicht dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse. Das habe das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 14. Februar 2001, Az.: B 1 KR 29/00 R entschieden.
Gegen den ihm am 28. Dezember 2001 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 22. Januar 2002 Berufung eingelegt und zahlreiche medizinische Unterlagen übersandt. Nach Ansicht namhafter Mediziner in der Bundesrepublik Deutschland gebe es bis heute keine mit der Behandlung nach Dr. Kozijavkin vergleichbare Methode, die in ähnlich kurzer Zeit einen solchen Erfolg bringe. Die komplexe Behandlung bei Dr. Kozijavkin werde daher auch von anerkannten deutschen Spezialisten empfohlen. Bei ihm - dem Kläger - habe die Behandlung zu hervorragenden Ergebnissen geführt. Das werde von der Ergotherapeutin C. und von dem Krankengymnasten D. bestätigt.
Der Kläger beantragt,
- 1.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 20. Dezember 2001 sowie die Bescheide der Beklagten vom 16. Oktober 1998, 30. August 1999 und 23. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2000 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, die im Zusammenhang mit der Behandlung durch Dr. Kozijavkin in den Zeiträumen vom 20. Juli bis 3. August 1998, vom 22. Juni bis 6. Juli 1999 und vom 30. Mai bis 13. Juni 2000 entstandenen Kosten zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Der Senat hat zahlreiche Unterlagen in das Verfahren eingeführt, u.a. aus dem Verfahren vor dem LSG Niedersachsen-Bremen: L 4 KR 46/01, das die Behandlung der Infantilen Zerebralparese mit der Methode Dr. Kozijavkin betrifft. Der Senat hat ferner eine gutachterliche Stellungnahme des Chefarztes der Klinik für Manuelle Therapie e.V. in Hamm Dr. E. vom 26. April 2004 eingeholt.
Die Verwaltungsakten der Beklagten, die Akten im Parallelverfahren L 4 KR 101/04 nebst Beiakten, die Akten des Sozialgerichts Hannover S 2 KR 961/00 und S 2 KR 962/00 haben mit den Prozessakten des vorliegenden Rechtsstreits vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vortrages der Beteiligten wird auf diese Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Berufung des Klägers ist zulässig.
Sie ist jedoch unbegründet.
Dem Kläger steht kein Anspruch auf Verurteilung der Beklagten zur Übernahme der Kosten zu, die anlässlich seiner Behandlung durch Dr. Kozijavkin in der Ukraine entstanden sind. Er hat auch keinen Anspruch auf Neubescheidung.
Ein Anspruch auf Verurteilung der Beklagten zur Kostenübernahme ergibt sich nicht aus zwischenstaatlichem Recht. Denn zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ukraine bestehen keine Vereinbarungen über die Gewährung von Krankenversicherungsleistungen.
Es besteht auch kein Anspruch auf Verurteilung der Beklagten zur Kostenübernahme nach deutschem Recht.
Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in Verbindung mit Europäischem Gemeinschaftsrecht ruht ein Anspruch auf Leistungen aus der deutschen Krankenversicherung, solange sich ein Versicherter im Ausland aufhält, das nicht zum Vertragsgebiet der Europäischen Union (EU) gehört. Die Ukraine ist kein Mitgliedsstaat der EU. Ansprüche des Klägers nach dem SGB V haben während seiner Aufenthalte in der Ukraine daher grundsätzlich geruht.
Eine Ausnahme hiervon besteht für den Anspruch des Klägers auf Verurteilung der Beklagten zur Kostenübernahme nicht. Zwar hat der Gesetzgeber in § 18 SGB V von dem grundsätzlichen Ruhen eines Leistungsanspruches bei Auslandsaufenthalt Ausnahmen vorgesehen. § 18 SGB V gewährt jedoch lediglich Ermessensleistungen. Der Kläger hat daher keinen Rechtsanspruch auf Leistungsgewährung.
Ihm steht aber auch kein Anspruch auf Neubescheidung durch die Beklagte nach § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB zu.
