Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.08.2007, Az.: 1 K 11553/04
Ansehung der privaten Nutzung eines gestellten Einsatzfahrzeuges des Deutschen Roten Kreuzes als geldwerter Vorteil des Empfängers; Voraussetzungen für das Fehlen einer steuerpflichtigen Einnahme
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 24.08.2007
- Aktenzeichen
- 1 K 11553/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 39110
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2007:0824.1K11553.04.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 1 EStG
- § 8 Abs. 1 EStG
Fundstellen
- DStR 2007, VI Heft 49 (red. Leitsatz)
- DStRE 2008, 336-337 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2007, 1938-1939 (Volltext mit red. LS)
- KÖSDI 2008, 15852 (Kurzinformation)
- LGP 2007, 201
- NWB direkt 2008, 9
- PuR 2008, 24
- WISO-SteuerBrief 2008, 4
- Jurion-Abstract 2007, 228708 (Zusammenfassung)
Verfahrensgegenstand
Einkommensteuer 2002
Amtlicher Leitsatz
Orientierungssatz:
Kfz-Gestellung auch für private Fahrten ausnahmsweise kein geldwerter Vorteil beim Empfänger
Tatbestand
Der Kläger ist hauptberuflich als Lehrrettungsassistent beim Deutschen Roten Kreuz nicht selbstständig beschäftigt.
Ferner ist er u.a. ehrenamtlich als Technischer Einsatzleiter im Rahmen der vom Landkreis X eingerichteten "örtlichen Einsatzleitung" tätig. Die Einrichtung der örtlichen Einsatzleitungen als Führungsgruppe beruht auf dem Niedersächsischen Rettungsdienstgesetz. Die örtliche Einsatzleitung kommt zum Einsatz insbesondere bei größeren Unfällen mit zahlreichen Verletzten. Die örtliche Einsatzleitung besteht aus einem leitenden Notarzt und einem technischen Einsatzleiter. Dem technischen Einsatzleiter steht ein Sonderfahrzeug mit Blaulicht, Martinshorn, Sprech- und Mobilfunk zur Verfügung, mit dem er bei einer Alarmierung den leitenden Notarzt abholt und mit ihm gemeinsam zur Einsatzstelle fährt. Der Kläger teilte sich die jeweils eine Woche dauernde Rufbereitschaft für diesen Dienst im Streitjahr mit 8 Kollegen; das heißt, dass er im Jahr 2002 alle 8 Wochen eine Woche durchgehend Rufbereitschaft hatte. Während dieser Bereitschaftswoche musste der Kläger das Sonderfahrzeug auf Anordnung des Landkreises ständig bei sich führen, um Verzögerungen bei der Alarmierung zu vermeiden. Deshalb musste der Kläger, wenn er sich nicht zu Hause aufhielt, das Fahrzeug zu jedem beruflichen oder privaten Ziel mitnehmen. Der Kläger erhielt im Streitjahr für diese ehrenamtliche Tätigkeit eine Aufwandsentschädigung von EUR 1.023,60, die der Beklagte als Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit (§ 18 Einkommensteuergesetz - EStG -) behandelte. Der Kläger benutzte im Streitjahr während seiner Bereitschaftswochen als technischer Einsatzleiter das ihm zur Verfügung gestellte Einsatzfahrzeug auf einer Gesamtstrecke von 1.378 Kilometern auf Fahrten, deren Anlass privater Natur war.
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob dem Kläger für diese Privatfahrten mit dem Einsatzfahrzeug ein geldwerter Vorteil als steuerliche Einnahme zuzurechnen ist.
Der Beklagte vertrat im Steuerfestsetzungsverfahren die Auffassung, dass jedwede private Nutzung des Einsatzfahrzeugs als geldwerter Vorteil steuerlich zu erfassen sei. Allenfalls die Fahrten zu der Dienststelle könnten dabei außer Betracht bleiben. Da der Kläger hierzu keine Angaben gemacht habe, seien die Privatfahrten in voller Höhe mit einem Pauschsatz von 0,52 DM pro Kilometer steuerlich als Einnahme zu erfassen. Im Einkommensteuerbescheid vom 25.09.2003 erfasste der Beklagte einen geldwerten Vorteil aus der Privatnutzung des Einsatzwagens in Höhe von EUR 356,40 als Einnahmen bei den Einkünften des Klägers aus nicht selbstständiger Arbeit.
