Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.08.2007, Az.: 16 K 359/06
Anspruch auf Kindergeld für den Zeitraum eines Auslandsaufenthaltes des Kindes; Auslandsaufenthalt in Neuseeland als ein vorgelagertes Praktikum für das Studium; Möglichkeit der Anerkennung eines Sprachaufenthaltes im Ausland als Berufsausbildung; Voraussetzungen für das Vorliegen eines freiwilligen sozialen oder eines freiwilligen ökologischen Jahres; Einordnung der Teilnahme an einem freiwilligen sozialen oder ökologischem Jahr als Berufsausbildung; Notwendigkeit eines theoretisch-systematischen Sprachunterrichts sowie der Vorgabe des Ausbildungsinhaltes und Ausbildungsziels durch eine fachlich autorisierte Stelle
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 27.08.2007
- Aktenzeichen
- 16 K 359/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 43922
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2007:0827.16K359.06.0A
Rechtsgrundlagen
- § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 EStG
- § 32 Abs. 4 Nr. 2 EStG
- § 2 Abs. 1 Nr. 2 SozDiG
- § 5 SozDiG
- § 2 Abs. 1 Nr. 2 FÖJFG
- § 5 FÖJFG
Fundstellen
- EFG 2008, 225-226 (Volltext mit red. LS)
- Jurion-Abstract 2007, 228709 (Zusammenfassung)
Verfahrensgegenstand
Kindergeld
Amtlicher Leitsatz
Orientierungssatz
§ 32 Abs. 4 Nr. 2 d) EStG enthält eine Rechtsgrund, keine Rechtsfolgenverweisung
Tatbestand
Streitig ist die Frage, ob der Klägerin für den Zeitraum eines Auslandsaufenthalts ihrer Tochter in Neuseeland Kindergeld zusteht.
Die Klägerin ist Mutter der am 29. November 1986 geborenen Tochter F. In der Zeit bis Juli 2006 wurde der Klägerin Kindergeld für F gewährt.
Die Tochter F schloss ihre Schulausbildung im Juli 2006 mit dem Abitur ab.
Von August 2006 bis Juli 2007 hielt sich F in Neuseeland auf. Sie arbeitete dort als freiwillige Helferin an der Auckland Diocesan School for Girls. Sie erhielt dort Unterkunft, Verpflegung und ein Taschengeld. Aus den vorliegenden Unterlagen ergibt sich nicht, dass der Aufenthalt eine theoretisch-systematische Sprachausbildung beinhaltete. Die Stelle wurde F von der GAP Activity Projects Ltd. mit Sitz in Reading (Berkshire)/Großbritannien vermittelt.
Im Anschluss an den Auslandsaufenthalt hat F im Jahre 2007 ein Studium in den Fächern Englisch, Religion und Pädagogik aufgenommen.
Der Beklagte hat mit Bescheid vom 10. Juli 2006 die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung ab August 2006 aufgehoben. Der dagegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.
Für die Zeiträume von Fs Rückkehr nach Deutschland und Aufnahme des Studiums an hat der Beklagte erneut Kindergeld gewährt.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass ihr Kindergeld auch für den Zeitraum August 2006 - Juli 2007 zu gewähren sei. Der Aufenthalt in Neuseeland stelle ein vorgelagertes Praktikum für das Studium dar. F habe sich deshalb in Berufsausbildung befunden. Auch in den einschlägigen Verwaltungsvorschriften werde darauf hingewiesen, dass auch dann, wenn die Voraussetzungen der Gesetze zur Förderung eines freiwilligen ökologischen oder sozialen Jahres nicht gegeben seien, zu prüfen sei, ob sich das Kind nicht in Berufsausbildung befinde.
Die Klägerin beantragt,
den Ablehnungsbescheid vom 10. Juli 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 9. August 2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Meinung, dass der Aufenthalt in Neuseeland kein freiwilliges oder soziales Jahr im Sinne des § 32 Abs. 4 Nr. 2 d) darstelle, weil er nicht bei einem anerkannten Träger abgeleistet worden sei. Der Aufenthalt stelle auch keine Berufsausbildung dar, weil zum Voluntariat kein theoretisch-systematischer Unterricht gehört habe.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Klägerin steht für die Zeit des Auslandsaufenthaltes ihrer Tochter F in Neuseeland kein Kindergeld zu.
Gem. § 63 Abs.1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 EStG werden beim Kindergeld Kinder im Sinne des § 32 EStG berücksichtigt. Im Streitfall liegt jedoch kein Kindergeldtatbestand des § 32 Abs. 4 Nr. 2 EStG vor. Weder befand sich die Tochter in Berufsausbildung (§ 32 Abs. 4 Nr. 2 a) EStG), noch leistete sie ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr (§ 32 Abs. 4 Nr. 2 d) EStG) ab. Die übrigen Alternativen des § 32 Abs. 4 Nr. 2 EStG kommen von vornherein nicht in Betracht.
1.
Gem. § 32 Abs. 4 Nr. 2 d) EStG wird ein volljähriges Kind, das noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres oder ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres leistet.