Die Frage, ob die Methode Dr. Kozijavkin die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V erfüllt, war bereits Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung. Das BSG hat in seinem Urteil vom 14. Februar 2001 (B 1 KR 29/00 R in SozR 3-2500 § 18 Nr. 6) entschieden, dass die Behandlungsmethode Dr. Kozijavkin bis einschließlich August 1999 nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V entsprochen hat. Nach Ansicht des BSG war die Methode bis zu diesem Zeitpunkt wissenschaftlich nicht anerkannt. Das Therapiekonzept von Dr. Kozijavkin sei in den seinerzeit verfügbaren Äußerungen deutscher Wissenschaftlicher und sozialpädiatrischer Ärzte überwiegend skeptisch bis ablehnend beurteilt worden. Das könne sich jedoch geändert haben, nachdem das Behandlungskonzept Dr. Kozijavkin und die mit dieser Methode erzielten Ergebnisse auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin im September 1999 einem Fachpublikum vorgestellt und veröffentlicht worden seien. Damit ist höchstrichterlich entschieden, dass die Tatbestände des § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB V für Behandlungen bei Dr. Kozijavkin bis August 1999 nicht erfüllt sind. Der Kläger hat daher schon aus diesem Grund für seine Behandlungen im Sommer 1998 und im Sommer 1999 keinen Anspruch auf Neubescheidung durch die Beklagte.
Ihm steht auch kein Anspruch auf Neubescheidung nach § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB V für die Behandlungen vom 30. Mai bis 13. Juni 2000 zu.
Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung im Ausland ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann die Krankenkasse darüber hinaus weitere Kosten für den Versicherten und für eine erforderliche Begleitperson ganz oder teilweise übernehmen (§ 18 Abs. 2 SGB V). Nach der Rechtsprechung des BSG entspricht eine Behandlungsmethode dann dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, wenn sie nicht nur von einzelnen Ärzten, sondern von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute, also von Ärzten und Wissenschaftlern, befürwortet wird. Von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen muss über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens bestehen (BSG, Urteil vom 14. Februar 2001, a.a.O.). Dem schließt sich der erkennende Senat an. Er versteht die Definition des BSG allerdings in dem Sinne, dass nur diejenige Methode medizinischer Standard ist, deren Wirksamkeit belegt ist.
Die Behandlung von Multipler Sklerose mit der Methode Dr. Kozijavkin hat auch im Jahre 2000 nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprochen. Der Kläger kann sich insoweit nicht auf die Rechtsprechung des erkennenden Senat berufen.
Zwar hat der erkennende Senat wiederholt entschieden, dass die Methode Dr. Kozijavkin seit September 1999 dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse im Sinne von § 18 Abs. 1 SGB V entspricht (LSG Niedersachsen-Bremen , Urteile vom 24. September 2003 - L 4 KR 204/00 - und vom 16. Juni 2004 - L 4 KR 101/04 -). Beide Entscheidungen des Senats betrafen jedoch die Behandlung der Infantilen Zerebralparese. Nur bezüglich dieser Erkrankung hat der Senat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V bejaht. Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um die Behandlung einer Infantilen Zerebralparese. Der im Behandlungszeitraum bereits 35-jährige Kläger leidet vielmehr an Multipler Sklerose. Die Urteile des Senats vom 24. September 2003 und 16. Juni 2004 sind daher nicht einschlägig.
Aufgrund der gutachterlichen Stellungnahme des Chefarztes der Klinik für Manuelle Therapie e.V. in Hamm Dr. E. vom 26. April 2004 hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass die Anwendung der Methode Dr. Kozijavkin bei Multipler Sklerose nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht.
Nach den Bekundungen von Dr. E. beruht die Methode Dr. Kozijavkin auf einem multimodalen Behandlungskonzept. Im Vordergrund der Therapie steht der manualtherapeutische und multimodale Therapieansatz. Dr. E. führt in seiner Stellungnahme wiederholt aus, dass die Behandlung der Multiplen Sklerose mit einem manualtherapeutischen Ansatz neu ist. Es gibt - so Dr. E. - nur sehr wenige Therapeuten, die Multiple Sklerose-Patienten mit Manualtherapie behandeln. Außer seiner eigenen Klinik, der Klinik für Manuelle Therapie, hat Dr. E. keine andere Einrichtung und keinen anderen Therapeuten nennen können, die einen manualtherapeutischen Ansatz bei der Behandlung von Multipler Sklerose verfolgen. Aus der schlüssigen und folgerichtigen Darstellung von Dr. E. ergibt sich daher zur Überzeugung des Senats, dass die Methode Dr. Kozijavkin für die Behandlung der Multiplen Sklerose daher nicht allgemein akzeptiert ist. Damit entspricht sie nicht - wie auch Dr. E. ausführt - dem Stand der medizinischen Erkenntnisse.
Die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind für die Behandlung des Klägers bei Dr. Kozijavkin im Jahre 2000 daher nicht erfüllt, auch wenn die Behandlung bei ihm nach der Beurteilung seiner Ergotherapeutin und seines Krankengymnasten positiv gewirkt hat. Die Berufung kann keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Zur Zulassung der Revision besteht kein gesetzlicher Grund (§ 160 Abs. 2 SGG).