Die Kläger machten im Einspruchsverfahren geltend, die Nutzung des Einsatzwagens auch zu privaten Fahrten sei durch die Dienstordnung des Landkreises zwingend vorgeschrieben. Außerdem lägen alle Vorteile, die sich im Allgemeinen aus einer privaten Nutzung eines Einsatzwagens ergeben würden, im Streitfall nicht vor. Das Einsatzfahrzeug sei angefüllt mit dienstlicher Ausrüstung. Es stehe praktisch kein Kofferraum zur Verfügung. Ständig müsse der Funkverkehr abgehört werden. Das Fahrzeug sei auffällig; man könne sich als Privatperson nicht "normal" bewegen. Es bestünden Parkprobleme, weil das Fahrzeug wegen der Ausrüstung und ihres Wertes nicht überall abgestellt werden könne. Das Fahrzeug stünde nur alle acht Wochen für eine Woche zur Verfügung, sei also nicht wie ein normaler Dienstwagen ständig auch für private Zwecke nutzbar.
Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.
Im Klageverfahren wiederholen die Kläger ihre Einwendungen gegen die angefochtene Steuerfestsetzung. Der angesichts der Nachteile, die mit der verpflichtenden Nutzung des Einsatzfahrzeugs verbunden seien, eigentlich zu vernachlässigende Vorteil liege allein in den bei den privaten Fahrten mit dem Einsatzfahrzeug erzielten Benzinersparnis von rund 66 EUR.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 08.06.2004, das Schreiben des Landkreises X vom 16.11.2000 (Bl. 14 der Einspruchsakte des Beklagten) und auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Der Senat hat den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO - mit Beschluss vom 04.07.2007 dem Berichterstatter zur Entscheidung übertragen.
Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 08.06.2004 und Änderung des Einkommensteuerbescheides 2002 vom 25.09.2003 die Einkommensteuer in der Weise herabzusetzen, dass der bisher bei den Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit berücksichtigte geldwerte Vorteil von 356,40 EUR gänzlich gestrichen wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die angefochtene Steuerfestsetzung und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten. Die private Nutzung des gestellten Einsatzfahrzeuges während der Bereitschaftswochen führt beim Kläger nicht zu einer Einnahme im Sinne eines geldwerten Vorteils.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die Gestellung eines Kraftfahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und für private Fahrten in aller Regel ein geldwerter Vorteil (vgl. § 8 Abs. 1 Einkommensteuergesetz - EStG -) und damit Arbeitslohn, soweit es sich um Arbeitnehmer handelt (vgl. dazu BFH, Urteil vom 25.05.2000 - VI R 195/98 -BStBl. II 2000, 690) oder steuerpflichtige Einnahme im Sinne von § 2 Abs. 1 EStG bei den Beziehern anderer Einkünfte (BFH, Urteil vom 27.07.1988 - I R 28/87 -BStBl. II 1989, 449), wobei § 8 Abs. 1 EStG auf die dort nicht genannten Einkunftsarten entsprechend angewandt wird (BFH, Urteile vom 13.12.1973 - I R 136/72 - BStBl. II 1974, 210 undvom 16.01.1975 - IV R 180/71 - BStBl. II 1975, 526).
Diese Regel gilt allerdings nicht ausnahmslos. Eine steuerpflichtige Einnahme liegt nach ständiger Rechtsprechung des BFH dann nicht vor, wenn sie sich bei objektiver Würdigung aller Umstände des Einzelfalls auch nicht im weitesten Sinne als Gegenleistung für die Leistung ihres Empfängers darstellt, sondern sich lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzungen des Aufwendenden erweist (BFH, Urteile vom 22.03.1985 - VI R 170/82 - BStBl. II 1985, 529; - VI R 82/83 - BStBl. II 1985, 532; - VI R 26/82 - BStBl. II 1985, 641 undvom 04.06.1993 - VI R 95/92 - BStBl. II 1993, 687).
ImUrteil vom 27.07.1988 (I R 28/87 - BStBl. 1989, 449) hat der BFH demgemäß die von einem Filmproduzenten getragenen Kosten für die Beförderung einer Schauspielerin zu verschiedenen Drehorten in der Bundesrepublik nicht als geldwerten Vorteil bei ihren Einkünften aus selbstständiger Arbeit erfasst, weil es in dem überwiegenden betrieblichen Interesse des Filmproduzenten lag, die Künstler jeweils zusammen zu den einzelnen Produktionsorten zu befördern, um so die zur Verfügung stehende Produktionszeit optimal nutzen zu können und die Gewähr zu haben, dass die engagierten Künstler ständig zur Verfügung stehen.