Freiwillige im Sinne der Gesetze zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres (SozDiG) und zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres (FÖJFG) sind gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 SozDiG und § 2 Abs. 1 Nr. 2 FÖJFG Personen, die sich aufgrund einer Vereinbarung mit einem nach § 5 SozDiG bzw. § 5 FÖJFG anerkannten Träger zur Leistung dieses Dienstes für eine ununterbrochene Zeit von mindestens 6 Monaten und höchsten 18 Monaten verpflichtet haben. § 5 Abs. 2 SozDiG und § 5 Abs. 2 FÖJFG benennen die Voraussetzungen, die ein Träger eines im Ausland abgeleisteten freiwilligen sozialen bzw. ökologischen Jahres erfüllen muss, um als Träger zugelassen zu werden. U.a. ist es erforderlich, dass der Träger seinen Sitz in der Bundesrepublik Deutschland hat (§ 5 Abs. 2 Nr. 4 SozDiG bzw. § 5 Abs. 2 Nr. 4 FÖJFG). An dieser Voraussetzung scheitert die Anerkennung des Auslandsaufenthaltes der Tochter F in Neuseeland, weil der Träger des Dienstes, die GAP Activity Projects Ltd., ihren Sitz in Großbritannien und nicht in Deutschland hat.
Das Gericht kann sich auch nicht der Auffassung anschließen, dass es sich bei der Verweisung des § 32 Abs. 4 Nr. 2 d) auf die Gesetze zur Förderung eines freiwilligen sozialen bzw. ökologischen Jahres nicht um eine Rechtsgrund-, sondern um eine Rechtsfolgenverweisung handelt. Eine Rechtsfolgenverweisung ist dadurch gekennzeichnet, dass nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen, sondern lediglich die Rechtsfolge des Gesetzes, auf das verwiesen wird, im Rahmen des verweisenden Gesetzes zur Anwendung kommen. Dem Gericht ist aber nicht ersichtlich, auf welche Rechtsfolgen des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres bzw. des Gesetzes zur Förderung eines ökologischen Jahres § 32 Abs. 4 Nr. 2 d) EStG verweisen soll. Die einzige Bestimmung der genannten Gesetze, die der Rechtsfolgenseite zugerechnet werden könnte, stellt jeweils § 4 dar, der auflistet, nach welchen Vorschriften das soziale und ökologische Jahr gefördert werden. Die meisten dieser Förderungen stehen jedoch in keinerlei Regelungszusammenhang mit dem Kindergeldrecht (z.B. Gewährung von Sonderurlaub, sozialversicherungsrechtliche Folgerungen des sozialen oder ökologischen Jahres, Gewährung von Ermäßigungen im Straßenpersonenverkehr für Teilnehmer des sozialen oder ökologischen Jahres), so dass auf diese Vorschriften wohl schwerlich verwiesen werden soll. Die einzige Vorschrift, die einen Zusammenhang mit dem Kindergeldrecht aufweist, ist § 4 Nr. 4 SozDiG bzw. FÖJFG, der allerdings lediglich auf § 32 Abs. 4 Nr. 2 d) EStG zurückverweist. Stellte § 32 Abs. 4 Nr. 2 d) EStG tatsächlich eine Rechtsfolgenverweisung dar, dann läge ein Zirkelschluss vor und die Voraussetzungen, unter denen Kindergeld zu gewähren ist, wären nicht definiert. Eine sachgerechte Auslegung des § 32 Abs. 4 Nr. 2 d) EStG ergibt sich mithin nur, wenn man die Verweisung als Rechtsgrundverweisung versteht, worauf letztlich auch der Wortlaut der Norm - "freiwilliges ökologisches oder soziales Jahr im Sinn des Gesetzes ..." - hindeutet.
2.
Nach § 32 Abs. 4 Nr. 2 a) EStG kann Kindergeld gewährt werden, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird. Unter Berufsausbildung ist die Ausbildung zu einem künftigen Beruf zu verstehen. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (lBFH Urtei 9. Juni 1999 VI R 33/98, BStBl. II 1999, 701).
"Freiwilliger Helfer" selbst ist kein Beruf. Ebenso stellt die Teilnahme an einem freiwilligen sozialen oder ökologischem Jahr als solches keine Berufsausbildung dar, weil dies in der Regel nicht der Vorbereitung auf einen konkret angestrebten Beruf dient, sondern der Erlangung sozialer Erfahrungen und der Stärkung des Verantwortungsbewusstseins für das Allgemeinwohl (BFH Urteil vom 24. Juni 2004 III R 3/03, BStBl. II 2006, 294). Einen Bezug zu einer Berufstätigkeit könnte bei dem in Rede stehenden Auslandsaufenthalt allein die Verbesserung der englischen Sprachkenntnisse haben; jedenfalls hat die Klägerin nicht dargelegt, dass die Tochter F darüber hinaus andere Kenntnisse erworben hat, die im Zusammenhang mit einem von ihr angestrebten Beruf stehen. Sprachaufenthalte im Ausland können aber nur dann als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn der Erwerb der Fremdsprachenkenntnisse nicht dem ausbildungswilligen Kind selbst überlassen bleibt, sondern Ausbildungsinhalt und Ausbildungsziel von einer fachlich autorisierten Stelle vorgegeben werden und die Tätigkeit im Ausland von einem theoretisch-systematischen Sprachunterricht begleitet wird (BFH Urteil vom 9. Juni 1999 VI R 143/98 BStBl. II 1999, 710). Aus den vorgelegten Unterlagen ist nicht ersichtlich, dass das Voluntariat in Neuseeland einen theoretisch-systematischen Sprachunterricht umfasste; entsprechendes ist von der Klägerin auch nicht vorgetragen worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Das Gericht lässt die Revision gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO im Hinblick auf das vor dem BFH anhängige Verfahren III R 61/06 zu, in dem die Frage aufgeworfen wurde, ob § 32 Abs. 4 Nr. 2 d) EStG eine Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung auf das Gesetz zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahrs enthält.