In einer weiterenEntscheidung vom 25.05.2000 (IV R 195/98 - BStBl. II 2000, 690) hat der BFH die Gestellung eines Werkstattwagens im Rahmen von sich wiederholenden einwöchigen Rufbereitschaften an einen Monteur auch für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ebenfalls nicht als einen als Arbeitslohn zu besteuernden geldwerten Vorteil behandelt. Unter Berücksichtigung der Begleitumstände, wie Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und der besonderen Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck kam der BFH in dem dort entschiedenen Fall zu dem Ergebnis, dass die Fahrzeugüberlassung im ganz überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers erfolgt war.
Ausgehend von diesen Grundsätzen, die für alle in Betracht kommenden Einkunftsarten gleichermaßen gelten, erweist sich der dem Kläger gewährte Vorteil der privaten Nutzung des Einsatzfahrzeuges nicht als Einnahme im Sinne eines geldwerten Vorteils. Nach den Feststellungen des Gerichts überließ der Landkreis X dem Kläger das Einsatzfahrzeug während der einwöchigen Rufbereitschaften auch für private Fahrten ausschließlich deshalb, um die bestmögliche Einsatzfähigkeit der örtlichen Einsatzleitung und damit die Erledigung der Aufgaben des Landkreises zu gewährleisten. Mit der Kfz-Gestellung verfolgte der Landkreis allein das Ziel, dass die örtliche Einsatzleitung bei einer Alarmierung schnellstmöglich am Einsatzort eintreffen konnte. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus dem Schreiben des Landkreises X an den Beklagten vom 16.11.2000 (Bl. 14 der Einspruchsakte des Beklagten). Es liegt auf der Hand, dass der Kläger den Unfallort schneller erreichen kann, wenn er das Einsatzfahrzeug so, wie vom Landkreis angeordnet, ständig - also auch bei privaten Fahrten - mit sich führt, als wenn er zunächst mit seinem Privatfahrzeug nach Hause oder zu einer Dienststelle fahren müsste, um dort das Einsatzfahrzeug zu übernehmen und erst anschließend zur Unfallstelle zu fahren. Deshalb war die Überlassung des Einsatzfahrzeugs auch für private Fahrten des Klägers für den vom Landkreis X verfolgten Zweck besonders geeignet und dem Kläger vom Landkreis X zwingend vorgeschrieben. Die Auswahl der durch die Kfz-Gestellung während der einwöchigen Rufbereitschaft "begünstigten" technischen Einsatzleiter erfolgte nach den vom Landkreis aufgestellten Dienstplänen, also nach objektiven Kriterien. Die Einteilung der technischen Einsatzleiter zu den Rufbereitschaften erfolgte auch nicht zu dem Zweck, diesen durch die Überlassung der Einsatzfahrzeuge auch für private Fahrten eine Vergünstigung zu gewähren. Dies ergibt sich schon aus dem festen achtwöchigen Turnus der Rufbereitschaften. Die äußere Erscheinung des Einsatzfahrzeugs, seine Ausrüstung und die damit notwendig verbundenen besonderen Vorkehrungen zum Schutz gegen Beschädigung und Diebstahl, machten Verwendung bei privaten Fahrten eher lästig als angenehm. Der einzig messbare Vorteil, den der Kläger bei der Nutzung des Einsatzfahrzeuges bei privaten Fahrten erlangt hat, ist, wie der Kläger zutreffend vorgetragen hat, die Ersparnis der Benzinkosten, die ihm bei diesen Fahrten bei Benutzung des eigenen PKW entstanden wären. Weitere Vorteile, etwa eine längere Nutzungsdauer des eigenen Fahrzeugs oder geringere Reparaturkosten, sind angesichts der geringen Nutzung des Einsatzfahrzeugs zu privaten Zwecken und der lediglich einwöchigen Nutzung in einem achtwöchigen Turnus nicht feststellbar.
Der Vorteil des Klägers aus der privaten Nutzung des Einsatzfahrzeuges ist also gering und kann angesichts der ganz überwiegenden Interessen des Landkreises an der Erledigung seiner öffentlichen Aufgaben und der daraus folgenden Verpflichtung des Klägers, das Einsatzfahrzeug ständig bei sich zu führen, vernachlässigt werden.
Da im Streitfall eine Einnahme im Sinne eines geldwerten Vorteils nicht vorliegt und bereits aus diesem Grund der angefochtene Einkommensteuerbescheid zu ändern ist, kommt es nicht mehr darauf an, dass der Beklagte den von ihm erfassten geldwerten Vorteil unzutreffend bei den Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit erfasst hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.